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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

809–811

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Taubald, Benjamin

Titel/Untertitel:

Anamnetische Vernunft. Untersuchungen zu einem Begriff der neuen Politischen Theologie.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2001. 201 S. gr.8 = Religion - Gesellschaft - Geschichte. Fundamentaltheologische Studien, 18. Kart. ¬ 20,90. ISBN 3-8258-5151-6.

Rezensent:

Edmund Arens

In seiner Wiener Dissertation nimmt sich Taubald vor, den Erinnerungsbegriff als das Rückgrat der Politischen Theologie von J. B. Metz herauszustellen und dessen Entwicklung seit der Memoria-These von 1969 im Blick auf seine systematischen Implikationen und ethisch-praktischen Konsequenzen zu entfalten. Dabei macht ihm zufolge schon "der Stil des Theologietreibens bei Metz klar, dass sich dieser Begriff nur aus dem Kontext seiner theoretischen und theoriestrategischen Verortung in der Gesamtbewegung des Projekts der öffentlichen Verantwortung des Glaubens bestimmen lassen wird" (11).

T. gibt zunächst einen brauchbaren Abriss der frühen theologischen Motive von Metz, wobei er knapp beleuchtet, wie jener mit Thomas in die Neuzeit und dann mit Bloch zur "Theologie der Welt" gelangt. Letztere postuliere ein praktisches, operatives Weltverhältnis und konzipiere Theologie als "Handlungswissenschaft" (26). Die vom Zukunftspathos getragene frühe Politische Theologie gerate über die Bekanntschaft mit Adorno und die Beschäftigung mit Benjamin in einen neuen Horizont, wobei sie der Dialektik der Aufklärung gewahr werde. Die Memoria-These, welche Glaube fundamental als Erinnerung bestimmt, von der memoria passionis, mortis et resurrectionis Jesu Christi her begründet und in die Praxis der Nachfolge verweist, führt Metz freilich im Anschluss an einen Gedanken Marcuses ein. Marcuses "vage Anrufungen der Erinnerung" (61) bleiben laut T. seinem Gesamtentwurf allerdings äußerlich. Für Metz gewinnt die Memoria-These den Charakter eines materialen Vernunftprinzips. T. zufolge wird Metz 1973 klar, dass die Theologie von Auschwitz nicht länger schweigen kann. Bezeichnenderweise nähere er sich dieser Realität zunächst nicht in fachtheologischen Texten, sondern in meditativer Form und dann im berühmten Synodenbekenntnis "Unsere Hoffnung" von 1975. Bleibe das zweite Hauptwerk "Glaube in Geschichte und Gesellschaft" (GGG) von 1977 noch auf halbem Wege stehen, so wird Auschwitz alsbald zum definitiven Ausgangsort von Metz' Theologie, für die gilt: "Alles ist an Auschwitz zu messen" (Metz 1979, zit. 76). Damit könne Theologie nur noch im Angesicht der Opfer betrieben werden und sich aus dem Andenken an diese heraus artikulieren. In einem zitatenreichen Exkurs kommt T. reichlich undifferenziert auf "das Theologische" bei Benjamin, Adorno und Horkheimer zu sprechen, dessen Anspruch der Reflexion "außen vor" (sic! 100) bleibe. In einer Formulierung, die wohl Adornos Sprachvirtuosität nachahmen soll, hält er fest, die drei Autoren "sind keine Theologen. Aber das Theologische bleibt ihnen fremd." (103)

Der Durchgang durch Metz' Ansatz wird mit dem Stichwort "Nachidealistische Theologie" fortgesetzt. Dabei erfolgt in Anlehnung an Peukert eine dezidierte Auseinandersetzung mit Habermas' Philosophie, deren Grenzen jener deutlich aufgezeigt habe, wenn auch sein theologischer Gegenentwurf nicht überzeuge, da er ein zu ungebrochenes Verständnis von Geschichte voraussetze, "das sich die Politische Theologie verbieten muß" (117, Anm. 9). T. macht den Kontrast von anamnetischer und kommunikativer Vernunft deutlich, wobei für ihn Metz der Repräsentant einer theologisch richtigen, wenn auch bisweilen "bösartigen" (134) Habermas-Kritik ist, während die in eine Anm. verbannte theologische Habermas-Rezeption dem Meister offenbar wenig entgegenzusetzen hat. Gegenüber dem formalen Universalisierungsprinzip von Habermas' Diskursethik optiere die Politische Theologie für ein materiales Universalisierungsprinzip. Sie erkenne in der Leidenserinnerung das "Organon von Universalität" (138), der die Praxis der Compassion korrespondiere. Ein weiterer Exkurs dient der Ehrenrettung der Postmoderne. Er will im höchst antiuniversalistischen Lyotard Grundintentionen und -motive der Politischen Theologie wiedererkennen. Schließlich muss noch Rortys Rekonstruktion der Moderne als Negativfolie für eine anamnetische Ethik herhalten, deren Praxis darauf zielen müsse, "den Körper zum Medium dieser Erinnerung zu machen" (175).

T.s kenntnisreiche Rekonstruktion der Geschichte der Memoria-These sowie seine lehrreiche Reflexion der zunehmenden Bedeutung des Erinnerungsbegriffs in Metz' Politischer Theologie leidet m. E. an undifferenzierter Apodiktik und Apologetik: Wenn es gleich zu Beginn heißt: "das Wissen um Auschwitz ist zugleich das Wissen um das Ende des Projekts der Moderne" (9), so ist zu fragen: Wissen Habermas und Peukert nicht um Auschwitz? Wer hat denn den Historikerstreit angezettelt? Ist die Erfahrung der Vernichtung der Anderen nicht gerade der Ausgangspunkt von Peukerts Wissenschaftstheorie der Theologie? Dass sich die Politische Theologie dessen Geschichtsverständnis "verbieten muß", ist eine inquisitorische Attitüde, welche sich selbst zum Lehramt der Politischen Theologie aufschwingt. Die höchst differenzierte Argumentation von Habermas dient T. nur als Negativfolie für die Selbstbehauptung einer angeblich orthodoxen Version der Politischen Theologie, bei deren Wiedergabe dem Vf. zudem diverse Irrtümer und Fehlschlüsse unterlaufen. So verwendet Metz den Begriff des "eschatologischen Vorbehalts" nicht erst seit 1969 (so: 36), sondern prominent bereits in "Theologie der Welt" (144 ff.). Metz' Auseinandersetzung mit Habermas beginnt nicht erst 1979 (so 80), sondern seine Kritik an dessen vermeintlicher Tauschrationalität findet sich schon in GGG S. 208. Schließlich tragen die Exkurse zu Lyotard und Rorty wenig zur Erhellung des Metzschen Ansatzes bei, an den sich T. mimetisch bis hin zum Mimikry anschmiegt, statt ihn kritisch-konstruktiv und diskursiv auf seine in der Tat unverkennbaren Stärken, Leistungen und Grenzen zu befragen.