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Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

553 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Gerhards, Albert, u. Klemens Richter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Opfer - biblischer Anspruch und liturgische Gestalt.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2000. 296 S. 8 = Quaestiones disputatae, 186. Kart. ¬ 29,00. ISBN 3-451-02186-2.

Rezensent:

Barbara Hallensleben

Wenn die Theologie das Projekt der rationalen Verantwortung des Glaubens ist, dann ist vorauszusehen, dass sie sich an der Thematik des "Opfers" hart abzumühen hat. So oder so bleibt eine negative Bilanz - ob wir nun von den unfreiwilligen Opfern (victimae) sprechen, deren Existenz unserem Gerechtigkeitssinn widerspricht, oder von den freiwillig gebrachten Opfern (sacrificia), hinter denen wir ein unfreies Bewusstsein oder ein verborgenes Interesse vermuten. Ist der Negativität etwas Positives abzugewinnen? Ist dem Opfer Rationalität beizumessen? Die Fachtagung der "Arbeitsgemeinschaft katholischer Liturgiewissenschaftler und Liturgiewissenschaftlerinnen im deutschen Sprachgebiet" hat diese "Quaestio disputata disputanda" interdisziplinär unter drei Aspekten in den Blick genommen: kultursoziologisch/psychologisch (H.-J. Höhn, A. Odenthal), biblisch/ dogmatisch-theologisch (I. Willi-Plein, H. Merklein, H. Jorissen, J. Wohlmuth), schließlich liturgiewissenschaftlich in historisch vergleichender und ökumenischer Perspektive (R. Meßner, A. Budde, H.-J. Schulz, G. Winkler, F. Schulz, M. Stuflesser, A. Gerhards, St. Winter).

Der erste Beitrag von Hans-Joachim Höhn, Köln, bringt die aporetische Lage eindringlich zur Geltung: "Wer die Opfervokabel gebraucht, bewegt sich in einem Sprachspiel, das inkompatibel erscheint mit dem Diskurs der Moderne über Autonomie und Freiheit" (20).

Alle Versuche, das Opfer "im aufgeklärten Selbstinteresse" (25) in die Logik der Moderne hineinzudeuten, wenden die Bilanz nicht ins Positive. Wer trägt das, "was nicht wiedergutzumachen ist" (27)? Ein Blick auf die Phänomene bestätigt die Einsicht: "Die verbreitete Überzeugung, Opfer seien um jeden Preis zu (ver)meiden, kann dazu führen, daß die Flucht vor dem Opfer noch höhere Opfer verlangt" (17). So gibt Höhn der theologischen Arbeit präzise ihre Aufgabe vor: "Ziel einer (theologischen) Theorie des Opfers muß es sein, die Flucht in das Opfer zu kritisieren und das Mißlingen der Flucht vor dem Opfer zu thematisieren" (17 f.). Die Opferfrage ist die Theodizeefrage unter dem Aspekt der Freiheit.

Das Opfer, das dieser unlösbaren Aufgabe gerecht zu werden vermag, dürfte weder aus Resignation am Leben erbracht werden noch aus einem säkularen Nutzenkalkül, das am Tod scheitert. Nicht zufällig kehrt die Aufmerksamkeit für das unverzichtbare Opfer mit der Einsicht in die Krise moderner Subjektivität wieder. Fragen markieren diese Wiederkehr: "Wie soll der Mensch mit dem Zerbrechen seines eigenen Bildes umgehen, das ihm die eigene Identität authentisch zu repräsentieren schien?" (Merklein; 88). "Im Herzen der Eucharistie rumort die Frage, ob man in einer endlichen Welt von Gewalt und Tod von einem Gott der Liebe sprechen kann [...] Dann wäre Jesu Hingabe im Sakrament und im Tod nicht Ausdruck der Unterwerfung unter den göttlichen Souverän, sondern Ausdruck des Vertrauens, das zu sagen wagt: Stark wie der Tod ist die Liebe (Hld 8,6), ja stärker als der Tod ist sie" (Wohlmuth; 127). Von dieser Ahnung lebten und leben verborgen alle Opferkulte der Religionsgeschichte. Die christliche Botschaft verkündet hochgemut, dass sich die Verheißung in Jesus Christus, dem gekreuzigten Auferstandenen, erfüllt hat. Ob wir diesen Glauben in der Terminologie des Opfers bezeugen sollen oder ohne, ja gegen sie, entscheidet sich nicht am schlichten, vieldeutigen Wort, sondern an der lebendigen Kraft des Glaubens, der im Licht Christi alle menschlichen Verstehenskategorien umzuwandeln vermag und umwandeln muss.

Hier erhebt sich die ökumenische Debatte, ob das "Opfer" Christi exklusiv oder inklusiv zu verstehen sei, ob und wie die Kirche in ihrer Feier der Liturgie ihrem Kyrios gleichgestaltet wird. Entgegen Martin Luthers Versuch, das eine und ein für allemal dargebrachte Opfer Christi (Hebr 7,27) von dessen Zueignung sola fide radikal zu unterscheiden, zeigt die Theologiegeschichte, dass "die Ablehnung des Opfers im Leben der Glaubenden die Ablehnung des Opfers Jesu Christi heraufbeschwört" (Wohlmuth, 103). Das Opfer Christi will diejenigen befreien, "die durch die Furcht vor dem Tod ihr Leben lang der Knechtschaft verfallen waren" (Hebr 2,15). Das Opfer der Christen ist das Ja zur Liebe Gottes, die stärker ist als der Tod - ein Ja aus der Gnade des Glaubens, das uns davon befreit, das Interesse des Überlebens zur Quelle unseres Handelns zu machen. Für den evangelischen Theologen Schulz wie für die katholische Theologie lautet die entscheidende Frage, "ob es gelingt, das Theologische und das Anthropologische in rechter Weise aufeinander zu beziehen [...] ob es gelingt, der Entchristologisierung der Glaubenspraxis zu widerstehen" (256).

Alle Autoren bemühen sich um diese christologische Mitte. Aus liturgiehistorischer Perspektive werden mehr oder weniger angemessene Verwendungen der Darbringungs- und Opferterminologie analysiert. In dem bei weitem längsten Beitrag des Bandes zeigt Reinhard Meßner auf, wie das liturgische "offerre pro" ursprünglich im Sinne der Stellvertretung "nicht das Objekt der Fürbitte der Gemeinde, sondern das Subjekt der Darbringung" bezeichnet (163); so konnten auch die Märtyrer, ja in der Chrysostomus-Liturgie die Jungfrau und Gottesmutter Maria einbezogen sein, in deren Gemeinschaft die Liturgie gefeiert wird. In der westlichen Liturgiegeschichte verschob sich diese Sicht zu Gunsten der Darbringung für bestimmte Personen.

Die reflexive Höhe der von Höhn eröffneten Hermeneutik wird von den liturgiewissenschaftlichen Beiträgen nicht immer erreicht. Im Extrem bleibt das "Ziel der Subjektwerdung" der gemeinsame Maßstab für Theologie und Psychoanalyse (Odenthal; 31). Bedauerlich ist vor allem, dass die liturgischen Konkretisierungen in eine gesonderte Publikation ausgegliedert wurden (LJ 50, 2000, Heft 2). Welche liturgische Gestalt also entspricht der biblischen Mahnung: "Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst"?