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Ausgabe:

Juni/2002

Spalte:

591–608

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Staats, Reinhart

Titel/Untertitel:

Der Ursprung des Wortes Bildung und die Wissenschaftsethik Adolf von Harnacks*

In Deutschland wird von Politikern und von politisch Denkenden gern und oft das Wort "Bildung" im Munde geführt. Bildung gilt allgemein als ein unbestritten hohes Gut, das auch von größtem Nutzen für die materielle Zukunft des deutschen Volkes sei. Da das Land kaum noch über andere "Ressourcen" verfüge, müsse sein stärkstes Kapital "Bildung" sein. Seit den sechziger Jahren war viel die Rede von einer deutschen "Bildungskatastrophe" (Georg Picht). Mit diesem Drohwort sollte hauptsächlich die damals im Vergleich zu den USA niedrige Quote von Studierenden an Universitäten kritisiert werden. Daraufhin ist tatsächlich eine geradezu revolutionäre Ausweitung der akademischen Welt geschehen: Seit 1970 ist in Deutschland die Zahl der Universitäten sprunghaft gestiegen, und heute befindet sich eine unüberschaubare Fülle von kleinen und großen Universitäten und Hochschulen im Konkurrenzkampf um die besten Studenten und um das beste Ansehen im nationalen und internationalen Vergleich. Manche Institute, Fachbereiche und Fakultäten müssen aufgegeben werden, und man fragt sich, ob wir inzwischen in Deutschland nicht zu viele Universitäten und Hochschulen haben. Auch wenn die Politiker das Wort "Bildungskatastrophe" nicht mehr brauchen, so sprechen sie doch von einer Krise unseres Bildungssystems. Auch ist symptomatisch, dass in den Medien, aber auch in den Ministerien, kaum noch zwischen Fachhochschule und Universität unterschieden wird und dass es an einer neuen, überzeugenden Definition des Wesens einer Universität fehlt.

"Bildung" muss sein. Seit den achtziger Jahren ist der Bildungsbegriff in der pädagogischen und religionspädagogischen Theoriediskussion wieder stark aufgewertet, und um die Leitfrage der sechziger und siebziger Jahre nach "gesellschaftspolitischer Relevanz" ist es ruhiger geworden, analog zur Wiederentdeckung der "Tugend" im ethischen Diskurs. Doch ist kaum noch die Rede von allgemeiner Volksbildung, dagegen wird gute Schulbildung und besonders gute Bildung an den Fachhochschulen, Hochschulen und vor allem an den Universitäten gefordert. Das hohe Gut Bildung gilt sozusagen als ein unverzichtbares "Humankapital". Und weil in Deutschland auch wieder der Ruf nach Eliteförderung lauter geworden ist, wird der "Bildung" auch zugetraut, dass sie eine Elite in besonderem Maße heranschafft. Hatte es nach 1919 bis in die achtziger Jahre in Deutschland "Volksbildungsministerien" gegeben - eine Bezeichnung, die freilich durch die letzte Volksbildungsministerin der DDR, Margot Honecker, diskreditiert wurde -, so hat sich am Ende des Jahrhunderts die gesamte Wissenschaftspolitik des Begriffes "Bildung" bemächtigt. Auch von "Allgemeinbildung" ist heute wenig die Rede. Auch sie gilt schlechthin als "Bildung", wie der große Erfolg des gleichnamigen Buches von Dietrich Schwanitz (1. Aufl. 2001) zeigt, welches doch nur ein "Ver-fügungswissen", d. h. Orientierungswissen vermittelt. Nach Max Scheler wäre das aber nur die unterste Stufe von Bildung. Die alte Bezeichnung "Kultusministerium" ist verschwunden, und überall in deutschen Ländern sind an die Stelle Ministerien mit blumigen Titeln getreten, die meist nicht auf den Begriff "Bildung" verzichten wollen. Neuerdings regiert über allem sogar eine "Bundesministerin für Bildung und Forschung". Das alte schleswig-holsteinische Kultusministerium in Kiel heißt zur Zeit "Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur". Demnach wäre Bildung sogar etwas anderes als Wissenschaft und Forschung und sogar etwas anderes als Kultur. Doch ist eher anzunehmen, dass sich hinter einem derartig pleonastischen Titel einer obersten Landesbehörde nur Ratlosigkeit verbirgt (angesichts der mit jedem Regierungswechsel auch wechselnden Titel dieses Ministeriums hat sich der Brauch erhalten, weiterhin nur vom "Kultusministerium" zu reden). Man weiß nicht mehr, was Bildung eigentlich ist. Und so ist es: Aus einem Grundbegriff der deutschsprachigen Pädagogik ist eine Chiffre für alles Mögliche geworden, was irgendwie mit Wissenschaft, Forschung, Schule und Kultur zu tun hat. Am klarsten reden nach meinem Eindruck diejenigen Politiker, die den Begriff "Ausbildung" statt "Bildung" verwenden. Denn überwiegend ist im öffentlichen Diskurs das Bildungs-Thema besetzt von der Vorstellung, dass Bildung so etwas wie gute Ausbildung zum Ziele beruflicher oder wissenschaftlicher Qualifikationen bedeute. Aber ist damit der Begriff "Bildung" erledigt, indem wir ihn durch den der "Ausbildung" ersetzen?

Gerade bei deutschen Akademikern hat sich immer noch die Vorstellung erhalten, dass im alten Wort "Bildung" mehr liegt, als die Hoffnung auf viel Wissen, viel Erfolg im Beruf und auf äußeren Wohlstand sowohl Einzelner als schließlich der Nation. Wilhelm Voßkamp hat 1999 aus Anlass des 250. Geburtstages von Johann Wolfgang Goethe unter der Überschrift "Bildung ist mehr als Wissen" gesagt: "Eine durch die digitalen Medien dominierte Wissensgesellschaft muß nach Antworten fragen, die- jenseits bloßer Informationen und Informationsvermehrung - auf Möglichkeiten einer kulturellen Synthesisfunktion zielen. Daß hier das Konzept Bildung folgerichtig zum Thema wird, liegt auf der Hand", und Voßkamp kann sich dabei sogar auf eine neueste Äußerung von Hubert Markel, eines Spitzenfunktionärs deutscher Forschungspolitik berufen: "Gegen Information hilft nur Bildung". Ähnlich lautet auch die Antwort des Biochemikers Benno Parthier auf die Frage "Was ist Bildung?": "Das Gegenteil von Multimedia".1

Mein Beitrag zu diesem wichtigen aktuellen Thema soll nur darin bestehen, dass ich ein paar eigene Beobachtungen aus der ältesten Geschichte des Begriffes "Bildung" mitteile und schließlich an die Wissenschaftsethik Adolf von Harnacks erinnere, der als Theologe und Kulturpolitiker heute noch dazu anregen kann, möglichst vorsichtig mit dem Wort "Bildung" umzugehen. Meine Beobachtungen könnten für die weitere Erörterung nicht unnützlich sein. Gewiss darf die Bedeutung etymologischer und begriffsgeschichtlicher Forschung nicht überschätzt werden. Zu sehr können einzelne Worte ihre ursprüngliche Bedeutung verlieren, und gelegentlich kann das Studium ihrer Geschichte auch zu der erstaunlichen Erkenntnis führen, dass der Bedeutungswandel eines Wortes sogar zur völligen Verfremdung seines ursprünglichen Sinnes führte. Das ist z. B. der Fall beim alten deutschen Wort "Einbildung". Aber so ist es bei der Geschichte des Wortes "Bildung" gerade nicht.

1. Das eigentümliche deutsche Wort "Bildung"

Zuerst ist festzuhalten, dass das Wort Bildung eigentümlich deutsch ist. Abgesehen vom schwedischen "bildning" (das einen klassischen Germanismus darstellt) und dem ähnlichen Wort im Russischen (das ebenfalls vom Deutschen beeinflusst sein dürfte) hat vorrangig die deutsche Sprache diesem doch sehr schönen und gehaltvollen Wort "Bildung" einen so tiefen pädagogischen Sinn gegeben. Es ist schön, weil es von Anfang an auch eine ästhetische Erziehung bezeichnet hat, und in ihm liegt von Anfang an etwas Geistvolles, weil Bildung die Erziehung zu geistiger Selbständigkeit bedeutet. Andere große westliche Kultursprachen wie das Englische und Französische und Italienische haben keinen vergleichbaren Begriff. Sie sprechen nüchtern von "Erziehung" (education), wo im Deutschen die "Bildung" steht. Nicht einmal die alten Griechen und Lateiner haben mit "Paideia" oder "Eruditio" ein entsprechendes Wort. Unser schönes Wort "Bildung" muss um die Mitte des 18. Jh.s allerorten aufgetaucht sein und wurde seit etwa 1800 zu einem Kernbegriff deutscher Kultur.2 Daher ist es aber auch früh schon kritisiert worden. Noch vor einigen Jahren wurde von französischer Seite polemisch behauptet, dass die Vorstellung von Bildung als einer totalen Verschmelzung von politischer Gemeinschaft und individueller Persönlichkeitsentwicklung ("holisme de la communité + individualisme du developpement de soi") eine typisch deutsche Ideologie der Reaktion auf die westlich-aufgeklärte Zivilisation seit dem 18. Jh. darstelle.3 Dieser Vorwurf sollte in der Tat nicht zu leicht genommen werden. Angeblich sehr deutsche Tugenden wie Gründlichkeit, aber auch Perfektionismus und Tiefsinnigkeit hängen womöglich mit der Geschichte des deutschen Bildungssystems als einer Geschichte der Reaktion auf westliche Aufklärung und französische Revolution zusammen. Solch Vorwurf könnte zum Beispiel auf den träumenden Romantiker Novalis zutreffen, der im "bildenden Tiefsinn" die edelste Kraft des menschlichen Gemüts erkannte.4

Doch bekanntlich hatte schon der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche die Bildungs-Beflissenheit seiner Landsleute ins Lächerliche zu ziehen versucht. Der so genannte Gebildete erschien ihm wie das Zerrbild eines "Bildungsphilisters": Dieser "schleppt zuletzt eine ungeheure Menge von unverdaulichen Wissenssteinen mit sich herum, die dann bei Gelegenheit auch ordentlich im Leibe rumpeln [...] Das Wissen, das im Übermaße ohne Hunger, ja wider das Bedürfnis aufgenommen wird, wirkt jetzt nicht mehr als umgestaltendes, nach außen treibendes Motiv und bleibt in einer gewissen chaotischen Innenwelt verborgen ...". Die moderne Bildung ist für Nietzsche "nichts Lebendiges": "Sie ist gar keine wirkliche Bildung, es bleibt in ihr bei dem Bildungsgedanken, bei dem Bildungs-Gefühl, es wird kein Bildungs-Entschluß daraus". Auch Nietzsche kritisierte also keineswegs eine "wirkliche Bildung", sondern eine falsche Bildung, die in mystischer Selbstreflexion verharrt und daher nicht handlungsorientiert ist. Andererseits sucht eine so kritisierte Bildung, die kein "nach außen treibendes Motiv" hat, mit willkürlichen Anleihen aus der europäischen Kulturgeschichte sich zu schmücken und zu legitimieren. Für Nietzsche war gerade der so genannte Gebildete seiner Zeit oberflächlich und modisch, weil er in der Kulturgeschichte nach Themen suchte, die seinen modernen Bedürfnissen entsprachen. Nach Nietzsches Worten ist ein typisch deutscher "Bildungsphilister" dem Wahn verfallen, "daß er überall das gleichförmige Gepräge seiner selbst wiederfindet".5 Nietzsches "Bildungs-Kritik" zielte aber weniger auf die deutsche klassische Bildungstradition bei Wilhelm von Humboldt und Goethe als vielmehr auf die Verbindung von politischer Macht und Kultur in den "Gründerjahren" des wilhelminischen Kaiserreiches vor 1900. Wie recht Nietzsche darüber hinaus hatte, zeigt die Geschichte des deutschen Humanistischen Gymnasiums noch bis in unsere Generation, wo sich der altsprachliche Unterricht überwiegend auf Themen der griechisch-römischen Militärgeschichte konzentrierte, die nun einmal im preußischen Militärstaat als aktuell galt.

2. Pietistische Bild-Frömmigkeit

Bei aller Kritik am Begriff "Bildung" bleibt es doch auch im Sine Nietzsches eine Aufgabe, darüber nachzudenken, was "wirkliche Bildung" ist. Dazu möchte auch ich mit meinen Beobachtungen zum Ursprung des deutschen Wortes "Bildung" anregen. Das Ergebnis sei in einer These vorangestellt: Das eigentümlich deutsche Wort "Bildung" ist abgeleitet von der "Imago Dei"-Vorstellung altchristlicher patristischer Theologie, die im 17. und 18. Jahrhundert im deutschen Pietismus wieder auflebte: Der Mensch ist geschaffen nach dem Bilde Gottes und der Christenmensch ist neu geschaffen, um auf das Bild des Gottmenschen Christus hinzuleben. An sich liegt es nahe, im Wort "Bildung" semantisch eine Ableitung vom Nomen "Bild" zu sehen. Allein die Wortform "Bildung" deutet darauf hin, dass nicht ein Zustand, sondern eine Bewegung auf ein Ziel hin gemeint ist. Tatsächlich belehrt uns die alttestamentliche Exegese, dass im Schöpfungsbericht der Genesis (1, 26 f. und 9,6) die Gottebenbildlichkeit des Menschen weniger eine Seinsqualität als vielmehr und entscheidend eine Beauftragung und die Bestimmung des Menschen ausdrückt. Die griechische und lateinische Bibel (LXX und Vulgata) hatten den funktionalen und teleologischen Sinn der Gottebenbildlichkeit des Menschen dann ausführlich zum Ausdruck gebracht, indem sie deutlich zwischen Bild (eikon, imago) und Ähnlichkeit (homoiosis, similitudo) unterschieden. Eine streng lutherische Theologie war allerdings an der Gottebenbildlichkeit des Menschen wegen einer missbräuchlichen Auslegung dieser Grundstelle christlicher Anthropologie im Mittelalter weniger interessiert. Dieses altlutherische Desinteresse war zumal durch den Vorwurf der Reformatoren veranlasst, dass im Mittelalter das freiwillige Streben nach Gottähnlichkeit unter Berufung auf den Schöpfungsbericht (Gen 1,27, Vulgata) nichts anderes als Werkgerechtigkeit gewesen sei.6 Jedoch im deutschen Pietismus seit dem 17. Jh. änderte sich das. Gerade frühe lutherische Pietisten wie Johann Arndt, Gottfried Arnold und andere waren an der biblischen Imago Dei-Lehre wieder stark interessiert, und sie verstanden diese Lehre als Ausdruck einer Heilsökonomie, wonach die Erschaffung des Menschen durch Gottes Heilsplan vollendet wird in der Erlösung des Menschen durch Jesus Christus. Dementsprechend wurde im Pietismus von größter Bedeutung, dass im Neuen Testament die alttestamentliche Imago Dei-Lehre fast nur als eine Imago Christi-Lehre wiederkehrt. Christus allein ist, wie es in den Paulusbriefen klar heißt, "das Bild des unsichtbaren Gottes" (u. a. Kol 1,15; vgl. 2Kor 4,4).7 Die dominante Rolle der Imago Dei-Lehre im Pietismus ist von der Pietismusforschung bisher nach meiner Kenntnis zu wenig beachtet worden. Man stößt aber sofort darauf, wenn man die Rezeption der patristischen Spiritualität bei den deutschen lutherischen Pietisten beachtet. Diese Rezeption ist erheblich gewesen. So gehörten die Homilien des Mönchsvaters Makarius (in der Forschung Symeon-Makarios oder Pseudo-Makarios genannt) aus dem vierten Jh., die voll von einer geistlichen Bild-Theologie sind, zur Lieblingslektüre sowohl Johann Arndts (1555-1621) als auch Gottfried Arnolds (1666-1714), der 1699 die Makarius-Homilien auch ins Deutsche übersetzt hatte. Auch die bis heute übliche Paragrapheneinteilung in den Makarius-Homilien hatte Gottfried Arnold geschaffen.8

Ein sprechendes Beispiel für die seelsorgerliche Praxis des Kirchenvaters Makarius, der im vierten Jh. lebte, ist seine Auslegung des Gleichnisses Jesu vom verlorenen Groschen (Lk 15, 8-10): Ähnlich Origenes und Gregor von Nyssa predigt Makarius von der Notwendigkeit des göttlichen Lichtes für die Seele. Dieses Licht ist der Heilige Geist, der "ein himmlisches Bild in die Menschheit eingeprägt hat". Die Witwe, die nach dieser verlorenen Münze sucht, ist ein Gleichnis für die menschliche Seele, die mit Hilfe des Lichtes des Heiligen Geistes ihr menschliches Dasein in seiner Hässlichkeit und Unreinheit durchleuchtet. Da findet die Seele zu sich selbst, ja sie findet in sich selbst ihr eigenes göttliches Bild, welches sie durch Übertreten der Gebote und Vertreibung aus dem Paradiese verloren hatte. Auffallenderweise spricht Makarius von einer "Witwe", nicht von einer "Frau" wie der Evangelist Lukas (darauf ist gleich zurückzukommen). Makarius kann auch sagen, dass der Mensch, der das Gebot Gottes übertreten hat, von der göttlichen Erbschaft im kommenden Paradies ausgeschlossen ist. Er existiert wie wertloses Falschgeld, wogegen die Nachahmer Christi und Miterben Christi wie eine echte wertvolle Münze das Bild des Königs tragen. Denn sie haben weder das ihnen seit der Schöpfung eingestiftete Bild Gottes noch das erlösende Bild Christi, das Bild der Verheißung, verloren. Es gibt etliche derartige Beispiele einer Imago Dei-/Imago Christi-Lehre in den Homilien des Makarius.9

Von vornherein ist allerdings zu beachten, dass im frühen lutherischen Pietismus der Begriff "Bildung" an sich zwar noch nicht vorkommt, aber er wird hier entscheidend vorbereitet. Dazu gebe ich nur einige Hinweise: Johann Arndts "Vier Bücher vom wahren Christentum" wurden seit der ersten Auflage (1605-1610) bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert zu einem der beliebtesten Erbauungsbücher des Protestantismus. Die Beliebtheit dieses "Wahren Christentums" bezeugt seine weite Verbreitung, zumal auch in den lutherischen Ländern Skandinaviens und des Baltikums. Durchaus glaubhaft sind Nachrichten aus dem 17. Jh., wonach Arndt jenen alten Kirchenvater Makarios auswendig zitieren konnte. Arndt hatte also gewiss nicht nur durch Lektüre mittelalterlicher Mystiker, wie besonders Johann Tauler, die christliche Imago Dei-Lehre wiederentdeckt.10 In allen "Vier Büchern vom wahren Christentum" begegnet eine Fülle von Auslegungen der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Gleich das erste Kapitel des ersten Buches ist überschrieben: "Was das Bild Gottes im Menschen sey" und dann wird ausgeführt, wie der wahre Christ "nach dem Bilde Gottes täglich erneuert werden und in der neuen Geburt leben müsse"; "je reiner und lauter die menschliche Seele, je [= desto] klarer Gottes Bild darin leuchtet". Immer wieder zeigt Johann Arndt, wie diese Geschichte christlicher Erlösung für den Einzelnen zu einem lebenslangen Prozess, ja zu einer alltäglichen Geschichte wird; denn "das ganze Christentum stehet in der Wieder-Aufrichtung des Bildes Gottes im Menschen, und in der Austilgung des Bildes des Satans".11

Das erste Kapitel des ersten Buches von Arndts "Wahrem Christentum" wird in einer Ausgabe von 1716 eröffnet mit einem Kupferstich, der Mann und Frau bei der Wiederentdeckung der Zehn Gebote zeigt. Darüber stehen die Worte: "Das Reine im Reinen", darunter steht ein Satz, der auffallend der makarianischen Auslegung des Gleichnisses vom verlorenen und wiedergefundenen Groschen und dem Vergleich der Gottebenbildlichkeit mit einer Geldmünze entspricht: "Das Bildnis Gottes ist der Seelen eingeprägt, wohl dem der solche Müntz in reiner Seiden trägt".12 Immer wieder zeigt Johann Arndt, wie der wahre Christ das Bild Christi in sich trägt, wie er sich selbst in den gekreuzigten Christus "verbildet" (vgl. 2Kor 3,18) und wie sich seinem Glauben eine ästhetische Dimension Gottes eröffnet. Denn Gott ist "aller schönen Dinge Schönheit, aller lieblichen Dinge Lieblichkeit, aller lebendigen Leben, er ist alles". Zum Schluss der "Vier Bücher" spricht Arndt in einer zur neuzeitlichen Entdeckung der Menschenrechte schon passenden Weise davon, "daß alle Menschen sich untereinander für einen Menschen halten sollen [....] darum hat Gott allen Creaturen geboten, dem Menschen zu dienen und den Menschen zu ehren, weil der Mensch nach Gottes Bilde geschaffen ist". Arndt spricht nicht alttestamentlich von der Herrschaft des Menschen über die Schöpfung (dominium terrae, vgl. Gen 1,28), sondern im Sinne des Neuen Testamentes von einer Dienstgemeinschaft: "Dieweil nun die unvernünftigen Creaturen dir darum dienen und dich ehren, daß du nach Gottes Bilde geschaffen, viel mehr sollst du deinem Nächsten dienen und ihn ehren, weil er auch nach Gottes Bild geschaffen".13 - Es ist hier nicht auszuführen, aber gut zu belegen, wie sehr schon Amos Comenius (1592- 1670) auch von Johann Arndt beeinflusst war, und wie schon dieser große böhmische Pädagoge in seiner "Didactica Magna" die Notwendigkeit breitester Volkserziehung mit der biblischen Imago Dei-Lehre begründet und daher z. B. auch die Einrichtung von Mädchenschulen gefordert hatte.14

Doch die Pflege des inneren Christus-Bildes war im Zeitalter des Barock allerorten eine theologische Selbstverständlichkeit, die nicht nur bei frühen Pietisten, sondern auch bei frommen orthodoxen Lutheranern begegnet. Es sei nur an die Choräle Paul Gerhardts erinnert, etwa an sein Passionslied "O Haupt voll Blut und Wunden" mit seiner ergreifenden Schlussstrophe: "Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod und laß mich sehn dein Bilde in deiner Kreuzesnot ..." (1656), oder an die Verbildlichung Jesu Christi in den Texten der Passionen, Oratorien und Kantaten Johann Sebastian Bachs oder an Johann Schefflers "Liebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemacht ..." (1656), das einzige im neuen Gesangbuch erhaltene Lied, welches die Gottebenbildlichkeit im Titel hat.

Ein anderer wegen seiner inneren Bildfrömmigkeit hier zu nennender großer Theologe war jener Gottfried Arnold, der freilich, fast ein Jahrhundert nach Arndt und doch diesem tief verpflichtet, schon in die hohe Zeit des lutherischen Pietismus gehört. Auch Gottfried Arnolds Schriften waren rasch weit verbreitet bis in den Norden und Osten Europas. Dazu hat gewiss auch beigetragen, dass Arnold nicht nur seine Erbauungsschriften, sondern auch seine wissenschaftlichen Arbeiten in deutscher Sprache verfasste. So war Arnold auch einer der Pioniere einer deutschsprachigen Geisteswissenschaft. Gottfried Arnold war als Übersetzer der Homilien des Makarius ins Deutsche mit diesem Kirchenvater natürlich ebenso vertraut wie Johann Arndt. Die Fülle der Makarius-Zitate und Anspielungen im Werk Arnolds hat Hermann Dörries nachgewiesen. Das betrifft nicht nur Arnolds berühmtes Hauptwerk, die "Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie" (1699), sondern ebenso die kurz vorher erschienene, seinerzeit populäre Geschichte des Urchristentums, der Arnold den bezeichnenden Titel gab: "Die erste Liebe der Gemeinen [=Gemeinde] Jesu Christi, das ist, wahre Abbildung der ersten Christen nach ihrem lebendigen Glauben und heiligen Leben ..." (1695).15

Gegen Ende seines Lebens hat Arnold dieses Thema wieder aufgenommen. Der meist nur kurz zitierte Titel eines Buches von 1709 "Inwendiges Christentum" lautet nämlich vollständig: "Wahre Abbildung des inwendigen Christentums". Arnolds Begriff "Abbildung" kommt dem eine Generation danach in Deutschland so beliebt werdenden Begriff "Bildung" schon ziemlich nahe. Denn für Arnold bedeutet der Begriff "Abbildung" nicht nur die Vorstellung, eine klassische Epoche der Kirchengeschichte abzubilden - das waren für ihn besonders die vorkonstantinische Zeit, aber auch andere Zeiten "inwendigen" Christentums, wie das Zeitalter des alten Mönchtums, sondern diese geschichtswissenschaftliche Vorstellung verbindet sich bei Arnold mit persönlicher, eigener Erfahrung. "Abbildung" führt zur Aufklärung: Sie zeigt die Wirkung des "hellen Lichtes"; sie lässt die Ursprungswahrheit "aufleuchten", sie stellt diese "ans Licht". Dem Kirchenhistoriker Arnold ging es letztlich auch nur darum, aufzuklären über das "Wunder des göttlichen Ebenbildes". Die "Abbildung der ersten Christen" erfüllt sich in der Wiederentdeckung des Bildes Christi durch den einzelnen Christen. So führt echte theologische Wissenschaft zu lebendiger eigener Erkenntnis und Erfahrung, wie Arnold in seinem letzten Werk "Theologia experimentalis" (1714) ausführt.16 Auch Gottfried Arnold kann, wie Johann Arndt, das Suchen nach dem göttlichen Urbild in der eigenen Seele mit dem Suchen der Witwe im neutestamentlichen Gleichnis vergleichen (Luk 15,8-10). Auch Gottfried Arnold spricht also wie Makarius und gegen den Wortlaut von Lukas 15, Vers 8 von einer "Witwe", nicht von einer "Frau". Dieses an sich nebensächliche Detail zeigt, wie wichtig für diesen Pietisten die Patristik war!17

Eindrucksvoll poetisch hat Arnold seine Imago Christi-Lehre in seinem Choral "O Durchbrecher aller Bande" (1698) verdichtet. Es ist ein Christus-Hymnus. Ich halte diese auch im neuen deutschen Evangelischen Gesangbuch erhaltene wunderbare Poesie für einen voraufgeklärten Freiheitstext aus dem Geist des Pietismus: "... Schau doch aber unsere Ketten, da wir mit der Kreatur seufzen, ringen, schreien, beten um Erlösung von Natur [... ], denn die Last treibt uns zu rufen, alle flehen wir dich an: zeig doch nur die ersten Stufen der gebrochnen Freiheitsbahn". Schließlich das Bildung-Thema, bei Arnold noch verbal und passiv beschrieben als ein "gebildet werden" (vgl. 2Kor 3,18): "Ach wie teuer sind wir erworben, nicht der Menschen Knecht zu sein! Drum so wahr du bist gestorben, mußt du uns auch machen rein, rein und frei und ganz vollkommen, nach dem besten Bild gebild(e)t; der hat Gnad um Gnad genommen, wer aus deiner Füll sich füllt [...] Doch wohlan, du wirst nicht säumen, laß uns nur nicht lässig sein; werden wir doch als wie träumen, wenn die Freiheit bricht herein". Ähnlich Arnold heißt es 1729 in einem Lied von Johann Jakob Rambach, einem Vertreter des hallischen Pietismus: "Ach drücke selbst dein Bild recht tief in meinen Sinn, erwähle mein Gemüte zum Tempel deiner Güte ...". Generationen von jungen evangelischen Deutschen hatte sich auch dieser Text tief eingeprägt; denn er steht in einem noch bis ins 20. Jh. beliebten Konfirmationschoral: "Mein Schöpfer, steh mir bei". Rambach kann tatsächlich einmal von der "Bildung des neuen Menschen nach dem Bilde Christi in der Seele" sprechen.18

Bevor wir uns der tatsächlichen pädagogischen Entstehung des deutschen Wortes "Bildung" zuwenden, sei kurz innegehalten. Jene frühen lutherisch-pietistischen Texte mit so weiter kirchlicher und literarischer Ausstrahlung gehören gewiss in die unmittelbare Vorgeschichte des seit der Mitte des 18. Jh.s sich schlagartig durchsetzenden Leitwortes der deutschen Pädagogik "Bildung". Schon in Wilhelm von Humboldts zentralen Äußerungen zu "Bildung" schimmern Zusammenhänge mit jener älteren Tradition auf, so in seiner berühmten Definition vom Zweck des Menschen: "Der wahre Zweck des Menschen - nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Natur ihm vorschreibt - ist die höchste und proportionirlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen" (1792).19 Schon längst hat man in Humboldts Bildungs-Ideal mit seiner steten Aufforderung sich zu vervollkommnen eine alte christliche Hoffnung erkannt. Das "Ziel unserer Bildung" besteht, wie ein Weggenosse Humboldts (Friedrich Ast) bemerkte, darin, "in das Paradies zurückzukehren, aus dem der Mensch entweichen mußte, um zur Selbsterkenntnis zu kommen".20 Auch bei dem jungen Humboldt findet sich die so ganz altkirchlich und altpietistisch anmutende Vorstellung von "Bildung" als innerseelischer Anschauung: "Denn alle Bildung hat ihren Ursprung allein in dem Innern der Seele und kann durch äußere Veranstaltungen nur veranlaßt, nie hervorgebracht werden". Und der sittliche Mensch bildet sich "durch das Anschauen der höchsten idealischen Vollkommenheit im Bilde der Gottheit".21 Aber auch Goethisches Vollkommenheitsstreben, auch der typisch deutsche Bildungsroman von Karl Moritz ("Anton Raiser") und Goethe ("Wilhelm Meister") bis Gottfried Keller ("Der grüne Heinrich") und Wilhelm Raabe ("Der Hungerpastor") als Darstellungen je eigener menschlicher Selbstfindungen, ja auch noch das Ringen um ein echtes Verständnis von Bildung heute bei Hartmut von Hentig mit den Leitthesen u.a. "Der Mensch bildet sich" und "Das Leben bildet" oder die Definition von Bildung bei Jürgen Mittelstraß: "Verwandlung der Welt in das Ich", lassen sich nicht ganz trennen von jener in der protestantischen Religion der Neuzeit begründeten Imago Dei/ Imago Christi-Lehre.22 Und jene Lehre war nicht irgendwie "mystisch" geartet, sondern sie war sowohl schöpfungstheologisch als auch inkarnationstheologisch begründet. Noch war sie kirchlich und lutherisch.

3. Klopstocks "Messias" als Quelle

Wann endlich aber kam das Wort "Bildung" sozusagen als Modewort auf und wem verdankt es seine alsbald so weite Verbreitung? Die Antwort ist nicht schwer zu finden. Es kommt nur ein deutscher Dichter in Frage; es ist der studierte Theologe Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803), und das Werk, in welchem dieses Wort in seiner erzieherischen Bedeutung entstand, sind die drei ersten Gesänge von Klopstocks "Messias", erschienen 1748/49 in Bremen, aber gedichtet in Leipzig.

Klopstocks Rolle in der Geschichte unseres Wortes ist zwar in der breiten "Bildung"-Literatur nicht unbeachtet geblieben. Schon 1931 war in der tüchtigen germanistischen Dissertation von Ilse Schaarschmidt erkannt worden, wie Klopstock das Tätigkeitswort "bilden" erstmals so verwendet, dass es unmerklich in den pädagogischen Begriff übergeht.23 Klopstock spielt in der Geschichte dieses Wortes als eines Zentralbegriffs deutschsprachiger Pädagogik tatsächlich eine entscheidende Rolle. Für verfehlt halte ich die Herleitung des Begriffes von Meister Eckhart, wie in der neueren Literatur seit Trübner immer wieder behauptet wird.24 Dagegen spricht von vornherein das Faktum, dass der altdeutsche Mystiker und Dominikanertheologe im 18. und 19. Jh. so gut wie unbekannt war und sich erst im 20. Jh. zunehmender Beliebtheit unter Germanisten und Theologen erfreute.

Man findet in Klopstocks "Messias" zehn Stellen mit dem Wort "Bildung", davon drei im Plural "Bildungen". Was alle diese Stellen auszeichnet, ist, dass Bildung hier noch ganz religiös begriffen wird, sowohl als Ausdruck der Schönheit im verlorenen Paradies als auch im kommenden Paradies des himmlischen Reiches. Daher ist Bildung im "Messias" ein zielgerichteter, ein teleologischer Begriff. An ihm lässt sich die von Gott gewollte Einheit von Schöpfung und Erlösung begreifen, so wie sich diese Einheit am schönsten in der Gottebenbildlichkeit des Menschen und ihrer Erfüllung im Bilde des Messias Jesus kundtut.

Nacheinander seien diese Stellen kurz, ohne Kontextexegese vorgestellt. Sie lassen so schon ahnen, wie tief sie verwurzelt sind in der Sprache eines alten lutherischen Pietismus, der von Johann Arndt bis zu Gottfried Arnold und weit darüber hinaus nachwirkte.25

1. Gleich zu Beginn des ersten Gesangs malt Klopstock ein Bild vom Garten Eden und vom ersten Menschen darin, der im Heilswerk Jesu erneuert wurde: "Laßt uns das Bild der Gottheit von neuem im Menschen erschaffen! Also erfanden wir unser Geheimnis, das Blut der Versöhnung, und die zum ewigen Bilde verneuerte Schöpfung der Menschen" (I, 96-99). Das "Hervorgehen" des Messias, des "Erstgeborenen der Schöpfung" (Kol 1,15) verbindet sich mit der Erschaffung der Engel: "Damals, ja damals erschuf er euch, Seraphim, Geistergeschöpfe, voll von Gedanken, voll mächtiger Kräfte, des Ewigen Bildung ..." (I, 261-275).

2. Jesus der Messias ist der neue Adam und der Engel Gabriel (den Christen wohlbekannt aus der weihnachtlichen Verkündigung an Maria) ist der Prophet des neuen Bundes, der auch in den Märtyrern "die himmlischen Bildungen" sieht. Der neue Adam - "ein ätherischer Leib helleuchtend gebildet, hüllte den seligen Geist in eine verklärte Behausung ..." (I, 464-477).

3. Klopstock hatte in seinem Liebesgedicht "Das Rosenband", einer seiner frühen lyrischen Texte, die schlafende Geliebte Meta, seine künftige Frau, und ihr Erwachen wunderbar mit Worten gemalt: "In Frühlingsschatten fand ich sie ..." Das religiöse Gefühl war dort zum Gefühl irdischer Liebe geworden. Sehr ähnlich, doch hier im "Messias" nur religiös, erklärt Klopstock den schlafenden Jesus zum Heiland der Welt: "Gabriel ging in der Nacht, und suchte mit sehnlichen Blicken seinen Messias. Er fand ihn in einem niedrigen Tale, das sich zwischen den Gipfeln des himmlischen Ölbergs hinabließ. Hier war der göttliche Mittler, von tiefen Gedanken ermüdet, eingeschlafen [...] Gabriel sah den Mittler in süßem luftigen Schlafe, stand voll Verwunderung still, und sah unverwandt nach der Schönheit, die die vereinbarte Gottheit der menschlichen Bildung erteilte" (I, 519-527).

4. Schon Adam, der erste Mensch, der fast Engelgleiche, lebte auf die christliche Erlösung hin: "Unter den Vätern war einer von hohem denkenden Ansehen, Adam, der Sohn der erwachenden Erd und der Bildungen Gottes. Gabriel, er und der Herrscher der Sonnen erwarteten sehnlich, unter Gesprächen vom Heile des Menschen, den Anblick des Ölberges" (I, 701-705).

5. Die Menschwerdung Gottes feiert Klopstock als Inbegriff von Schönheit und Bildung mit den Worten: "Wie er so schön ist! O, unser Messias in menschlicher Bildung! Wie sich in seinem erhabenen Ansehen die Gottheit enthüllet ..." (II, 15). Diese Stelle veranschaulicht die auch vom Pietismus verbreitete Anthropologie einer Vollendung des Menschen als "Imago Dei" im Menschsein als "Imago Christi", ganz im Sinne des neutestamentlichen Kolosserbriefes: Christus ist "das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung" (Kol 1,15): "Bethlehem, wo ihn Maria gebar, und ihn brünstig umarmte, sei du mir mein Eden [...] Heilig bist du, und anbetenswürdig und Ewig, o Erster! Der du dir deinen göttlichen Sohn von Ewigkeit zeugtest, und ihn nach dem Bilde gezeugt, zum Erlöser der Menschen, meines von mir beweinten Geschlechts, erbarmend erwähltest" (II, 29-46).

6. Auch ein Repräsentant des Heidentums wie Nebukadnezar hat vollen Anteil an solcher "Bildung", die zur "Anschauung des Himmels" führt: "Also entfloh vom hohen Euphrates Nebucadnezar, da ihm der Ratschluß der heiligen Wächter die menschliche Bildung wiederum gab, und ihn zum Anschaun des Himmels erhöhte" (II, 199 f.).

7. Sogar Satan muß bekennen, daß die unsterblichen Seelen der Menschen des Himmels "Bildungen" sind: "Kann etwa des Himmels Bewohner seiner Bildungen mühsames Werk, die unsterblichen Seelen, vor mir beschützen ...?" (II, 530 f.).

8. Klopstocks Bildungs-Erlebnis, wenn man so sagen darf, gipfelt in der Hoffnung auf Auferstehung aus dem Grabe: "Dann sollen erst meine Freunde und die Engel mein Grab mit Lorbeeren und Palmen umpflanzen, daß wenn ich einst nach himmlischer Bildung vom Tode erwache, meine verklärte Gestalt aus stillen Hainen hervorgeh" (III, 9 f.).

9. Wie beim alten Kirchenvater Makarios und wie bei den Pietisten wird der auferstandene Mensch zu einem Körper ganz aus Geist gebildet, zu einer geistlichen Bildung völlig neuer Schönheit: "Ja er wird schön sein, und deinem Leibe, Messias, gleichen, den nun bald der göttliche Geist, zum schönsten der Menschen bilden wird, zum schönsten vor allen Kindern von Adam [...] Herrlich nach himmlischer Bildung mit neuer Schönheit umkränzet, wird er dich hoch in kommenden Wolken, du Richter der Menschen, Deinem Messias entgegen, zu seinen Umarmungen führen" (III, 511-520).

10. Schließlich ist für alle Jünger Jesu, sogar für Judas Ischarioth einst und für das jüdische Volk am Ende der Weltgeschichte auch große Hoffnung angesagt: "wenn der Messias durch dich ein neues Königreich anfängt" (III, 762). Noch bleibt nämlich das Wort des Messias in Kraft: "Noch seh ich den Menschen von so göttlicher Bildung bei meinen Unsterblichen wandeln" (III, 713).

Gegen eine monokausale Herleitung des deutschen Bildungsbegriffes aus dem "Messias" Klopstocks lässt sich gewiss einiges einwenden, z. B. dass das Wort "Bildung" schon einmal 1742 in der deutschen Übersetzung des englischen "The lost paradise" von Johann Milton (1667) auftaucht. Diese Übersetzung unter dem Titel "Episches Gedichte von dem verlohrenen Paradiese" hatte der Schweizer Historiker und Literat Johann Jakob Bodmer (1698-1783) besorgt.26 Bodmer selbst war ein Förderer Klopstocks und seines "Messias" gewesen. Und Miltons "Lost paradise" hatte schon vor Klopstock erfolgreich demonstriert, wie die frühe Aufklärungsdichtung mit dem Thema des Gartens Eden und des paradiesischen Lebens von Adam und Eva einer weit verbreiteten stimmungsvollen Orientierungssuche entsprochen hatte. Aber weder Milton noch Bodmer lassen sich derartig theologisch-heilsgeschichtlich, nämlich pietistisch, verorten, wie das in Klopstocks Messias möglich ist. Für diese pietistische Herkunft spricht ja nicht nur der Inhalt des "Messias", sondern auch die Jugendbiographie Klopstocks. Immerhin war ihm nach der Schulzeit an der Fürstenschule Schulpforta (wo auch hernach Nietzsche "gebildet" wurde) und nach dem Studium evangelischer Theologie in Jena und Leipzig im jungen Alter von nur 24 Jahren dieser große Wurf des "Messias" gelungen. Doch die entscheidenden ersten Jahre seines Lebens hatte Klopstock im Elternhaus zu Quedlinburg verbracht. Diese kleine Stadt am Nordrand des Harzes galt im 17. und 18. Jh. als Hochburg des Pietismus. Johann Arndt und auch Gottfried Arnold hatten in Quedlinburg gewirkt und hatten dort ihre theologischen Spuren hinterlassen. In Klopstocks Bibliothek befanden sich auch Arndts "Vier Bücher vom wahren Christentum". Nun wird zwar in der germanistischen Forschung Klopstocks Beziehung zum Pietismus kontrovers diskutiert, doch leugnen lässt sich diese Beziehung keineswegs; im "Messias" ist sie evident.27

Für die Verbreitung des Begriffes "Bildung" und seine Festschreibung zu einem Zentralbegriff der deutschsprachigen Pädagogik hat zweifellos gerade die rasche Verbreitung von Klopstocks "Messias" beigetragen. Die Veröffentlichung von Klopstocks "Messias" wurde allgemein wie eine geistige Revolution empfunden und das nicht nur bei den Literaten, auch in den niedrigen Ständen - in Württemberg sollen damals Handwerker den "Messias" wie ein Erbauungsbuch gelesen und zitiert haben - auch über die Konfessionsgrenzen und über den deutschen Sprachraum hinaus. Einer gebildeten Welt heutzutage mag Klopstocks "Messias" frömmelnd und schwülstig erscheinen. Aber die nach 1750 erwachende literarische Welt des "Sturm und Drang", der deutschen "Klassik" und der deutschen Romantik war von Klopstocks "Messias" echt begeistert. Lessings Kritik wog damals noch wenig. Johann Gottfried Herder war so begeistert, dass er Klopstocks "Messias" nach Luthers Bibelübersetzung für das "erste klassische Buch" der deutschen Sprache hielt. Im "Messias" war ja ein neues verallgemeinerbares Gefühl starker menschlicher Hoffnung verdichtet worden mit damals als befreiend empfundenen neuen deutschen Sätzen und Worten - der Begriff "Bildung" steht ja als klopstocksche Wortschöpfung nicht allein da! Und diese Dichtung war geformt in klassischen Hexametern, im Rhythmus der Sprache Homers und Vergils! Und diese Dichtung wollte doch als eine eigenwillige Evangelienharmonie noch fest auf dem Boden der Bibel stehen. Die begeisterten Leser im 18. Jh. waren, anders als die modernen Leser, in der Bibel noch fest zu Hause und durften sich bei der Lektüre von Klopstocks "Messias" darum noch an eine geistliche Heimat liebevoll erinnert fühlen.28

4. Harnacks indirekte Bildungskritik

Die Geschichte des Begriffes "Bildung" hat sich im 19. und 20. Jh. mehr und mehr von seinem biblischen und pietistischen Grund gelöst. Auch an dieser späteren Begriffsgeschichte können wir eine Säkularisierung erkennen, nämlich eine Entkirchlichung, wenn doch noch nicht so sehr eine Entchristlichung der deutschen Gesellschaft. Dafür möchte ich schließlich beispielhaft und auch nur kurz auf die Wissenschaftsethik von Adolf von Harnack (1851-1930) hinweisen. Auch wenn Harnack natürlich die neueste Bildungskrise fremd sein musste, so sollte seine Stimme dennoch im neuesten Diskurs gehört werden. Mag sich bei ihm auch keine direkte Bildungskritik finden und mag er dem Humboldtschen Bildungsideal verbunden gewesen sein, da er z. B. "große" Theologen und Dichter wie Augustin und Goethe in der Epoche ihrer "Vollendung" vorstellte, so findet sich gleichwohl bei ihm verstreut eine indirekte Bildungskritik, die aktuell wirkt.29

Harnack stammte aus dem damals deutsch-baltischen Estland. Geboren am 7. Mai 1851 in Dorpat (Tartu), gehörte Harnack, der schließlich von 1888 bis zum letzten Lebensjahr 1930 an der Berliner Universität als Professor für Kirchengeschichte wirkte, zu den großen protestantischen Gelehrten im Kaiserreich und in der Weimarer Republik nach 1918. Sein Hauptforschungsgebiet war die alte Kirchengeschichte mit allen ihren Institutionen und mit ihrer Bedeutung für die soziale und politische Geschichte Europas. Harnack hat einmal sein Hauptarbeitsgebiet dankbar so beschrieben: "Die alte Kirchengeschichte ist eine Geschichte, welche die Völker Europas gemeinsam erlebt haben, und in der der wichtigste Teil der Güter beschlossen liegt, die sie gemeinsam besitzen." Harnacks große Kenntnis dieser christlichen Antike bewahrte ihn auch davor, wie es heute in der Kirchengeschichtswissenschaft leider beliebt geworden ist, sich nur auf die Erforschung der christlichen Theologie- und Dogmengeschichte zu verlegen. Harnack wollte auch keineswegs ein "Patristiker" sein - diese Bezeichnung eines Spezialisten der Theologie der Alten Kirche gab es damals fast gar nicht, und Harnack hätte diesen Titel "Patristiker" gewiss von sich gewiesen. Er wollte ein Kirchenhistoriker durch und durch sein und daher passt es nicht zu ihm, wenn man sein Lebenswerk nur nach seinen "theologischen" Hauptwerken wie seiner "Dogmengeschichte" und seinen Vorlesungen über "Das Wesen des Christentums" beurteilt. Dieser Harnack, dieser evangelische Kirchenhistoriker, war auch ein Universalhistoriker und er war ein genialer Wissenschaftspolitiker. Die wissenschaftliche Großorganisation der "Kaiser Wilhelm Gesellschaft", die heute als "Max Planck-Gesellschaft" fortbesteht, verdankt Harnack ihre Entstehung. Er war auch deren erster Präsident. Bei Harnack finden sich nun auch universitäts- und wissenschaftspolitische Anschauungen und Anregungen, die im heutigen Diskurs über die Krise unseres Bildungssystems immer noch lehrreich sein können. Wenn sich bei Harnack nur eine indirekte Bildungskritik findet, so mag das an seinem doch nur nachrangigen Interesse an Begriffsgeschichte liegen. Vorrangig ging es ihm um Geschichte, die "in der Mannigfaltigkeit des Wirklichen an die Anschauung und nicht an den Begriff gebunden" ist, wie Kurt Nowak so treffend formulierte.30

Aber Harnack war ein Meister anschaulicher Formulierungen und diese enthalten meist den Kern eines Problems. Denn Harnack verstand es, in der Fülle historischer Details immer wieder allgemeine menschliche Grundbefindlichkeiten zu beobachten, so dass ihm das Studium der Geschichte zum Studium der Gegenwart wurde. Das gar nicht ironische Bekenntnis des antiken Dichters Terenz: "Ich bin ein Mensch; ich meine, daß mir nichts Menschliches fremd ist" (homo sum, humani nihil a me alienum puto) bezeichnete Harnack auch als eine christliche Grundregel, um über Wahrheit in der Geschichte aufzuklären: "Ich bin ein Mensch; ich meine, daß mir in der Geschichte nichts fremd ist" (homo sum, nihil historici a me alienum puto).31 Das war eine gelungene Aufklärung, weil sie das menschliche Leben, das Humanum, als das geschichtlich Verbindende bis heute begriff.

Es sollte nicht verwundern, dass Harnack über den Begriff "Bildung" in seinen zahlreichen Publikationen zur Pädagogik, zu Schule, Universität und Wissenschaftsethik nicht sonderlich reflektierte. Harnack sprach nüchtern lieber von Ausbildung als von Bildung. Wahrscheinlich war schon für Harnack der Begriff "Bildung" zu einer gar zu verschwommenen elitären Sache verkommen. Des Preußen Theodor Fontane scharfe Bemerkung (1895): "Ich bin fast bis zu dem Satz gediehen: Bildung ist ein Weltunglück. Der Mensch muß klug sein, aber nicht gebildet", ist nicht gar so fern von Harnacks Reserve im Umgang mit dem Begriff "Bildung". Dietrich Bonhoeffer, der viele Semester zu Harnacks Privatseminar gehörte, rühmte gerade an seinem Lehrer das "unbeirrbare Streben nach Wahrheit und Klarheit".32 Die von mir soeben geschilderte Verwurzelung des Begriffes "Bildung" im lutherischen Pietismus war Harnack unbekannt. Das hängt freilich auch mit Harnacks eigener Ausbildung zusammen: Der für Harnacks Lebensweg so wichtige Theologe Albrecht Ritschl hatte ein seinerzeit maßgebliches Werk über die "Geschichte des Pietismus" geschrieben. Darin wird der Pietismus so sehr aus der Sicht des liberalen neunzehnten Jahrhunderts kritisiert, dass man schon von einer Verdrängung des Pietismus aus jener neuprotestantischen Theologie sprechen muß. So hatte Ritschl z. B. überhaupt nicht wahrgenommen, wie zentral die Imago Dei-/Imago Christi-Lehre im lutherischen Pietismus gewesen war.33 Harnack hätte womöglich eine solche Begriffsgeschichte zwar für interessant, aber nicht für aktuell gehalten, so wie es in einem einprägsamen Harnackschen Aphorismus heißt: "An der Frucht erkennt man den Baum, man darf aber die Frucht nicht an der Wurzel suchen". Für Harnack war seinerzeit auch die Frage nach dem "Wesen des Christentums" wichtiger als die Frage nach dem Bilde Christi in der Gegenwart. Bekanntlich gibt es bei Harnack so gut wie keine Christologie, dafür aber eine starke Jesulogie.

Ja, schon zu Harnacks Zeit war eine Verklärung des Humboldtschen Bildungsideals nicht mehr das Zeitgemäße. Notwendig war für Harnack seinerzeit die ethische Zielsetzung aller Wissenschaften und das macht seine dahingehenden Äußerungen noch heute nachdenkenswert. Harnack gab folgende Definition: "Wissenschaft ist die Erkenntnis des Wirklichen zu zweckvollem Handeln".34 Damit hatte er auch klar gesagt, dass die Wissenschaft frei in der Forschung ist, aber nicht frei in der Anwendung von Forschung. Diese Formulierung weist hin auf die Zweckbestimmtheit der Wissenschaft, d. h. auf ihren teleologischen Sinn. Das verbindet nun doch die Wissenschaftsethik Harnacks von fernher mit dem alten Humboldtschen Bildungs-Ideal und davor mit der pietistischen Imago-Lehre. Harnack gibt auch sein eigenes christliches Interesse bei der Definition von Wissenschaft offen zu erkennen, wenn er immer wieder, wie auch zum Schluss der Vorträge über das "Wesen des Christentums ..." die bleibende wissenschaftliche und kulturelle Aktualität des Doppelgebotes der Liebe, nämlich der Liebe zu Gott und der Liebe zum Nächsten (Mt 22, 37-40), hervorhebt. Damit konnte sich Harnack auch ganz mit jener akademischen Tradition verbunden wissen, die Gottfried Wilhelm Leibniz vor 1700 begründet hatte und deren Geschichte als die "Geschichte der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften" ja auch Harnack selbst ausführlich und gründlich dargestellt hatte (nota bene: Dietrich Bonhoeffer wird sich 1944 im Gefängnis der Nazis daran erinnern, dass Harnack mehrfach diese Akademiegeschichte für sein bestes wissenschaftliches Werk gehalten hat - die nüchterne Geschichte einer Institution, keine Geistesgeschichte!).35 Schon für Leibniz war das Doppelgebot der Liebe ein wissenschaftsethischer Grundsatz gewesen. Denn die von Leibniz entworfene "General-Instruction für die Sozietät der Wissenschaften vom 11. Juli 1700" hatte ihre Mitglieder gleich mit den einleitenden Sätzen auf den christlichen Zweck dieses Instituts hingewiesen, nämlich Ausbreitung der "Ehre Gottes", "dessen Liebe und Furcht als der Quelle alles Guten" und daraus folgend die Bereitschaft, "Gott und dem Vaterlande sowohl, als sich selbsten und denen Ihrigen, wie auch anderen Menschen bestens zu dienen".36

Harnacks Zweckbestimmung der Wissenschaft im Rahmen einer christlichen Liebesethik führte freilich manches Mal zu Aktualisierungen historischer Phänomene, die, so anregend sie sind, nicht völlig gefeit sind gegen historische Kritik. Es ist auch merkwürdig, dass Friedrich Nietzsche sein Zerrbild eines Bildungsphilisters damals nicht persönlich auf Harnack bezog, der ja doch immer wieder auch zu Projektionen moderner Ideale und Wünsche in die christliche Antike neigte. Zu den immerhin diskutablen historischen Erkenntnissen Harnacks mit ethischer Relevanz bis heute möchte ich folgende Thesen zählen: Die frühkatholische Kirche des Clemens Romanus soll eine "pneumatische Demokratie" gewesen sein; die römische Kirche soll ihren Primat nicht dem Papsttum, sondern ihrer einzigartigen Liebesethik in Gestalt großartiger Sozialarbeit zu verdanken gehabt haben, und, meines Erachtens von größter Bedeutung heute: die christliche Religion als eine Religion der Liebe solle wie keine andere Weltreligion die Fähigkeit und die Pflicht zum Dialog und zur Toleranz kennzeichnen. Leider hatte Harnack diese religionswissenschaftliche Erkenntnis in eine für christliche Dogmatiker sehr anstößige Formel gepackt: Das Christentum sei die "Religion des Synkretismus". Darin bestehe der besondere Charakter des Christentums als Weltreligion.37

Bei verschiedenen Anlässen hatte Harnack mit einfachen Sätzen dann auch seinen Studenten klar zu machen versucht, worauf es im wissenschaftlichen Studium ankomme.38 Er nannte die methodischen Schritte hin zum Ziele in der Metapher eines Aufsteigens von Stufe zu Stufe: Die unterste Stufe bestehe im "Feststellen, Analysieren und im Ordnen". Mit dieser Operation beginne alle Erkenntnis. Die zweite Stufe sei "bezeichnet durch die Erkenntnis des ursächlichen Zusammenhangs der Dinge". Hier gehe es um "die Feststellung von Ursachen und Wirkungen [...], um die Zurückführung komplizierter Größen auf einfache". Harnack hat diese beiden ersten Stufen sehr ernst genommen. Hier müsse sich die Wissenschaft jedes Dreinreden verbieten lassen. Der historische Empiriker Harnack ermahnte daher die Studenten des Faches Geschichte zu größter Vorsicht im Umgang mit dem Geheimnis in der Geschichte, das es doch auch immer wieder gibt. Er sagte: "Vergessen Sie nicht, daß das Knochengerüst der Geschichte die Institutionen sind und daß nur sie sicher erkennbar sind". Aber in den Wissenschaften sollte man sich damit nicht begnügen. Letztendlich geht es freilich um menschliches Leben von Einzelnen und daher immer auch um ein Geheimnis.

Nathan Söderblom, der spätere schwedische Erzbischof, hat an Harnack, seinem Lehrer und Freund, gerade dieses gerühmt, dass er die Erkenntnis des Lebens und schließlich des Menschen in seiner eigenen Persönlichkeit und Gelehrsamkeit dargestellt habe. Zu Neujahr 1910 schrieb Söderblom einen Brief an Harnack.39 Darin bedankt er sich für die "wissenschaftliche Erweckung", die ihm die Arbeiten und die Person Harnacks bedeuteten, und Söderblom prägte hier einen Satz, worin man den ganzen Harnack gut wiedererkennen kann: "Ist ja Wissenschaft doch wohl auch eine hohe Form des Lebens, nicht nur ein Weg zu Resultaten. In bedauerlicher Weise wird das auch bei sehr tüchtiger und moderner Theologie allzuoft vermißt". Denn nach Harnack darf über einer rein mechanischen determinierenden Erklärung von Phänomenen eine dritte Stufe nicht vergessen werden; das ist die Erforschung des Lebens: "Dieses Wissen vom Leben ebenso bewußt zu treiben wie die Mechanik, es im ganzen und im einzelnen zu suchen, ist die Aufgabe der dritten Stufe wissenschaftlicher Erkenntnis". Viertens und endlich zielt für Harnack echte wissenschaftliche Erkenntnis auf "die Erkenntnis des Menschen". Hier zeigt sich vollends Harnacks christlicher Humanismus, auf den alles ethische Handeln, ihr "Zweck", ausgerichtet ist. Nebenbei merke ich an, dass Harnacks im Humanum gipfelndes Wissenschaftsverständnis auch jenes in der Max-Planck-Gesellschaft bis heute gültige sogenannte "Harnack-Prinzip" zur Folge hatte, wonach die Förderungswürdigkeit wissenschaftlicher Institute weniger in der Sache und im Titel als viel mehr in der qualifizierten Ausbildung der Mitarbeiter und besonders in der Person des Leiters begründet ist. Echte Wissenschaft war für Harnack im Grunde nur eine Sache von Einzelnen und für einzelne Menschen.40 Ich fasse zusammen: Harnacks Wissenschaftsverständnis, obwohl am Begriff "Bildung" nicht sonderlich interessiert, hat eine ethische Zielrichtung. Eine christliche Anthropologie, der zufolge die vorfindliche geschaffene Welt um des Menschen willen da ist und nicht umgekehrt, rückt die Harnacksche Wissenschaftsethik doch in eine gewisse Nähe zur altkirchlichen und altpietistischen Lehre von Imago-Dei und Imago-Christi, ja auch zum alten Dogma, dass der wahre Gott der wahre Mensch sei (Chalkedon 451: vere deus - vere homo).

Den gegenwärtigen Debatten zur Krise des Universitätsstudiums und überhaupt der Bildung in Deutschland kann es gut tun, an den so christlichen und zugleich humanen Sinn von "Bildung" zu erinnern. Gerade solche Erinnerung sollte uns zur Vorsicht mahnen, vollmundig und selbstverständlich von Bildung daherzureden. Ich schlage vor, mit dem Begriff "Bildung" sehr sparsam umzugehen, und statt dessen mehr von Ausbildung oder sogar von Erziehung, wie die anderen westlichen Nationen, zu reden. Denn auch das kann man diesen Beobachtungen zum Begriff Bildung und seiner wissenschaftlichen Bedeutung entnehmen, dass Bildung wie Erziehung ohne Methode und Orientierung nicht praktikabel sind und dass die Orientierung am Leitbild des Menschen vorgegeben ist, mag man dieses Leitbild nun im Begriff der Gottebenbildlichkeit des Menschen oder (im modernen menschenrechtlichen Sinne) im Begriff der Menschenwürde wiederfinden. In dieser Hinsicht bleiben Schulen, Hochschulen und Universitäten gefordert, zumal die vier oberen Fakultäten an den Universitäten, die seit dem Mittelalter das Proprium einer Universität ausmachen. Harnacks preußische Bescheidenheit und Sorge vor Bildungsdünkel ließ ihn sogar gelegentlich von seiner Berliner Universität mit ihrem ältesten Namen als von einer "Allgemeinen Lehranstalt" sprechen.41 Und die Universität war ihm wesentlich eine Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden im alten Sinne der "universitas magistrorum et discipulorum". Bertha Schulze, die letzte Seniorin seines Privatseminars (später Mitarbeiterin und Sekretärin Dietrich Bonhoeffers) meinte: "Harnack selbst faßte ja sein Seminar weithin als religiöse Gemeinschaft auf. Er beklagte sich, daß die Kirche für derartige Gemeinschaften keinen Sinn aufbrächte."42 Zu einer echten Universität gehören auch heute noch wenigstens eine philosophische Fakultät mit ihrer Erkenntnis der Vernunft des Menschen, eine medizinische Fakultät mit ihrer Erkenntnis der Gesundheit des Menschen, eine juristische Fakultät mit ihrer Erkenntnis des Rechtes des Menschen und eine theologische Fakultät mit ihrer Erkenntnis des Glaubens und der Religion des Menschen. Dass diese erste Fakultät besonders stark orientiert ist an einem christlichen Menschenbild, wie es die Imago Dei- und Imago Christi-Lehre zeigen, wird freilich auch von ihren eigenen Vertretern manchmal vergessen. Derjenige Theologe, der nicht, wie noch Bonhoeffer überzeugt war, die praktische Ethik für eine "Gestaltwerdung des Bildes Christi" hält, muss sich selbst doch auch immer wieder fragen, wohin die Ausbildung und die Erziehung der ihm anvertrauten Menschen orientiert sein soll.43 Die Frage nach eigentlicher Orientierung unseres Lehrens und Forschens zu stellen, muss doch für Christen eine Selbstverständlichkeit bleiben.

Summary

Bildung (culture) that very German word has become in current academic politics a fashionable word without any reflection about its actual meaning. The history of such term is helpful in conceptual criticism. Research so far has paid too little attention to the origins of this word in Lutheran Pietism. Patristic tradition conveyed by Johann Arndt and Gottfried Arnold can be assumed. Man is created in God's image and saved by the image of Christ. Klopstock's Messiah plays a central role in the reception of this word in modern times. Final remarks criticize the senseless use of this term. Adolf von Harnack's lectures and essays give good stimulation for such criticism.

Fussnoten:

* Gewidmet dem Andenken an Kurt Nowak, dem Theologen und Germanisten und früheren Mitherausgeber dieser Zeitschrift. Ich verdanke dem Kollegen und Freund viel. Noch kurz vor seinem frühen Tod am 31.Dezember 2001 gab er mir Anregungen zu diesem Thema. Dem Text liegt zu Grunde ein Vortrag, gehalten am 17. September 2001 bei der "V. Academica" der Universität Tartu/Estland, in erweiterter Form wurde er meine akademische Abschiedsvorlesung in Kiel am 15. Februar 2002.

1) Zur neuesten Aufwertung des Bildungsbegriffs auch in theologischer Literatur (doch kaum mit begriffsgeschichtlichen Reflexionen): Fr. Schweitzer [Hrsg.], Der Bildungsauftrag des Protestantismus, Gütersloh 2001. J. Ochel [Hrsg.], Bildung in evangelischer Verantwortung auf dem Hintergrund des Bildungsverständnisses von F. D. E. Schleiermacher, Göttingen 2001. Der erste große gemeinsame Bildungskongress von Deutscher Bischofskonferenz und Evangelischer Kirche in Deutschland veröffentlichte am 16.11.2000 "Zehn Thesen zur Bildung des Menschen", abgedruckt in: Forschung und Lehre 8, 2001, 22-24. - Zu "Allgemeinbildung" s. W. Rügemer, in: H. J. Sandkühler [Hrsg.], Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Bd. 1, Hamburg 1990, 89-93. - Zum Verhältnis Bildung und Wissenschaft: H. Poser, Ist Bildung durch Wissenschaft heute noch ein realistisches Ziel?, in: W. Böhm, M. Lindauer [Hrsg.], Nicht viel Wissen sättigt die Seele, Stuttgart 1988, 87-106 (dort auch, 89 f., die Erinnerung an Max Scheler, Bildung und Wissen, Frankfurt/M, 3. Aufl. 1947). - Zur neueren germanistischen und philosophischen Diskussion: W. Voßkamp: Bildung als Synthese, in: J. Fohrmann u. W. Voßkamp [Hrsg.], Wissenschaftsgeschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1994, 15-24. Der o. g. Vortrag von 1999 ("Bildung ist mehr als Wissen"), in: Alexander von Humboldt-Stiftung, Mitteilungen 76, 2000, 31-40. - Die zuletzt genannten Zitate von Markel und Parthier in "Forschung und Lehre" (8, 2001, 463), das dem Thema gewidmet war: "Was ist Bildung?".

2) Die Wörterbücher zum Begriff "Bildung" haben m. E. den Pietismus unterschätzt: Vgl. J. u. W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 2 (1860), 22 f. Trübners Deutsches Wörterbuch 1, 1939, 334-337. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23. Aufl., Berlin 1995, 110. Ernst Lichtenstein, "Bildung", in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1 (1971), 921-937. Rudolf Vierhaus, "Bildung", in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1 (1972), 508-551 (509-511). - Beim Schwedischen "bildning" und beim Russischen "obrasovanie" ist freilich der deutsche Einfluss noch zu untersuchen und nachzuweisen. - Grundlegend und in der Literatur auch zu Recht oft genannt ist die Königsberger germanistische Dissertation von Ilse Schaarschmidt, Der Bedeutungswandel der Worte "bilden" und "Bildung" in der Literatur-Epoche von Gottsched bis Herder, Elbing 1931. Nachdruck in: Fr. Rauhut u. I. Schaarschmidt, Beiträge zur Geschichte des Bildungsbegriffs (Kleine pädagogische Texte, 33), Weinheim 1965. Die von mir beobachtete Bedeutung Klopstocks in der Geschichte des Begriffs bestätigt Schaarschmidts Untersuchung und will sie in dieser Hinsicht weiterführen. Allerdings kritisiere ich einen Mangel an jener theologischen Erkenntnis, die, wie bei den Kirchenvätern und im Luthertum, die Einheit von Schöpfung und Erlösung voraussetzt und daher, wie im lutherischen Pietismus, die Imago Dei des Menschen auf die Imago Christi im Menschen bezieht.

3) Louis Dumont, Homo Aequalis II. L'Idéologie Allemande. France-Allemande et retour, Paris 1991, 35 f. (zitiert von Vosskamp, Bildung ist mehr als Wissen, s. o. Anm 1, 36).

4) Heinrich von Ofterdingen, Zweites Kapitel, über den Feierabend: "Das Gemüt sehnt sich nach Erholung und Abwechslung, und wo sollte es diese auf eine anständigere und reizendere Art finden, als in der Beschäftigung mit den freien Spielen und Erzeugnissen seiner edelsten Kraft, des bildenden Tiefsinns".

5) Unzeitgemäße Betrachtungen, passim. Vgl. V. Steenblock, Theorie der kulturellen Bildung, München 1999, 186.

6) Neuere bibeltheologische Arbeiten zur Gottebenbildlichkeit des Menschen: Klaus Koch, Imago Dei. Die Würde des Menschen im biblischen Text, Bericht aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften 18, H. 4, Hamburg 2000. Walter Groß, Gen 1,26.27; 9,6: Statue oder Ebenbild Gottes? Aufgabe und Würde des Menschen nach dem hebräischen und griechischen Wortlaut, in: Menschenwürde, Jahrbuch für Biblische Theologie 15, 2000, Neukirchen 2001, 11-38. - Die bekannte Schwierigkeit, "Bildung" ins Englische zu übersetzen, kann vom Schöpfungsbericht her auch "Persönlichkeitsentwicklung" voraussetzen, weshalb ich den englischen Titel für das Berliner "Max-Planck-Institut für Bildungsforschung" nicht, wie im Kollegenkreis, kritisieren möchte: "Max-Planck-Institute for Human Development". - Zur reformatorischen Kritik s. O. H. Pesch, Frei sein aus Gnade. Theologische Anthropologie, Freiburg/Br. 1983, 376-381. Ders., Martin Luther, Thomas von Aquin und die reformatorische Kritik an der Scholastik, Hamburg 1994 (bes. Kap V,1: Der Mensch als Ebenbild Gottes). Signifikant ist, dass Melanchthons Loci nichts zur Schöpfungs- und Urstandslehre, d. h. auch nichts zur "Imago-Dei"-Lehre enthalten. Vgl. Siegfried Bräuer, Philipp Melanchthons Loci communes von 1521. Eine neue theologische Methode für eine neue Situation, in: Etudes Germaniques. Revue de la Société des Études Germaniques 56, 2001, 309-324.

7) Ausnahmen sind: 1Kor 11,7, wo Paulus nur vom Manne sagt, er sei "Bild Gottes", und Jak 3,9: "Menschen nach dem Bilde Gottes gemacht".

8) Zur tiefen Prägung Arndts und Arnolds durch Makarius s. Hans Schneider, Johann Arndt und die makarianischen Homilien, in: W. Strothmann [Hrsg.], Makrios-Symposium über das Böse, Göttinger Orientforschungen, I. Reihe: Syriaca, Bd. 24, 186-222. H. Dörries, Geist und Geschichte bei Gottfried Arnold, Abh. d. Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-Hist. Kl., Dritte Folge, Nr. 51, Göttingen 1963, bes. Kap. III: "Begegnung mit Macarius".

9) Homilie 11,2-6(4). Vgl. auch H. 12,1 u. 12,8. u. 16,1-8. Textkritische Edition von H. Dörries, E. Klostermann, M. Kroeger, PTS 4, Berlin 1966. Deutsche Übersetzung von Gottfried Arnold, Des Heiligen Macarii Homilien oder geistliche Reden ..., Leipzig 1696. - Vgl. Origenes und Gregor von Nyssa zu Luk 15,8-10: Origenes, 13. Homilie zu Genesis (13,4. PG 12,234); Gregor von Nyssa, De virginitate 12 (ed. Aubineau, 412 f.).Vorstellung dieser Quellen bei: R. Staats, Basilius als lebende Mönchsregel, in: Vigiliae Christianae 39, 1985, 228-255 (237 ff.).

10) In der zweiten Auflage der deutschen Homilien-Ausgabe (nun überschrieben "Denkmal des Alten Christentums", Goslar 1696) meint Arnold in der Vorrede nicht nur, dass Arndt die Macarius-Homilien gegenüber Johann Gerhard "vor allen anderen Schriften recommendiert habe", sondern auch, dass Arndt "ehemals den Macarium ganz auswendig hersagen" konnte. Kritisch dazu H. Schneider (s. o. Anm. 8), 194 f. Ich halte weniger Tauler als Macarius für denjenigen Theologen, der die Imago Christi-Lehre an Arndt vermittelte.

11) Insgesamt sind mir folgende Stellen mit einer Akzentuierung der christlichen Imago-Lehre in Arndts "Wahres Christentum" aufgefallen: Buch I 1, 2, 6, 7, 13, 41, 42. Buch II 11, 15, 24, 26, 30, 33, 34. Buch III Vorrede, 19. Buch IV 6, 23, 25. Doch das dürfte bei genauerer Prüfung noch nicht alles sein.

12) Spätere Ausgaben des 18. und 19. Jh.s haben wieder andere Emblemata und Sinnsprüche, wie ich allein an rund 10 Ausgaben (auch aus Norwegen, Dänemark und Livland) in der Kieler Universitätsbibliothek feststellte. Mag das oben im Text genannte Emblem auch nicht auf Arndt selbst zurückgehen, so passt es doch vorzüglich zu seiner Makarius-Rezeption.

13) Vgl. II 26 u. IV 25.

14) Johannes Amos Comenius, Große Didaktik, übers. u. hrsg. von Andreas Flitner, Stuttgart (1954), 8. Aufl. 1998, Kap. 9.2. - Durch Johann Valentin Andreae (1586-1654) war Comenius mit Arndt vertraut. Denn Andreae war "ein bewußter Agent der über die konfessionelle lutherische Theologie hinausführenden neuen Frömmigkeitsbestrebungen Johann Arndts". M. Brecht, Andreae, RGG 4. Aufl. Bd. I (1998), 471. - Nach meinem Eindruck kam die pädagogische Funktion der christlichen Imago Dei-Lehre seit etwa 1970 weithin in Vergessenheit. Anders noch: Wilhelm Flitner, Allgemeine Pädagogik (1950), 11. Aufl. Stuttgart 1966, 116. Ich danke Oberstudienrat Heinrich Rühle (Polling) für wertvolle Einsichten.

15) Dörries s. o. Anm. 8. Die barocke Fülle auch von Arnolds "Die erste Liebe" (Erstausgabe 558 Seiten) wurde jetzt zu einem lesbaren Text mit Kommentar komprimiert. Hans Schneider, Gottfried Arnold. Die erste Liebe (Kleine Texte des Pietismus, 5), Leipzig 2002. Zahlreiche Drucke, Übersetzungen und Auswahlausgaben werden aufgelistet (123-125).

16) Vgl. Dörries, Geist und Geschichte 23,29-34,60.

17) Abb. I, 1,3. Vgl. Dörries 106. Die Stelle ist nicht in der Auswahl von H. Schneider, s. o. Anm. 15.

18) Rambach war Hg. der Sämtlichen Werke Johann Arndts! Zitat nach Schaarschmidt 24 (s. o. Anm. 2).

19) Wilhelm von Humboldt, Studienausgabe. Hrsg. von A. Flitner u. K. Giel, Stuttgart 3. Aufl. 1980, Bd. 1, 64.

20) Friedrich Ast, Über den Geist des Altertums und dessen Bedeutung für unser Zeitalter (1805), zit. nach R. Koselleck [Hrsg.], Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Teil 2. Bildungsgüter und Bildungswissen, Stuttgart 1990, 26.

21) Wilhelm von Humboldt, Über Religion, in: ders., Werke, hrsg. von A. Flitner u. K. Giel, Darmstadt 1960, Bd. 1, 25.

22) Vgl. H. H. Borcherdt, Bildungsroman, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte 1, 1958, 175-178. W. Voßkamp, Der Bildungsroman in Deutschland und die Frühgeschichte seiner Rezeption in England, in: J. Kocka [Hrsg.], Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 3, München 1988, 257-286. H. von Hentig, Bildung. Ein Essay, München 1996, 37-45. Das Mittelstraß-Zitat in: Forschung und Lehre 2001, Nr. 9, S. 463.

23) Schaarschmidt 37-41 (s. o. Anm. 2). Freilich ist der Hauptthese, dass "der Pietismus, dem letzten Sinn der Mystik fremd, auch dem Bildungsgedanken des 18. Jahrhunderts immer fern gestanden hat" (41), zu widersprechen: Arndt, Arnold, Rambach (Schüler und Nachfolger A. H. Franckes!) waren Pietisten, keine Mystiker.

24) Außer den Wörterbüchern (s. o. Anm. 2) besonders: E. Lichtenstein, Zur Entwicklung des Bildungsbegriffs von Meister Eckhart bis Hegel, Heidelberg 1966. Johann Arndts Bedeutung kann nicht unterschätzt werden, der Eckhart vielleicht nur durch Vermittlung Taulers kannte. M. Schmidt, Arndt, in: TRE 4, 1979, 121-129.

25) Hier zitiert nach der von E. Höpker-Herberg hrsg. Studienausgabe, Der Messias, Gesang I-III. Text des Erstdrucks von 1748 (Reclam Universal-Bibliothek Nr. 721), Stuttgart 1995. Forschungsstand, Ausgaben etc. bei Katrin Kohl, Friedrich Gottlieb Klopstock, Stuttgart 2000.

26) Johann Milton, Epische Gedichte von dem verlorenen Paradiese, Faksimiledruck der Bodmerschen Übersetzung von 1742, in: Deutsche Neudrucke, Reihe Texte des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1965, 22: "Es waren göttliche Gestalten und Bildungen, über die menschlichen erhoben". 35 f: "Seine Bildung hatte ihren ursprünglichen Glantz noch nicht gäntzlich verlohren und schien nicht schlechter als eines Erzengels, der gefallen war".

27) Vgl. Gisela Mroz, Klopstocks Verhältnis zum Pietismus, Diss. Bonn 1944. August Langen, Der Wortschatz des Pietismus, Tübingen 1954, 6, 39-42, 438-451. G. Kaiser, Klopstock - Religion und Dichtung, Gütersloh 1963, 123-133. H.-U. Rülke, Gottesbild und Poetik bei Klopstock, Konstanz 1991, 4-11, 22-29.

28) Vgl. Studienausgabe (s. o. Anm. 25): Zur Rezeption des Messias (168-208), Nachwort (232-248). Kohl 72 ff., 81-83.

29) Die zerstreuten Arbeiten zu unserem Thema sind jetzt vorzüglich herausgegeben von Kurt Nowak, Adolf von Harnack als Zeitgenosse. Reden und Schriften aus den Jahren des Kaiserreiches und der Weimarer Republik, 2 Bände, Berlin 1996, mit bibliographischem Anhang von Hanns-Christoph Picker. Vgl. Die Höhepunkte in Augustins Konfessionen (1912-1916), Bd. 1, 665-696. - Die Religion Goethes in der Epoche seiner Vollendung (1920), ebd. 735-764. - Etliche wichtige Publikationen, die nicht in Nowaks Ausgabe aufgenommen werden konnten, jetzt bei B. Fabian [Hrsg.], Adolf von Harnack. Wissenschaftspolitische Reden und Aufsätze, Hildesheim 2001. Der Forschungsbericht von Wolfgang Kinzig in dieser Zeitschrift (ThLZ 126, 2001, 473-500) konnte Harnacks Bedeutung für Wissenschaft, Kultur- und Sozialpolitik kaum berücksichtigen, weil in der Tat die evangelische Theologie diesen Harnack heute nur wenig zu würdigen weiß - zu Unrecht.

30) Vgl. Nowaks große "Historische Einführung" zu seiner Edition, Bd.1, 1-99 (28). Obiges Zitat über "die alte Kirchengeschichte", in: Über die jüngsten Entdeckungen auf dem Gebiete der Ältesten Kirchengeschichte (1898), in: Reden und Aufsätze 1, 2. Aufl. Gießen 1906, 349.

31) Was hat die Historie an fester Erkenntnis zur Deutung des Weltgeschehens zu bieten? (1920), in: Nowak. Bd. 1, 964. In diesem Vortrag bekennt sich Harnack sogar einmal zur "Bildung", aber nur als geschichtliche Bildung: "... sich durch die Geschichte innerlich zu erweitern, das gehört nicht zur Bildung, sondern das ist Bildung, und harmonisch schließt sich diese Bildung an das Innenleben unseres Geistes an" (965).

32) Bonhoeffer, Gedenkrede, DBW 10.

33) Kein Wort z. B. darüber in Ritschls Kapitel 28 über "Das wahre Christentum von Johann Arndt". A. Ritschel, Geschichte des Pietismus in der lutherischen Kirche des 17. und 18. Jahrhunderts, Viertes Buch: Mystik in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts, Nachdr. Bonn 1984.

34) Stufen wissenschaftlicher Erkenntnis (1930), in: Fabian (s. o. Anm. 29), 269-271 (269).

35) Zum Doppelgebot der Liebe bei Harnack u. a. "Wesen des Christentums" (1900), ed. Trutz Rendtorff Gütersloh 1999, Sechzehnte Vorlesung, 261 f. Was hat die Historie [...] (s. o. Anm. 31), 948 f. Gegen Karl Barth, Fragen 10 u. 12, in: Fünfzehn Fragen an die Verächter der wissenschaftlichen Theologie unter den Theologen (1923), ed. Nowak 877 - Die Harnacksche Akademiegeschichte in letzten Briefen Bonhoeffers: 29. u. 30. Januar 1944 an Bethge; 2. März 1944 an Eltern; DBW 8, 304, 335, 349.

36) A. Harnack, Geschichte der königlich-preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (1900), Nachdr. Hildesheim 1970, Bd. I, 1, 96. Text in Bd. II (Urkunde Nr. 50), 103.

37) A. v. Harnack, Einführung in die alte Kirchengeschichte. Das Schreiben der römischen Kirche an die Korinthische z. Z. Domitians (1. Clemensbrief), Leipzig 1929. Ders., Das Zeugnis des Ignatius über das Ansehen der römischen Gemeinde, SPAW 1896, VII, 111-131. Kritisch dazu R. Staats, Die martyrologische Begründung des Romprimats bei Ignatius von Antiochien, ZThK 73, 1976, 461-470. Harnacks Synkretismusthese zuerst in: A. v. Harnack, Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 2. Aufl. 1906, 261.

38) Stufen wissenschaftlicher Erkenntnis (s. o. Anm. 34). Vgl. R. Staats, Adolf von Harnack im Leben Dietrich Bonhoeffers, ThZ 37, 1981, 94-122 (102-104).

39) Brief v. 1. Januar 1910. Vgl. R. Staats, Adolf von Harnack in Schweden und Norwegen, in: K. Nowak u. O. G. Oexle [Hrsg.], Adolf von Harnack, Theologe, Historiker, Wissenschaftspolitiker, Göttingen 2001, 343-364 (360).

40) Vom Großbetrieb der Wissenschaft (1905), in: Nowak, Harnack als Zeitgenosse (s. o. Anm. 29), 1009-1019. - Gedanken über Wissenschaft und Leben (1907), in: Fabian (s. o. Anm. 29), 223-227. Auch hier positiv der Bildungsbegriff, doch nur geschichtlich (vgl. Anm. 31): "die Erkenntnis des Einzelnen ist, weil die höchste, auch die eigentlich bildende [...] das im höheren Sinn Bildende ist die Anschauung des Einzelnen, und innerhalb dieses Einzelnen ist es der Mensch [...] Also ist der Mensch für Bildung und Wissenschaft in gleicher Weise darauf angewiesen, den Kreis derer zu erweitern, die er kennen soll. Das kann durch das Studium der Geschichte geschehen, welches durch kein anderes auch nur annähernd zu ersetzen ist ..." (226 f.).

41) Die Aufgabe der theologischen Fakultäten und die allgemeine Religionsgeschichte (1901) in: Nowak, 797-828 (798).

42) Mitteilung von Bertha Schulze an den Vf. v. 22.6.1980. R. Staats, Adolf von Harnack im Leben Dietrich Bonhoeffers (s. o. Anm. 38), 105.

43) Zum "Bild Christi" bei Bonhoeffer: Nachfolge, DBW 4, 297-304 (letzte Seiten dieses Buches!); Ethik, DBW 6, 52 f. Die christologische Erklärung des Menschen als Bild Gottes ist vorbereitet in "Schöpfung und Fall" (1933), von wor Karl Barth den Begriff analogia relationis übernahm (vgl. DBW 3, 61, Anm. 20).