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Ausgabe:

Oktober/1998

Spalte:

990–992

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Holleman, Joost

Titel/Untertitel:

Resurrection and Parousia. A Traditio-Historical Study of Paul’s Eschatology in 1 Corinthians 15.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. XIV, 233 S. gr.8= Supplements to Novum Testamentum, 84. Lw. hfl 135.-. ISBN 90-04-10597-2.

Rezensent:

Wolfgang Schrage

Die vorliegende Untersuchung ist die leicht überarbeitete Fassung einer Dissertation an der Reichs-Universität Leiden. Sie enthält im wesentlichen traditionsgeschichtliche Studien zur frühchristlichen und paulinischen Eschatologie und zielt auf eine Korrektur der These, die Auferstehung Jesu als aparche: (1Kor 15,23) sei von allem Anfang an im Verstehens- und Deutungshorizont der Apokalyptik als Interpretation des Osterereignisses verstanden worden. Der Vf. hält dagegen die Rehabilitation des gerechten Märtyrers durch eine postmortale Erhöhung bzw. Auferstehung in den Himmel im Anschluß an 2Makk 7 für die ursprüngliche Fassung des Ostergeschehens. Jesu Auferstehung als Beginn der eschatologischen Totenauferstehung sei dagegen erst ein Theologumenon des Paulus, der Jesu Auferstehung als Märtyrer mit der davon unabhängigen Tradition der Erwartung der endzeitlichen Auferstehung der Toten gewaltsam zusammenbinde ("a forced fabric" 145).

Dabei wird kritisch an die von Schweizer, Ruppert u. a. herausgearbeitete Tradition der Erhöhung des leidenden Gerechten angeknüpft, die aber dann doch (so der Einwand des Vf.s) mit Hilfe von Dan 12 interpretiert und zudem in Sap 2-5 mit der Unsterblichkeit der Seele verknüpft werde, sowie an Bergers These von Tod und Auferstehung des eschatologischen Propheten, die aber zu jung und zu schmal bezeugt sei. Der Vf. sieht sich eher in der Nachfolge von Kellermannn, nach dem in 2Makk 7 der Märtyrer eine individuelle transzendent-himmlische Auferstehung direkt nach dem Tod erfährt, und von de Jonge, nach dem auch die ältesten Christen die Auferstehung Jesu so gedeutet haben sollen, schon weil die endzeitliche Auferstehung nie nur ein Individuum betrifft.

Nach einem 1. Teil (Forschungsgeschichte und Probleme von 1Kor 15) geht es im 2. Teil um den Nachweis, daß auch die beiden für Paulus zentralen eschatologischen Erwartungen, nämlich die der endzeitlichen Auferstehung und die der Parusie, erst sekundär Teil in einem einzigen eschatologischen Szenario geworden sind, die nur in 1Kor 15 und 1Thess 4 miteinander verbunden werden (in 2Kor 5,1 ff. und Phil 3,20 f. sei das nicht der Fall).

Die ersten Zeugnisse für die Totenauferstehung werden mit Recht in 1Kor 6,14; Röm 6,5 und 8,11 gefunden (2Kor 4,14 und 12,3 sei dagegen davon nur metaphorisch im Sinne einer spirituellen Auferstehung die Rede), während diese Erwartung zwar später auch von den Synoptikern, nicht aber von Jesus selbst geteilt werde. Die durch Rezeption jüdischer Menschensohntradition beeinflußte Parusieerwartung, deren toposartiges Vorkommen bei Paulus ein schon etabliertes Konzept belege (ältestes Zeugnis: 1Thess 1,10), gilt als Ergebnis der Überzeugung, daß die volle Realisierung der Gottesherrschaft noch bevorsteht, aber von Jesus inauguriert wurde, der deshalb auch bei der Vollendung wirksam werde. Das Zustandekommen der Koinzidenz dieser beiden überwiegend nicht aufeinander bezogenen Erwartungen stellt der Vf. sich wie andere so vor, daß Paulus die als älter geltende Auferstehungstradition der jüngeren Parusietradition angefügt hat (123 f. mit Verweis auf 1Thess 4), eine systematisierende Kombination, die sich auch Dan 12,2f., äthHen 51 u. ö. finde.

In Teil 3 wird dann die erwähnte These zu begründen versucht, daß der Glaube an die Auferstehung Jesu in seiner ältesten Form aus der Tradition der himmlischen Rehabilitation des Märtyrers zu verstehen ist, ihre Deutung als Beginn der allgemeinen Auferstehung dagegen erst auf das Konto des Paulus geht. In Röm 1,4 sei ex anastaseos nekron nicht zeitlich zu verstehen und nicht auf die Totenauferstehung zu beziehen, sondern Jesus werde als erhöht bekannt "because of what he has done during his terrestrial life" (133); Röm 8,29 (prototokos) wird im Unterschied zu 1Kor 15,20 vom Hierarchie- und Konformitätsgedanken her interpretiert, und auch Kol 1,18; Offb 1,5 und Apg 26,23 gehe es nicht darum, daß die Auferstehung Jesu die der Toten mit sich bringt bzw. nach sich zieht. Entsprechend bestätigt die Analyse der ältesten Formeln zwar die bisherigen Ergebnisse anderer Autoren, doch wird dann doch das Kontrastschema der Apg in der Tradition des gewaltsamen Geschicks der Propheten als ältestes Gut überhaupt in Anspruch genommen (142). Essentiell für Paulus sei weiter die Auferstehung Jesu in den Himmel mit neuer Leiblichkeit (das wird aus den Erscheinungen sowie 1Thess 1,10 und 1Kor 15,49 erschlossen), während die Totenauferstehung auf der Erde stattfinde; als Argument für die Rehabilitationsthese gilt ferner der 3. Tag, der auf Gottes Reaktion auf erlittenes Unrecht verweise, und natürlich die Beschränkung auf die Auferstehung Jesu. Den Grundgedanken einer himmlischen Rehabilitation sollen bei allen Unterschieden im einzelnen neben dem Hauptbeleg 2Makk 7 (hier verweist der Vf., obschon die ältesten Formeln überwiegend egeirein gebrauchen, vor allem auf den Gebrauch desselben Verbums anistanai in 2Makk 7,9 und 1Thess 4,14; Apg 2,24 u. ö.) auch Sap 2-4, AntBibl 32,2 f. und TestHi 39,12 bestätigen. Die Entstehung des Gedankens von Christus als Beginn der endzeitlichen Totenauferstehung wird dann als Konsequenz des eschatologischen Konzepts des Paulus hingestellt, nach dem die Endzeit nicht mit Jesu Tod und Auferstehung, sondern mit Jesu Leben begonnen habe, denn daß Jesus zu Ostern als Herr und Messias inthronisiert worden ist, sei nur dann sinnvoll, wenn Jesu Person und Werk schon vor seinem Tod eschatologische Bedeutung hatten, was Gal 4,4 zeigen soll. Das zunächst martyrologische Verständnis der Auferstehung Jesu sei entsprechend von Paulus ebenfalls eschatologisch qualifiziert worden.

Der 4. Teil untersucht die Partizipation an Jesu Auferstehung, Doxa, Verwandlung u. ä. (Röm 8,11.17; Phil 3,21 f.; 1Kor 15, 51f.), wo Paulus wiederum zwei zentrale Themen seiner Theologie miteinander verbinde, nämlich die Einheit der Christen mit Christus und die Auferstehung Jesu. Der Einheitsgedanke selbst wird mit Wedderburn auf das Modell der Solidarität und Einheit einer Gruppe und ihres Repräsentanten zurückgeführt, wozu z. B. Gal 3,8 f. und 1Kor 15,21 f. angeführt werden, aber auch die Stellvertretungsaussagen bei der Deutung des Todes Jesu. Für den Gedanken der Partizipation an Jesu Auferstehung wird allerdings nicht die Märtyrertradition verantwortlich gemacht, da dort der Gedanke eines repräsentativen Aktes, an dem andere partizipieren, fehle, sondern allein die paulinische Sicht der Person Jesu als Repräsentant, wovon auch die Auferstehung betroffen werde. Ebenso sollen sowohl das Mitsterben und Mitauferstehen bei der Taufe (die angeführten Stellen Röm 6,4; 7,4; 2Kor 5,14 f. sind hier bekanntlich vorsichtiger) als auch das endzeitliche "Mit Christus Sein" (1Thess 4,17 u. ö.) unabhängig voneinander entstanden und Ergebnis der Einheit der Christen mit Christus sein. Ein Literaturverzeichnis und Stellenregister schließen das Buch ab. Zweifellos wird man dem Vf. dieser Erstlingsschrift ein hohes Maß an analytischer Fähigkeit und Einfallsreichtum bescheinigen, was zu einer Reihe durchaus bedenkenswerter Einsichten und anregender Ergebnisse führt, die bisherige Sichtweisen in Frage stellen. Man kann zu seiner Methode allerdings fragen, ob er sich die Traditionskombinationen nicht z. T. zu stark nach dem Modell eines ideengeschichtlichen Baukastensystems vorstellt und unsystematisierbaren Überlappungen und Unausgeglichenheiten zu wenig Rechnung trägt, doch soll hier nicht auf Details eingegangen, sondern nur die Hauptthese kritisch befragt werden. Schon der für die Rekonstruktion des Vf.s fundamentale Bezug auf 2Makk 7 ist m. E. für die früheste Zeit nach Ostern nicht ohne Probleme, da 2Makk in der griechischsprechenden Diaspora entstanden oder doch jedenfalls für sie bestimmt ist, ganz abgesehen davon, daß der Term Auferstehung ganz überwiegend in eschatologischen Vorstellungszusammenhängen begegnet. In der Sache wird es durchaus zutreffen, daß die ältesten Formeln sich allein auf Gottes Handeln an Jesus beschränken und dessen Auferstehung von allem Anfang an als Erhöhung in den Himmel verstanden worden ist. Die aber steht als messianische Inthronisation eo ipso im eschatologischen und soteriologischen Horizont, ist also nicht auf eine bloße Rehabilitation des individuellen Geschicks Jesu beschränkt und schließt zudem andere Interpretationen des Ostergeschehens nicht aus. Schon die eschatologische Botschaft Jesu (die damals virulente Auferstehungshoffnung ist m. E. auch in der Verkündigung Jesu impliziert; zu der Verheißung von Jes 35,5 f. vgl. außer Mt 11,4 f. auch 4Q 521), macht es nur schwer vorstellbar, daß die Auferstehung Jesu erst in einem späteren Stadium überindividuelle und eschatologische Bedeutung gewonnen haben sollte. Doch selbst wenn hier keine Sicherheit zu erreichen ist, wird man diese Deutung nicht erst Paulus zuschreiben können.

Man vermißt bei der Analyse des vorpaulinischen Formelgutes denn auch eine Berücksichtigung der Tatsache, daß schon 1Kor 6,14; Röm 8,11 und 2Kor 4,14 eine Analogie zwischen der Auferstehung Jesu und der der Toten bezeugen. Auch Paulus selbst wird bei aller Neuorientierung von seiner apokalyptisch-pharisäischen Vergangenheit her (vgl. Röm 4,17) den im aparche-Gedanken implizierten Zusammenhang zwischen beidem kaum erst z. Zt. der Abfassung des 1Kor konzipiert haben. Daß er, wie auch andere meinen, in Thessalonich nur die Parusie thematisiert haben sollte, bleibt vermutlich umstritten. Bultmann z. B. hat m. E. jedenfalls zu Recht festgestellt, daß Paulus "dieses Stück seiner Predigt" (sc. die Auferstehung der Toten) schon bei seiner Predigt in Thessalonich "nicht übergangen haben kann" (Theologie 80). Zwar sollte immer im Auge behalten werden, daß der Apostel kein geschlossenes Gesamtbild einer Eschatologie zu erkennen gibt (vgl. nur das Nebeneinander von Phil 1,23 und 3,20 f. in ein und demselben Brief u. ä.), doch spätestens von 1Kor 15 her bleibt es dabei, daß man von Auferstehung Jesu sinnvoll nur im Zusammenhang mit der Auferstehung der Toten und als deren Grund und Beginn reden kann.

Unbeschadet mancher Rückfragen bietet der Vf. aber eine lesenswerte und zur Weiterarbeit provozierende Studie.