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Ausgabe:

Juni/2002

Spalte:

673–675

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Gooch, Todd A.

Titel/Untertitel:

The Numinous and Modernity. An Interpretation of Rudolf Otto's Philosophy of Religion.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2000. X, 233 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 293. Lw. ¬ 88,00. ISBN 3-11-016799-9.

Rezensent:

Hans Waldenfels

Das Werk ist eine überarbeitete Dissertation, die der Vf. an der kalifornischen Claremont Graduate University 1999 vorgelegt hat, die aber dann mit guten Gründen in die Reihe der BZAW aufgenommen wurde. Die Herausgeber der Reihe - O. Kaiser und W. Drechsler - beklagen das mangelnde Interesse der Theologie an R. Ottos Buch und begründen die Aufnahme in eine alttestamentliche Reihe mit dem Studieninteresse des Autors in seiner Marburger Zeit und seiner Ausrichtung der These, sodann aber auch mit Ottos eigenem Verweis auf Jes 6,3, das zu seiner Grabinschrift geworden ist.

Der Vf. beginnt mit einer Erläuterung der Bedeutung von Ottos Buch Das Heilige und beschreibt dann an ausgewählten Autoren dessen Rezeption. Damit erhalten eine Reihe von Fragestellungen Relief, die der Vf. selbst in seinem Werk weiterverfolgt. Hauptziel aber ist eine relecture des Buches mit der Absicht, eine Interpretation von Ottos Religionstheorie zu entwickeln, wie sie sich in seinem Buch findet. Gegen eine lange verbreitete Disqualifizierung der theologischen Implikationen tritt der Vf. dafür ein, das Buch als einen mit Absicht unternommenen theologischen Versuch zu werten. Freilich bleibt dann die Frage, wie Otto selbst die Aufgabe der Theologie verstanden hat. In Kapitel 1 charakterisiert der Vf. Otto als Erben und Interpreten von Schleiermachers Reden über die Religion. Ottos Werk wiederum setzt die Kenntnis der evangelischen Theologie am Ende des 19. Jh.s voraus, Ritschl mit seiner Lösung des Bandes zwischen Theologie und Metaphysik, den Einfluß der Religionsgeschichtlichen Schule mit ihrer Frage nach dem Wesen des Christentums, Troeltsch mit seinem Versuch, eine theologische Religionswissenschaft zu entwickeln, Schleiermachers Reaktion und Suche nach dem Wesen von Religion.

Diese war in jener Zeit nicht zu leisten, ohne Kants kritische Grenzziehungen zu beachten, in denen Religion zu einem praktischen Wert und Heiligkeit zu einem moralischen Attribut wurde. Schleiermachers Neuansatz trennte dann Religion von Metaphysik und Moral. Nach ihm beruht Religion auf Impressionen des Universums, in denen sich dessen Einwirkung auf das erfahrende Subjekt in der Anschauung und die Antwort des Subjekts auf diese Einwirkung im Gefühl treffen. Zwei Komponenten finden im Religiösen zusammen: die historische und die psychologische. Schleiermachers Ansatz zog dann die Rekonzeptualisierung zentraler theologischer Begriffe wie Offenbarung u. a. nach sich. Ottos eigene Bewertung dieser Konzeption findet sich im Vorwort zur 100. Ausgabe der Reden.

Ein weiteres Kapitel auf dem Weg zur eigenen Konzeption des Heiligen und zu seiner Religionsphilosophie ist Ottos Buch Kantisch-Friessche Religionsphilosophie und ihre Anwendung auf die Theologie (1909) (Kapitel 2). Der Vf. erläutert anhand dieses Werkes Ottos Kant-Interpretation, die sich an J. F. Fries (1773-1883) anlehnt und mit Troeltsch über die beiden genannten Komponenten hinaus nach dem religiösen Apriori fragt. Otto selbst aber war nicht zuletzt interessiert, über Schleiermacher hinaus Begriffe wie Erkenntnis, Gefühl, Gültigkeit und Wahrheit zu klären und damit dem Ansatz der Kantschen Kritik Genüge zu leisten. Mit Hilfe von Fries erweitert er den Erkenntnisbereich über Wissen und Glauben hinaus durch ein drittes Moment: die Ahn(d)ung, eine Überzeugung, die aus dem Gefühl allein erwächst. Kapitel 3 behandelt Psychologie und Geschichte der Religion in Ottos Denken, seine Reaktion auf zeitgenössische Denker wie W. Wundt u. a., die Suche nach dem Ursprung der Religion und die Wende zur Geschichte von innen.

Im Mittelpunkt seines Werkes behandelt der Vf. dann Ottos Bemühen um das Heilige (Kapitel 4). Vom Ansatz her ist zu beachten, dass Otto vom Irrationalen in der Idee des Göttlichen und seiner Beziehung zum Rationalen spricht. Dabei meint "rational", dass es einen Teil gibt, der in die Verständlichkeit unserer begrifflichen Fähigkeit eingeht, "irrational", dass es um den Bereich der begrifflichen Klarheit eine geheimnisvolle, dunkle Sphäre gibt, die sich der begrifflichen Klarheit entzieht. Das Kapitel bietet dann eine differenzierte Darstellung des Inhalts von Das Heilige. Dabei zeigt sich in der Tat, dass es bei Otto über die grundsätzliche Frage der Klärung des Wesens von Religion hinaus ein theologisches Interesse gibt.

Die folgenden drei Kapitel betreffen ein Stück der Folgegeschichte des Buches, aber auch Ottos eigene Reaktionen auf die Zeit: Kapitel 5: Das Heilige und der deutsche "Irrationalismus" nach dem 1. Weltkrieg, in dem es um die Stimmung der Zeit geht, um die Unzeitgemäßheit Ottos in der theologischen Szene, um den Einfluss der Lebensphilosophie und Nietzsches Bedeutung, um Spengler und Klages; Kapitel 6: Der Begriff des Wertes in Ottos späterem Denken, in dem Ottos Wertethik wie auch das Verhältnis von Ethik und Religion zur Sprache kommen; Kapitel 7: Das Heilige und die religiöse Ambivalenz der Moderne. Dieses Kapitel kann als Zusammenfassung gelesen werden. Es thematisiert Ottos Diagnose der modernen religiösen Situation, verweist auf die Marginalisierung des Numinosen in der religiösen Entwicklung des Westens, spricht von Ottos Wiederentdeckung der Religion und endet mit einigen Bemerkungen zur "Theologie im eisernen Käfig".

Den Reihenherausgebern ist zuzustimmen, wenn sie dieser Veröffentlichung einen besonderen Rang unter den Veröffentlichungen zu R. Otto zusprechen. Es wäre zu wünschen, dass das Buch ins Deutsche übersetzt würde.