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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

798 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Rager, Günter, u. Adrian Holderegger [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Bewusstsein und Person. Neurobiologie, Philosophie und Theologie im Gespräch.

Verlag:

Freiburg (Schweiz): Universitätsverlag; Freiburg/ Br.: Herder 2000. 145 S. 8 m. Abb. = Studien zur theologischen Ethik, 83. Kart. ¬ 21,50. ISBN 3-7278-1207-9 u. 3-451-26903-1.

Rezensent:

Ulrich Eibach

Das Buch behandelt eine Thematik, die in der bioethischen Diskussion bisher noch nicht genügend Aufmerksamkeit gefunden hat. Die Neurobiologie tritt teilweise mit dem Anspruch auf, bisher der Philosophie und der Theologie und allenfalls noch der Psychologie vorbehaltene Probleme wie das Leib-Seele-Problem, das Verständnis anthropologischer Begriffe wie Person, Ich, Selbst auf empirisch-naturwissenschaftlicher Basis hinreichend zu erklären.

Der einleitende Beitrag des Embryologen G. Rager ("Bewusstsein und Person in Wissenschaft und Lebenswelt") beschreibt die neueren Erkenntnisse und die Theoriebildung in der Neurobiologie mit Blick auf die Entstehung von Bewusstsein und Personsein. Die neurobiologischen Theorien reduzieren das Leib-Seele-Problem überwiegend auf das Gehirn-Geist-Problem und das Selbstbewusstsein auf ein Epiphänomen des Gehirns, das bei einem bestimmten Grad der Komplexität des Gehirns von diesem hervorgebracht wird. Abgelehnt wird heute allgemein die Auffassung, dass es im Gehirn einen "Punkt" gibt, "an dem alles zusammenläuft und der strategisch an der Spitze einer Hierarchie gelegen wäre" ("Homunculus-Theorie", 17). Vielmehr ist das Gehirn ein System, das sich immer neu organisiert. Daraus schließen viele Neurobiologen, aber auch Philosophen, dass die Vorstellung von einem einheitlichen und dauerhaften "Selbst" eine Illusion sei. Allerdings gibt es auch Ansätze "zu neuronalen Modellen des Selbst, die [...] auch den Zusammenhang von Gehirn und Körper einbeziehen" (18). R. verweist vor allem auf den Neurologen A. R. Damasio (Descartes' Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn, dt. München, 3. Aufl. 1998), für den der Körper das grundlegende Bezugssystem für das Gehirn ist. Der Körper liefert dem Gehirn "ständig Bilder vom inneren Milieu und von der Umwelt", die Grundlage für Gefühle und Emotionen sind, die für unser Leben von zentraler Bedeutung sind. Das "Wissen des Körpers" wird im "Gehirn in Form von Bildern niedergelegt", und zwar in verschiedenen Systemen des Gehirns. Das "Selbst" ist nicht ohne den gesamten Körper, auch wenn die im Gehirn repräsentierten Zustände des Körpers die Basis für den Begriff des Selbst darstellen (20).

Gerade diese, eine einseitige "Hirnzentriertheit" und Zentriertheit auf das Selbstbewusstsein überwindende Sicht des "Selbst" wäre in der Diskussion über den Person-Begriff in der gegenwärtigen Bioethik fruchtbar zu machen. Leider geschieht das in den folgenden Beiträgen des Sammelbandes nur unzureichend. Am ehesten ist dies noch in dem Beitrag "Diachrone Identität" des Philosophen Edmund Runggaldier der Fall. Eine hauptsächlich in der angelsächsischen positivistisch-empiristischen Philosophie vertretene Sicht löst die Identität des Menschen in seiner Biographie in sich über die Zeit erstreckende Kontinuitätserfahrungen auf. Diese vermögen aber nicht die Identität des Menschen zu begründen, die der Mensch in seiner intuitiven Selbsterfahrung wahrnimmt. Die Fragestellung ist auch in dem Beitrag des Philosophen Ludger Honnefelder (Der Begriff der Person in der aktuellen ethischen Debatte) und im Beitrag des katholischen Moraltheologen Adrian Holderegger (Person in der Perspektive von Theologie und Ethik) im Blick. Holderegger zeigt die theologischen Wurzeln des Personbegriffs auf und gibt einen guten Überblick über seine Entwicklung in der Theologie- und Philosophiegeschichte seit der Antike. Allerdings wird auch bei ihm die biblisch gesehen fundamentale Dimension der Leiblichkeit (soma, 1Kor 15) für den Personbegriff und die Identität der Person im Vergleich zum Geist des Menschen nicht genügend berücksichtigt, und dies, obwohl der Mensch in der Beziehung zu anderen gerade in seiner Leiblichkeit von anderen als die in ihrem Leben mit sich identische Person erkannt wird. Die neurobiologische Sicht von Damasio könnte dazu herausfordern, der Leib- und Körperlichkeit des Menschen mehr Gewicht für den Personbegriff einzuräumen. Die Beiträge des Germanisten Alois M. Haas (Preisgabe seiner selbst) und des Philosophen Raimon Panikkar (Das unwissende Bewußtsein) zeigen anhand der Mystik und der indischen Spiritualität die Grenzen eines empirisch rationalen Zugangs zum Bewusstsein und Selbst des Menschen auf, der sich im Gegenüber zum "Göttlichen" als "Selbst" erfährt.