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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

760–762

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Naluparayil, Jacob Chacko

Titel/Untertitel:

The Identity of Jesus in Mark. An Essay on Narrative Christology.

Verlag:

Jerusalem: Franciscan Printing Press 2000. XVIII, 636 S. gr.8 = Studium Biblicum Franciscanum Analecta, 49.

Rezensent:

Peter Müller

Wer ist Jesus im Markusevangelium? Die Untersuchung von N. ist bestrebt, diese Frage umfassend zu beantworten (XVII). Dementsprechend breit ist die Studie angelegt (66 Seiten Literaturverzeichnis!). Der Autor gliedert jedoch übersichtlich und fasst seine Ergebnisse regelmäßig zusammen. Das macht das Werk trotz des Umfangs gut überschaubar.

Die "preliminary investigations" des ersten Teils von fast 300 Seiten beschreiben die Voraussetzungen für die eigentliche Untersuchung. Im ersten Kapitel gibt N. einen Überblick zur gegenwärtigen Forschungslage. Er hebt einerseits die Konkurrenz von Gottessohn- und Menschensohn-Christologie sowie den Versuch heraus, zwischen beiden zu vermitteln, andererseits die narrative Methodik, die eine Tendenz zur gleichberechtigten Würdigung der verschiedenen Aspekte markinischer Christologie fördere (41). Im Blick auf die Quellendiskussion vertritt er die Auffassung, dass der Evangelist sowohl schriftliche Sammlungen als auch mündliche Tradition verwendet habe (51). Und hinsichtlich der Vorgehensweise stellt er redaktionskritische und erzählkritische Methoden dar und verbindet sie zu einer "combined methodology": "The methodology that I intend to use principally is the narrative methodology, which shall be applied at the gospel level, in order to expose the role of the identity of Jesus in the narrative of Mk. That means, we try to read Mk on its own terms. [...] the second methodological tool, that I use, is a comparative analysis in chapters two and three with the intention of obtaining some preliminary indications of the prominent christological trends of Mark" (65).

Trotz der Absicht "to read Mk on its own terms" befasst sich N. im zweiten Kapitel (67-164) zunächst in redaktioneller Absicht mit den Übereinstimmungen von Mk und Q (vgl. Mk 1,2 f.7 f.12 f.; 3,27.29; 4,22; 8,11 f.34b.35.38; 9,37; 13,35), die er als Rückgriff auf gemeinsame Tradition erklärt und die er deshalb mit dem Ziel analysieren kann, charakteristische Elemente markinischer Redaktion herauszufiltern (75). Mk stimme mit Q in zweifacher Hinsicht überein: "The Son of Man as standing for the divine person present in Jesus and other Christological titles playing a qualifying role to the divine person" (162). Als markinisches Charakteristikum erweise sich dagegen Leiden, Tod und Auferstehung des Menschensohnes "and using it to interpret and to give content to all other important christological titles", außerdem die "narrative affirmation that the Son of Man is the Messiah" (163).

Das dritte Kapitel (165-287) befasst sich mit der Christologie der vormarkinischen Sammlungen (vgl. zu den verschiedenen Abkürzungen 164, Anm. 1), im Einzelnen mit Sammlungen zum Täufer und dem "Tag in Kapernaum", zu Konflikterzählungen, Gleichnissen, Wundergeschichten und Unterweisungen sowie zur markinischen Apokalypse und Passionserzählung. Der Menschensohn-Titel werde in den vormarkinischen Sammlungen "as a unique and exclusive self-designation for Jesus" gebraucht, und zwar im Blick auf "his divine prerogative on earth (2:28), his suffering and death (14:21,41,62 ...), and his eschatological role as the Judge and Saviour (13:26; 14:62)" (178). Andere Titel, insbesondere Christus und Gottessohn, seien eine Näherqualifikation der "divine person designated by the name the Son of Man" (281). Markus bewahre diese Sicht der vormarkinischen Sammlungen nicht nur, sondern bestärke sie ausdrücklich, was in der "virtual subordination of all other Christologies to the Son of Man Christology" zum Ausdruck komme (282).

Damit ist der "preliminary" Teil des Buches abgeschlossen. So ganz vorläufig ist er allerdings nicht; denn faktisch haben wir hier das Endergebnis schon vor uns. Wenn nämlich N. redaktionskritisch bereits weiß, dass Markus die vormarkinische Konzentration auf den Menschensohn ausdrücklich bestärkt, ist nicht zu erwarten, dass er auf der Erzählebene des Evangeliums zu einem anderen Ergebnis kommt. Hier muss - neben einer Reihe von Einzelproblemen, die man anders beurteilen kann - die Kritik an der Studie einsetzen. Erst ab S. 291 befasst sich N. mit Mk in der vorliegenden Form, obwohl er doch Mk "on its own terms" lesen will. De facto erhält so die diachrone Analyse der Entstehungsgeschichte den Vorzug vor der synchronen Untersuchung des Textes. Das ist zwar durchaus legitim; diachrone Untersuchungsmethoden haben einen unaufgebbaren Ort im exegetischen Methodenkomplex. Wer aber ausdrücklich und "principally" die "narrative methodology" anwenden will (65), sollte anders vorgehen und käme dann - vermutlich - auch zu anderen Ergebnissen.

Im zweiten Hauptteil befasst sich N. mit Jesus im Rahmen des Mk. Kapitel 4 (291-430) ist dem "Plot of Mark and Jesus" in der umfassenden Weise gewidmet, in der P. L. Danove den Begriff versteht (294 f.). Plot "necessarily stands in relation to the efficient cause (the source of motion in the narrative), final cause (the cause of the affective meaning), formal cause (the principle of the formal structure), and the material cause (the principle of organization behind the structured events) of the narrative" (295). Mit dieser weiten Definition kann N. alle anderen Versuche, den Plot der Erzählung zu bestimmen, mehr oder weniger umfassen (299). Indem er das Ergebnis des Kapitels über den "point of view" (431-517) bereits voraussetzt (300), definiert er den markinischen Plot als die Gute Nachricht von Jesus Christus, dem Sohn Gottes (1,1). Jesus von Nazareth aber sei Christus und Gottessohn nur, weil er als Menschensohn das Reich seines Vaters auf Erden errichten solle (301). Der Plot ziele auf die Antwort der Leser und Leserinnen, die darin bestehe, ein "family member of the divine Son of Man (3:31-35)" zu werden. Markus vertrete damit den "divine point of view" im Gegenüber zu dem "human point of view" 8,33 (352). Dieser Gegensatz treibe die Erzählung voran und führe die Lesenden dazu, die göttliche Sichtweise zu übernehmen (428) und zum "ideal disciple and [...] messenger of the good news" zu werden, der dem Leidensweg des Menschensohnes folge und darin den Christus und Gottessohn erkenne (429 f.).

In Kapitel 5 (431-517) holt N. nach, was er im 4. bereits vorweggenommen hat: Er beschreibt den point of view des Erzählers, Gottes und Jesu sowie die Perspektiven der Jünger und der jüdischen Führer mit ihren jeweiligen Übereinstimmungen und Abgrenzungen. Der Konflikt zwischen der Perspektive Jesu und der der jüdischen Führer werde innerhalb der Erzählung durch die Hinrichtung Jesu gelöst, der Konflikt zwischen der Perspektive Jesu und der der Jünger ziele über die Erzählung hinaus auf eine künftige Übereinstimmung. Damit scheine als "implicit and [...] supreme convergence" die Perspektive des Lesers auf, "when he reaches the divine point of view by accepting the son of Man into his life and by assimilating his point of view as his life principle". "Thinking the things of God" sei deshalb die eigentliche Perspektive der Erzählung (515).

Im 6. Kapitel (519-549) geht es um Jesus als Protagonisten in Mk. In Anlehnung an Chatman bestimmt N. wesentliche Züge Jesu als handelnder Person. Er untersucht zunächst die Widerspiegelung solcher zentralen Züge in der Perspektive der anderen Personen, sodann wesentliche Elemente der Jesusdarstellung selbst. Jesus verkündige das Evangelium, lehre mit Vollmacht, interpretiere autoritativ das Gesetz, belehre über seine eigene Identität und Sendung, vollbringe Exorzismen und andere Wunder, erweise sich dadurch als "Besitzer" göttlicher Vollmacht (534), unterweise die Jünger und bediene sich dabei auch der Schweigegebote. Diese Züge liefern nach N. das Bild eines Menschen, zugleich aber eines "superior dignitary in disguise", der als Gottessohn und Christus und mit der Bestimmung zu Tod und Auferstehung gekennzeichnet sei (540). Der Name dieser handelnden Person sei zwar "Jesus von Nazareth". Dieser Name sei aber nicht in der Lage, dies alles zu integrieren, zumal der Nazarener selbst wiederholt in Frage stehe (6,1-3.14-17 u. ö.). "If so, does the narrator provide us with another narrative noun or designation which can function as the respectable of all the supernatural traits of Jesus? Yes, Son of Man functions in the narrative as the designation, as the locus of all the above-said divine character traits of the protagonist, as the name of the divine person" (547). Quod erat demonstrandum.

Das geschlossene Bild, das N. entwirft, hat einige Schönheitsfehler. Sie hängen letzten Endes mit der bereits angezeigten methodischen Problematik zusammen, die sich im zweiten Teil als Engführung auf den Menschensohntitel hin auswirkt. Dieser Titel wird zum Passepartout für alle offenen Fragen, und alle anderen christologischen Bezeichnungen helfen nur, diesen einen Titel zu qualifizieren. Dass aber, um nur einige Beispiele zu nennen, 3,31-35 auf den Menschensohn hinweisen oder dass in 4,3-9 der Menschensohn der Sämann sei (328), ist keineswegs ausgemacht. Dass die Jünger in Kapitel 10 die Bestimmung des Menschensohnes erkennen und ihm auf dem Leidensweg folgen (348), trifft lediglich auf Bartimäus zu. Und wieso hat der Evangelist sein Werk so missverständlich "Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes" genannt und dies in 15,39 bestätigt (415), wenn es doch nur vom Menschensohn her verstanden werden kann? Insgesamt erweist sich das beständige Auffinden der Menschensohn-Christologie als eine petitio principii, die sich zwar folgerichtig aus der methodischen Anordnung der Studie ergibt, die aber der Vielschichtigkeit der mk Erzählung m. E. nicht gerecht wird.