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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

748–751

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Sacchi, Paolo

Titel/Untertitel:

The History of the Second Temple Period.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 2000. 533 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl. Series 285. Geb. £ 60,00. ISBN 1-85075-938-3.

Rezensent:

Rainer Kessler

Die "History of the Second Temple Period" ist die englische Übersetzung der 1994 erschienenen "Storia del secondo tempio". Paolo Sacchi, emeritierter Professor für Biblische Philologie in Turin, legt damit eine erneute Darstellung der Epoche zwischen der Zerstörung des ersten und des zweiten Tempels vor, nachdem er schon 1976 in der "Storia del mondo giudaico" dieselbe Epoche behandelt hatte. Den neuen Ansatz begründet er zum einen damit, dass er heute klarer als damals das Christentum als Teil der jüdischen Welt darzustellen in der Lage sei. Zum andern weist er auf die veränderte Datierung vieler Schriften hin, sei es, dass früher für vorexilisch Gehaltenes heute nachexilisch datiert werde, sei es, dass außerbiblische Schriften wie das Wächterbuch im Henoch heute früher angesetzt werden müssten (42 f.).

Den größten Raum des Buches nimmt die Geschichte der Ideen (the history of thought, 27) ein. S. geht davon aus, dass zentraler Gegenstand des hebräischen wie des jüdischen Denkens die Suche nach dem Heil sei und nicht wie bei den Griechen die Suche nach der Wahrheit. "Salvation is the idea/matrix of Hebrew thought independently of any form it could take throughout history ..." (34). Dabei meint er, die Mittel, wie das Heil zu erlangen sei, nach zwei Kategorien gruppieren zu können, die er "Theology of the Covenant" und "Theology of the Promise" nennt (34). Diese seien zwar unterscheidbar, insofern entweder der verpflichtende oder der verheißende Charakter des Weges zum Heil stärker akzentuiert würden. Aber die beiden Kategorien bildeten keinen Gegensatz, so dass sie in der Geschichte des jüdischen Denkens einschließlich des frühen Christentums immer in spannungsvoller Beziehung zueinander auftauchten.

S.s Buch ist in vier Hauptteile gegliedert. Teil I behandelt "The Age of Exile" (45-111). Hier widerspricht S. vehement der herkömmlichen Darstellung: "the common opinion that the kingdom of Judah came to an end with the death of Zedekiah in 587 is no longer sustainable" (58). Vielmehr behalte der exilierte Jojachin auch seitens der Babylonier den Titel "König", als dessen Untertanen die im Land verbliebenen Judäer galten (52f.). Dass seine Nachfolger Scheschbazzar und Serubbabel nur den Titel "Statthalter" tragen, widerspreche der These vom Fortbestand der davidischen Dynastie nicht. Denn ausweislich der Bilingue von El-Fekheriye könne dieselbe Figur seitens der Großmacht "Statthalter" und gegenüber dem beherrschten Volk "König" genannt werden (56). Nach der Rückkehr eines Teils der Exilierten seit Übernahme der Macht durch die Perser komme es zu einem Bürgerkrieg zwischen Juda und Jerusalem, den S. aus Sach 12 erschließt. In seinem Verlauf werde Serubbabel ermordet. Erst dies stelle das Ende der davidischen Dynastie und die Übernahme der Macht durch die früheren Exilierten dar (65-67). - Die wichtigsten geistigen Erzeugnisse der Epoche, die S. im 2. Kapitel dieses Teils behandelt, sind Jeremia und Ezechiel, die von S. so genannten R1 und R2 - zwei im Exil wirkende Redaktoren des Geschichtswerks von Gen-2Kön - sowie Deuterojesaja und PG.

Die Überschrift zu Teil II lautet "The Zadokite Period" (113- 212). S. versteht darunter den Zeitraum von der Weihe des zweiten Tempels 520 v. Chr. bis zum Ende der Ptolemäerherrschaft über Palästina um 200 herum. Wie sehr die herkömmliche Epochengliederung nach den herrschenden Großmächten (Perserzeit; Epoche des Hellenismus, Ptolemäerherrschaft) hinter innerjüdische Entwicklungen zurücktritt, zeigt die Untergliederung der "zadokidischen Periode" in "Early Zadokitism (c. 520-400 BCE)" (114) und "Late Zadokitism (c. 400-200 BCE)" (160), die durch die Vollendung des Werkes Nehemias voneinander getrennt werden (117). Das Zurücktreten der äußeren Faktoren für die geistige Entwicklung des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels liegt für S. in der Sache begründet: "Even an event of such great importance for all of humanity as Alexander the Great's conquest of the Persian throne does not seem to have been felt in all its importance by Jewish society ..." (160). Wie gering S. die Bedeutung des Hellenismus veranschlagt, zeigt die Tatsache, dass "Hellenism" als neunter und letzter Abschnitt des Kapitels über den "späten Zadokitismus" behandelt wird (203-212). Das griechische Denken ist für S. nicht mehr als "a catalyzing agent acting on Jewish consciousness which pushed all problems to extreme solutions" (210).

Insgesamt stellt S., eingewoben in das Gerüst der geschichtlichen Darstellung, eine Fülle von Schriften vor. Dabei werden Schriften, die den Weg in den biblischen Kanon gefunden haben (vom Deuteronomium, das S. nach 515 ansetzt, über Esra-Nehemia und Chronik bis zu Hiob und Kohelet), neben solchen behandelt, die "apokryph" geblieben sind, v. a. die "Henochitische Strömung" mit den verschiedenen im Henoch-Buch gesammelten Schriften, denen S. wichtige Abschnitte widmet (174-182). Für ein vom biblischen Kanon herkommendes Denken mag dieses Verfahren ungewohnt sein. Es ist aber durchaus sachgemäß, wenn es um die Darstellung einer Epoche der jüdischen Geistesgeschichte geht, die die Unterscheidung zwischen kanonisch und außer-kanonisch allenfalls in Ansätzen kennt.

Mit Teil III wendet S. sich "Palestine from the Advent of Seleucid Domination to the Destruction of the Second Temple" zu (213-302). Hier verlässt S. die Konsequenz seiner Gliederung. Denn hatte er bei der Abgrenzung der zadokidischen Periode noch festgestellt: "The second Zadokite phase was to last to the end of the Zadokite high priesthood, that is until the deposition of Onias III, which took place around 175 BCE" (117), so legt er nun doch die Epochen nach den vorherrschenden Fremdmächten - hier dem Übergang von den Ptolemäern zu den Seleukiden - fest. Und wenn das letzte Kapitel dieses Teils "Judaea at the Time of Jesus of Nazareth" (284-302) heißt - die Römer erscheinen in keiner Kapitel-Überschrift -, dann gibt S. vollends das Bemühen einer Darstellung der Epoche nach den ihr eigenen Gewichten auf. Das eingangs der Einleitung formulierte Erkenntnisinteresse: "I feel that in order to understand the origins of Christianity it is necessary to know the fundamental themes of Jewish thought" (27), schlägt jetzt auf den Aufbau der Arbeit durch, die ansonsten in der Sache durchaus konsequent das frühe Christentum in den Rahmen des jüdischen Denkens einfügt.

Der IV. Teil des Buches ist bei weitem der längste. Er enthält keine historische Darstellung mehr, sondern widmet sich den "Themes of Middle Judaism" (303-495). Unter dem "Mittleren Judentum" versteht S. dabei dasjenige der in Teil III behandelten Epoche, also ungefähr den Zeitraum von 200 v.-70 n. Chr. umfassend. Das Vorgehen nach Themen und nicht nach Verfassern begründet er hauptsächlich mit den allbekannten Datierungsschwierigkeiten (309 f.). Zur Sprache kommen in insgesamt zehn Kapiteln mit zahlreichen Unterabschnitten nach einer "Einleitung in die Probleme" die folgenden Themen: The Problem of Knowledge; Predeterminism and the Problem of Evil; Salvation; Messianism; The Righteous; Life Beyond Death: The Immortal Soul and the Resurrection of the Body; The Sacred and the Profane, the Impure and the Pure; The Two Calendars; und - nach dem Aufbau von Teil III nicht überraschend - als Abschluss "Jesus in his Time".

S.s Buch ist dem eigenen Anspruch nach eine geistesgeschichtliche Darstellung und weder eine Geschichte Israels noch eine Einleitung. Dass die dennoch zahlreich dargebotenen Ausführungen zu historischen und Einleitungsfragen gelegentlich etwas unübersichtlich daherkommen, ist bedauerlich, mindert aber nicht ihren anregenden und herausfordernden Wert. An S.s Darstellung der geistigen Strömungen zur Zeit des zweiten Tempels wird die weitere Forschung nicht nur deshalb nicht vorbeigehen dürfen, weil sie gründlicher Kenntnis und umfassender Berücksichtigung der antiken Literatur entspringt, sondern gerade auch, weil sie an etlichen Stellen die ausgetretenen Pfade der Mehrheitsmeinung verlässt. Ob man dabei S.s eigenen Wegen immer folgt, ist eine andere Frage. Jedenfalls wird man nach Lektüre seines Buches in jedem Einzelfall fragen müssen, ob es wirklich immer die ausgetretenen Pfade sind, die zum Ziel führen.