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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

786–788

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Thurner, Martin

Titel/Untertitel:

Gott als das offenbare Geheimnis nach Nikolaus von Kues.

Verlag:

Berlin: Akademie Verlag 2001. 500 S. gr.8 = Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie, 45. Geb. ¬ 49,80. ISBN 3-05-003582-X.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Der Verfasser legt seine bei R. Heinzmann angefertigte Habilitationsschrift vor. Sie kreist um "das geheimnishaft-freie Geschehen von Geben und Empfangen" (5). Das Thema wurde in der Cusanus-Forschung bisher noch nicht umfassend dargestellt. Nach einer Einleitung (15-19) widmet sich Kap. 1 dem Denken als der "Suche nach der Offenbarkeit des im Glauben angenommenen Geheimnisses" (21-26), Kap. 2 der "freie[n] Erschaffung des Menschen als Grund für die Selbstoffenbarung des Geheimnisses" (27-47), Kap. 3 den "Dimensionen der Offenbarkeit des Geheimnisses" (49-458) und Kap. 4 einer ausführlichen "Kurzzusammenfassung: Geheimnis und Offenbarkeit als sich gegenseitig implizierende Wesensbestimmungen" (459-484); Kap. 3 umfasst demnach eigentlich die ganze Arbeit.

Der Vf. begreift das Schrifttum des Nikolaus von Kues (= NvK) als Denkbewegung, sein Denken als "Suchbewegung, die bei der Verborgenheit Gottes ihren Ausgang nimmt und in der Erkenntnis desselben Gottes als Geber aller Helligkeit an ihr Ziel kommt, sich also ursprünglich im Spannungsfeld von Geheimnis und Offenbarkeit vollzieht" (21). Er sieht dabei - einmalig in der Cusanus-Forschung - die um 1445 entstandenen Opuscula (De deo abscondito, De quaerendo deum, De dato patris luminum) als für das cusanische Denken grundlegend an. Der Vf. sieht in ihnen seinen "philosophischen Gottesbegriff" dargelegt; der Rez. ist davon überzeugt, dass letztlich NvK vom biblischen Zeugnis ausgeht und dieses philosophisch reflektiert. Dies wird deutlich, wenn man seine Schriften mit seinen Predigten vergleicht.

Von der Gotteserkenntnis als Wesensbestimmung des Menschen (Kap. 2) wird man - mit dem Vf. - nur im Zusammenhang mit dem Glaubensvollzug sprechen können. Dem widerspricht nicht die cusanische Redeweise vom Menschen als dem Deus secundus, denn der Mensch ist zur Gotteserkenntnis hin erschaffen. Ihm offenbart sich Gott in seiner Herrlichkeit (42, vgl. 129).

Der Intellekt ist nun der Ort, wo der Mensch die Gottesoffenbarung aufnimmt (Kap. 3). NvK reflektiert als erste Stufe der Selbstoffenbarung des Geheimnisses die als Gesamtheit der Erkenntnisobjekte begriffene "natürliche Weltwirklichkeit", als zweite das "geschenkte Erkenntnislicht", die dritte Stufe ereignet sich in der "biblischen Offenbarung mit ihrer Erfüllung in Jesus Christus", die vierte wird die "eschatologische Vollendung" sein (52-54). Gott hat die Welt erschaffen, "um sich dem Menschen in sinnlicher Vermittlungsgestalt zu offenbaren", darum sei sie sein "Selbstporträt" (55 f.): Der Deus absconditus will sich selbst sichtbar machen. Die Welt ist als "von Gott geschriebenes Buch" zu begreifen (84), sie ist die "dem Menschen zugängliche Seinsweise Gottes" (127). Doch geht er darin nicht auf. Das Offenbaren geschieht mystice. Wenn dem aber so ist, ist der Vf. zu fragen, wieso der geistige Aufstieg sich "so für den Menschen als ein tieferes Hineindringen in das Innere der Weltwirklichkeit" (136) vollzieht? Die Gotteserkenntnis des Menschen ist als ein Gnadengeschehen zu begreifen! Der Mensch kann nicht, wie der Vf. behauptet, die "sichtbaren Werke Gottes" übersteigen, da er (nach De visione Dei, h VI, n. 48, Z. 4 f.) nicht die Mauer der Koinzidenz übersteigen kann. Die visio Dei (Gen. Subi.) bewirkt, dass wir Gott erkennen können. Dem entspricht, dass der Mensch das "göttliche Geheimnis nicht unmittelbar, sondern nur durch die Vermittlungsgestalt seiner sinnenfälligen Offenbarkeit zu schauen vermag" (168). Wenn NvK unterschiedliche Verben gebraucht, will er offensichtlich Nuancen setzen; ostendere sollte darum nicht mit "offenbaren" (so 158), sondern mit "zeigen" übersetzt werden.

NvK begreift Offenbarung als illuminatio des lumen intellectuale; auch hier wird deutlich, dass er sie als Geschenk begreift: "Das Licht (geht) allem voraus, was durch derartiges Sehen erkannt werden kann" (201). NvK begreift den menschlichen Intellekt als alteritas, weil er nicht die unbeschränkte göttliche Vernunft ist, sondern nur die menschliche. Unter Rückgriff auf Jes 7,9 vg heißt es, der Glaube falte alles Erkennbare in sich ein, der Intellekt sei Ausfaltung des Glaubens. Damit ist der Glaube Ursprung des Denkens (221-226). Gott habe dem Menschen die Vernunft gegeben, um ihn zu erkennen. Mittels der geschenkten Offenbarung kann sich der Mensch zur Gotteskindschaft hin vervollkommnen. Gerade die Predigten zeigen, dass NvK den Intellekt als Gnadengeschenk versteht. Aber in der Offenbarung geht Gott nicht auf. Der Philosophie (und damit dem Intellekt) sind in Bezug auf die göttliche Offenbarung Grenzen gesetzt; der Glaube geht den ratiocinationibus voraus (vgl. De docta ign. III, n. 203).

Wo der Vf. auf den Mysteriencharakter des Kreuzestodes Christi zu sprechen kommt, unterläuft ihm ein Fehler. Er behauptet, NvK rechtfertige sein Verschweigen im Koran (426 f.). Im Gegenteil: Er betont, allein der Glaube daran, dass Christus der Sohn Gottes ist und tatsächlich den Kreuzestod erlitten hat, vermag den Teufel und die Welt zu überwinden; er besteht auf dem, was das Evangelium sagt (Cribr. Alk. I, h VIII, n. 28; II, h VII, n. 122). NvK versucht nur zu ergründen, warum Muslime den Kreuzestod verschweigen. Der Vf. bewundert NvK, wie es ihm gelingt, "in seiner Offenbarungsphilosophie Glauben und Rationalität so in Einklang zu bringen, dass er damit einerseits das Selbstverständnis des philosophischen Denkens von der christlichen Glaubenserfahrung Gottes als des offenbaren Geheimnisses her vertieft, andererseits aber auch das glaubensimmanente Offenbarungsverständnis durch die Entdeckung der ursprünglichen Offenbarkeit Gottes in Weltwirklichkeit und erkenntnisbegründender Wahrheit erweitert" (429). Sie erreicht ihr Ziel in Christus, er ist "die Erfüllung der Selbstoffenbarung Gottes unter den Bedingungen unseres gegenwärtigen raumzeitlichen Lebens" (437).

In der "Kurzzusammenfassung" bestimmt der Vf. besser als im Buchtitel, worum es geht, nämlich um "Geheimnis und Offenbarkeit als sich gegenseitig implizierende Wesensbestimmungen" Gottes (459). Dass die cusanische Philosophie darin bisher gedanklich nicht übertroffen, ja "prinzipiell unübertreffbar" sei (484), ist zu euphorisch!

Das Literaturverzeichnis weist 207 Titel der Sekundärlitertur auf, die der Vf. - im Gegensatz zu eigenen Veröffentlichungen- nur sparsam zitiert. Register fehlen leider.

Am Schluss sei zusammengefasst: Der Vf. zieht das ganze Schrifttum des NvK heran. Das verleiht der Arbeit große Ge-schlossenheit und Solidität.

Wenn nun doch auch Kritisches genannt wird, sei dies nicht als Beckmesserei zu verstehen: Eine Zusammenfassung sollte keinen neuen Gedanken bringen. Das Buch hätte erheblich gekürzt werden können, viele Wiederholungen waren vermeidbar. Welche Schrift des NvK letzte war, wissen wir nicht bestimmt. Bibliographische Angaben müssen in den Anmerkungen nicht dauernd wiederholt werden, wenn ein Literaturverzeichnis vorhanden ist. Für die Briefe des NvK an die Tegernseer Mönche ist die - dann vom Vf. auch genannte - neue Ausgabe zu benutzen; die vom Vf. zitierte Übersetzung von W. Oehl ist durch sie überholt. Warum trennt der Vf. häufig Wörter, auf einer Seite bis zu zehn Mal? Will er sie dadurch jedesmal hervorheben? Wenige Fehler sind stehen geblieben. Das Compendium wurde nicht "im Todesjahr 1461" verfasst (200), NvK starb 1464; die Editorin von Idiota de sapientia heißt Steiger (375).

Insgesamt kann den Ausführungen des Vf.s zugestimmt werden. Ein bisher häufig benanntes, aber noch nicht in extenso behandeltes Thema wurde sorgfältig und überzeugend dargestellt.