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Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

561–563

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Heyer, Friedrich

Titel/Untertitel:

2000 Jahre Kirchengeschichte des Heiligen Landes. Märtyrer, Mönche, Kirchenväter, Kreuzfahrer, Patriarchen, Ausgräber und Pilger.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2001. VIII, 368 S. gr. 8 = Studien zur Orientalischen Kirchengeschichte, 11. Br. ¬ 20,90. ISBN 3-8258-4955-4.

Rezensent:

Thomas Benner

Friedrich Heyer, Professor em. am Konfessionskundlichen Seminar der Universität Heidelberg legt eine Kirchengeschichte jenes geographischen Raumes vor, der in mittelalterlicher Zeit im Westen "Terra sancta" genannt wurde, aber nie eine genaue regionale Definition erfuhr, da im engeren Sinne "Heiliges Land" die Stätten des Wirkens Jesu Christi bedeutete, im weiteren Sinn aber auch andere biblisch konnotierte Regionen umfassen konnte, die zur Heilsgeschichte in Beziehung stehen.

Konkret wendet sich H. dem Staatsgebiet des heutigen Israel einschließlich der Westbank zu. Der Schwerpunkt der Untersuchungen liegt jedoch in Jerusalem. Bereits 1984 hatte H. eine "Kirchengeschichte des Heiligen Landes" vorgelegt. Den Unterschied zur damaligen konzentrierten Darstellung macht der Untertitel des neuen Werkes deutlich: Wesentliche Repräsentanten der Christentumsgeschichte werden aufgelistet: Märtyrer, Mönche, Kirchenväter, Kreuzfahrer, Patriarchen, Ausgräber und Pilger. Dabei wird schnell deutlich, dass einzelne dieser Typoi geschichtlich repräsentativer Personengruppen über die Zeit hinweg ihre Bedeutung behielten, ja, nach wie vor amtieren oder im Heiligen Land leben (Patriarchen, Mönche etc.), während andere auf klar definierte Epochen begrenzt blieben (Kirchenväter, Kreuzfahrer etc.). In dieser Spannung von Kontinuität und lebendiger Tradition auf der einen Seite und innovativ wirkenden historischen Prozessen stellt H. die komplexe Geschichte der Kirche der Region dar. Wie gelingt es ihm, die Stoffmassen zu bündeln?

Die Hauptkapitel sind chronologisch gegliedert. Ein Einleitungskapitel erschließt die Geschichte der Urgemeinde und der Mission im paganen Römischen Reich (1-24). Die byzantinische Epoche lässt H. mit der Regierung Konstantins des Großen einsetzen (24-119). Die erste Phase muslimischer Herrschaft im Heiligen Land unter den aufeinander folgenden Kalifaten der Omajjaden, Abbasiden und Fatimiden vom 7. bis zum späten 11. Jh. wird knapp skizziert (120-138). Ausführlich ist das Kapitel über die Kirche in den Kreuzfahrerstaaten (138-174). Anschließend ist die mamelukische und osmanische Epoche vom 14. bis zum 19. Jh. im Blick (174-234). Die Spätphase der osmanischen Zeit im 19. und 20. Jh. erfährt eine eigene besondere Würdigung (234-307). Den Abschluss bildet ein Kapitel über die Geschichte der Kirche während der britischen Mandatsherrschaft nach dem 1. Weltkrieg und im Staat Israel bis zur Gegenwart (308-367).

Die Kirchengeschichte des Heiligen Landes war von Anfang an in hohem Maße konfliktbelastet. Sowohl was das Verhältnis christlicher Institutionen, Gruppierungen und Personen untereinander betrifft - wie auch das Verhältnis zur paganen, muslimischen oder jüdischen Umwelt. Keine Region der Welt stand und steht derart im Mittelpunkt des Interesses dreier Weltreligionen. Bereits im Einleitungskapitel zur frühesten christlichen Zeit (bis Konstantin) zeigt H., dass konfessionelles Neben- und Gegeneinander geradezu zu den Strukturmerkmalen der Kirche in und um Jerusalem gehört und bereits auf den kultursoziologischen Gegebenheiten des Judentums im 1. Jh. beruht. Der Konflikt zwischen aramäischsprachigen und hellenistischen Judenchristen bildet den Prototyp für die Konflikte der späteren multiethnischen und multikonfessionellen Pilgerstadt. Im Grunde geht es bei den meisten der dargestellten Konflikte um die Frage, wie es gelingen kann, dass neu hinzukommende Individuen und Gemeinschaften eine neue Identität im neuen Kontext finden können. Da Siedlungen und identitätsstiftende Maßnahmen wie die Errichtung von Kirchen, Klöstern oder diakonischen Einrichtungen gerade auf dem engem Raum Jerusalems oft mit Nachteilen für die bereits ansässigen Kirchen verbunden und Expansion im Raum der "Terra Sancta" eben nur bedingt möglich war, liegt es auf der Hand, dass die Darstellung der politischen Ebene in H.s Buch eine wesentliche Rolle einnehmen muss. Zumal im Mittelalter und speziell im orientalischen Raum eine deutliche Trennung religiöser und weltlicher Sphäre fast unmöglich ist. Nicht erst die Muslime brachten das Konzept von "din wa daula" (Religion und Staat) in die religionspolitischen Strukturen der Region ein, es lag bereits der byzantinischen Staatsidee vom rechtgläubigen Staatsvolk (Theodosius I., 380) zu Grunde und wird in verwandelter Form im Staat Israel erneut vertreten.

Dass die Geschichte der Kirche des Heiligen Landes weitaus die längste Zeit unter den Vorzeichen einer fremdreligiösen Herrschaftsform stand, macht H. immer wieder deutlich. So wird klar, dass Mission im Heiligen Land während der islamischen Zeit nie Mission unter Muslimen sein konnte: auf Apostasie stand die Todesstrafe! Mission hieß also Proselytenmacherei unter einheimischen Kirchen. Ein Dauerproblem, das den Dialog zwischen Orthodoxen, Katholiken und Protestanten nach wie vor beschäftigt. Positiv ist festzuhalten, dass der Autor als ausgewiesener Kenner der Ostkirchen die bedeutende Rolle der orientalischen Nationalkirchen für das Ganze der Kirchengeschichte vor allem Jerusalems herausarbeitet.

Kritisch anzumerken ist aber, dass die Fülle des Stoffes vom Autor nur sehr bedingt gebündelt werden kann. Der Untertitel mit der Nennung von Typen wichtiger Persönlichkeiten macht schon auf das Problem aufmerksam. So werden im Kapitel über die Märtyrer vor allem weitschweifig Martyrien der diokletianischen Verfolgung Anfang des 4. Jh.s (mit vielen grausamen Details) im Anschluss an Eusebs Märtyrerbuch geschildert. Zweifellos macht es Sinn, den Text mit Quellenzitaten oder Paraphrasen zu stützen. Aber es gibt eine Grenze für das narrative Element in der Darstellung, wenn ähnliche Ereignisse nacheinander geschildert werden, ohne dass der Leser über mehr als weitere Formen römischer Strafjustiz erführe (18-23). Ähnliche Probleme weisen Passagen über Mönchsväter (42-79) auf. H. hat ein Faible für Lebensgeschichten. Es fragt sich - bei aller Würdigung der Bedeutung biographischer Faktoren für historische Prozesse - ob es legitim ist, in einem Passus über christliche Kommunitäten in Jerusalem im späten 19. Jh. über eine Seite Text für eine Lebensbeschreibung Charles de Foucaulds zu investieren (327-329). Mancher Absatz, der im Text wie eine Abschweifung wirkt, würde in den Anmerkungen - wenn gekürzt - sinnvoll untergebracht werden können.

Dass manche Details nicht stimmen, ist angesichts der Datenfülle kaum zu verwundern. So behauptet H. etwa, dass Sultan Abdul Hamid II. Kaiser Wilhelm II. 1898 das Gelände der Dormitio in Jerusalem geschenkt habe (269). In Wirklichkeit bezahlte die kaiserliche Regierung die erhebliche Summe von 120.000 Francs an den Sultan, der als Strohmann des Kaisers das Grundstück kaufte, auf dem die deutschen Katholiken ihr Jerusalemer Zentrum errichten konnten.

Insgesamt ist H.s Buch empfehlenswert für Leser, die bereits über gute strukturelle Kenntnisse der Kirchengeschichte des Heiligen Landes verfügen und Freude an einer eher narrativen Darstellungsweise haben. Leider fehlen dem Werk eine Bibliographie und Indizes zur leichteren Orientierung.