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Ausgabe:

Juni/2002

Spalte:

667–669

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Knipp, David

Titel/Untertitel:

Christus Medicus in der frühchristlichen Sarkophagskulptur. Ikonographische Studien zur Sepulkralkunst des späten vierten Jahrhunderts.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 1998. XV, 212 S. 34 Abb. im Anhang. gr.8 = Supplements to Vigiliae Christianae, 37. Geb. ¬ 111,00. ISBN 90-04-10862-9.

Rezensent:

Claudia Nauerth

Der Autor behandelt drei neutestamentliche Christuswunder auf Sarkophagen theodosianischer Zeit: Die Blindenheilung, die Heilung der Hämorrhissa und die des Gichtbrüchigen. - Kapitel I (1-23) enthält einen Forschungsbericht: Während in den frühchristlichen Quellen Christus nicht allein in den Wundern Medicus ist, sondern seine Heilstat generell - auch in Abgrenzung zum funktional verwandten Asklepios - als Soteria gilt, ist die Deutung des Motivs in der Kunst schwieriger und bisher überwiegend auf die konstantinischen Friessarkophage beschränkt, wo Wunderszenen auf Grund der Textexegese vor allem als Taufsymbol und Rettungsparadigmen verstanden werden. Ikonographisches Kennzeichen ist die impositio manus (De Bruyne, 6 f.), der Christustyp kann dem des Asklepios ähneln, der Kranke ist von kleiner Gestalt (Bedeutungsmaßstab).

Kapitel II (24-89) behandelt den Travertin-Sarkophag in S. Victor (Marseille), der die ungewöhnliche Zusammenstellung von Isaakopferung, traditio legis und Blindenheilung aufweist; unüblich ist auch der Nimbus des Wundertäters; der Blinde hat fast Normalgröße. Die linke Schmalseite zeigt das Christuslamm, die rechte (so Knipp) auf einem Podest eine Portikus mit Lampe (24-31). Diese Kombination wird als Lichtsymbol der Kirche (33, vgl. 76.80) gedeutet und mit der illuminatio der Blindenheilung verknüpft. Allerdings kann man diese nur von ihrem ikonographischen Kontext her deuten, der gegenständlich wohl anders aufzulösen ist: Dargestellt ist m. E. in dem Podest mit Rautenmuster ein Gitterzaun, wie er auf Sarkophagen vorkommt (vgl. J. Dresken-Weiland, Repertorium der christlich-antiken Sarkophage. Italien mit einem Nachtrag Rom und Ostia, Dalmatien, Museen der Welt, Mainz 1998, Nr. 63). Der obere Teil mit Vorhängen und mittiger Lampe ist allgemeine Chiffre für Gebäude (vgl. J. Deckers, Tradition und Adaption. Bemerkungen zur Darstellung der christlichen Stadt, in: Römische Mitteilungen 95, 1988, 353 f.).

Auch die zweite Besonderheit, der Nimbus des Blindenheilers - im Gegensatz zum nicht nimbierten Christus in der traditio - bedarf einer Erklärung: K. vermutet den Einfluss eines entsprechenden, d. h. jugendlich-hellenistischen Heliostyps (32f., 35 sol invictus) und verknüpft das Indiz mit Joh 9, wo Christus Licht der Welt genannt wird. Lampe und Nimbus werden so zur Basis für eine Interpretation, die nicht nur Joh 9 wiedergibt, sondern "ein symbolisches Bild der Idee der Illuminatio" darstellt (36). Die Verbindung zwischen Helios und Christus versucht K. im platonisch-frühchristlichen Schrifttum festzumachen (45-53) und in der Kunst z. B. auf dem Sosius-Sarkophag (Ravenna) nachzuweisen, wo er in der Augensalbung (58-60, vgl. 89) einen Initiationsritus erkennen will (vgl. J. Kollwitz/H. Herdejürgen, Die Sarkophage der westlichen Gebiete des Imperium Romanum, 2. Teil, Die ravennatischen Sarkophage VIII, 2, Berlin 1979, Nr. 35). Ähnlich sieht er auch auf gallisch-römischen Denkmälern kultische und zugleich therapeutische Augenbehandlungen (62-73).

Grundsätzlich ist die Verbindung von Lichtsymbolik und Blindenheilung (und die Bedeutung als Taufsymbol) überhaupt nicht zu bestreiten. Kritisch zu werten ist allerdings die Herleitung aus den isolierten Elementen Lampe und Nimbus. Auf Grund von Texten direkt auf "ein[en] Byzantiner oder ein[en] byzantinischen Provencalen" (88) als Besteller zu schließen, geht nicht an. Erst in diesem Zusammenhang erfährt der Leser den Befund im Sarkophag (88): weibliche Leiche in Palla, Maphorion und Tunika mit Blumenschmuck und byzantinischem Goldenkolpion - das gehörte an den Anfang.

Kapitel III (90-139) widmet sich dem Marmorsarkophag in San Celso (Mailand) mit den Szenen traditio legis, Magieranbetung, Frauen am Grabe und ungläubiger Thomas auf der Front, dem Quellwunder Petri auf der rechten und dem der Hämorrhissa auf der linken Schmalseite (90-94), der Wunderheiler ist nimbiert. Das Problem der Szene besteht in der korrekten Identifizierung bzw. Abgrenzung zu möglichen anderen, insbesondere zur bittenden Kanaanäerin. Letztere nimmt den sogen. Restitutionstyp auf, bei dem der Herrscher sich einer vor ihm knienden Personifikation einer Stadt oder Provinz zuwendet (supplicatio, 104-106). Diese Deutung erkennt K. auch für die berühmte Eusebstelle (KG VII, 18; vgl. Th. Weber, Die Statuengruppe Jesu und der Haimorrhousa in Caesarea Philippi, in: 9, 1996, Damaszener Mitteilungen, 209-216), wobei er mit einer sekundär christlichen Deutung rechnet. Die supplicatio stehe bei den meisten als Hämorrhissa bezeichneten Figuren im Hintergrund (108 f.). Die Hämorrhissa-Szene des Sarkophags von San Celso (110-114) stelle dagegen eine Neuschöpfung dar, der die Exegese des Ambrosius von Lk 8 zu Grunde liege (131): Die geheilte Frau ist Sinnbild der Heidenkirche, Christus der Arzt. Der Sarkophag müsse deshalb gegen 390 in einer Mailänder Werkstatt (137) entstanden sein. Auch für die übrigen Szenen (Frauen am Grabe, ungläubiger Thomas, Krippenbild und Magier, 114-120) sucht K. den Einfluss ambrosianischer Theologie nachzuweisen. Im Petrus-Quellwunder wie in der Magieranbetung findet er das Bekenntnis der Heidenkirche ausgedrückt (124 f., 136). Er konkretisiert (138) soweit, dass er im Besteller einen Theologen vermutet, der mit Ambrosius vertraut ist, sich selbst als Heidenchrist versteht und mit Honorius aus Byzanz nach Mailand eingewandert ist. All das bleibt allerdings Spekulation.

Kapitel IV (140-184) beschäftigt sich mit den Bethesdasarkophagen, die die Heilung nach Joh 5 inhaltlich in drei Phasen, formal in zwei Zonen zeigen (Tarragona 144-149). Der Autor sieht in Joh 5 die Beschreibung eines antiken Heilbetriebes und im Bild die in zwei Phasen zusammengezogene simultane Darstellung der Heilung (150-152) - die Erzählstruktur sei aber in beiden Medien gleich. Das Wunder am Teich Bethesda gilt als Taufsymbol, was wiederum Ambrosius bezeuge (155-160). Formal leitet K. die Szene (wie schon Gerke) aus der Miniaturmalerei ab (170) und für die Zweizonigkeit verweist er auf die oströmische Staatskunst (178-181), z. B. die Reliefs der Basis des Theodosius-Obelisken. Es liegt ihm auch bei diesem Beispiel besonders daran, die theologische Deutung anhand der Texte herauszuarbeiten.

Insgesamt leidet die Untersuchung an einer Überlastigkeit der literarischen Quellen gegenüber den archäologischen Vorgaben bei der Interpretation der Bildthemen.