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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

799 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Rudolphi, Michael

Titel/Untertitel:

Produktion und Konstruktion. Zur Genese der Naturphilosophie in Schellings Frühwerk.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2001. 222 S. gr.8 = Schellingiana, 7. Geb. ¬ 37,00. ISBN 3-7728-1976-1.

Rezensent:

Karl H. Neufeld

Diese Dissertation (München 1995) will - wie der Untertitel klarstellt - die Genese von Schellings Naturphilosophie erhellen. Nach der Einleitung (11-16) wird das in fünf Schritten unternommen, von denen der erste die "Rekonstruktion der Problemkonstellation in Schellings Frühschriften" (17-50) versucht, der zweite "Die Frage nach dem Prinzip und der Primat des Praktischen" (51-83) aufwirft, der dritte "Die Genese der Naturphilosophie" (85-126) nachzeichnet, der vierte die "Naturphilosophie als spekulative Physik" (127-153) entwickelt und der fünfte "Schellings spekulative Konstruktion der Materie" (155-194) behandelt.

Abgerundet wird der Band durch Verzeichnisse der Abkürzungen, der Literatur, der Sachen und Personen. Sowohl Untertitel als auch Aufbau und Überschriften für die Kapitel geben einen sehr guten Eindruck von Absicht und Vorgehen. Das Begründungsproblem soll geklärt werden, was zunächst einen relativ ausführlichen allgemeineren Zugang erfordert, so dass erst im dritten Schritt die Frage der Naturphilosophie als solche Thema wird. Das geforderte unbedingte Prinzip ist in Hinwendung zur praktischen Philosophie herausgearbeitet, was in ständigem Bezug auf die praktische Philosophie Kants geschieht. "Der Begriff des Praktischen ist bei ihm [Schelling] erheblich umfangreicher als bei Kant, der ihn ausschließlich auf die Sphäre des Sittlichen beschränkt" (53). Aber in diesem Licht bekommen die Stichworte des Haupttitels der Arbeit "Produktion" und "Konstruktion" ihren Sinn. Elementares Anliegen in Schellings Frühphase sei die Grundlegung der Philosophie in einem unbedingten Prinzip (vgl. 81).

Theoretische Philosophie scheitere daran, der Primat des Praktischen erlaube es, wenn man den Begriff des Praktischen als "einen rein produktiven und schöpferischen Akt" (81) nehme. Ziel sei, "die Philosophie nicht aus strenger Notwendigkeit hervorgehen zu lassen, sondern sie auf einen Akt der Freiheit zu gründen" (89). Wie komme ich so zur Natur? Wie ist sie mir gegeben? Mit der Theorie der produktiven Anschauung (vgl. 100-104) wird erkenntnistheoretisch wie naturphilosophisch die Antwort geboten. Die dynamischen Prinzipien führen schon zum Verhältnis von Transzendental- und Naturphilosophie, zur Organisation und zum Konzept der spekulativen Physik. Sie "beruht auf dem Postulat der unbedingten Produktivität" (140), die erster Grund der Natur und Prinzip von deren Subjektivität sei. Denn die Einheit der Natur liege nicht als Datum vor, sondern sei der Konstruktion durch die Vernunft aufgegeben. Sehr umsichtig werden die Einwände gegen diese Auffassungen Schellings erhoben und diskutiert. Die Darstellung geht noch weiter bis zur "Konstruktion der Materie" (165-187) und schließt mit der Aktualität dieses Materiebegriffs.

Die Untersuchung stellt sich erfreulich übersichtlich und gut lesbar dar; im Umfang kommt sie dem Leser entgegen, gerade weil sie ihre Grenzen deutlich markiert (z. B. Beschränkung auf die Frühschriften). Die so gebotene Einsicht in Bemühungen und Entwicklungen zwischen Kant und den Vertretern des Deutschen Idealismus fördert einen geschärften Sinn, der sich nicht nur in einer begründeteren Bewertung Schellings auswirkt, sondern auch in einer umsichtigeren Behandlung der ganzen geistigen Bewegung, zu der Schelling gehört. Überraschen mag, was zur Aktualität dieser Überlegungen und Vorstellungen gesagt wird. Die Naturwissenschaft hat diese spekulative Naturphilosophie hartnäckig bekämpft; nun kommt "ausgerechnet von dieser Seite eine bis vor kurzem kaum für möglich gehaltene Renaissance", so dass "auch die Bedeutung spekulativer Aspekte für die moderne Naturwissenschaft deutlich werden" (187) kann. Schon allein um dieser Perspektive willen, selbst wenn sie sich nur an einigen auffälligen Kongruenzen orientiert, dürfte es für Theologie äußerst wichtig sein, diese und ähnliche Untersuchungen aufmerksam zur Kenntnis zu nehmen. Es geht nicht um Konkurrenz, sondern um die Bedingungen der Möglichkeit - hier von Natur - überhaupt. Für das Gespräch zwischen Philosophie, Welt und Theologie heute hilft diese Untersuchung ein gutes Stück weiter. Natur - wie der Mensch sich zu verstehen sucht; Freiheit und Bewusstsein sind Produkte der Natur.