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Ausgabe:

Juni/2002

Spalte:

626–629

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schorch, Stefan

Titel/Untertitel:

Euphemismen in der Hebräischen Bibel.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2000. XIII, 323 S. gr.8 = Orientalia Biblica et Christiana, 12. Lw. ¬ 89,00. ISBN 3-447-04249-4.

Rezensent:

Jutta Krispenz

Stefan Schorch wurde mit der nun gedruckt vorliegenden Arbeit 1998 an der Universität Leipzig promoviert. Die Arbeit wurde von S. Wagner betreut. Sie hat in ihren Hauptteilen die für eine Dissertation ungewöhnliche Form eines Lexikons. Die Entscheidung, das erarbeitete Material im Wesentlichen als Lexikon darzubieten, erweist sich als sachgemäß und sinnvoll, denn so kann Sch. den euphemistischen Sprachgebrauch der hebräischen Bibel breit dokumentieren, ohne das Material in einen - so gar nicht existierenden - Sachzusammenhang zu pressen. Dem Kernbereich der Arbeit sind vier Kapitel vorangestellt, in denen Sch. das Feld, auf dem seine Untersuchung sich bewegt, absteckt und nach mehreren Seiten hin abgrenzt. Sch. begrenzt seine Untersuchung nach Ausweis des ersten Abschnittes (Einleitung: die Themenstellung) auf die hebräische Bibel und in ihr auf "Tabu-Euphemismen" (2).

Die sich hier anschließende "Methodologische Grundlegung" (4) setzt ein mit einem Abschnitt, der überschrieben ist "Die Begriffe Euphemismus, Dysphemismus und Sprachtabu" (4), der allerdings den Begriff Dysphemismus nur zweimal erwähnt und das Sprachtabu mit dem Euphemismus identifiziert. Sachlich mag das berechtigt sein, die Diskrepanz zwischen der Überschrift und dem Inhalt des Abschnittes lässt die Argumentation unscharf erscheinen. Dieser Eindruck bleibt im Verlauf des Kapitels erhalten: Obwohl Sch. das Phänomen des Euphemismus hier unter einer ganzen Reihe von Blickwinkeln beleuchtet, wobei viele interessante Bereiche und Aspekte sichtbar werden, bleibt Sch. die Antwort auf die Frage schuldig, wie man denn einen Euphemismus als Euphemismus identifizieren könne, ohne dabei in die Falle der eigenen kulturellen Voreingenommenheit zu tappen.

Das dritte Kapitel ("Euphemismen in der Hebräischen Bibel - Überblick über Auslegungs- und Forschungsgeschichte") setzt ein mit der Frage, ob die Euphemismen der hebräischen Bibel auf bewusste Textkorrekturen zurückgeführt werden könnten. Von hier aus geht Sch.s Darstellung über zu Forschungen zu Euphemismen, zu den arabischen "Wörter[n] mit Gegensinn" (26), zum Sprachtabu und zur Stilistik, wobei Sch. den Schwerpunkt deutlich auf die Zeit ab 1900 legt. Das dritte Kapitel mündet in drei kurze Abschnitte zu "Textkorrekturen", "Zur Übersetzung des biblischen Textes" und zu "Untersuchungen zur Semantik einzelner Ausdrücke und Lexeme", mit denen Sch. Gedanken vom Anfang des Kapitels in modifizierter Form wieder aufnimmt und zugleich überleitet zu Kapitel IV, das das letzte und umfangreichste der einleitenden Kapitel ist.

Unter dem Titel "Untersuchungen zur Frage des Ursprungs euphemistischer Ausdrücke im hebräischen Bibeltext" (33) nimmt Sch. hier noch einmal - nun ausführlich und systematisch in der Betrachtung konkreter Stellen - die Frage auf, wie sich der Gebrauch von Euphemismen an denjenigen Stellen des Bibeltextes darstellt, für die textkritische Varianten vorliegen. In drei Durchgängen vergleicht Sch. Variantlesungen, die sich möglicherweise im Gebrauch oder Nichtgebrauch von Euphemismen unterscheiden. Der erste Durchgang vergleicht in den Samuelbüchern Stellen aus Masoretischem Text, Septuaginta und 4Q Sama, der zweite stellt masoretischen und samaritanischen Pentateuch nebeneinander, der dritte schließlich nimmt Deuteronomistisches und Chronistisches Geschichtswerk in den Blick. In allen drei Feldern zeigt es sich, dass Euphemismen zur Korrektur des Bibeltextes allenfalls in geringem Ausmaß eingesetzt wurden. Kapitel IV mit seinem historischen Aspekt bietet in gewisser Hinsicht einen Ersatz für die in Kapitel II vermisste Reflexion des Betrachterstandpunktes: Wenn hier neben dem Masoretischen Text weitere Textzeugen herangezogen werden, so führt dies ein dialogisches Element in die Arbeit ein, welches dem Bild eine weitere Dimension zufügt.

Das sich hieran anfügende Kapitel V "Lexikon der in der hebräischen Bibel als Euphemismen verwendeten Wörter" (85) bietet in alphabetischer Reihenfolge alle im AT euphemistisch verwendeten Wörter. Dieses Kapitel umfasst knapp die Hälfte des Buchtextes und bildet damit den Schwerpunkt der Arbeit. Jedem Lemma sind Erläuterungen beigefügt, die dem Leser das erarbeitete Material erschließen. Sch. gliedert jeden dieser Lexikoneinträge nach einem festen Schema von bis zu sechs Rubriken ("Art und Weise der Realisierung des entsprechenden Euphemismus", "Belegstellen", "morphologische bzw. etymologische Ableitungen", "eventuelle semantische Äquivalente im Biblischen Hebräisch", semantische Äquivalente " [...] in verwandten oder kulturell benachbarten Sprachen" und "Verweis auf Ableitungen derselben Wurzel mit eigenem Eintrag" [85]).

Diesem im strengen Sinn lexikalischen Teil ist unter dem Titel "Der alttestamentliche Euphemismusgebrauch in synchroner Perspektive" (215) ein Kapitel zur Seite gestellt, das drei unterschiedlich lange Zusammenstellungen des euphemistischen Materials bietet.

In der ersten, längsten und für die Benutzer des Buches vermutlich wichtigsten Zusammenstellung stellt Sch. 15 semantische Bereiche vor, in denen Euphemismen verwendet werden. Die wichtigsten Bereiche sind Verdauung, Sexualität und Religion sowie Krankheit und Tod und decken sich mit den wichtigsten tabuisierten Bereichen der modernen westlichen Welt.

Der Rezn. stellt sich die Frage, wodurch diese Übereinstimmung hervorgerufen wird. Spiegelt sich darin eine kulturelle Universalie, eine sich durchhaltende Tradition der jüdisch-christlichen Geschichte oder verdankt sich die Übereinstimmung dem Standpunkt des Betrachters und Autors?

Dass die Art der Behandlung aus dem Blickwinkel der semantischen Felder an einigen Stellen etwas summarisch geraten ist, sei ebenfalls erwähnt. Für den Bereich der "sexuellen Handlungen" (221) stellt Sch. fest: "Der geschlechtliche Verkehr zwischen Menschen kann zunächst einfach mit Verben des semantischen Feldes gehen als gehen/kommen zu [...] euphemistisch bezeichnet werden" (221). Sch. verweist auf die Verben awb und lh. Schlägt man die beiden Verben im Lexikonteil des Buches nach, so zeigt sich, dass für awb eine sexuelle Bedeutung breit belegt ist. Für das Verb lh dagegen ist eine solche Bedeutung nur in Am 2,7 anzunehmen. Wenn darüber hinaus lh sonst breit in der euphemistischen Bedeutung "sterben" belegt ist, liegt dann nicht die Vermutung nahe, dass in Am 2,7 bewusst statt des geläufigeren awb das ganz anders konnotierte lh verwendet wurde? Der Überblick über die semantischen Felder der Euphemismen gibt diesen Nuancen keinen Raum. Für die Benutzung des Buches scheint es jedenfalls ratsam zu sein, immer auch den Verweisen auf den lexikalischen Teil nachzugehen.

Eine weitere Zusammenstellung listet "Die linguistischen Strategien der Euphemismusbildung" (235) auf, sie ordnet die Euphemismen den Techniken klassischer Stilistik und Rhetorik zu. Eine dritte, leider nur recht kurze Zusammenstellung ist unter dem Titel "Kommunikationsbereiche und Euphemismusverwendung" der pragmatischen Einbindung der Euphemismen gewidmet.

Der Textteil des Buches wird abgeschlossen durch das Kapitel "Der alttestamentliche Euphemismusgebrauch in diachroner Perspektive: Kategorien einer Geschichte des alttestamentlichen Euphemismus" (254). Sch. verfolgt hier an einigen exemplarischen Beispielen die historischen Entwicklungsmöglichkeiten von Euphemismen. Durch den Gebrauch verlieren Euphemismen ihre "Verhüllungsqualität" (254). Sie werden entweder durch einen neuen Euphemismus ersetzt oder lexikalisiert. Die meisten Euphemismen sind, wie Sch. herausgefunden hat, originärer Bestandteil des jeweiligen Textes. Allerdings zeigt sich in den masoretischen Anmerkungen in Gestalt des Qere-, dass die Masoreten eine Reihe von Lexemen konsequent durch Euphemismen ersetzt wissen wollten.

In seinem Kern ist das Buch ein Nachschlagewerk, das sein Material in gut strukturierten Einträgen dem Benutzer darbietet, es darüber hinaus in den Überblicksdarstellungen zugänglich macht und, in den einleitenden Kapiteln, in seiner Bedeutung von verschiedenen Seiten beleuchtet. Es wird nicht nur Exegeten des AT, sondern auch alttestamentlich interessierten Pfarrerinnen und Pfarrern gute Dienste leisten. Ein umfangreiches Register (Stellenregister, Wörterregister mit Wörtern aus 13 Sprachen) sowie ein Literaturverzeichnis vervollständigen dieses schöne und gewiss sehr nützliche Buch.