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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

777 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Kursawe, Barbara

Titel/Untertitel:

docere - delectare - movere: Die officia oratoris bei Augustinus in Rhetorik und Gnadenlehre.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2000. 180 S. gr.8 = Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums, NF. 1. Reihe: Monographien, 15. Kart. ¬ 35,80. ISBN 3-506-79065-X.

Rezensent:

Heinrich Marti

B. Kursawe hat in Münster Alte Sprachen und Katholische Theologie studiert. In ihrem Buch - der überarbeiteten Fassung der Dissertation von 1998, die vom früh verstorbenen Kirchenhistoriker Erich Feldmann und vom Philologen Alfons Weische angeregt und begleitet wurde - erweist sie sich als kompetent, die Problematik darzulegen, die sich für den ehemaligen Rhetoriklehrer Augustin (= A.) aus der klassischen Tradition rednerischer Kunst im Spannungsverhältnis zum christlichen Glauben an die segensreiche Wirkung göttlicher Gnade ergeben hat. Basiert der Erfolg des Einsatzes rhetorischer Mittel - etwa im Bereich von Predigt und Korrespondenz - auf ars ("Technik") des Menschen oder auf gratia ("Gnadenwirken") Gottes? Die Antworten, die A. gegeben hat, sind vielfältig und facettenreich, ohne dass sich etwa eine geradlinige Entwicklung vom Rhetoriker zum Theologen aufweisen ließe. Die Vfn. legt uns das Material, d. h. die Äußerungen des Kirchenvaters zu den drei Bereichen docere, delectare, movere und zur zugehörigen Propädeutik ("Vorfeldaufgabe"), sorgfältig vor, und zwar nicht in chronologischer Ordnung, sondern systematisch: die drei officia oratoris A) bei Cicero und Quintilian, B) in De doctrina christiana 4, C) in theoretischen Aussagen zur Vorfeldaufgabe außerhalb von doctr. christ. (z. B. trin. 8, 4; ord.), D) im sprachlichen Ausdruck der Gnadenlehre A.s.

Es ist klar, dass die vielen Textstellen oft mehr nur resümiert als in ihren Querbezügen (etwa zum Werkganzen) tiefer interpretiert werden konnten. Die Vfn. achtet stets auf die Datierungen (soweit das überhaupt möglich ist) und vermeidet, zu viele Probleme hier nur kurz anzuschneiden. Das wirkt gelegentlich etwas nüchtern, zeugt aber von kluger Zurückhaltung der Anfängerin.

Von den drei officia hat A. natürlich am meisten Mühe mit dem delectare (21; 44; 55; 84; 159: "für den christlichen Prediger kann das delectare nur eine ergänzende Funktion haben") - hier wäre ein Blick auf A.s Jugend (z. B. conf. 1, 16, 26: verba als vasa lecta gegenüber vinum erroris) aufschlussreich gewesen.- Ein Aspekt wird von der Vfn. konsequent ignoriert: A. hat bei seinen Äußerungen nicht immer nur Hörer im Auge, sondern besonders auch Leser. Seine Welt ist homiletisch und literarisch, diejenige von Cicero mehr juristisch und oral. In doctr. christ. 4, 3, 4 f. (über die Vorteile von Praxis gegenüber Theorie) spricht A. mehrfach explizit von Lesern; cat.rud. 23 (aliam esse intentionem dictantis, cum lector futurus cogitatur) wird bei der Vfn. (60) zu: "daß der Sprecher im Hinblick auf künftige Hörer (sic) diktiert". Aber zugegeben: ein Buch über A.s zeitgenössische Leser müsste wohl erst noch geschrieben werden! - Sehr objektiv ist Abschnitt 2g) (69-73) über das heikle Mittel des terrere: Zwang kann nach A. die Aufnahmebereitschaft fördern - "eine Auffassung, die im Gegensatz zur traditionellen Rhetorik steht" (70, mit einer guten Anmerkung zu Cicero). Hier wäre eine Berücksichtigung weiterer Autoren hilfreich gewesen.

So hat etwa ein Christ wie Origenes ebenfalls härtere Ansichten als Cicero: man lese einmal seine 1. Predigt zu Psalm 37, die A. in der Übersetzung Rufins kennen konnte. Die Praktiken römischer Pädagogen - vgl. auch conf. 1, 9, 14 f. - waren nicht immer so edel, wie es die Theoretiker darstellten. - Auch beim Motiv docere = lumen accendere (A. Io. ev. tr. 40, 5: die Vfn. 127) könnte Einfluss von Origenes vorliegen, wie 7 der hom.1 in psalm. 38 nahelegt. (Wenn eine Rede brennt, ist jedenfalls auch an Lukas 24, 32 zu denken.)

Das Thema des Buches hätte ausgreifender behandelt werden können, wodurch allerdings der Rahmen einer Dissertation vernünftigen Umfangs rasch gesprengt worden wäre. Die Vfn. bleibt innerhalb der Grenzen, die gegeben sind durch rhetorische Theorie und Augustin/Cicero. Was geboten wird, ist wohl überlegt und exakt (gerade der Philologe freut sich über feinsinnige sprachliche Beobachtungen: man beachte den Wort- und Sachindex, 178-180); Druckfehler und Versehen gibt es kaum.