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Ausgabe:

Juni/2002

Spalte:

609–611

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Obst, Helmut:]

Titel/Untertitel:

Religiöser Pluralismus und das Christentum. Festgabe für Helmut Obst zum 60. Geburtstag. Hrsg. von M. Bergunder.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001. 188 S. gr.8 = Kirche - Konfession - Religion, 43. Kart. ¬ 26,00. ISBN 3-525-56547-X.

Rezensent:

Michael Plathow

Eine Kette mit 11 Perlen stellt die Festschrift der Schüler für den geehrten Lehrer Prof. Dr. Helmut Obst dar. Zum 60. Geburtstag des Professors für Ökumenik und Allgemeine Religionsgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wurde der Aufsatzband mit dem kennzeichnenden Titel "Religiöser Pluralismus und das Christentum" publiziert; denn "religiöse Vielfalt und ihre Konsequenzen für das christliche Zeugnis sind das Hauptthema im theologischen und religionswissenschaftlichen Werk von Helmut Obst", wie der Hrsg. M. Bergunder im Vorwort schreibt. H. Obsts Veröffentlichungen wie u. a. "Apostel und Propheten der Neuzeit", Göttingen 42000; "Neuapostolische Kirche - die exklusive Endzeitkirche?", Neukirchen-Vluyn 1996; "Außerkirchliche religiöse Protestbewegungen der Neuzeit", Berlin 1990 geben mit zahlreichen Aufsätzen und Artikeln Zeugnis davon. Die Herausforderung durch den religiösen Pluralismus versteht H. Obst als eine geistliche und seelsorgerliche; darum bezieht er in den Dialog das theologische Urteil vom christlichen Bekenntnis her ein. Dieser Herausforderung und Zielsetzung wissen sich ebenso die Schüler und Freunde in den Beiträgen dieser Festschrift methodisch und sachlich verbunden.

Den Perlenreigen eröffnet der Freund E. Jüngel mit dem Aufsatz "Strukturwandel der Öffentlichkeit. Herausforderung und Chance für die universitäre Theologie" (9-26): Der christliche Glaube hat ein genuines Verhältnis zur Öffentlichkeit. Er ist seinem Wesen nach auf Öffentlichkeit bedacht. Der Theologie in ihrer auch kirchenleitenden Funktion kommt dabei eine Sonderrolle im Haus der Wissenschaften zu, die Narrenrolle als Anwalt der Wahrheit (26).

A. Fincke geht in der Trend- und Mentalitätsstudie "Vielleicht glauben die Leute noch in Bayern, oder so [...] Ein Blick auf den Zeitgeist" (27-34) zwei Strömungen des Zeitgeistes nach: einerseits dem rasanten Säkularisierungstrend, andererseits dem Aufbruch religiöser Sehnsüchte und Mentalitäten, wobei "dieses neue Interesse an Religion deutlich schwächer als die säkularisierenden Kräfte ist; es hebt die Wucht der Verdiesseitigung keineswegs auf" (31). D. Cyranka widerlegt in: "Zwischen Neurophysiologie und Indischen Märchen - Anmerkungen zu Schlossers Gesprächen über die Seelenwanderung" (35- 54) durch Quellenforschung die sog. "Lessing-Schlosser-Hypothese"; er zeigt, dass J. W. v. Goethes Schwager J. G. Schlosser in der Frage der Seelenwanderung nicht von G. E. Lessings Erziehungsschrift beeinflusst wurde, sondern durch seine Kontakte zur "Helvetischen Gesellschaft" und seine Kenntnisse des ostasiatischen Buddhismus.

Chr. Raedel analysiert in: "Die Auseinandersetzung mit Wesen und Wirken des Spiritismus im deutschsprachigen Methodismus des 19. Jahrhunderts" (55-73) die spiritistischen Einflüsse und die theologische Kritik daran im deutsch-amerikanischen Methodismus und im deutschen Methodismus des 19. Jh.s. Leitendes Interesse hat der Autor dabei an den theologischen Urteilskriterien für die Ablehnung eines sich als christlich verstehenden Spiritismus. H. Lamprecht führt in: "Rosenkreuzerische Reinkarnation. Die Vorstellung von der Wiederverkörperung in modernen Rosenkreuzerorganisationen" (74-87) verschieden ausgerichtete Reinkarnationsvorstellungen innerhalb der Rosenkreuzer (Antiquus Mysticus Ordo Rosae Crucis [AMORC]; Rusicrucian Fellowship; Lectorium Rosicrucianum) einer kritischen Hinterfragung zu im Blick auf die anthropologischen und epistemologischen Voraussetzungen. F. Schilling gibt in: "Ausgrenzung, Behinderung, Verfolgung. Die Zeugen Jehovas in der SBZ/DDR bis zu ihrem Verbot 1950" (88-105) einen zeitgeschichtlichen Forschungsbericht über die historische Entwicklung des Verhältnisses von "Zeugen Jehovas" und Staat in der SBZ/DDR von 1946 bis 1950.

In dem Bericht "Prävention in der Schule. Das Thüringer Modell Ansprechpartner in Fragen Neureligiöser Bewegungen und Sondergemeinschaften" (106-124) stellt A. Schröter ein Modellprojekt präventiven Jugendschutzes vor. Kl. v. Stieglitz zeigt in: "Reinkarnation und Auferstehung. Bedingungen und Grenzen des Dialogs mit Anthroposophie und Christengemeinschaft" (125-141) höchst behutsam und achtsam die Möglichkeiten und Grenzen des Dialogs über die Reinkarnationsvorstellung mit Anthroposophen auf. Chr. Bochinger gibt einen Analysebericht über "Islam in Deutschland. Zum Umgang mit Vielfalt und Widersprüchlichkeiten in der religiösen Gegenwartskultur" (142-156); er weist auf die Verschiedenheit islamischer Gruppen in Deutschland hin, analysiert drei Modelle islamischer Identität und plädiert für die Integration dieser drei Modelle in die deutsche Gesellschaft. M. Bergunder: "Religiöser Pluralismus und nationale Identität. Der Konflikt um die politische Legitimierung des indischen Staates" (157-173) geht dem Hindu-Nationalismus seit der Gründung des indischen Staates 1947 bis zum Wahlsieg der "Indischen Volkspartei" 1999 nach; deren Hindutva-Theologie und Ideologie ermöglicht kaum eine religiös plurale indische Gesellschaft. Schließlich weist R. Hummel: "Umgang mit Sekten - Von den Religionen des Ostens lernen?" (174-188) nach, dass die östlichen Religionen in ihrer Geschichte "kein ideales Gegenbild zur beklagten christlichen Intoleranz" darstellen (187).

Jeder dieser Beiträge stellt eine Perle in der Kette dar, d. h. eine Bereicherung und Vertiefung der Studien über die religionswissenschaftlichen Traditionen und Strömungen der Gegenwart. Durch die voluminösen Werke "Handbuch religiöser Gemeinschaften und Weltanschauungen", hg. von H. Reller, H. Krech, M. Kleiminger, Gütersloh 52000 und "Panorama der neuen Religiosität, Sinnsuche und Heilsversprechen zu Beginn des 21. Jahrhunderts", hg. von R. Hempelmann, Gütersloh 2001 hat die religiös-weltanschauliche Thematik in unserer Lebenswelt in signifikanter Weise Aufmerksamkeit gefunden nach dem 11. September 2001. Die Aufsätze der Festschrift für H. Obst wollen in sachgemäßer Weise neben Informationen, Analysen und Darstellungen gerade auch theologische Beurteilungen weitergeben. Sie vermitteln so Erkenntnisgewinne und regen zu eigenen Stellungnahmen an.