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Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

512–514

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ådna, Jostein, and Hans Kvalbein [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Mission of the Early Church to Jews and Gentiles.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. VIII, 313 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 127. Lw. ¬ 99,00. ISBN 3-16-147242-X.

Rezensent:

Dieter Sänger

Christliche Mission, wie sie nach abendländischem Verständnis jahrhundertelang betrieben worden ist, steht unter Ideologieverdacht. Sie erscheint Kritikern als Ausdruck von Intoleranz gegenüber Andersgläubigen und wird mit dem Vorwurf konfrontiert, den Grundsatz sine vi sed verbo allzu oft missachtet und an Stelle der werbenden Verkündigung die Macht des Schwertes gesetzt zu haben. Dadurch habe sie sich selbst desavouiert, besonders im Blick auf das Judentum. In einer multireligiös geprägten Welt, deren Zukunft von der gegenseitigen Achtung unterschiedlicher Überzeugungen abhänge, müsse das imperiale Konzept der Mission durch den längst überfälligen, vorurteilsfrei und wertneutral geführten Dialog der Religionen abgelöst werden. Angesichts dieser auch von vielen Christen geteilten Meinung ist es zu begrüßen, wenn jenseits der aktuellen Legitimationsprobleme erneut nach den Anfängen der christlichen Mission, ihren Begründungszusammenhängen, historischen Bedingungen, Adressaten, Trägergruppen, Zielvorstellungen und konkreten Erscheinungsformen im Neuen Testament gefragt wird. Nicht nur weil das Christentum ein vitales Interesse an der Rekonstruktion seiner eigenen Frühgeschichte haben muss, sondern weil sich aus den jeweiligen Antworten Perspektiven und Kriterien für eine missionarische Praxis ergeben können, die dem neutestamentlichen Zeugnis entspricht, zugleich aber dialogisch offen ist.

Der hier anzuzeigende Sammelband enthält die überarbeiteten Vorträge des titelgebenden "Symposium on the Mission of the Early Church to Jews and Gentiles", das vom 28.-29. April 1998 an der School of Mission and Theology in Stavanger/Norwegen stattfand. Zusätzlich wurden noch drei weitere Beiträge aufgenommen. Zwei von ihnen erweitern das thematische Spektrum (H. Stettler, R. Riesner), während der von U. Luz eine Replik auf kritische Anfragen an sein Verständnis des MtEv darstellt.

Die Aufsätze sind vier Rubriken zugeordnet. In der ersten "The Gospel of Matthew and the Great Commission" werden Probleme behandelt, die sich aus dem sog. Missionsbefehl Mt 28,16-20 für das Verhältnis des MtEv zum Judentum ergeben: Peter Stuhlmacher, Matt 28:16-20 and the Course of Mission in the Apostolic and Postapostolic Age (17-43)1; Hans Kvalbein, Has Matthew abandoned the Jews? A Contribution to a Disputed Issue in Recent Scholarship (45-62)2; Ulrich Luz, Has Matthew abandoned the Jews? A Response to Hans Kvalbein and Peter Stuhlmacher concerning Matt 28:16-20 (63-68); Oskar Skarsaune, The mission to the Jews - a closed chapter? Some patristic reflections concerning "the great commission" (69-83). Betonen P. Stuhlmacher und H. Kvalbein die Israelzentrik dieses Abschnitts, der sich in das mt Konzept einfüge, die primär der endzeitlichen Sammlung des Gottesvolkes geltende messianische Sendung Jesu auf die öÓË auszuweiten, interpretiert ihn U. Luz israelkritisch. Nach dem Scheitern der Israelmission und der Trennung von der Synagoge richte sich die missionarische Verkündigung nun an die Völker. O. Skarsaune stellt heraus, dass der Text im 2. und 3. Jh. als ein speziell an die Apostel gerichteter umfassender Missionsauftrag gedeutet wurde, den sie auch erfüllt hätten. Gleichwohl werde am kontinuierlichen Zeugnis der Kirche gegenüber Juden und Heiden festgehalten.

Unter der Rubrik "The Acts of the Apostles" folgen die Referate von James M. Scott, Acts 2:9-11 As an Anticipation of the Mission to the Nations (87-123), und Jostein Ådna, James' Position at the Summit Meeting of the Apostles and the Elders in Jerusalem [Acts 15] (125-161)3. J. M. Scott versteht die Herkunftsliste der beim Pfingstgeschehen anwesenden Diasporajuden (Apg 2,9-11) als vorweggenommenen Hinweis auf die Völkermission, deren Stationen im weiteren Verlauf der Apg geschildert werden. Für J. Ådna ist Apg 15,13-21 keine lk Erfindung. Die Passage gibt Jakobus' Rede auf dem Apostelkonvent vielmehr authentisch wieder (überhaupt verdient das ganze Kap. nach Meinung des Vf.s das Prädikat "historically accurate and reliable" [161]). Aus der Sicht des Herrenbruders erweise sich die beschneidungs- und gesetzesfreie Heidenmission, wie sie vor allem Paulus und Barnabas repräsentieren, als gegenwärtige Realisierung der prophetischen Verheißung (Apg 15,16-18 zit. Am 9,11 f.).

Aspekte des Themas "Paul on Mission and Suffering" fokussieren die Beiträge von Scott Hafemann, The Role of Suffering in the Mission of Paul (165-184) und Hanna Stettler, An Interpretation of Colossians 1:24 in the Framework of Paul's Mission Theology (185-208). Während S. Hafemann Leiden und Schwachheit des Apostels (2Kor 4,9 ff.; 12,7 ff.; Gal 4,13) als sichtbares Zeichen seines Verkündigungsinhalts - des gekreuzigten Christus - und damit als Teil seiner missionarischen Existenz interpretiert, setzt H. Stettler einen anderen Akzent. Den enigmatischen Vers Kol 1,24 deutet sie im Kontext der auch im NT begegnenden Vorstellung von den messianischen Geburtswehen, d. h. einer Leidensperiode, die der Parusie Christi voraufgeht (vgl. Mt 24,8; Röm 8,18 ff.; 2Thess 2,6 f.). Mit seinen im Dienst der universalen Mission erlittenen Leiden wolle Paulus die der bedrängten Kirche "auffüllen", um die noch verbleibende Zeit bis zur Parusie zu verkürzen.

Die letzte Rubrik "Historical Contributions" bietet recht Unterschiedliches: Rainer Riesner, A Pre-Christian Jewish Mission? (211-250); I. Howard Marshall, Who were the evangelists? (251-263); Reidar Hvalvik, In Word and Deed: The Expansion of the Church in the pre-Constantinian Era (265-287). R. Riesner bekräftigt einmal mehr die mittlerweile auf breite Zustimmung stoßende These, eine jüdische Mission "in the sense of intended activity" (249, vgl. 223) habe es in neutestamentlicher Zeit und auch davor nicht gegeben. I. H. Marshall arbeitet heraus, dass die frühchristliche Mission nicht allein das Werk von Paulus, seinen Mitarbeitern und den übrigen Aposteln gewesen ist, sondern dass sich auch die Mitglieder der einzelnen Gemeinden in den Dienst der missionarischen Verkündigung gestellt wussten. R. Hvalvik skizziert die wesentliche Entwicklung bis zum Beginn des 4. Jh.s. Aufs Ganze gesehen lassen sich in dieser Epoche keine der Anfangsphase vergleichbaren missionarischen Aktivitäten erkennen. Die Attraktivität und stetige Verbreitung des christlichen Glaubens hatte andere Gründe: überzeugende Lebensführung, innergemeindliche Solidarität, Bereitschaft zum Martyrium, persönliche Kontakte zu Nichtchristen u. a.

Der thematisch weit gespannte und inhaltsreiche Sammelband bietet eine Fülle von Anregungen, die vielfach neues Licht auf alte Fragen werfen. Zu Recht heben nahezu alle Beiträge den missionarischen Impetus der frühen Christenheit hervor, ohne den sie vermutlich eine marginale Größe geblieben wäre. Bisweilen wird jedoch der Eindruck erweckt, als gebe es innerhalb der neutestamentlichen Schriften keinerlei Indizien für quellenkritische Probleme. Dadurch besteht die Gefahr, historische Wirklichkeit und theologisch gedeutete Wirklichkeit stillschweigend zu identifizieren, was hermeneutisch und erkenntnistheoretisch gleichermaßen naiv wäre. Erstaunlich ist auch die methodische Unbefangenheit, mit der denkbare traditions- und textgeschichtliche Zusammenhänge unter der Hand ihren hypothetischen Charakter verlieren und als Stützpfeiler zur Rekonstruktion exegetisch wie historisch höchst umstrittener Sachverhalte herhalten müssen (so z. B. bei J. Ådna). Obwohl sich mehrere Beiträge speziell mit dem zentralen Abschnitt Mt 28,16-20 beschäftigen, bleibt fast völlig außerhalb des Blickfelds, welche Konsequenzen sich aus ihm für eine theologisch reflektierte und verantwortlich gestaltete missionarische Praxis heute ergeben. Die brisante Frage nach der theologischen Legitimität der Judenmission ist dabei nur eine von vielen, wenngleich sie für das Selbstverständnis der christlichen Kirchen fundamental ist. An diesem Punkt hätten die Autoren ohne gesuchte Künstlichkeit den Gegenwartsbezug exegetischer Arbeit deutlich machen können. Insgesamt ist mit den Hgg. zu hoffen, dass der - für viele Interessierte wohl unerschwinglich teure - Band das Seine dazu leistet, unter Rückbindung an die neutestamentlichen Zeugnisse über Grund und Ziel christlicher Mission erneut nachzudenken und ihren konfessorischen Charakter in dialogischer Offenheit zu wahren.

Fussnoten:

1) Die deutsche Fassung ist schon früher veröffentlicht worden, Zur missionsgeschichtlichen Bedeutung von Mt 28,16-20, EvTh 59, 1999, 108-130.

2) Manches findet sich bereits in: ders., Hat Matthäus die Juden aufgegeben? Bemerkungen zu Ulrich Luz' Matthäus-Deutung, ThBeitr 29, 1998, 301-314.

3) Vielfach identisch mit dem Beitrag des Vf.s, Die Heilige Schrift als Zeuge der Heidenmission. Die Rezeption von Amos 9,11-12 in Apg 15,16-18, in: ders. u. a. [Hrsg.], Evangelium - Schriftauslegung - Kirche. FS für P. Stuhlmacher zum 65. Geb., Göttingen 1997, 1-23.