Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

524–526

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Pahlitzsch, Johannes

Titel/Untertitel:

Graeci und Suriani im Palästina der Kreuzfahrerzeit. Beiträge und Quellen zur Geschichte des griechisch-orthodoxen Patriarchats von Jerusalem.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2001. 452 S. gr.8 = Berliner historische Studien, 33. Ordensstudien, 15. Kart. ¬ 68,00. ISBN 3-428-09884-6.

Rezensent:

Friedhelm Winkelmann

Im Verhältnis der verschiedenen christlichen Kirchen und Kulturen zueinander bildeten und bilden immer noch die Kreuzzüge eine tiefgreifende Zäsur. Wie stark dieses historische Thema noch bis in die Gegenwart wirken kann, macht die vorliegende Studie, die im Jahre 1998 dem Friedrich-Meinecke- Institut der Freien Universität Berlin als Dissertation vorlag, sehr deutlich.

Obgleich die Zeit der Kreuzzüge ein beliebtes Forschungsobjekt ist, hat sich der Vf. auf ein bislang noch nicht genügend erforschtes Thema konzentrieren können, nämlich das griechisch-orthodoxe Patriarchat von Jerusalem in der Zeit vom 11. bis zum 13. Jh. Mit Recht hat er aber nicht versucht, eine zusammenhängende Geschichte dieses Patriarchats zu verfassen, sondern sich auf Beiträge zur Entwicklung beschränkt. Der Grund dafür ist in der komplizierten und lückenhaften Quellenlage zu suchen, denn die lateinischen Quellen schweigen weitgehend über dieses Thema und direkte Zeugnisse anderer Provenienz sind selten. Der Vf. mußte also eine Fülle von Quellenmaterial der verschiedensten Art - Handschriften, schriftliche Zeugnisse unterschiedlichster Gattungen und Sachreste - auswerten. Dabei gewinnt die Arbeit noch dadurch einen ganz besonderen Wert, dass der Vf. das mittelalterliche Arabisch so gut beherrscht, dass er Texte edieren und Handschriften ausschöpfen kann. Die nicht unbeträchtliche Forschungsliteratur ist erstaunlich umfassend und in kritischer Auseinandersetzung in ausgewogener Weise ausgewertet worden. Man vergleiche auch das Verzeichnis der gedruckten Quellen und der Sekundärliteratur (386-424).

Die Untersuchung folgt dem historischen Ablauf: Auf eine einleitende Erörterung des Verhältnisses der byzantinischen und der römischen Kirchen im 11. Jh. folgt die Untersuchung der Errichtung des lateinischen Patriarchats von Jerusalem, dann die Entwicklung der griechischen Kirche von Jerusalem unter der Herrschaft der Kreuzfahrer (1099-1187), unter den Aiyubiden (1187-1229) und während des lateinischen Interregnums in Jerusalem in den Jahren 1229-1244. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie werden abschließend unter dem Generalaspekt der Rolle des Patriarchats Jerusalem in der Entwicklung des Schismas zwischen der römischen und der griechischen Kirche zusammengefasst. Terminologisch gilt es noch zu beachten, daß der Vf. den Begriff "Melkiten" im byzantinischen Sinne für die griechisch-orthodoxen Christen in muslimischen Ländern gebraucht und unter dem Begriff "Suriani" für den Bereich des Königreichs Jerusalem arabisch-sprachige orthodoxe Christen versteht (181 f.).

Leider kann hier der Blick nur auf das Allerwichtigste der vielen Ergebnisse dieser Studie gelenkt werden:

Auf einer umfassenden Handschriftenbasis (325-358) werden die Bestände der Bibliothek und des Archivs des griechischen Patriarchats von Jerusalem und die Überreste einiger Klosterbibliotheken im 12./13. Jh. mit Hilfe der von Paul Canart (Scrittura e civiltà 5, 1981) aufgestellten methodischen Grundsätze untersucht (213-234), mit dem Ergebnis, dass von einer Kontinuität ausgegangen werden könne, dass es nach dem Jahr 1204 zu einer kulturellen Stärkung der Randzonen des byzantinischen Reiches gekommen sei, und dass Zypern und Palästina als ein gemeinsamer Kulturraum zu betrachten seien.

Sehr wertvoll sind die Erkenntnisse, die der Vf. unter Auswertung gerade auch der arabischen Quellen zu Identität und sozialer Stellung der Melkiten unter Kreuzfahrern und Aiyubiden gewinnt (181-213. 242-253). Sie fühlten sich in kirchlicher Hinsicht immer der byzantinischen Reichskirche zugehörig, und es habe auch keine Spaltung zwischen den arabischsprachigen Laien und dem griechischen Klerus gegeben. In sozialer Hinsicht haben die Kreuzfahrer keine neue Ordnung errichtet, sondern im Wesentlichen die den palästinensischen Christen geläufige muslimische dimmi-Gesetzgebung übernommen. Neue Texte aus arabischen Quellen werden erschlossen (ediert, übersetzt und kommentiert), so ein Kaufvertrag vom Jahre 1169 (314-324; dazu 181-188) und eine Predigt des Patriarchen Athanasios II. (1231-1244; 359-382) aus seinem Homiliar, das 270-289 datiert und interpretiert wird und die enge Bindung an die byzantinische Kirche erweist.

In der Beurteilung der Rolle der Jerusalemer Patriarchen gelangt der Vf. zu neuen Gewichtungen. Über Symeon II. allerdings, dessen beide sog. Kreuzfahrerbriefe als eine wichtige Quelle für die Zeit vor der Errichtung des lateinischen Patriarchats verteidigt werden (298-305), werden alle Quellen und bisherigen Hypothesen der Forschung erörtert, ohne dass über sein Ergehen nach 1099 Klarheit erreicht werden kann (95- 100). Ergebnisreich ist die Untersuchung der folgenden griechischen Patriarchen, die weiterhin aus dem Konstantinopler Exil wirkten und erst unter den Aiyubiden wieder zurückkehren konnten (101-181.253 ff.). Sie blieben in ihrer Heimat immer als Oberhirten anerkannt, ihnen kam als Vertreter ihrer Kirche eine herausragende Position im Rahmen der byzantinischen Pentarchielehre und der Abwehr römischer Primatsansprüche zu, und sie trugen so zur Bewahrung der Identität der griechischen Kirche bei.

Die von Papst Urban II. angestrebte Integration der Ostkirche sei durch die Eigeninteressen der Kreuzfahrer (u. a. Rolle der Bischofssitze in ihrem gewohnten Verwaltungssystem) durchkreuzt worden, so dass es eher zufällig zur Gründung des lateinischen Patriarchats von Jerusalem gekommen sei (89 ff.).

Bei der Frage nach den Gründen für die Entfremdung zwischen lateinischer und griechischer Kirche (19-73.203 ff.) stellt der Vf. die Azymenfrage als besonders entscheidend heraus (52ff.). Das ist m. E. dann doch zu eng gesehen, denn schon allein die Zahl der trennenden Bräuche war umfassender, zudem blieb sich zumindest der Klerus schon seit langem immer auch des theologisch Trennenden bewusst (besonders des Filioqueproblems).

Schließlich sei noch auf die interessanten Beobachtungen zur muslimischen Bedeutung Jerusalems unter den Aiyubiden hingewiesen (235-239).

Es handelt sich also um eine gelungene, in Methode, Quellenauswertung und Urteilen förderliche Arbeit, deren Lektüre reichen Gewinn an neuen Erkenntnissen und bedenkenswerten Anregungen erbringt. Man hätte sich allerdings einige Zusammenfassungen von Zwischenergebnissen gewünscht. Leider ist dem Band nur ein Namen- und Geographicaregister beigefügt. Denn das Fehlen eines Sachregisters und eines Registers der modernen Forscher erschwert die Arbeit mit diesem materialreichen Buch. Auf den Seiten 426-438 werden Abbildungen von Handschriftenseiten geboten, doch man sucht vergeblich eine Karte und eine Zeittafel, die viel informativer als die bloße Aufzählung der Patriarchen von Jerusalem auf S. 383 gewesen wäre.