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Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

518–520

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gräbe, Petrus J.

Titel/Untertitel:

Der neue Bund in der frühchristlichen Literatur unter Berücksichtigung der alttestamentlich-jüdischen Voraussetzungen.

Verlag:

Würzburg: Echter 2001. X, 246 S. gr.8 = Forschung zur Bibel, 96. Kart. ¬ 19,90. ISBN 3-429-02247-9.

Rezensent:

Erich Gräßer

Das Thema, das der Vf. sich auf Anraten von K. Kertelge zum Gegenstand seiner Untersuchung wählte, ist in den letzten Jahrzehnten hierzulande besonders intensiv und kontrovers diskutiert worden. In einer solchen Situation ist eine Untersuchung wie die vorliegende eine willkommene Orientierungshilfe. Was sie dem Leser bietet, ist keine "Theologie des neuen Bundes" - eine solche wird gegen Ende lediglich in "Ansätzen", aber durchaus nachvollziehbar, reflektiert -, sondern eine mit großem Fleiß und guter Übersicht gebotene Bestandsaufnahme dessen, was hinsichtlich einer "Bundestheologie" diskutiert wird, und zwar vornehmlich (aber nicht nur!) in der deutschsprachigen Literatur. Dabei ist die vom Vf. eingenommene Position leicht zu erkennen: Bei gemäßigt-kritischen Textanalysen vertritt er die von deutlicher Sympathie für die "Theologie nach Auschwitz" geprägte und oft wiederholte These vom ungekündigten Bund (N. Lohfink), der im NT, in der Alten Kirche und bis hin in die neuzeitliche Dogmatik "vom Leben, Sterben und Auferstehung(!) her neuinterpretiert" wird (203), nämlich als die Aufrichtung einer neuen eschatologischen Heilsordnung. Grundlegend dafür sei das von Jer 31,31 und Ex 24,8 her gedeutete Herrenmahl, dessen Teilnehmer das eine, alle ethnischen und sozialen Gruppen zusammenfassende Gottesvolk (Bund) repräsentieren. Dass der an der Universität von Südafrika (UNISA) lehrende Vf. die südafrikanische Situation in dieser Hinsicht besonders ins Auge fasst (206 ff.), versteht man. Der Bogen der Untersuchung ist jedenfalls weit gespannt, so weit, dass sich die Frage nicht unterdrücken lässt, ob die Kompetenz eines einzelnen Forschers dafür ausreicht.

Die beiden ersten Kap. fragen nach den alttestamentlichen und frühjüdischen (Qumran und Philo) Voraussetzungen für das Verständnis des Bundesbegriffs im NT. Überwiegend deutsche Alttestamentler - v. Rad, Zimmerli, Westermann, Lohfink, Groß, Smend, Rendtorff, Perlitt und Levin - stehen dabei als die diskussionsleitenden Größen im Vordergrund. Bei der Untersuchung der Jesusüberlieferung geht es ausnahmslos um die Herrenmahlsüberlieferung. Der Vf. orientiert sich vorwiegend an F. Hahn und K. Backhaus. Im Unterschied zu diesen ist aber seine Darstellung - wie überhaupt das ganze Buch - von Eklektizismus und einer Tendenz zur Harmonisierung geprägt. Wenn der Bundesbegriff wie kein anderer geeignet war, die Heilsteilhabe an der erlösenden Kraft des Todes Jesu zum Ausdruck zu bringen, warum ist er dann in den Evangelien und bei Paulus so marginal geblieben (E. Gräßer: "Bundesschweigen")? Die Auskunft, dass auch ohne den Begriff das Bundesdenken dominant sei, befriedigt dann nicht, wenn als Argument dafür gelten soll, dass "in der jüdischen Welt" die Begriffe Herrschaft Gottes und Bund "nicht weit voneinander entfernt" seien und das Motiv des Neuen auch in der Jesustradition (z. B. Mk 14,25) verankert seien (104). Auch im Paulus-Kapitel - es bietet im Wesentlichen eine mit knappen exegetischen Einlassungen versehene Textbeschreibung von 2Kor 3 und Gal 4,21-5,1, wo alter und neuer Bund als das Widereinander von Gesetz und Evangelium erscheinen - ist der Versuch, das weitgehende Bundesschweigen des Apostels mit dessen Furcht vor einer möglichen Verwirrung sein Leser zu erklären (so 116, Anm. 51 mit J. D. G. Dunn), nichts weiter als eine Verlegenheitsauskunft.

Knapp, aber präzise und hauptsächlich mit K. Backhaus und J. Frey wird im Kapitel über den Hebräerbrief gezeigt, dass und wie hier mittels kulttypologischer Exegese das Neue des neuen Bundes expliziert wird. Richtig ist, dass der Verfasser dieser frühchristlichen Schrift trotz 8,13 keine nach außen gezielte antijüdische Polemik bietet, sondern den nach innen gerichteten Versuch, das Selbstverständnis einer angefochtenen christlichen Gemeinde zu festigen.

Massiv apologetisch ist auch das 6. Kap., welches das johanneische Schrifttum als "Reflex des Gedankens vom neuen Bund" erklären möchte. Der Vf. stützt sich dabei im Wesentlichen auf zwei Aussagen, auf Joh 13,13 (neues Gebot) und 15,4 ("Bleibet in mir und ich in euch"), sowie auf die von J. Beutler übernommene Behauptung, die Abschiedsreden Jesu hätten eine deutliche Beziehung zum "Hauptgebot" Dtn 6,4-13, dem Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes und damit zur Bundestheologie des Dtn (142). Nur: Wenn das die Kriterien für eine Rezeption der alttestamentlichen Bundestheologie sind, was ist dann im NT nicht bundestheologisch gedacht?!

Dass die Linien im 7. und 8. Kap. ausgezogen werden bis ins 2. bzw. 4. Jh. (Barn, Justin, Irenäus, Clem. v. Alex., Melito; syrische Tradition [Aphrahat]), vermittelt dem Leser wichtige Einsichten in die frühe Wirkungsgeschichte der Bundestheologie. Aber bei der Enge des Raumes, auf die sich der Vf. hier beschränkt (31 S.!), war mehr als eine lexikographische Skizze nicht möglich.

Von hoher Aktualität ist das 9. Kap. mit der Überschrift: "Der neue Bund, christliche Identität und die Auseinandersetzung mit den Juden". Hier wird das Verhältnis von altem und neuem Bund eigens thematisiert, aber m. E. nicht schlüssig bestimmt. Ist der in Tod und Auferstehung gründende eschatologisch neue Bund, von dem in der Abendmahlsparadosis, bei Paulus und im Hebr die Rede ist, der "auf- = emporgehobene" erneuerte alte Bund (190), den Jer prophezeit hat? Die Antwort schwankt zwischen sowohl - als auch: Sowohl ungekündigter erneuerter alter Bund Gottes mit den Vätern, als auch der "in Christus" gekommene neue Bund, welcher "der Gottesbund in der einbrechenden Basileia" ist (192). Eine Äußerlichkeit verrät die Unsicherheit: Beim Begriff neuer Bund setzt der Vf. das qualifizierende Adjektiv "neu" nicht selten in Klammern.

In den beiden Schlusskapiteln - "Rezeption des Begriffes eines (neuen) Bundes in der Theologiegeschichte: zwei Perspektiven" (gemeint sind die frühe Föderaltheologie und Karl Barth) sowie "Weitergabe und Neuinterpretation - Ansätze für eine Theologie des neuen Bundes" - stellt der Vf. sein eigentliches theologisches Interesse unter Beweis: Indem er den christozentrischen, den theozentrischen und den pneumatologischen Schwerpunkt des neuen Bundes und damit zugleich die Dimension der Diskontinuität wie die der Kontinuität besonders herausstreicht, gelingt es ihm, die "eschatologische Neuheit" des neuen Bundes präzise zu erfassen. - Ein reiches Literaturverzeichnis und ein Stellenverzeichnis schließen den Band ab, dem ein gründliches Korrekturlesen (Druckfehler) gut getan hätte.

Ein wahrhaft weites Feld, auf das sich der Vf. mit seiner Untersuchung begibt! Aber da er sich vorwiegend aufs Referieren verlegt, scheitert er mit der weit gespannten Thematik nicht. Im Gegenteil! In einer unübersichtlich gewordenen Forschungssituation reicht er uns ein Buch dar, das den Forschungsstand hinsichtlich des komplexen und viel diskutierten Bundesthemas aufarbeitet. Nur: Hat man die Untersuchung mit ihren vielen richtigen und wichtigen theologischen Einsichten gelesen, stellt sich die Frage verstärkt, warum außer dem Hebr niemand sonst im NT expressis verbis eine Bundestheologie entfaltet hat.