Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2002

Spalte:

704 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hermelink, Jan

Titel/Untertitel:

Praktische Theologie der Kirchenmitgliedschaft. Interdisziplinäre Untersuchungen zur Gestaltung kirchlicher Beteiligung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. 413 S. gr.8 = Arbeiten zur Pastoraltheologie, 38. Kart. ¬ 44,00. ISBN 3-525-62362-3.

Rezensent:

Rudolf Roosen

Das Buch von Jan Hermelink, das im Wintersemester 1998/ 1999 von der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle als Habilitationsschrift angenommen wurde, widmet sich dem Thema der in jüngerer Zeit unruhiger gewordenen Gruppe der Kirchenmitglieder und fragt nach Ursachen. Hermelink geht der These nach, "dass die eigentümliche Gestalt der kirchlichen Mitgliedschaft tiefgreifend geprägt ist durch das regelmäßige, also institutionelle Handeln der Kirche selbst" (27).

Die aktuelle Struktur der kirchlichen Mitgliedschaft zeigt nach Hermelink drei hervorstechende Phänomene ("Praxisprobleme"): Bindungspluralität (zahlreiche je und je unterschiedliche Motivationen für das Aufrechterhalten der Kirchenmitgliedschaft), Disponibilität (durch den Zerfall normierender Sozialstandards ist die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft zu einer Frage der persönlichen Entscheidung geworden) und Polarität (evangelisches Christsein existiert seit mindestens zweihundert Jahren schon in zwei verschiedenartigen Sozialformen entweder als Christsein in einer der Kirche gegenüber distanzierten Grundhaltung oder aber als zugewandtes gemeinschaftsorientiertes Christentum). Die drei Phänomene haben jeweils vier Ursachen ("Dispositionsfaktoren"): die Strukturen des Glaubens, die einwirkenden sozialen Verhältnisse, wechselvolle lebensgeschichtliche Situationen und das kirchliche Handeln.

In drei Hauptteilen wird den genannten Phänomenen und Ursachen nachgegangen: Zunächst wird der ekklesiologische Aspekt der Kirchenmitgliedschaft anhand der Konzeptionen von Eilert Herms, Wolfgang Huber und Wilhelm Gräb entfaltet. Der zweite Hauptteil behandelt den kirchenrechtlichen Aspekt. Im dritten und umfangreichsten Teil schließlich werden die kirchensoziologischen Umfrageergebnisse zum Themenkomplex Mitgliedschaft und Teilnahmeverhalten aufgearbeitet. Der Mitgliedschaftsentwicklung in Ostdeutschland ist ein eigenes Kapitel gewidmet (C VI). Die Habilitationsschrift schließt mit einer praktisch-theologischen Auswertung. Unter Aufnahme der Eingangsthese ("In erster Linie ist es die Organisation ... (die) als konstitutiver Gestaltungsfaktor der Mitgliedschaft gelten kann." - 347) wird der Gottesdienst als der entscheidende Ort benannt, an dem und mit dem die kirchliche Institution ihre Bindungsstruktur bestimmt und reguliert.

Kritisch vermerken möchte ich, dass der Autor weder über methodische noch über wissenschaftstheoretische Grundentscheidungen seiner Arbeit Rechenschaft gibt. Kohärenz und Validität der in der Problemfeldanalyse eingeführten Parameter sind nicht erwiesen. Auch hätte die Rezeption der Umfrageergebnisse des "International Social Survey Program" sicherlich zur Diskussion einer deutlich anderen als der genannten Kernthese geführt.

Trotzdem: Jan Hermelink hat in schwieriger Zeit ein wichtiges Thema angepackt. Will die Theologie ihre in der praxis ecclesiae weithin verlorene Relevanz zurückgewinnen, so ist es hohe Zeit, dass sie den Habitus rückwärtsorientierter Selbstgefälligkeit ablegt und sich den Aufgaben und Problemen der real existierenden Kirchen zuwendet. Damit ist der Versuch von Jan Hermelink als erfreulicher Schritt in die richtige Richtung anzusehen. Gegenstand und Aufgabe der theologischen Wissenschaft gründen in der lebendigen Kirche Jesu Christi und nicht umgekehrt. Danke für das Buch.