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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

773–776

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Dünzl, Franz

Titel/Untertitel:

Pneuma. Funktionen des theologischen Begriffs in frühchristlicher Literatur.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2000. 451 S. 4 = Jahrbuch für Antike und Christentum, Erg.Bd. 30. Lw. ¬ 75,70. ISBN 3-402-08114-8.

Rezensent:

Volker Henning Drecoll

Die Arbeit, die 1998 durch die Katholisch-Theologische Fakultät in Regensburg als Habilitationsschrift angenommen wurde, ist eine systematisch aufgebaute Studie zum Pneumabegriff früher christlicher Theologie bis Origenes. Dabei legt D. in der Einführung (11-14) zwei Einschränkungen zu Grunde, nämlich zum einen geht es ihm um den "theologischen" Pneumabegriff, also um die Aussagen über Pneuma als etwas zu Gott Gehörendes, die D. von der Verwendung im anthropologischen Kontext abheben möchte (Pneuma als "die natürliche Austattung jedes Menschen mit Pneuma", 11, Anm. 1). Zum anderen grenzt er sein Untersuchungsfeld ein auf "diejenigen frühchristlichen Schriften, die aus rezeptionsgeschichtlicher Sicht für die kirchliche Tradition bis Origenes stehen" (12). Ein Blick in das Register verrät, wer das ist: Athenagoras, Barnabasbrief, Clemens von Alexandrien, Clemensbriefe, Cyprian, Hermas, Hippolyt, Ignatius, Irenäus, Justin, Melito, Origenes, Tatian, Tertullian und Theophil von Antiochia. Der Titel "Pneuma" könnte zu der Vermutung führen, es gehe hier hauptsächlich um griechische Autoren, doch werden die Aussagen über "spiritus" in gleicher Weise gesichtet und verarbeitet.

Die Arbeit ist in neun unterschiedlich lange Kapitel gegliedert, die jeweils die Aussagen der verschiedenen Autoren zu bestimmten Bereichen zusammenstellen, wobei D. in der Einführung betont, dass die Gliederung sich erst bei der Sichtung des Materials ergeben habe (vgl. 12).

In Kapitel 1 (15-29) beschäftigt sich D. mit verschiedenen Identifizierungen des Pneumas mit anderen zu Gott gehörigen Bezeichnungen und sieht hierin "Spuren einer theologischen Reflexion des theologischen Pneumabegriffs". Vor allem geht D. hierbei der Identifizierung des Geistes mit der Sophia (vgl. Prov 8,22) nach (19-21). In Kapitel 2 (30-52) untersucht er den "Pneumabegriff im Kontext der Gotteslehre", verfolgt u. a. die Auslegung von Joh 4,24 in Auseinandersetzung mit dem stoischen Pneumabegriff (30-34) und stellt heraus, dass Gott oft durch das Pneuma handelt (nicht umgekehrt) und dass dabei das Pneuma oft nicht selbst agierendes Subjekt ist (37-40). Der Geist ist Gabe Gottes oder ein von Gott eingesetztes Mittel, entsprechend werden die sieben Pneumata aus Is 11,2 f. und Apk 5,6 verstanden (44-47). In Kapitel 3 (53-115) beschäftigt sich D. mit dem "Pneumabegriff in christologischem Kontext". Hier kommt das Thema der sog. "Geistchristologie" zur Sprache, also Aussagen, die das göttliche Sein Christi als Pneuma bezeichnen und dies mit Aussagen der Präexistenz und Inkarnation verbinden. Außerdem untersucht D. Aussagen über Christus als Geistträger und als Geber des Geistes, wobei er den biblischen Hintergrund beider Vorstellungen hervorhebt.

In Kapitel 4 zum trinitarischen Bezug (116-179) vertritt D. die These, dass triadische Aussagen ihren festen Ort sehr früh schon in liturgischem Zusammenhang (vor allem der Taufe entsprechend Mt 28,19 und Doxologien) hatten und hierin die eigentliche Basis für weitere trinitätstheologische Reflexionen liegt, wobei der Reflexion des Tertullian besondere Wichtigkeit zukomme.

Kapitel 5 (180-303) über den "Pneumabegriff in anthropologisch-soteriologischem Kontext" ist das ausführlichste der ganzen Arbeit. In ihm geht D. zunächst auf die Rezeption der alttestamentlichen und neutestamentlichen Tradition des Geistbesitzes ein (183-196), charakterisiert dann den allgemeinen Geistbesitz des Christen vor allem hinsichtlich der sich daraus ergebenden Verpflichtung (196-212). Dann geht er auf die Verbindung bestimmter Ämter mit dem Geistbesitz ein, und zwar bei den frühchristlichen Propheten (212-219) und (gleichsam im Gegenzug zum Zurückdrängen der Prophetie) den Amtsträgern (220-227). Anschließend thematisiert D. die besondere Bewährung des Geistbesitzes im Martyrium (227-232) sowie den Bezug des Geistbesitzes auf den Visionär (Hermas) oder den sich um Vervollkommnung bemühenden Christen (Clemens) (232-236). Die Funktion des Pneumabegriffs, die Nähe zu Gott zu bezeichnen, drückt sich besonders in der mit dem Geist verbundenen Unvergänglichkeit aus (241-250) und lässt sich in einer Vielfalt von Aussagen (Reinigung/Wiedergeburt, Heiligung, Annäherung an und Einheit mit Gott, Gottesschau, Heilsgaben, Bedeutung für Gebet und Ethik) wiederfinden (250-276). Anthropologisch ist vor allem die Rezeption des biblischen (besonders paulinischen) Gegenübers von Sarx und Pneuma relevant (276-295).

In Kapitel 6 (304-317) geht D. kurz auf die Ekklesiologie ein (betont wird die auf die Stiftung der Einheit bezogene Funktion des Geistes sowie die Auffassung von Kirche als Ort des Geistes), in Kapitel 7 (318-353) auf den Zusammenhang des Geistes mit der heiligen Schrift. Dabei untersucht D. sowohl die Aussagen, in denen der Geist als "Helfer" bei der Abfassung der biblischen Schriften erscheint (321-324) als auch solche, in denen das Pneuma selbst als Offenbarer aufgefasst wird (324-333). Für das richtige Schriftverständnis wird wiederum häufig der Geistbesitz als notwendige Voraussetzung angesehen (333-342). Kapitel 8 (354-366) beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern der Geist an der Schöpfung beteiligt ist (berücksichtigt wird vor allem die Auslegung von Ps 32,6), in Kapitel 9 (367-377) interpretiert D. Origenes, De principiis I,3,5-8 als "das erste Zeugnis systematischer Pneumatologie bei Origenes", wobei sich D. tendenziell der Deutung der Passage durch H. Ziebritzki anschließt.

D.s Analysen der einzelnen Textstellen sind insgesamt sorgfältig und gründlich gearbeitet. Oft geht er detailliert auf die wichtigen Begriffe ein. Der biblische Hintergrund der Aussagen wird umfassend und weitgehend berücksichtigt. Die Diskussion der Sekundärliteratur ist ausführlich und hilfreich. Die Arbeit zeugt von einer intensiven Beschäftigung mit den herangezogenen Autoren und ist gut verständlich geschrieben. Hinsichtlich der Aufteilung der einzelnen Aspekte lassen sich im Einzelnen Anfragen stellen (so wird die Inspiration der Prophetie in Kapitel 5, die der heiligen Schrift in Kapitel 7, werden die Ämter wiederum in Kapitel 5, die Ekklesiologie in Kapitel 6 besprochen), doch ist die Aufteilung von D. insgesamt vertretbar und einleuchtend. Präzise "Zwischenbilanzen" orientieren jeweils über die wichtigsten Ergebnisse der einzelnen Kapitel.

Diesem positiven Gesamteindruck steht das Bedenken gegenüber, ob der von D. eingeschlagene Weg methodisch sinnvoll ist. Die Beschränkung auf die sog. "kirchlichen" Autoren trägt die Perspektive einer wesentlich späteren Zeit in die frühe Zeit ein und ist, historisch gesehen, eine Fiktion. Das ist auch für eine systematisierende Analyse eine wackelige Basis. Es ist hinsichtlich der frühchristlichen Pneumatologie aber vor allem deshalb problematisch, weil die Entwicklung der Pneumatologie im 1.-3. Jh. besonders in Aufnahme und Abgrenzung verschiedener Denkmodelle geschieht, wobei sich eine "kirchliche" Identität erst allmählich bildet. Hier stellen sich erhebliche Fragen, die bei D. unbearbeitet bleiben: Warum ist z. B. Novatian nicht berücksichtigt, Tertullian aber sehr wohl? Wieso ist Hermas ein "kirchlicher Theologe", während andere Apokryphen ausgeblendet bleiben (der Canon Muratori nennt etwa neben Hermas auch die Apokalypsen des Johannes und des Petrus)? Lässt sich die Entstehung der frühchristlichen Pneumatologie tatsächlich ohne die Berücksichtigung der Gnosis (z. B. Apokryphon Johannis, Philippusevangelium) und des Montanismus (vgl. zum bei Euseb tradierten antimontanistischen Anonymus immerhin 217 f.) sachgemäß diskutieren? Es gehört doch gerade zur Charakteristik der Pneumatologie bis weit ins 4. Jh. hinein, dass sie eine große Vielfalt an Aussagen und Frömmigkeitsstrukturen vereint, die sich mit dem Schlagwort "kirchlich" nun gerade nicht abgrenzen oder ordnen lassen.

Nun könnte man vielleicht einwenden, dass D. ja einen systematisch ausgerichteten Ansatz verfolgt (vgl. 12: "systematischen Überblick") und ihn daher eine mit dem Verweis auf historische Gegebenheiten begründete, methodische Skepsis nicht treffe. Doch fragt sich erstens, ob nicht gerade die historische Gegebenheit, dass der Geist zu den am wenigsten fixierten Denkbereichen christlicher Frömmigkeit und Theologie bis weit ins 4.Jh. gehört, ein so wesentlicher Aspekt frühchristlicher Pneumatologie ist, dass er auch systematisch bedacht werden müsste. Zweitens ist D.s Arbeit keine gänzlich systematische Reflexion, sondern über weite Strecken hin theologiegeschichtliche Darstellung. So bemüht sich D. nicht nur, den jeweiligen Stand der historischen Forschung zu den einzelnen Autoren aufzunehmen, vielmehr sind auch die Ergebnisse seiner Kapitel historischer Art.

Als Beispiel möge das Ergebnis von Kapitel 4 dienen, demzufolge der Ansatzpunkt für trinitätstheologische Reflexionen in der Taufliturgie und den Doxologien liege. Das ist ein historisches Ergebnis, für das man sich eine systematische Reflexion wünschen könnte. Aber auch hier ist fraglich, ob das so gewonnene, historische Ergebnis nicht zu modifizieren wäre, wenn man die Fiktion einer feststehenden "Kirchlichkeit" für das 2. Jh. außen vor ließe und dementsprechend z. B. gnostische Texte berücksichtigen würde (die Verbindung von Geistbesitz und Taufe ist ja nicht für jeden Gnostiker selbstverständlich). D. begründet seine Arbeit u. a. damit, dass bisherige Untersuchungen "auf eine mehr oder weniger zufällige Textauswahl beschränkt" blieben (11). Dieser Einwand lässt sich nun gerade auch gegen D.s Abgrenzung geltend machen. Das Schlagwort "kirchlich" hilft für den Zeitraum bis Origenes diesbezüglich gerade nicht weiter.

Hinzu kommt, dass die Theologie der ersten drei Jahrhunderte elementar dadurch geprägt war, dass sich das Christentum in einer heidnisch geprägten Kultur zu behaupten hatte. Hinsichtlich der Pneumatologie ist daher nicht nur nach der Abgrenzung gegen die Stoa zu fragen, sondern (besonders hinsichtlich der von D. betonten Anthropologie) auch nach dem Einfluss des Platonismus, besonders des Mittelplatonismus (Alkinoos, Numenius, Kelsos), etwa hinsichtlich des Gegensatzes von Leib und Seele oder des Zusammenhangs von psyche, nous und pneuma. Hier fragt sich, ob sich der "theologische Pneumabegriff" für die Soteriologie wirklich sauber vom "anthropologischen Pneumabegriff" (vgl. 11, Anm.1, vgl. 182-184) trennen lässt (vgl. aber immerhin 182 bei Anm.12).

Schließlich lässt sich fragen, worin eigentlich der durch D.s Arbeit erzielte Erkenntnisfortschritt besteht. Liest man die Schlussbilanz (378-395), findet sich wenig Überraschendes: Der Pneumabegriff ist vielfältig und vor Origenes noch kaum selbst Gegenstand der Reflexion, die Häufigkeit des Begriffes pneuma bzw. spiritus nimmt während der ersten drei Jahrhunderte stetig zu. Schwerpunkt der Pneumatologie ist die Anthropologie und Soteriologe. Mit dem Pneumabegriff wird die eigene Theologie legitimiert, paränetisch verbreitet, apologetisch abgesichert. Es fragt sich, worin das "Weiterführende" dieser als "weiterführender Synthese" (11) gekennzeichneten Arbeit liegt.

So ergibt sich als Fazit, dass D. eine umfassende und materialreiche Übersicht über verschiedene Aspekte frühchristlicher Pneumatologie vorgelegt hat, die bei der Analyse pneumatologischer Zusammenhänge immer wieder heranzuziehen und an vielen Stellen hilfreich ist. Gleichzeitig bleiben methodische Bedenken hinsichtlich der Auswahl des untersuchten Materials.