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Ausgabe:

Juni/2002

Spalte:

686 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Krämer, Werner, Gabriel, Karl, u. Norbert Zöller [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Neoliberalismus als Leitbild für kirchliche Innovationsprozesse? Arbeitgeberin Kirche unter Marktdruck.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2000. 232 S. m. Abb. 8 = Studien zur christlichen Gesellschaftsethik, 3. Kart. ¬ 15,90. ISBN 3-8258-4730-6.

Rezensent:

Dirk Dütemeyer

Das vorliegende Buch ist die Dokumentation einer Tagung gleichen Titels, deren Ziel es war, einer "... Einengung der Reformdiskussion kirchlicher sozialer Dienste entgegenzutreten ..." (10). Der Fokus ist dabei in besonderer Weise auf die Arbeit der Caritas gerichtet. Mit dem Werk wollen die Hgg. die auf der Tagung gehaltenen neun Referate renommierter Wissenschaftler aus Theorie und Praxis einem breiteren Publikum zugänglich machen. An Lebendigkeit gewinnt die Veröffentlichung durch die teilweise Wiedergabe von Diskussionsbeiträgen aus dem Plenum. Die Fachkenntnis der Referenten ermöglicht die Ausgangslage aus wirtschaftlicher, medizinischer und caritativer Sicht ebenso ausführlich darzustellen, wie die Unternehmer-, die Arbeitnehmer- und die Betroffenenperspektive. Allerdings vermisst der fachkundige Leser unter den Vortragenden sowohl einen Vertreter des neoliberalen Ansatzes als auch eine theologische Grundlegung der thematischen Überlegungen, die nicht unerheblich für wirtschaftliche Entscheidungsprozesse im kirchlichen Kontext sind.

Die Vorträge zeichnen sich dadurch aus, dass dem Leser allgemein bekannte gesamtgesellschaftliche Inhalte, sofern sie eine Relevanz für den behandelten Gegenstand haben, in einen ausführlich geschilderten Gesamtkontext gestellt werden, um sie dann erklärend zu beleuchten. Dafür sind allerdings grundlegende betriebswirtschaftliche Kenntnisse beim Leser eine Voraussetzung. Im Einzelnen finden sich Beiträge von unterschiedlicher Länge und mit unterschiedlicher Aussagekraft:

Die wirtschaftliche Sicht des Themenkomplexes wird durch die beiden einleitenden Referate von Hickel und Hengsbach beleuchtet. Hickel macht keinen Hehl aus seiner kritischen Haltung gegenüber dem Neoliberalismus und favorisiert eindeutig ein kollektives Tarifsystem als "[...] die entscheidende Voraussetzung für die Stärkung der individuellen Lebenschancen" (14f.). Hengsbach wendet sich in seinem Referat gegen den Versuch, den die Regierung nach seiner Meinung gegenwärtig unternimmt, den Sozialstaat lediglich auf seine Kernaufgaben zu reduzieren (36). Er warnt in diesem Zusammenhang ausdrücklich vor dem Verlust einer einheitlichen Dienstgemeinschaft im kirchlichen Dienst.

Klein und Gabriel richten mit den folgenden Ausführungen die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Arbeit der Caritas. Beide Autoren sehen deren Aufgabengebiet im Spannungsfeld von Werte-, Wirtschafts- und Politikorientierung und zeichnen ein Bild verbandlicher Caritas im Kontext zwischen Anwaltschaft und Dienstleistung.

Das Gesundheitssystem in Deutschland steht im Zentrum des Vortrags von Müller und Braun. Glaubwürdig widerlegen die Autoren das "Märchen von der Kostenexplosion" (117). Allerdings vermögen sie nicht wirklich einen überzeugenden Lösungsweg aufzuzeigen. Der folgende Vortrag von Hejo Manderscheid begeistert den Leser mit der Strategie der Modernisierung kirchlicher Caritas. Plausibel stellt der Referent seine Forderung nach der "Bereitschaft für langfristige und nachhaltige Innovationen, die zunächst Investitionen erfordern" (185) vor.

Die Sicht der Unternehmensleitung, wie sie anschließend von Rüter dargelegt wird, vermag dessen grundlegende Forderung nach Marktwirtschaft im Gesundheitswesen (197) nicht wirklich überzeugend herauszuarbeiten. Dagegen gelingt Clausen im Folgereferat ein lebendiger Einblick in die Stimmung an der Basis. Erfolgreich wirbt er für soziale Marktwirtschaft "... in den Spannungsbögen von Leistung und sozialer Gerechtigkeit, von Wettbewerb und Solidarität und von Eigenverantwortung und sozialer Sicherung." (204)

Die abschließende Betrachtung der Betroffenenperspektive durch Bastian zeigt den Kunden des derzeitigen Gesundheitswesens in der Rolle des Narrenkönigs. Er steht allein gelassen in einem kostenintensiven Gesundheitssystem mit seinem unübersichtlichen Angebot.

Fazit: Eine Begegnung von Kirche und Wirtschaft, wie sie das vorliegende Buch dokumentiert, ist ein wertvoller Beitrag für den interdisziplinären Dialog, den Kirche und Wirtschaft verstärkt pflegen sollten.