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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

770–772

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Brown, Peter

Titel/Untertitel:

Augustine of Hippo. A Biography. A New Edition with an Epilogue.

Verlag:

Berkeley-Los Angeles: University of California Press 2000. XIV, 548 S. 8 m. 2 Abb. Kart. US$ 19,95. ISBN 0-520-22757-3.

Rezensent:

Karla Pollmann

Die zuerst 1967 veröffentlichte Augustin-Biographie von Peter Brown hat nun seit über dreißig Jahren ihre Position als Standard-Beschreibung des Lebens des hl. Augustin behaupten können. Diese Position verdankt sie hauptsächlich ihrer historischen Fundiertheit und weitgehenden Unvoreingenommenheit sowie dem Bemühen um psychologische Einsicht in das Leben und Denken einer spätantiken Persönlichkeit, über die wir außergewöhnlich gut informiert sind und die in ihrer Entwicklung mehrere einschneidende Veränderungen (Bekehrungen) erlebte, die besonders anhand von Selbstzeugnissen nachvollziehbar sind. B. benutzte daher auch hauptsächlich das reiche, überwiegend erhaltene uvre Augustins, um dessen Lebensweg zu veranschaulichen. Andere Biographien oder Augustin-Porträts haben B.s Arbeit bis jetzt nicht ersetzt, sondern eher, besonders aus philosophischer Perspektive, ergänzt, z. B. J. Mader, Aurelius Augustinus: Philosophie und Christentum, Wien 1991; Ch. Horn, Augustinus, München 1995; D. de Courcelle, Augustin ou le Génie de l'Europe, Paris 1995; J. Kreuzer, Augustinus, New York 1995; D. X. Burt, Augustine's World: An Introduction to his Speculative Philosophy, Lanham/Md. 1996. Kürzer gehaltene Einführungen sind z. B. U. Neumann, Augustinus, Hamburg 1998; W. Geerlings, Augustinus, Freiburg 1999; J. Vahlkampf, Augustinus zur Einführung, Hamburg 2000. Insbesondere die monumentale Arbeit von S. Lancel, Saint Augustin, Paris 1999, die neueste Ausgrabungsergebnisse aus der Heimat Augustins in Nordafrika sowie die Neufunde an Briefen und Predigten (s. u.) miteinbezieht, kann mit Gewinn komplementär zu B. gelesen werden.

In dieser weiteren Neuauflage von B.s Biographie ist nun vom Autor ein Epilog angefügt (441-520), der nicht nur die Tendenzen der Augustinus-Forschung in den letzten dreißig Jahren in Bezug auf die Biographie skizziert (New Directions, 482-520), sondern auch selbstkritisch in dieser Arbeit vertretene Positionen im Lichte der zwischenzeitlich neugefundenen Briefe (Hrsg. J. Divjak, Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 88, Wien 1981) und Predigten (Hrsg. F. Dolbeau, Paris 1996) Augustins examiniert (New Evidence, 441-481). Diese neugefundenen Texte waren zuvor größtenteils nicht bekannt und enthalten wertvolle ergänzende Informationen, besonders zum bischöflichen Alltag Augustins aus der Zeit um 397 (Augustin war gerade Bischof geworden und hatte seine Bekenntnisse in Angriff genommen) und 418-428 (der späte Augustin, der am Gottesstaat arbeitet und seine Gnadenlehre verfeinert).

Die grundsätzliche Tendenz der Forschung nach 1967 bis heute, neben der überragenden Gestalt Augustins auch andere Quellen seiner Zeit zu benutzen, um ihn besser in seine Umwelt einzuordnen und aus ihr heraus zu verstehen, sieht B. als positiv. Seine Biographie ist in ihrer Augustin-Zentriertheit einer anderen Tradition verhaftet (487-488). Als wesentliche Korrekturfaktoren, die aus diesem Paradigmenwechsel resultieren, gibt B. an: Die pagane Umwelt war zur Zeit Augustins noch sehr einflussreich, sowohl kulturell und auch politisch (483; 496 f.), was Augustins Position in vielem relativieren muss, besonders wenn eine spätere Perspektive seine Autorität als unhinterfragt ansieht (491 f.). Die Häresien, gegen die Augustin schrieb, sind heute besser erforscht, auch aus anderen Quellen, was seine Aussagen ergänzt und seine Individualität schärfer hervortreten lässt (485-488; 499).

Die neuen Briefe und Predigten tragen nach B. Folgendes zu einem verbesserten Augustinverständnis bei: Die Autorität Augustins als Denker und als Bischof wird relativiert. Die weltliche Macht ignorierte die Meinung des nordafrikanischen Bischofs zum Teil (447; 470); Mitchristen verschiedener Richtungen waren skeptisch gegenüber dem Denken Augustins, sogar gegenüber den heute gepriesenen Bekenntnissen (467). Die oft fast unmenschlich streng wirkende Gnadenlehre Augustins muss eher als Wendung gegen ein elitäres Minderheitenchristentum verstanden werden; durch die Gnade Gottes haben alle im Prinzip die gleiche Chance (448-449; 464 ff.; 507-510). Augustin war unter seinen Zeitgenossen ein wagemutiger Utopist, da er sich eine ganze Gesellschaft vorstellen konnte, die ausschließlich aus Christen bestand (460-461). Zusammenfassend stellt B. fest: "I have found the Augustine of the Dolbeau sermons and of the Divjak letters to be considerably less the authoritarian, stern figure that my reading of the evidence available to me in the 1960s had led me to suspect" (445).

Insgesamt kann resümiert werden, dass immer noch gilt, was diese Biographie lesenswert macht: die elegante und lebendige Darstellung, die sich nicht scheut, Bezüge zur Gegenwart herzustellen, um Sachverhalte zu veranschaulichen; historische Sorgfalt und die Unvoreingenommenheit, sich mit anderen wissenschaftlichen Positionen auseinanderzusetzen. Mit dem neuen Nachwort versehen behält diese Biographie ihren Wert für den Leser.