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Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

554–556

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Haslinger, Herbert [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch Praktische Theologie. 2: Durchführungen.

Verlag:

Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 2000. 548 S. gr.8. Kart. ¬ 32,80. ISBN 3-7867-2202-1.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Das neue katholische Handbuch ist mit dem Praxisband nunmehr wie angekündigt binnen Jahresfrist vollständig (s. meine Besprechung von Bd. 1 in ThLZ 126, 2001, 213-214). Für das zügige Erscheinen ist dem Herausgeberteam zu danken, liegt doch so gerade auch für nicht katholische Leser eine aktuelle Momentaufnahme der Fachdiskussion vor. Bd. 2 entspricht im Wesentlichen der in Bd. 1 vorgegebenen Konzeption einer sozialpastoral geweiteten Praktischen Theologie (PT) in der Spur des II. Vatikanum, jedoch bemüht um die Vermeidung ekklesialer Engführungen und um die Aufnahme befreiungstheologischer und feministisch-theologischer Impulse. Im Herausgeberteam sind denn auch vier Männer und drei Frauen (unter den übrigen 24 Autoren sechs Frauen).

Der Aufbau des Praxisbandes folgt nicht den klassischen pastoralen Arbeitsfeldern, sondern beschreibt zunächst die Menschen (Kinder, Alte, Menschen in der Lebensmitte, Arme, Menschen mit Behinderungen u. a.) im Abschnitt "1. Subjekte und Lebenssituationen" (35-184), danach soziale Realitäten (Person, Beziehung, Gruppe, Gemeinde, Gesellschaft, Welt) im Abschnitt "2. Handlungsebenen" (185-378) und schließlich erst im dritten Teil die "Handlungsvollzüge" (Diakonie, Verkündigung, Liturgie, Koinonia). Bei diesen vier Stichworten, die eine Kombination der bekannten beiden ökumenisch geläufigen Triaden (schon bei den Berneuchenern und bei J. C. Hoekendijk1) darstellen, fällt die Voranstellung der Diakonie als orthopraktische Kategorie sofort auf, was durchaus konzeptionell gemeint ist. Denn wenn die Diakonie eines Tages den Primat unter den Grunddiensten der Kirche einnähme, so folgte daraus eine Umgestaltung der Kirche, "im Vergleich zu der die Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils nur ein zaghaftes Vorspiel war" (409, Isidor Baumgartner). Leitmotiv des gesamten Bandes ist der Rekurs auf die Freuden und die Hoffnung der Menschen nach der Pastoralkonstitution (Gaudium et spes 1: 38.135.355 ff.348.437 u. ö.).

Weitere Grundentscheidungen lassen sich am besten dem Schlusskapitel entnehmen ("Ein Blick in die Zukunft der PT", H. Haslinger und Gundelinde Stoltenberg). Gegenüber einer im evangelischen Bereich fast konsensuellen Theorie von PT als einer Wahrnehmungswissenschaft, besonders im Hinblick auf gegenwärtig gelebte Religion, wird hier zwar Zustimmung signalisiert (vor allem hinsichtlich der Warnung vor klerikaler Verengung). Gleichwohl werden aber auch Fragezeichen hinter eine solche Konzeption gesetzt: So dürfe die PT "weder auf dem Status einer auf binnenkirchliche Belange fixierten Kirchen-theorie verharren noch zu einer options- und positionslosen Variante einer allgemeinen Religionswissenschaft mutieren" (512). Der Leitbegriff ist hier die "Kontextualisierung", die aber nicht zu "idealistisch" gesehen werden dürfe, sondern vielmehr mit ihren neuen Unwägbarkeiten und Risiken bedacht werden müsse (517). Jede Kontextualisierung bringe auch "Erkenntnisbegrenzung" mit sich (ebd.; unverständlich ist mir allerdings, warum nach einer solchen Einsicht zwei Seiten später die "wirkliche Wirklichkeit" der nur konstruierten gegenübergestellt wird). Einer ästhetisch arbeitenden PT wird politische und ideologiekritische Skepsis entgegengebracht (520 f.). Eher unzeitgemäß ist das sehr bewusste Plädoyer auch für eine "Kompetenzvermittlung" durch die PT, die sich nicht nur mit der wissenschaftstheoretischen Selbstklärung beschäftigen dürfe, wenngleich in den letzten drei Jahrzehnten hier Nachholbedarf herrschte (524 f.). Außerdem müsse die PT bei aller Wissenschaftlichkeit auch den Mut haben, "nach Gott zu fragen und von Gott zu reden" (526 - ein Votum, dem ich nur zustimmen kann, aus dem sich aber dann die Frage nach der entsprechenden Hermeneutik und Ästhetik um so deutlicher ergibt).

Die Fülle der einzelnen Artikel kann hier nicht gewürdigt werden, ich verweise nur jeweils auf einen Artikel der drei Hauptteile, der mir besonders gelungen erscheint. Sehr informativ fand ich - gerade in seiner wissenschaftlichen Nüchternheit - den Artikel "Arme Menschen" im Abschnitt "Subjekte und Lebenssituationen" (126-139). Hier sind zuverlässige Informationen und orientierende Kategorisierungen einer bei diesem Thema besonders nahe liegenden bloßen Betroffenheit gegenüber gestellt. - Unter "Handlungsebenen" spannend zu lesen ist das Kapitel "Gemeinde" (287-307), weil dort ideologisierende Leitbilder einer "lebendigen Gemeinde" entmythologisiert und Informationen zur nachkonziliaren Diskussion um die Leitbegriffe "Pfarrei" - "Gemeinde" -"Pfarrgemeinde" geboten werden (kritisch zur Verengung auf die Gemeinde vgl. auch schon 30). - Theologisch am dichtesten empfand ich den Artikel zur Krankensalbung, wo auch das vorkonziliare Verständnis der "letzten Ölung" als (in Grenzen) bewahrenswert herausgestellt wird (466-479, im Abschnitt 3, "Handlungsvollzüge"): Weil jede Krankheit "ein Stück Tod" repräsentiere, könne die Krankensalbung auch den Todesbezug in ihr Verständnis als Übergangsritus integrieren (475). Deutlich ist auch die amtstheologische Problematik angesprochen (Probleme durch die Beschränkung der Spendung auf Priester).

Weitere informative Artikel seien hier nur genannt: Menschen in der Lebensmitte (73-85), Ausländerpastoral (140- 151), die sozialwissenschaftliche Spannung zwischen den Konzepten von "System" und "Lebenswelt" (185-205, wo die geläufige Habermas-Luhmann-Debatte gut dargestellt und diskutiert ist, wenngleich der Artikel eher in den 1. Band gehört hätte) sowie der Abschnitt über die Sexualität (250-261: "Sexualität als Mysterium erfordert nicht nur Aufklärung, sondern auch Scheu, Faszination und Ehrfurcht", 261). Erfreulich nüchtern ist das Plädoyer für die Leitung "gegen den Trend, Wahrnehmung von Leitung zu verweigern" (494), weil nur durch das Annehmen von Leitungsaufgaben Machtverhältnisse durchschaubar würden (494-510).

Probleme habe ich mit der bisweilen fehlenden Hermeneutik einer gegenwärtigen Rede von Gott, als könne man die überlieferten - und dann auch noch die prophetischen - Sprachformen der Bibel einfach auf die Kommunikation des Evangeliums in der gegenwärtigen Gesellschaft übertragen. Hier scheint mir so etwas wie eine katholische Wort-Gottes-Theologie in befreiungstheologischer Prägung ohne Vermittlung zu den sozialwissenschaftlichen Perspektiven in Band 1 vorzuliegen (etwa 360, 367 ff.). Gänzlich theoretisch unzureichend ist die Rede vom "Symbol", dem hier wie so oft geradezu magische Qualitäten zugeschrieben werden - wiederum ohne Reflexion auf subjektive und soziale Codierungen (177.455.519; dass hier evangelische Autoren als Gewährsmänner dienen, macht die Sache nicht besser).

Schön ist hingegen die katholische Brücke zu CA 7, wenn die Hoffnung auf die Gemeinschaft der Kirche so formuliert wird: "Das Einheitsprinzip ist demzufolge weder eine Zentralregierung in Rom noch der freiwillige demokratische Zusammenschluß vieler Ortskirchen, sondern die Gemeinschaft im Glauben" (387).

Ein formales Lob am Schluss: Das Buch ist wiederum fast fehlerfrei (s. nur 300, Zl. 27 f.; 303, Zl. 2; 441, Zl. 28; 456, Anm. 16). Leider geblieben ist das (bekanntlich orthographisch falsche) "I feministicum", das offensichtlich zum Kennzeichen des kirchlichen Mitarbeitsmilieus zu werden scheint.

Fussnoten:

1) Dazu vgl. P. C. Bloth, Praktische Theologie, Stuttgart 1994, 156 ff. und M. Meyer-Blanck, Leben, Leib und Liturgie, Berlin/New York 1994, 65.