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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

737 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Klinger, Elmar, Böhm, Stephanie, u. Theodor Seidl [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Körper und die Religion. Das Problem der Konstruktion von Geschlechterrollen.

Verlag:

Würzburg: Echter 2000. 224 S. m. Abb. 8. Kart. ¬ 19,90. ISBN 3-429-02215-0.

Rezensent:

Hildrun Keßler

Der im Echter Verlag erschienene Band dokumentiert Beiträge einer Ringvorlesung zum Auftakt des Würzburger Graduiertenkollegs "Wahrnehmung der Geschlechterdifferenz in religiösen Symbolsystemen". Die Veranstalter fragen, ob sich gerade der Körper zur Konstruktion der Geschlechterrollen eignet. Das Thema "Körper" liegt derzeit in der Luft: Biotechnologie und "Körperwelten", die Schaustellung anatomischer Präparate, fordern zur kirchlichen und wissenschaftlichen Beschäftigung sowie gesellschaftlichen Stellungnahme heraus. Es ist erfreulich, dass auch Graduiertenforschung das Thema Körper und Körperlichkeit gegenwärtig zum vielfältigen Diskussionsgegenstand macht. Der Körper und die Geschlechterkonstruktion - die Diskussion dieses Verhältnisses ist nicht neu, zumal in der feministischen Debatte, das unterstreichen die Beiträge aus Geschichte und Gegenwart sowie Kunst und Literatur eindrücklich. Die mosaikartige Zusammenstellung soziologischer, sprachwissenschaftlicher, archäologischer und theologischer Stimmen verdient dennoch Beachtung.

Ist bereits bei Platon von Ebenbürtigkeit der Geschlechter die Rede, wenn der biologische Aspekt (Gebären oder Zeugen) zur Bestimmung der Rolle von Frau und Mann zweitrangig ist? Wo aber dann entsteht Geschlechtsidentität, wenn nicht am Körper und in der Natur des Menschen? So fragt Michael Erlers Beitrag Geschlechterdifferenz als Konvention. Zum Verhältnis von Körper und Rolle der Geschlechter nach Platon, 47-66, und geht rund um Platons Politeia der bis heute aktuellen Frage nach Handlungs- und Verhaltenszuweisung an Frau und Mann nach. Nach Platon sind Rollenverhalten und Geschlechterkonstruktion weit mehr von kulturellen Prägungen und Erziehung bestimmt als von Körper und Körperlichkeit, so ein Fazit des Vf.s.

Daniela Müller stellt die besondere Bedeutung von Askese und Ekstase im Leben von Frauen dar. Entsagung, Überwindung des Körpers und Leidensbereitschaft waren für Frauen der Weg göttlicher Erkenntnis. Askese und Ekstase. Im Körper Gott erfahren, 185-203, rezipiert die aktuelle feministische Debatte und zeigt durch einzelne Epochen christlicher Geschichte (Urgemeinde, mittelalterliche Frauenklöster, Frauenmystik, Hexenverfolgung u. a. m.) die innige Verbindung von Frau und Körper. Einerseits konnten Frauen befreite, ja intime Räume für eigenes Glaubensleben entdecken, in dem sie sich in sexueller Enthaltsamkeit der Bevormundung durch Männer entzogen, andererseits wird gerade der Frauenkörper zum grausamen Leidensort in der Nachfolge Christi. Nach Meinung der Vfn. bleibt jedoch der Körper - in der Welt und als Auferstehungsleib - einzigartiger Ort menschlicher Gotteserfahrung.

Frau - Körper - Natur: Die Verkettung dieser Phänomene hat das Leben christlicher Frauen durch die Jahrhunderte maßgeblich bestimmt. Nach Simone de Beauvoir, einer Wegbereiterin der feministischen Theorie, verweist die Kategorie "Geschlecht" nicht primär auf ein biologisches Faktum (Körper, Natur), sondern vielmehr auf eine historische und sozial konstituierte Wirklichkeit. Elmar Klingers Beitrag, Simone de Beauvoir und das katholische Frauenbild, 205-222, legt vor allem de Beauvoirs Buch "Das andere Geschlecht" seinen patriarchatskritischen Denkanstößen zu Grunde. Will man die de Beauvoir-Rezeption ernst nehmen, so können Frauen weit über die traditionellen und (auch) durch kirchlich-theologische Traditionen vorgegebenen Rollen ihre volle Existenz entfalten.

Der Band eröffnet einen facettenreichen Einblick in das Verhältnis von Körper und Geschlecht. Die Vielfalt und Interdisziplinarität macht die Lektüre kurzweilig. Es lässt jedoch ein "Unbehagen der Geschlechter" (Judith Butler) und den Wunsch nach weiteren Ergebnissen der Graduiertendiskussion zum Verhältnis von Körper und Religion offen.

Weitere Beiträge dieses vielgestaltigen Bandes sind: Wolfgang Lipp, Körper, Körpersymbolik und Gesellschaft. Ein Körper, zwei oder drei: Rechnungen ohne Rest? 9-26; Norbert Richard Wolf, Über Körperlichkeit, Geschlechtlichkeit und Sprache, 27-45; Stephanie Böhm, Griechische Heroinen. "Girl Power" und andere Frauenideale im antiken Griechenland, 93-127; Ruth Lindner, Im Tode gleich? Geschlechts- und altersspezifische Grabaussattungen im antiken Griechenland, 93-127; Theodor Seidl, "Schön bist du meine Freundin" Wahrnehmung des Körpers im Hohen Lied, 129-157; Martin Ebner, Wenn alle "ein einziger" sein sollen [...] Von schönen theologischen Konzepten und ihren praktischen Problemen: Gal 3,28 und 1Kor 11,1-16, 159-183.