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Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

541–544

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Klappert, Bertold

Titel/Untertitel:

Miterben der Verheißung. Beiträge zum jüdisch-christlichen Dialog.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2000. XIV, 464 S. gr.8= Neukirchener Beiträge zur Systematischen Theologie, 25. Kart. ¬ 44,00. ISBN 3-7887-1760-2.

Rezensent:

J. Christine Janowski

Der Wuppertaler Systematiker Bertold Klappert, wesentlich beteiligt an der Entstehung des Rheinischen Synodalbeschlusses von 1980 zur Erneuerung des Verhältnisses der Christen zu den Juden sowie an der Auseinandersetzung um diesen Beschluss, legt in dieser Aufsatzsammlung siebzehn z. T. schwer zugängliche seiner über fünfzig Einzelbeiträge zum jüdisch-christlichen Dialog und damit zentral zu einer neuen, von Antijudaismus freien christlichen Israeltheologie und zu deren systematischen Bezugsproblemen vor. Er verzichtet dabei dezidiert und mit an sich weitreichenden Folgen darauf, die innerjüdischen bzw. innerjudenchristlichen Konflikte von z. B. Gal 2 unter den Titel des Antijudaismus zu bringen, da "Antijudaismus erst da vorliegt, wo die Heiden und die heidenchristliche Kirche - wie bei Justin - sich in die Erwählung Israels selbstmächtig einsetzen, deshalb das Judentum auf die Stufe der Heiden stellen, also paganisieren und als Leistungs- bzw. Gesetzesreligion disqualifizieren" (120 f.).

Anknüpfend an Eph 3,6 und zugleich an Hans Joachim Iwands Weisung aus dem Jahre 1946: "Vergeßt das Mit nicht!" (XI, vgl. auch 203 ff.241 ff.449), werden die Beiträge durch den Obertitel von vornherein ins Zeichen eines verheißungstheologischen, also entsprechend zugespitzten bundestheologischen Partizipations- oder auch Teilnahmemodells gerückt, um damit Klapperts international und interdisziplinär (vgl. dazu auch das Geleitwort von Ferdinand Mußner, XII-XIV) vielfältig rezipierte Typologie und Präferenz von 1978 weiterzuführen. Dies erkärt wohl, dass die an sich unangemessene Rede vom jüdisch-christlichen Dialog statt vom christlich-jüdischem Dialog jedenfalls für den Untertitel gewählt wurde.

Werden in diesem Sammelband alle wichtigen Fragen des jüdisch-christlichen Dialogs mit vielfältigen, auch theologisch- interdisziplinären und politisch aktuellen Verschränkungen angesprochen, so signalisieren die Aufsatztitel die fundamen-taltheologischen, dogmatischen und ethischen Schwerpunkte:

- das Hören auf das jüdische (und nicht nur alttestamentliche) Zeugnis in einer christlichen Theologie nach Auschwitz (1. Aufsatz, vgl. dazu speziell den an Leo Baeck orientierten 14. Aufsatz) in Absage an eine für Mission und Ökumene vor und nach Auschwitz folgenreiche Israelvergessenheit (17. Aufsatz), damit auch die Orientierung am Geschichtszeichen Auschwitz, das mit einer neuen Offenbarungsquelle nicht verwechselt wird;

- die sozialethische Bedeutung einer Ökumene zwischen Christen und Juden im Zeichen des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit zu Gunsten einer anzustrebenden gerechten Weltgesellschaft (2. Aufsatz);

- die Neudurchbuchstabierung des Verhältnisses von Erwählung und Rechtfertigung in Auseinandersetzung mit Martin Luther (4. Aufsatz - im Anschluss an Karl Barth);

- die weiterführende Anknüpfung an Ansätze Dietrich Bonhoeffers (3. Aufsatz), Karl Barths und der reformierten Reformation (4., 5. und 15. Aufsatz) sowie Hans Joachim Iwands (8. Aufsatz) in vor allem christologischer, bundestheologischer und israeltheologischer und von da aus ethischer Hinsicht;

- die Ausarbeitung von Leitlinien einer Christologie im Kontext des Judentums (6. Aufsatz), von Kriterien einer nichtantijüdischen messianischen Christologie (12. Aufsatz), die gleich zweimal unter den Titel der Christologie (und Ekklesiologie) einer Völkerwallfahrt zum Zion gebracht wird (7. und 11. Aufsatz);

- die kritische Würdigung der bisher umfassendsten und weitreichendsten systematischen Beiträge zum Thema, d. h. derjenigen von Paul van Buren und Friedrich-Wilhelm Marquardt (9. und 10. Aufsatz);

- in Übereinstimmung damit das Festhalten von Strittigkeiten im christlich-jüdischen Dialog (13. Aufsatz) und das Insistieren auf der Differenz zwischen Dialog mit Israel und Mission unter den Völkern im Rahmen einer Ortsbestimmung der Kirche innerhalb der Sendung Israels (16. Aufsatz).

Methodisch und überhaupt formal sind die auch von ihrem Anlass her durchaus nicht nur auf akademische und bloß innerchristliche Kontexte und Stimmen bezogenen Aufsätze im Allgemeinen wohltuend unpolemisch (so wird z. B. Luther auch mit Luther selbst kritisiert!), klar und fast übermäßig untergliedert, vom Durchgang durch untergliederungsmäßig kenntliche Etappen und von da aus Modelle sowie z. T. sehr differenzierte Untermodelle bestimmt, jeweils im Allgemeinen gründlich belegt und mit oft kursivierten Thesen, mit Fazits oder Zusammenfassungen, Fragen oder Aufgabenstellungen so durchsetzt, dass dies z. T. den Ausfall eines Sachregisters ausgleichen dürfte. (Für den Ausfall eines Bibelstellenregisters gilt dies nicht!) Über die schon im Inhaltsverzeichnis auftauchenden protestantischen Theologen (s. o.) hinaus, die zu den Berufungsgrößen eines israeltheologischen und zugleich u. a. religionskritischen Umdenkens gehören, wird vielfältig auf systematische und exegetische Lehrer sowie sonstige Gesprächspartner einschließlich jüdischer rekurriert (vgl. zusammenfassend VIII ff., ferner das Namensregister). Immer wieder werden dabei auch Kritiker insbesondere des Rheinischen Synodalbeschlusses als Hinweis auf weiteren Präzisierungsbedarf ernstgenommen. So wird die eigene Position über Relektüren der biblischen Schriften hinaus als durchaus vermittelt, beweglich und zugleich trotz allem noch vorläufig eingeführt.

Sachlich sind die Beiträge m. E. dort besonders wichtig und interessant, wo sie über einen im christlich-jüdischen Dialog gewonnenen Konsens, der nach außen und in sich selbst - wie erwiesen wird - noch so strittig ist, allem voran über das "Axiom" einer "Theologie des niemals gekündigten Bundes Gottes mit Israel" (VII), mit pointierten Thesen präzisierend, modifizierend und vertiefend hinausweisen.

Fokussieren lässt sich dieser Überschuss am besten im Ausgang vom programmatischen, wenngleich an sich nicht eindeutigen Obertitel. Denn über die Kritik an z. B. Martin Luthers Verbindung der "Miterben"schaft mit einem doppelten Bund (150 ff.) und zugleich noch über Karl Barths auch in dieser Hinsicht epochalen (bes. 137) erwählungs- und bundestheologischen Vorstoß hinaus wird im Anschluss an neuere Exegese das Bundesverständnis in sich selbst pluralisiert und differenziert bzw. mit eschatologischer Ausrichtung prozessualisiert, so dass zusammenfassend gilt: "A) Der Mose-Bund, aufgerichtet und bekräftigt im verheißenen Neuen Bund [...] B) Das Pesachmahl als der Ort der Hineinnahme der Kirche durch Jesus in den Neuen Bund, dadurch indirekte Teilhabe der Kirche auch an Sinaibund und Sinaitora [...] C) Durch Jesus in den Sinai-Bund? Nein! Vielmehr durch den Christus Jesus mit Israel auf dem Weg innerhalb der Etappen des eschatologisch Neuen Bundes auf dessen Vollendung hin" (367 f.; Hervorh. von mir getilgt).

Dem entspricht als eine Haupthese: "Die Kirche, das ökumenische Gottesvolk aus allen Nationen, ist - ihrer neutestamentlichen Bestimmung nach - durch Jesus Christus nicht [direkt - s. o.] in den Sinai-Bund, wohl aber in den prophetisch verheißenen Neuen Bund Gottes mit seinem Volk Israel hineingenommen, - durch Jesus Christus, der uns durch das Abendmahl und die Taufe in das Bundesgeschehen mit seinem Volk Israel hineingestellt hat" (367). Dem entspricht ferner in Kritik an den Erläuterungen zum Rheinischen Synodalbeschluss die Absage an einen neuen Integralismus, d. h. an die Rede von dem einen Volk Gottes aus Israel und Kirche sowie von dessen Bezeichnung als Israel Gottes (353). In christologischer Hinsicht entspricht dem eine spezifische Mehrfachperspektive auf Jesus Christus: inbesondere von der Tora, genauer von deren Mitte (z. B. 299 ff.), den Menschensohnverheißungen (z. B. 305 ff.), der Völkerwallfahrt zum Zion (z. B. 308 ff.), dem Schalom für Israel (314 ff.), der Einwohnung Gottes in Israel (z. B. 344) her, also eine Verbindung von einer an Barmen I orientierten Christozentrik mit Israelzentrik (vgl. 289) als einer reichsgeschichtlichen Theozentrik (345), die u. a. zur - mindestens missverständlichen - Präzisierung der Rede von der Menschwerdung Gottes zu der von der Israelwerdung Gottes unter Berufung auf Joh 1,14 und auf Karl Barth führt (153.159 ff.).

Diese und andere Thesen K.s provozieren vor allzu rascher Kritik eine gründliche Lektüre des trotz mancherlei Wiederholungen und der deutlichen Grundstoßrichtung differenzierten Sammelbandes, der reformatorisches, insbesondere reformiertes, Erbe nicht über Bord werfen, sondern in den Rahmen eines primär israeltheologischen, verheißungstheologischen extra nos stellen will (vgl. bes. 320), das auf Grund des bleibenden Verheißungsüberschusses nicht (nur) als (antizipatorisch) erfüllt, sondern (auch) als bekräftigt gilt. (Die Klammern entsprechen unterschiedlichen bis widersprüchlichen Formulierungen K.s.) Sie provozieren darüber hinaus die Hoffnung, dass K. diese und andere Thesen, die er immer wieder auch ausdrücklich mit Aufgabenstellungen verbindet, in Zukunft einmal als solche, d. h. ohne die überzahlreichen Vermittlungsschritte, systematisch ausführen wird. - An grundsätzlichen Desideraten melde ich dabei besonders an:

- die Überprüfung von Engführungen speziell im Blick auf das Judentum selbst, zu denen besonders das auch politisch bedeutsame Zionismusproblem zu vergleichen ist;

- die Ausgleichung von Spannungen bis - soweit ich sehe - Widersprüchen unter Berücksichtigung insbesondere der Frage nach der Kohärenz der Behauptung, Jesus Christus sei auch, ja sogar primär (vgl. bes. 228), für die Juden gestorben, mit der Absage an eine jede(!) Judenmission, die nach einem respektablen, aber von K. unterschlagenen Modell wie ursprünglich so auch heute und gerade nach Auschwitz durch Judenchristen, die bis hinein in meine eigen Familie immer noch gegenwärtig sind, aber in der gesamten Diskussion übermäßig vernachlässigt werden, zu vollziehen wäre;

- die Berücksichtigung der miteinander zusammenhängenden Fragen: Soll die auch nach K. - und zwar mit fundamentaltheologischen Entsprechungen (vgl. Neues Testament) - ursprünglich judenchristliche Kirche auf eine heidenchristliche Gemeinschaft fixiert werden, die doch zugleich dem israelisch-jüdischen extra nos nicht nur äußerlich verpflichtet ist? Soll also der christologisch-soteriologisch und zugleich israeltheologisch bedingte Schmerz des Paulus zu Anfang von Röm 9-11 im Zeichen neuer heidenchristlicher Spekulation noch so konkreter und israelorientierter Art verdrängt werden, obwohl der neue Bund von K. als nochmals erneuerter und zugleich vertiefter verstanden wird? Ist also die bleibende heilsgeschichtliche Bedeutung und Aufgabe Israels und des Judentums (z. B. 75) nicht über die verschiedenen Ansätze K.s hinaus noch deutlicher und unmissverständlicher zu präzisieren und mit (auch) seinen eigenen christologischen Prämissen genauer abzustimmen?

- die Notwendigkeit einer - mindestens - "doppelt apologetischen Christologie" (vgl. Stephan Vasel 2001) und überhaupt Theologie, die also mit der sowieso nicht neuen Kritik an den klassischen metaphysischen Kategorien von insbesondere Christologie und Trinitätslehre mit entsprechend philosophisch-kategorialer Arbeit unter durchaus möglichem Rekurs auch auf weiteres Jüdisches verbunden ist.