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Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

520–522

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gräbe, Petrus J.

Titel/Untertitel:

The Power of God in Paul's Letters.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. XIII, 305 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 123. Kart. ¬ 49,00. ISBN 3-16-147372-8.

Rezensent:

Paul-Gerhard Klumbies

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer 1990 von der theologischen Fakultät der Universität Pretoria angenommenen Dissertation. Das Ziel der Untersuchung ist die Herausarbeitung der spezifisch paulinischen Interpretation von dynamis im Sinne von "power of God" (7).

Die Studie ist in drei Hauptabschnitte gegliedert. Teil A bietet eine knapp zusammenfassende Übersicht über die Geschichte und Verwendung des Begriffs dynamis im Profangriechischen, den alttestamentlichen Hintergrund insbesondere im Blick auf seine Verwendung in der Septuaginta, die Vorstellungen im frühen Judentum sowie das Verständnis bei Philo und in Qumran. In dem zentralen Hauptteil B erfolgt die exegetische Untersuchung "of the Concept of God's Power" in den Briefen des Paulus. Der abschließende Teil C wendet sich der Frage nach der theologischen Reichweite der Vorstellung von "God's Power" in den paulinischen Briefen zu.

Das Fazit des lexikalischen und historischen Überblicks in Teil A liegt in der Feststellung, dass die antike Verwendung des dynamis-Begriffs im Sinne von "power" nicht notwendigerweise denselben religionsgeschichtlichen Hintergrund besitzt wie der Gebrauch im Sinne von "mighty deed, miracle" (38).

Bei der Durchführung der Einzelexegesen in Hauptteil B verwendet G. formal ein weitgehend wiederkehrendes Schema: Am Anfang steht eine Einführung, die den jeweiligen Text in seinem Makrokontext verortet. Daran schließt sich eine "discourse analysis" an, die in der Regel aus dem gegliederten Abdruck des zu Grunde gelegten griechischen Textes sowie kurzen kommentierenden Bemerkungen zur Struktur der Perikope besteht. Es folgt ein exegetischer Überblick, und beendet werden die Passagen mit einer zusammenfassenden "Conclusion".

Im Einzelnen behandelt G. die Texte 1Kor 1,18.24; 2,4.5; 1Kor 4,19-20; 1Kor 5,4; 1Kor 15,43; 1Kor 15,56; 2Kor 4,7; 2Kor 6,7; 2Kor 12,9; 2Kor 13,4; Röm 1,4; Röm 1,16; Röm 1,20; Röm 15,13; Röm 15,19, außerdem überblicksartig 1Thess 1,5; Phil 3,10; Eph 1,19 und 3,16 sowie als Ausblick auf den weiteren neutestamentlichen Kontext einschlägige Abschnitte aus Lk, Apg und Offb.

Teil C fasst die Ergebnisse zusammen und systematisiert sie unter theologischen Perspektiven. Erkenntnisleitend ist dabei die Strukturierung unter trinitarischem Aspekt.

Die Basis für das Verständnis der dynamis-Vorstellung bei Paulus ist nach G. die Einsicht in die Theozentrizität des paulinischen Denkens. Unter Bezug auf 1Kor 1,18-2,5 konstatiert er, dass Paulus innerhalb eines soteriologischen Kontextes "power of God" christologisch interpretiert. Die dynamis-Vorstellung ist kreuzestheologisch fundiert (65.66.240). Die Botschaft vom gekreuzigten Christus wird durch das machtvolle Wirken des Geistes getragen und von Machterweisen des Geistes gestützt. Dies verleiht der paulinischen dynamis-Vorstellung eine "charismatic-thaumaturgical dimension" (66). Zwar füllt und bewegt der Geist den Prediger des Evangeliums. Aber die Verkündigung vollzieht sich nicht nur mit Worten, sondern auch durch "the power of signs and miracles, through the power of the Spirit". Power impliziert damit "an effect which was additional to the preaching" (250).

Der Verhältnisbestimmung von Schwachheit und Stärke bei Paulus kommt für die Untersuchung konstitutive Bedeutung zu. Im Licht der Kreuzigung Christi bedeutet nach G.s Paulus-Verständnis menschliche Schwachheit eine notwendige Voraussetzung für die Erfahrung göttlicher Macht. Solche "precondition for power" bestehe 1. in der Anerkennung der eigenen Unfähigkeit und 2. in der glaubenden Annahme der Heilstat Christi. Schwachheit ist laut G. bei Paulus nicht identisch mit dynamis. Sie ist vielmehr der "Ort", an dem die Macht sich offenbart (147.263). Paulus sage nicht, dass Macht sich selbst als Schwachheit, sondern in Schwachheit zeigt. Eine Sichtweise, nach der Gottes Macht sich selbst nur in Gestalt der Schwachheit erweise, halte der Untersuchung nicht stand. Demgegenüber ist zu fragen, ob nicht umgekehrt gilt: Für Paulus ist entscheidend, dass die Schwachheit sich als Stärke erweist.

Nach G.s Darstellung bleibt bei Paulus ein machtvoller Rest, der nicht aus der Schwachheit des Kreuzes resultiert. Die eigene Schwachheit des Apostels stelle die Bühne dar, auf der Gottes Stärke in Christus am Werk war. Diese Stärke Christi wurde sichtbar in Wundern, in der Predigt des Paulus, in der Bekehrung von Sündern und in charismatischen Gaben (154.260. 266). G. konzediert der paulinischen Theologie mit diesem Stufenmodell einen Strang von theologia gloriae neben der die Aussagen des Paulus dominierenden theologia crucis.

Die Voraussetzung für die dogmatisch bedeutsame Weichenstellung hat G. durch eine theologische Unschärfe geschaffen, die durch einen Autoritätsverweis kompensiert wird: Er erklärt das Kreuz Jesu zu einem Geheimnis, das menschlichem Verständnis letztlich entzogen, aber als Gottes Selbstoffenbarung akzeptiert sei (242).