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Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

551–553

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Cornelius-Bundschuh, Jochen

Titel/Untertitel:

Die Kirche des Wortes. Zum evangelischen Predigt- und Gemeindeverständnis.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001. 352 S. gr.8 = Arbeiten zur Pastoraltheologie, 39. Kart. ¬ 44,00. ISBN 3-525-62366-6.

Rezensent:

Eberhard Winkler

In Auseinandersetzung mit aktuellen Konzepten der deutschsprachigen evangelischen Homiletik und im Rückgriff auf M. Luther thematisiert der Vf. dieser Göttinger Habilitationsschrift das Zusammenspiel von Wort, Predigt und Gemeinde. M. Josuttis folgend sieht er die predigende Person und die Gemeinde im "Energiefeld des Wortes" oder, eine andere physikalische Metapher entfaltend, im "Klangraum des Wortes Gottes". "Verkündigung ist wirksam, weil sie Anteil hat am Hauch, an der Energie, die von Gottes Mund ausgeht und sich im Raum ausbreitet" (302). Kirche ist wieder als creatura verbi zu verstehen und die "verständigungsorientierte Homiletik" zu modifizieren, ohne ihre Bemühungen um situationsgemäße Kommunikation zu vernachlässigen.

Die Beziehung von Predigt und Gemeinde wird im Teil A auf Grund der Konzepte von E. Lange, R. Bohren (im Inhaltsverzeichnis versehentlich Ernst B. genannt), G. Otto, H. Albrecht, K.-F. Daiber und W. Engemann untersucht. Das Proprium der Autoren wird klar und sachlich dargestellt sowie kritisch gewürdigt. Dabei ergeben sich interessante Beobachtungen: C.-B. sieht Bohren mit Lange durch die gemeinsame Orientierung am Gesprächsmodell verbunden, doch übersteigen andererseits Bohrens ästhetische und doxologische Kategorien den Gesprächshorizont. Bei Otto werde die poetische Sprache funktionalisiert, um vermeintliche Defizite religiöser Sprache auszugleichen. Bei Albrecht vermisst C.-B. das Recht der Hörenden zu schweigen. Besonders intensiv setzt er sich mit Daiber und Engemann auseinander. Bei Ersterem findet er "mit dem Begriff des einzelnen Hörers eine unrealistische anthropologische Perspektive" ins Zentrum der Homiletik gerückt (114), und dass Daiber die Bedeutung der Predigt an den "Gesamtlebensvollzug" der Gemeinde bindet, kritisiert er als "Umkehrung der Ausgangsformulierung ecclesia creatura verbi" (126). Engemann fragt er, ob die Predigt nicht ähnlich wie Kunstwerke gerade ihre "Ergänzungsunbedürftigkeit" und "Freiheit vom Deutungszwang" auszeichne (150). An allen Konzepten beanstandet der Vf., es sei nicht gelungen, die "transkommunikativen" Aspekte wie Exorzismus, Überwältigung, Faszination, Ergriffenheit in den Gesamtzusammenhang der jeweiligen Theorie zu stellen und mit der kommunikativen Leistungsfähigkeit zu vermitteln (156).

Im Teil B untersucht C.-B. besonders Luthers Invokavitpredigten, um zu zeigen, "daß die Konzentration auf das Wort für Luther auch für Fragen der Gestalt der gemeindlichen bzw. kirchlichen Existenz theologisch und homiletisch sinnvoll und grundlegend ist" (158). Auf historische und überlieferungsgeschichtliche Überlegungen zu den Invokavitpredigten folgen Ausführungen zu deren Predigt- bzw. Wortverständnis, zu den in ihnen sich äußernden Zugängen zur Gemeinde sowie zum Verhältnis von Predigt und Gemeinde. Skopus ist die Wirkmächtigkeit des Predigtwortes, die Eigenmächtigkeit seiner Potenz. Entgegen modernen Abwertungen des Wortes wird dessen spezifische Dynamik im Unterschied zum Bild betont, zugleich aber die Freiheit der Person mit der Macht des Wortes vermittelt. Das Leitbild einer Partnerschaft von predigender Person und Gemeinde wird modifiziert, insofern eine Distanz zwischen beiden unvermeidlich erscheint (283). Das verbum externum unterbricht menschliche Kommunikationszusammenhänge.

Der Teil C fasst die Befunde unter dem oben genannten Skopus zusammen. Die Arbeit ermutigt dazu, der Predigt wieder mehr zuzutrauen. Im Predigtakt wird die Gemeinde "sich ihrer selbst als Gemeinschaft erfahrbar und bewußt, die aus einer Gewißheit lebt, die sie nicht selbst gewinnen kann" (317). Der in zwischenmenschlicher Kommunikation auf Zirkularität angelegte Diskurs wird in der Predigt unterbrochen. Der andere Mensch bleibt ein Geheimnis, zugleich aber wird er zum "Resonanzkörper im Klangraum Gottes" (318).

Diese Arbeit wird hoffentlich in der Homiletik die gebührende Beachtung finden, denn sie kann dazu helfen, reformatorische Grundlagen der Predigt wiederzugewinnen. Sie regt zu kritischer Selbstbesinnung evangelischer Homiletik an. Nicht überzeugt hat mich die Kritik an Daibers These, dass die Predigt von der Gemeinde lebt, zumal C.-B. das "Bemühen um die Integration der Predigt in ein verstetigtes kommunikatives Gesamtgeschehen Gemeinde" als berechtigt anerkennt (320). Die dominanten Metaphern vom Energiefeld und Klangraum sind makaber, wenn wir sie auf die Predigt in einer fast leeren Kirche anwenden. Resonanzkörper wirken nur, sofern sie anwesend sind, und das bloße Postulat einer Kirche als creatura verbi, so richtig es theologisch ist, ändert den empirischen Befund nicht. Eine andere Frage, die aber nicht Gegenstand der Arbeit ist, wäre die, inwiefern die "transpersonale Mächtigkeit von Worten" (295) auch durch elektronische Medien übertragbar ist. Summa: Mit dieser gehaltvollen Arbeit zeigt der Vf. in positiver Weise die Grenzen einer "verständigungsorientierten Homiletik", und zugleich regt er zum Diskurs über ein biblisch-reformatorisches Verständnis von Predigt und Gemeinde an.