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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

804–806

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kalsky, Manuela

Titel/Untertitel:

Christaphanien. Die Re-Vision der Christologie aus der Sicht von Frauen in unterschiedlichen Kulturen.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2000. 368 S. 8. Kart. ¬ 27,95. ISBN 3-579-05317-5.

Rezensent:

Kurt Lüthi

Die Autorin stellt sich das anspruchsvolle Ziel einer neuen Christologie auf der Grundlage einer feministischen Theologie (in anderer Sprachregelung: "Womanistische Perspektive", 28.187.264 ff.271 ff.). Günstig ist, dass sie das breite Spektrum christologischer Aussagen genau kennt und Resultate, die sich mit der neuzeitlichen historisch-kritischen Methode ergeben, immer wieder sorgfältig diskutiert; so hat z. B. das Stichwort des "fremden" Jesus, das mit Albert Schweitzer gegeben ist, noch und wieder einen hohen Stellenwert (46 ff.). Ihr grundlegendes Interesse ist damit gegeben, dass sie den "Befreier Jesus" und die entsprechende Praxis in der Nachfolge Jesu finden möchte. Dazu eine Formulierung: "... das Ziel (ist nicht eine akademische Neuformulierung der Christologie), sondern das revolutionäre Engagement einer Christo-Praxis, die sich als Nachfolge Jesu - ausgehend von dessen Option für die Armen - auf das Reich Gottes richtet" (97).

Eine Christologie aus feministischer Sicht berücksichtigt und beachtet eigene Erfahrungen der Frau (103 ff.), auch der gemeinschaftlichen Erfahrungen der Frauen (Wir-Gefühl, 116). Die Autorin belegt ihre Sicht mit einer Vielzahl von Autorinnen und ihren Schriften; u. a. ist für sie die ökumenische Tagung von 1974 zur Sexismus-Debatte von großer Wichtigkeit. Für die mit diesen Ansätzen entstehende Hermeneutik der Frauen sind vier Elemente konstitutiv (114 f.): 1. eine Hermeneutik des Verdachtes (Kritik der Androzentrik), 2. eine Hermeneutik der Verkündigung, 3. eine Hermeneutik der Erinnerung, 4. eine Hermeneutik der Aktualisierung. Mit dieser Hermeneutik entsteht die Spannung zwischen "Destruktion, Rekonstruktion und Revision" einer Christologie aus feministischer Perspektive. Dabei erscheint es sinnvoll, biblische Geschichten kreativ auch mit Musik, Tanz und Erzählungen zu aktualisieren (115). Die Autorin bezieht sich auch auf ein Resultat des nordamerikanischen und europäischen Feminismus (118 ff.): Hier stellt man gegen den "Mann Jesus" Jesus als Feministen, der die Frauen gleichberechtigt behandelte; allenfalls wäre Jesus (im Sinne von Hanna Wolff) "androgyn". Eine Sackgasse entstünde nach Auffassung der Autorin mit einer neuen, jetzt feministischen, "Entjudaisierung Jesu" (Beispiel: Hanna Wolff). Gegen solche Tendenzen ist eine feministische Diskussion zu berücksichtigen, in der feministische Autorinnen gegen die "Entjudaisierung Jesu" protestieren (128 ff.). Grundlegende Studie: L. Siegele-Wenschkewitz: Feministische Theologie ohne Antijudaismus, in: L. Siegele-Wenschkewitz [Hrsg.]: Verdrängte Vergangenheit, die uns bedrängt. Feministische Theologie in der Verantwortung für die Geschichte, München 1988, (12-53). Für das Gegenüber von Christen und Juden in der Jesusfrage übernimmt die Autorin dann ein Resultat der Debatten der Mitte der 80er Jahre - ein Resultat hauptsächlich von Autoren in den USA: Jesus wäre als "subversiver Weisheitslehrer" zu charakterisieren; er ist der Gründer einer egalitären Gemeinschaft, er ist ein charismatischer Heiler, seine Grundorientierung ist antipatriarchal und sozial (67). Allerdings vertritt die Autorin auch ein kritisches Postulat mit der Feststellung, es werde trotz aller Beteuerungen, das Judesein Jesu ernst zu nehmen, wieder auf das christliche Kontrastdenken, das sich vom Judentum abgrenze, zurückgegriffen (67). Ein Beispiel dieses Kontrastdenkens sei die christliche Darstellung und Interpretation der jüdischen Gesetzesauffassung; diese hat für die Autorin oft einen "karikierenden Charakter" (65).

Zugänge zu einer neuen Sicht sind für die Autorin heute vor allem mit den Positionen von Jürgen Moltmann, Johann Baptist Metz und Dorothee Sölle gegeben. Hier ist eine Variante der Reich-Gottes-Theologie zu finden, die gesellschaftspolitische und ideologiekritische Implikationen enthält. Weiter wäre die "Schwarze Theologie" zu beachten, auch die damit gegebene "schwarze Spiritualität" (87 ff.). Auch mit der "Schwarzen Theologie" geht es um das Engagement in einer "Christopraxis". In diese Zusammenhänge bezieht die Autorin auch die weibliche Gestalt der Sophia als Personifikation göttlicher Weisheit ein.

Mit solchen Beiträgen zur "Re-Vision" der Christologie ordnet die Autorin ihre Argumente einer kontextuellen "Theologie der Befreiung" ein. Gott wird in diesen Zusammenhängen auch als "Macht der Beziehung" beschrieben (u. a. im Anschluss an Carter Heyward: "und sie rührte sein Kleid an. Eine feministische Theologie der Beziehung", Stuttgart 1986). Zu der damit gestalteten Beziehungschristologie gehört eine undualistische Anthropologie, die Leiblichkeit und Sinnlichkeit positiv wertet. Resultat: Christus wird als Symbol befreiter Menschlichkeit verstanden.

Auf den Seiten 189 bis 259 geht es um "Christologische Entwürfe aus der Sicht von Frauen in Afrika und Asien". Ich treffe aus der Vielzahl der Positionen, die die Autorin darstellt, eine Auswahl.

Mercy Amba Oduyoye (Ghana): Die Autorin berücksichtigt in einem hermeneutischen Sinn erdrückende Alltagserfahrungen von Frauen und entwickelt ein Programm eines "kreativen Synkretismus" zwischen Christentum und afrikanischer Religiosität. Das bedeutet, dass afrikanische Rituale aus dem Bereich der "rites de passage" Beachtung finden. Dann vertritt die Theologin aus Ghana auch eine Kritik der Missionskirchen. Ihr Vorwurf: Missionarsfrauen leben das Leben ihrer Männer, sie stellen ihre Arbeitskraft wie selbstverständlich gratis zur Verfügung. Damit entsteht eine Direktive für die Frauen: "Opfern und geopfert werden". Als Beitrag zu einer Theologie aus der Sicht der Frau wäre das von der Autorin entwickelte ekklesiologische Vorbild der afrikanischen "Abusua" zu beachten (207 ff.). Damit ist eine religiöse Gemeinschaft gemeint, die sich aus 7 Stämmen zusammensetzt, die wiederum von 7 Frauen gegründet wurden. Diese Gemeinschaft vertritt eine "Spiritualität der Solidarität", die sowohl die Sorge für sich, wie auch die Sorge für die Gemeinschaft umschließt. Wichtig ist, dass es hier keine Aussonderung oder Abwertung der kinderlosen Frau gibt; die kinderlose Frau gehört gleichberechtigt zur Gemeinschaft. Theologische Hintergründe für diese Sicht der kirchlichen Gemeinschaft sind mit einer Sozialgestalt der Trinitätslehre, mit der Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen und mit der Solidarität zwischen Göttlichem und Menschlichem in Jesus gegeben (209 f.).

Weiter Hinweise auf die philippinische Theologin M. M. Fabella (229ff.): Sie kritisiert den Mythos der unterwürfigen, servilen Asiatin, für die die Unterwerfung eine Art "verinnerlichter Spiritualität" wurde (233). Die Begegnung mit Jesus bedeutet dann die Chance, Gesellschaftsstrukturen zu transformieren. Auch die Identifikation von Frauen mit dem leidenden Christus wird sozial verstanden; auch Frauen haben damit "Messiasqualitäten" (242).

Schließlich Hinweise auf Chung Hyun Kyung (Südkorea): Sie ist bekannt von ihrem Auftreten anlässlich der 7. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Canberra (1991). Ihr Auftritt vor der Versammlung erfolgte tanzend und singend, begleitet von weiß gekleideten, koreanischen Frauen, ausgerüstet mit Gongen und Trommeln. Tanzend folgten Anrufe von Geistern, denen in der Geschichte Unrecht zugefügt wurde. In einem synkretistischen Sinn wurden u. a. der "Geist der ausgebeuteten Erde", "... des verseuchten Wassers", "... der verunreinigten Luft" angerufen. Der Anruf endete mit dem Geiste Jesu als "Geist des Befreiers" und des "Bruders Jesu", der gefoltert und getötet wurde.

Eine abschließende Überlegung: Gibt es Chancen einer Verbindung der hier vorliegenden "Revision der Christologie" mit Ansätzen der Schultheologie? Ich sehe folgende Möglichkeiten: 1. Es gibt das Postulat einer "Christologie von unten", allenfalls einer "impliziten Christologie", die als "kritischer Standort" zu qualifizieren ist. 2. Mit dem Exodusprinzip, das verschiedene Befreiungstheologien bestimmt, ist ein umfassendes, theologisches Denkmuster gegeben, das sowohl feministische wie allgemein-schultheologische Ansätze bestimmt. 3. Gott als "Macht der Beziehung" (evtl. im Sinne von Martin Buber als "Du") kann sowohl eine feministische wie eine allgemeine Hermeneutik bestimmen. 4. Kritik einer "apathischen Gottesvorstellung" (die oft mit einem gesellschaftlich-pathischen Verhalten zusammengehört) könnte (müsste) auch Postulat der Schultheologien sein. 5. Lernschritte im Gegenüber von Christen und Juden sollten ein "Kontrastdenken" überwinden (Beispiel: Jüdisches Gesetz).