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Ausgabe:

Oktober/1998

Spalte:

996–998

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hrabanus Maurus

Titel/Untertitel:

De institutione clericorum libri tres. Studien und Edition von Detlev Zimpel.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1996. XXV, 617 S. gr.8 = Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte, 7. Lw. DM 148.-. ISBN 3-631-30736-5.

Rezensent:

Hanns-Christoph Picker

Hrabanus Maurus steht immer noch unter dem einflußreichen Verdikt, ein öder Kompilator zu sein (Ernst Robert Curtius). Der Historiker Detlev Zimpel zielt mit seiner Freiburger Habilitationsschrift auf eine differenziertere Beurteilung dieses frühmittelalterlichen Schriftstellers. Er widmet sich einer der bekannteren Hrabanus-Schriften: den drei Büchern ,De institutione clericorum’.

In einem einleitenden Studienteil (3-139) erfolgt eine historische Einordnung der Schrift (11-33), eine Zusammenstellung der benutzten Quellen (37-61), eine Analyse der literarischen Arbeitsweise des Hrabanus (62-94) und ein Überblick über die mittelalterliche Rezeptionsgeschichte des Textes (95-139). Den Schwerpunkt der Arbeit bildet eine wissenschaftlich-kritische Neuausgabe von ,De institutione clericorum’ (143-521). In einem Anhang ist zusätzlich der Text einer weit verbreiteten Redaktion der Schrift ediert (522-568). Die Arbeit ist ausgestattet mit einem Bibelstellenregister, einem Index auctorum und einem Handschriftenverzeichnis (571-585). Etwas unbequem zu handhaben ist das abschließende Personen-, Orts- und Sachregister, da zahlreiche, drucktechnisch nur unzureichend abgesetzte Untergruppen gebildet werden (586-615).

Der Fuldaer Mönch Hrabanus Maurus verfaßte mit seiner im Jahr 819 fertiggestellten Schrift ,Über den Unterricht der Kleriker’ ein umfassendes und systematisches "Handbuch für Kleriker und deren Bildung und Ausbildung" (4). Zimpel will ,De institutione clericorum’ jedoch zugleich als "politisches Buch" verstanden wissen (4). Zur historischen Einordnung verweist er auf das Interesse Pippins, Karls des Großen und Ludwigs des Frommen an einer einheitlichen Liturgie und an einem gebildeten Klerus (3-6). Als konkreten Anlaß der Schrift nennt Zimpel "die geistliche Gesetzgebung Ludwigs des Frommen in den Jahren 816 bis 819" (33). Pointiert bezeichnet er sie "fast als eine Art Kampfschrift zur Durchsetzung der Beschlüsse von 816 bis 819" (14). Diese These beruht jedoch nicht auf einer systematischen Auswertung der relevanten Rechtsquellen sondern nur auf punktuellen Berührungen. In ,De institutione clericorum’ geht es vor allem um die praktisch-pastoralen Aufgaben der Kleriker und um die dazu erforderlichen Bildungsvoraussetzungen. Die Reformen von 816 bis 819 sollten dagegen kanonischen Klerus und Mönchtum auf zwei rechtlich unterschiedene, verbindliche Formen des Gemeinschaftslebens festlegen. Aufgrund dieser divergierenden Grundintentionen erscheint Zimpels konkrete Verhältnisbestimmung diskussionsbedürftig. Überzeugend ist jedoch der prinzipielle Nachweis der zeitgeschichtlichen Aktualität der Schrift.

In chronologischer Reihenfolge behandelt Zimpel die von Hrabanus verarbeiteten direkten Quellen, wobei er deutlich über den bisherigen Forschungsstand hinausgelangt. Zum Teil kann er sogar die Handschriftenklassen der Vorlagen nachweisen. Der umfangreiche Katalog der zitierten Autoren reicht von Tertullian bis zu Alkuin und verschiedenen Kirchenrechtsquellen (37-59). Der Schwerpunkt liegt auf Augustins Schrift ,De doctrina christiana’, Cassidors ,Institutiones’, Gregor des Gr. ,Regula pastoralis’, Isidors ,Etymologiae’ und seiner Schrift ,De ecclesiasticis officiis’. Zimpel strebt für seine Zusammenstellung der Quellen Vollständigkeit an, schließt aber nicht aus, daß ihm einzelne Zitate entgangen sind (38).

Auf der Grundlage seiner Quellenbestimmungen leistet Zimpel eine eingehende Analyse der literarischen Arbeitsweise des Hrabanus: Kommentarlos abgeschriebene Texte funktioniert Hrabanus um, indem er sie in einen neuen Zusammenhang stellt oder bestimmte Passagen gezielt kürzt (64-66). Sinnverschiebungen bewirkt er, indem er Zitate ineinander verschachtelt (66-71) oder knappe eigene Formulierungen einfügt (71-75). Dieses Verfahren beweist einen virtuosen, zum Teil manipulativen Umgang mit den Vorlagen (91). ,De institutione clericorum’ ist deshalb trotz des hohen Anteils an Zitaten als "geistige Eigenleistung" des Hrabanus zu betrachten (91). Unterstrichen wird dies durch die von Hrabanus eigenständig formulierten Passagen (75-90), die nacheinander vorgestellt werden. Zimpel sieht sie in hohem Maße motiviert durch das Ziel der "Durchsetzung neuer kirchlicher oder kirchenpolitischer Positionen" (77). Andere Passagen meint er, aufgrund stilistischer Erwägungen als persönliche Äußerungen des Hrabanus deuten zu können (76, 84, 86).

Den Abschluß des Studienteils bildet ein Überblick über die mittelalterliche Verbreitung und Wirkung der Schrift. Einschließlich der Rezensionen und Fragmente verzeichnet Zimpel 65 Handschriften (231). Schwerpunkte liegen im 9., 11. und 12. Jh. Danach bricht die handschriftliche Überlieferung weitgehend ab. Der Verbreitungsraum erstreckt sich von Süddeutschland und dem Rheinland bis nach Frankreich und Italien (95-112). Erstaunlich ist die erstmals systematisch untersuchte literarische Nachwirkung. Die Reihe der Rezipienten umfaßt u. a. Gerbert von Aurillac, das ,Decretum Gratianum’, Petrus Lombardus, Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Gabriel Biel (113-138).

Die Notwendigkeit der Neuedition ergibt sich aus den Mängeln der bisherigen Ausgaben (144-159). Z. zeigt überzeugend, daß auch die kritische Edition Knoepflers (München 1900) keine sichere Textgrundlage bietet (151-157). Zimpels Neuausgabe basiert auf einer deutlich breiteren Handschriftengrundlage und umfaßt ausführliche Vorarbeiten: Beschreibung der Handschriften (160-230), ihre Klassifizierung und Wertung (231-269), ein Stemma (270) sowie die Darlegung der Editionsprinzipien (271-275). Die editorischen Entscheidungen, v. a. die von Knoepfler abweichende Wahl der Leithandschrift (260-269), werden transparent. Die eigentliche Edition (281-521) enthält einen textkritischen Apparat und einen Quellenkommentar.

Die Bedeutung von ,De institutione clericorum’ beschränkt sich nicht auf die mittelalterliche Literaturgeschichte. Angesichts der zeitgeschichtlichen Aktualität der Schrift ist sie auch von allgemeinhistorischem Interesse. Ihre kirchengeschichtliche Relevanz liegt darin, daß sie eine systematische Planung kirchlicher Praxis intendiert und so eine frühmittelalterliche Quelle für eine Geschichte der praktischen Theologie darstellt. Zimpels solide Neuausgabe und seine materialreichen Studien sind von daher rundum zu begrüßen. Leider ist die Edition nicht in einer der großen Quellenreihen erschienen wie die neueren Ausgaben anderer Hrabanus-Schriften: ,Martyrologium’ (ed. John McCulloh, CChr.CM 44, 1979), ,De computo’ (ed. Wesley M. Stevens, CChr.CM 44, 1979) und ,In honorem sanctae crucis’ (ed. Michel Perrin, CChr.CM 100, 1997). Trotzdem sollte sich auch die vorliegende Edition schnell als maßgeblich durchsetzen und dazu beitragen, das Fehlurteil vom öden Kompilator auszuräumen.