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Ausgabe:

Juli/August/2002

Spalte:

734 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Henkel, Reinhard

Titel/Untertitel:

Atlas der Kirchen und der anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland. Eine Religionsgeographie.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2001. 299 S. m. 66 Karten u. 25 Tab. gr.8. Geb. ¬ 35,30. ISBN 3-17-016613-1.

Rezensent:

Andreas Fincke

In den letzten Jahrzehnten hat sich die religiöse Landschaft Deutschlands grundlegend verändert. Konnte man bis in die 1960er Jahre ein klares Monopol (besser "Duopol") der beiden großen christlichen Kirchen konstatieren, so ist der Befund inzwischen entschieden differenzierter: Muslime, orthodoxe Christen, aber auch östliche Religionen, Neureligiöse Bewegungen und sogenannte "Sekten" kamen ins Land und veränderten die religiöse Landschaft nachhaltig. Es ist das Verdienst von Reinhard Henkel, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeographie an der Universität Heidelberg, diese Veränderungen in einer Religionsgeographie sichtbar gemacht zu haben.

Um es vorweg zu sagen: Es ist dem Vf. gelungen, ein ausgesprochen interessantes und lesenswertes Buch zu einem Thema zu publizieren, welches auf den ersten Blick nun wahrlich keine kurzweilige Lektüre erwarten lässt. Aber dennoch taucht der Leser recht schnell in eine Welt voller Zahlen, Fakten und Statistiken hinein, die aufgrund zahlreicher Grafiken und Tabellen anschaulich und (falls dieses Wort hier erlaubt ist) spannend präsentiert werden.

Der Vf. untersucht und dokumentiert die Entwicklung bzw. räumliche Verbreitung aller Religionsgemeinschaften, die mit mehr als 10 000 Mitgliedern bzw. über 1000 Gemeinden in Deutschland vertreten sind. Diese Einschränkung erweist sich als sinnvoll und verhindert, dass kleinere und lokale Gruppen übermäßig gewichtet werden.

Die Arbeit besteht aus 11 Teilen: Neben grundsätzlichen Gedanken und der Vorstellung der Untersuchungsmethoden (13- 37) wendet sich der Vf. der Römisch-katholischen Kirche (38- 63), den orthodoxen Kirchen (64-82), der Evangelischen Kirche in Deutschland (83-130), den in der Vereinigung evangelischer Freikirchen (VEF) zusammengeschlossenen Freikirchen (131-196), anderen christlichen Kirchen (197-210), den christlichen Sondergemeinschaften (211-235), anderen Religionsgemeinschaften (236-262) und schließlich den Nichtreligiösen (263-273) zu. Gerade die Untersuchungen zu den Nichtreligiösen erweisen sich als hochaktuell. So zeigt z. B. die Karte der Konfessionslosen im Deutschen Reich von 1925 (264) sehr deutlich, dass bereits vor 80 Jahren die norddeutschen und protestantischen Gebiete jene waren, in denen die kirchliche Bindung überdurchschnittlich abgenommen hatte. Auf der von Henkel präsentierten Karte sind die Regionen mit einem vergleichsweise hohen Anteil Konfessionsloser dunkel dargestellt - und man sieht geradezu die Umrisse der späteren DDR. Die Karte zeigt, dass die Entkirchlichung in Ostdeutschland keinesfalls nur ein Produkt des SED-Atheismus ist, sondern der Boden für diese Saat bereits bereitet war.

Auch mit Blick auf die gegenwärtige Konfessionslosigkeit bietet der Vf. interessante Zahlen. So erfährt man, dass mittlerweile 26,5 % der Gesamtbevölkerung keiner Religionsgemeinschaft angehören und "damit nach den beiden Großkirchen mit Abstand vor dem Islam die drittgrößte ,Konfession' (bilden). In gewisser Weise sind die Konfessionslosen geradezu zu den gesellschaftlichen Trendsettern geworden" (269).

Bei der Lektüre der vorliegenden Publikation irritiert, dass der Vf. offensichtlich über einen längeren Zeitraum an dem Buch geschrieben hat. So sind viele Zahlen aktuell, vereinzelt spiegeln sie jedoch nur den Stand Mitte der 90er Jahre wieder, was zu Fehleinschätzungen führt. So heißt es beispielsweise über die Zeugen Jehovas: "Insgesamt gehört die Religionsgemeinschaft zu den am stärksten wachsenden in Deutschland." (222) Das ist schlicht falsch; seit 1997 räumen die Zeugen Jehovas ein geringes Wachstum bzw. rückläufige Zahlen ein. Seltsam falsch ist auch die eher beiläufige Mitteilung des Vf.s, dass "der deutsche Freidenker-Verband sich [...] nach der Wende in den neuen Ländern wieder rasch ausweiten konnte" (261). Es gehört ja gerade zu den weltanschaulichen Phänomenen unserer Zeit, dass die Freidenkerbewegung da schwach ist, wo auch die Kirchen schwach sind. Mit anderen Worten: Der Deutsche Freidenker-Verband ist in den neuen Ländern völlig unbedeutend. Aber dennoch: Das sind Kleinigkeiten, die den Wert der von Henkel vorgelegten Religionsgeographie nicht schmälern. Das Buch sei ausdrücklich empfohlen. Wo sonst findet man Landkarten auf denen die Verteilung der Pfingstgemeinden, der Adventisten, der Methodisten, aber auch die Verbreitung der Römisch-katholischen Kirche, oder der Anteil der Mitglieder der evangelischen Kirche an der Gesamtbevölkerung graphisch anschaulich dargestellt ist?