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Ausgabe:

Juni/2002

Spalte:

616–618

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Assmann, Jan, u. Guy G. Stroumsa [Eds.]

Titel/Untertitel:

Transformations of the Inner Self in Ancient Religions.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 1999. VII, 437 S. gr.8 = Studies in the History of Religions, 83. Lw. ¬ 109,00. ISBN 90-04-11356-8.

Rezensent:

Klaus Koch

Der Sammelband, hervorgegangen aus zwei workshops in Heidelberg 1996 und Jerusalem 1997, setzt sich das hohe Ziel einer "archeology of western conceptions of the person" (2) unter der Voraussetzung einer bis ins altorientalische Altertum zurückreichenden Vorgeschichte. Eingesetzt wird damit, dass mit dem Übergang von einer archaischen Primärreligion, für die die Antithese von heilig und profan, rein und unrein grundlegend war, zur Sekundärreligion in der "Achsenzeit", wo die Unterscheidung von wahr und falsch in der Religion entscheidend wird, sich eine Konzentration auf den inneren Menschen durchsetzt, paradigmatisch schließlich bei Paulus und Augustin. "Radically different religions must necessarily entail radically new forms of homo religiosus" (4). In 24 Beiträgen werden Fallbeispiele beschrieben für "Confession and Conversion" (Part I) und "Guilt, Sin and Purification" (Part II). Sie behandeln regionale, seltener epochenspezifische Erscheinungen aus den Kulturen des Altertums. Die beabsichtigte "Archäologie" wird also mit einigen Sondagen begonnen; eine zusammenhängende und diachronische Gesamtschau wird (noch) nicht erreicht.

Als Eingang zum ersten Teil untersucht F. Stolz das alte Mesopotamien unter dem Blickwinkel "From the Paradigm of Lament and Hearing to the Conversion Paradigm" (9-29). Auf früher Stufe diente ein kultisches Klage-Erhörungs-Muster der Reintegration einer desintegrierten Person. Das berühmte Gedicht "Ich will preisen den Herrn der Weisheit" (um 1200; TUAT 3,110-134) lässt eine "postkultische" Wende erkennen: "The personal worship of Mardul is more effective than the traditional cultic behavior" (19). Ähnliches lassen die Psalmen und die qumranischen Hodajot für Israel erkennen.

Für Ägypten verweist J. Assmann "Conversion, Piety and Loyalism" (31-44) auf die im Neuen Reich aufgekommene persönliche Frömmigkeit: das Individuum wendet sich bewusst an einen besonderen Gott und "legt ihn in das Herz"; hier zeichnet sich ein "inneres Selbst" ab.

Im Blick auf das Ägypten der Römerzeit beschreibt R. Meyer "Magical Ascesis and Moral Purity in Ancient Egypt" (45-64). Das "Herz", weiterhin Sitz des sozialen und moralischen Bewusstseins, wird zunehmend auf die Vermeidung und Abwendung von Unreinheit ausgerichtet: "Morality has been integrated into a general concept of purity" (53). Das Ergebnis widerspricht freilich, ohne das es im Beitrag vermerkt wird, der im Bucheingang behaupteten Merkmale der Sekundärreligion.

"Quests and Visionary Journeys in Sassanian Iran" sind das Thema von S. Shaked (65-86). Auf Grund sorgfältiger Vorbereitung, mit "techniques for changing the person", die Wesenheiten einer geistigen Welt (menog) zu schauen, u. U. mittels bestimmter Drogen, wird zu "the supreme religious achievement" (75).

"Die urchristliche Taufe und die soziale Konstruktion des neuen Menschen" ist ein interessanter Versuch von G. Theissen (87-114), durch eine (etwas gezwungen wirkende) dreigliedrige Typologie von Religion (Offizielle vs. subkulturelle R., Versöhnungs- vs. Erlösungs-R., Volks- vs. Universal-R.) die Einmaligkeit der Taufe als Konstruktion des neuen, eschatologischen Menschen und wiederhergestelltes Ebenbild Gottes zu begreifen.

Im Anschluss daran zeigt P. von Gemünden "Die urchristliche Taufe und der Umgang mit Affekten" (115-136), wie bei Paulus und in den Deuteropaulinen der Aufnahmeritus als "Neustrukturierung der Affektbewältigung" verstanden worden ist, wofür es weder im Judentum noch in der antiken Philosophie Parallelen gibt.

Dem Titel des Bandes kommt bgereiflicherweise das gnostische Menschenverständnis am nächsten, das G. Filoramo darstellt: "The Transformation of the Inner Self in Gnostic and Hermetic Texts" (137-149). Die Heilslehre zielt ab auf "a return of the divided self to its ontological counter-part" (149).

Ein Beitrag zum alten Israel fehlt, dafür aber gibt es einen zum Judentum: S. Ruzer "The Death Motif in Late Antique Teshuva Narrative Patterns. With a Note on Romans 5-8" (151-165). Buße ist vor dem Tod nötig, hebt aber das Todesgeschick nicht unbedingt auf.

Während G. Stroumsa "From Repentance to Penance in Early Christianity. Tertullian's De Paenitentia in Context" (167-178) auf die altkirchliche 2. Buße als öffentlichen Trauerakt für "the individual's reintegration into society" (178) eingeht, weist B. Bitton-Ashkeloni "Penitence in Late Antique Monastic Literature" (179-194) auf eine gegenläufige Tendenz, nämlich die für das Mönchstum zentrale persönliche, nicht institutionalisierte Buße.

A. Charles-Saget vergleicht "Les transformations de la conscience de soi entre Plotin et Augustin" (195-207). Der neuplatonischen "Bekehrung" zur Vereinigung mit dem Urprinzip steht beim Kirchenvater das Bewusstsein des tiefen Abstands zwischen Mensch und Gott gegenüber.

Den zweiten Teil "Guilt, Sin and Purification" beginnt wieder F. Stolz mit Mesopotamien: "Dimensions and Transformations of Purification Ideas" (211-229). Reinigungen sollen den Übergang von Profanisierung zum Heiligen bewirken. Mit vielfältigen, nicht unbedingt konformen Metaphern verknüpft, können sie auch zu "inner experience by dreaming" (226) werden.

Dem Thema "Confession in Ancient Egypt" (was eigentlich nach der Überschrift zum ersten Teil gehören sollte) wendet sich J. Assmann zu (231-244). Im Zeitalter der persönlichen Frömmigkeit kommt einerseits das Bekenntnis der eigenen Schuld auf, in dem der Gläubige vom beleidigten Gott Gnade erhofft, ohne dass das "Herz" eine Rolle spielt. Andrerseits wird ein negatives Bekenntnis, keinerlei Sünde getan zu haben, für das "Herz" als "inner self" des Gestorbenen im Totengericht fällig.

Dem schließt sich wieder ein Beitrag von R. Meyer an: "The Determination of Collective Guilt and the Interpretation of National Suffering in Late Egyptian Theology" (245-262). Parallel zu deuteronomi(sti)schen Konzeptionen kommt im Niltal ab der Assyrerzeit der Gedanke der gegen Ägypten zürnenden Gottheit auf.

Diesmal kommt auch Israel zur Sprache durch M. Greenberg "Salvation of the Impenitent Ad Majorem Dei Gloriam: Ezek 36:16-32". Nach prophetischer Überzeugung wird das zu Recht exilierte Israel fundamental erneuert zum "fleischlichen Herz", ohne dass menschliche Reue vorangeht. Aber die Wende bedeutet letztlich eine disziplinierende Aktion, um zu verhindern, dass der an die Existenz Israels gebundene Name Gottes nochmals entweiht werden kann.

Dem alten Hellas sind zwei Beiträge gewidmet, die sich nicht mit einem inneren Selbst beschäftigen, sondern mit den Fähigkeiten, die mit einer Gottheit liierte Seher zur magischen Reinigung eines Kollektivs ausrüsten, so N. Ronen "Who Practiced Purification in Ancient Greece? A Cultural Profile" (273-286) und P. Borgeaud Melampous and Epimenides: Two Greek Paradigms of the Treatment of Mistake" (287-300).

Die große Rolle eines Reinigungsrituals, das auch stellvertretend für andere vorgenommen werden konnte, im Zoroastrismus schildert A. de Jong "Purification In Absentia: On the Development of Zoroastrian Ritual Practice" (301-329).

Die Sühnung von unbeabsichtigten Vergehen im alten Rom beschreibt J. Scheid "The Expiation of Impieties Committed without Intention and the Formation of Roman Theology" (331-347).

D. Stökl "Yom Kippur in the Apocalyptic Imaginaire and the Roots of Jesus' High Priesthood. Yom Kippur in Zechariah 3, 1Enoch 10, 11QMelchisedeq, Hebrews and the Apocalypse of Abraham 13" (349-366) schließt aus den angegebenen Stellen auf einen apokalyptischen Bildkomplex, für den der jährliche Versöhnungstag die eschatologische Reinigung der Schöpfung antizipiert; das wurde zur Grundlage für die Auffassung von Jesus als (nichtlevitischem) Hohenpriester.

S. Ruzer "The Seat of Sin in Early Jewish and Christian Sources" (367-391) kommt dem Buchtitel wieder etwas näher. Sitz der negativen Handlungen sind nach Synoptikern und Paulus wie den Rabbinen einerseits das Herz, andrerseits Körperteile wie Auge, Hand u. ä., aber auch dämonische Kräfte. (Das Herz zählt R. nicht zu den Körperteilen.)

G. Filoramo "Baptismal Nudity as a Means of Ritual Purification in Ancient Christianity" (393-404) weist auf die große Bedeutung völliger Nacktheit beim altkirchlichen Taufbad hin, die, verbunden mit Gewissensprüfung und Exorzismus, die paradiesische Reinheit als Basis einer "new sectarian society" wiederherstellt.

"Purification and Its Discontents: Mani's Rejection of Baptism" schildert G. G. Stroumsa (405-420). Da der Körper zur Finsternis gehört und auch nach der Taufe seine Funktionen behält, kann sie nichts bewirken; solche Ablehnung ist nach S. durch buddhistischen Einfluss hervorgerufen.

Ein letzter Beitrag von A. Kofsky gilt einer skrupulösen monastischen Selbstprüfung hinsichtlich "Aspects of Sin in the Monastic School of Gaza" (421-437).

Der Band bietet einen bunten Blumenstrauß von Phänomenen, die mit der Ausbildung des modernen Bewusstseins von Person und Subjektivität in Beziehung stehen, und beweist, dass dafür nicht nur philosophische Traditionen wichtig waren. Ob allerdings dabei vorwiegend die Suche nach einem Inneren Selbst im Mittelpunkt gestanden hat, bleibt gerade nach diesen Aufsätzen, bei denen es häufig um die komplizierte (Re-)Integration in einen gesellschaftlichen Verband geht, dem Leser ungewiss.