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Ausgabe:

Oktober/1998

Spalte:

999 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Faix, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Familie im gesellschaftlichen Wandel. Der Beitrag des Pietismus. Eine sozialgeschichtliche Studie.

Verlag:

Gießen-Basel: Brunnen 1997. 144 S. 8 = TVG: Orientierung. Kart. DM 19,80. ISBN 3-7655-9073-8.

Rezensent:

Martin Brecht

Der Autor ist Dozent an der Theologischen Fachschule für Gemeindepädagogik und Mission in Adelshofen bei Heilbronn. Die Arbeit ist im Zusammenhang mit einem Seminar der Evangelischen Allianz zum Jahr der Familie 1994 entstanden. Sie möchte "den reichen Schatz christlichen Familienlebens in der Vergangenheit neu ... erforschen und für die gegenwärtige Fragestellung fruchtbar ... machen" (Vorwort).

Der Feststellung, das (gewiß lohnende) Thema sei bisher in der Pietismusforschung nicht eigens behandelt worden, ist zuzustimmen. Die Einführung in "die Sozialstruktur der Familie im 17./18. Jh." (8-11) ist eigentlich zu knapp und außerdem völlig sekundär. Der folgende Überblick über "das geistliche Leben im 17./18.Jh." (12-18) wiederholt leider sämtliche fromme Klischees von der geistlich toten Orthodoxie, sucht sodann unzulässig zwischen Pietismus und Separatismus zu unterscheiden und bezieht sich auf die "Hausväterliteratur", ohne diese freilich genauer einzuordnen. Das erste zentrale Kapitel über die Familie im Pietismus (19-62) geht (nicht ganz zwingend) von Comenius als Vorläufer des Erziehungsgedankens im Pietismus aus, befaßt sich sodann mit Speners Äußerungen zum Thema vor allem anhand seiner Predigten, beschreibt ferner den Hausstand bei A. H. Francke, wobei es freilich teilweise um dessen Waisenhaus geht. Schließlich wird auf Zinzendorf unter dem für diesen wohl doch einseitigen Aspekt der Familienerziehung eingegangen. Merkwürdigerweise faßt der Vf. die eigenen Familienverhältnisse dieser klassischen Pietisten überhaupt nicht in den Blick, obwohl darüber, angefangen von Franckes Großmutter bis hin zum Verhältnis der Väter zu ihren Söhnen, viel zu berücksichtigendes Material vorhanden ist, das die nötige Differenzierung und Tiefenschärfe gebracht hätte. Nach zusätzlichen Quellen, die es durchaus gibt (z. B. für J. A. Bengel), ist offensichtlich gar nicht Ausschau gehalten worden. Ein weiteres Kapitel soll den Zeitraum von der Mitte des 18. bis zum Ende des 19. Jh.s abdecken (63-97). Dabei wird sofort auf den Gegensatz von säkularisierender Aufklärung und pietistischer "Abkehr von der Welt" auch in der Lebensgestaltung zugegangen. Die großen Dokumente z. B. eines Ph. Mt. Hahn oder J. Fr. Flattich sind dem Vf. ebenso unbekannt wie sonstiges biographisches Material, das als Test für die Familienkonzeption im Pietismus eigentlich unverzichtbar ist. Immerhin wird auf den Werdegang Fr. Chr. Oetingers Bezug genommen. Daß dieser später in eine Krise geriet, weil seine Frau ihn möglicherweise hintergangen hatte, weiß man gegen die Darstellung (69) immerhin auch. Jeweils kurz referiert werden die Äußerungen von J. Fr. Oberlin, Chr. H. Zeller und dessen Schwiegersohn H. W. J. Thiersch über die Familie. Zutreffend wird der Stellenwert, den J. H. Wichern der Familie beigemessen hat, hervorgehoben. Eigens wird auf die Rolle der Mutter, nunmehr auch aufgrund einiger biographischer Beispiele, eingegangen. Allerdings werden weder hier noch zuvor im Verhältnis von Eltern und Kindern die nicht selten geradezu typischen Spannungen thematisiert, ein verschenkter Aspekt (einschließlich der Bewältigungen) und im Grunde eine Verkürzung. Als Gewährsmann für das alternative pietistische Familienverständnis bis weit in unser Jahrhundert wird der Evangelist H. Dallmeyer (1870-1925), wenn auch mit gewisser Distanzierung, referiert (98-106). Insgesamt wird das Verständnis der Familie durch den Pietimus in seiner geschichtlichen Entwicklung durchweg positiv gewürdigt, sieht man von der monierten Gefahr der Gesetzlichkeit ab (107 f.). Das Schlußkapitel erörtert "die Bedeutung der pietistischen Erziehung für die Gegenwart" (109-123). Hier kommt der Abstand von der Vergangenheit deutlicher zum Vorschein, obwohl am "Haupt-sein" des Mannes in der Familie festgehalten wird. Die eigentliche Intention geht darauf aus, eine pietistische Konzeption auch für die Kleinfamilie zu skizzieren.

Die Validität des Themas ist offenkundig; die Ausführung vermag hingegen weniger zu befriedigen. Daß der Vf. kein professioneller Historiker und vorweg an der Verwertbarkeit des Überkommenen interessiert ist, dispensiert nicht von einer ausgewogenen und problembewußten Entfaltung des Materials; sonst prolongieren die Verkürzungen auch die Fehlleistungen der Vergangenheit.