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Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

510–512

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wenham, Gordon J.

Titel/Untertitel:

Story as Torah. Reading the Old Testament Ethically.

Verlag:

Edingburgh: Clark 2000. XII, 180 S. 8 = Old Testament Studies. Geb. £ 22,50. ISBN 0-567-08767-0.

Rezensent:

Eckart Otto

G. J. Wenham, Professor of Old Testament am Cheltenham and Gloucester College of Higher Education, der sich wiederholt zu ethischen Themen geäußert und einen Kommentar zu Levitikus vorgelegt hat (Grand Rapids 1979) wie auch Position in der Frage der Quellenanalyse der Erzählungen des Pentateuch (VT 41) bezogen und in einem Kommentar zur Genesis ausgeführt hat (Dallas 1987/1994), legt ein Plädoyer für eine ethische Interpretation alttestamentlicher Erzählungen am Beispiel der Genesis und des Richterbuches vor, die willkürliche Deduktion moralischer Imperative in antiker und mittelalterlicher Auslegung nach dem mehrfachen Schriftsinn ebenso vermeiden will wie "postmoderne" Zugänge, in denen der Leser den Sinn des Textes kreieren soll. Der Vf. räumt ein, dass wir Heutigen nicht zuletzt auf Grund des "garstigen Grabens" der Geschichte Schwierigkeiten haben zu erkennen, ob ein biblischer Erzähler einen moralischen Standpunkt vertrete oder nicht. "Partly for those reasons systematic discussions of Old Testament ethic" - der Vf. verweist an dieser Stelle auf die Ethik aus der Feder des Rez.,1 die "otherwise most useful" sei - "have avoided the narratives, focussing instead on the direct ethical teaching that is found in the legal codes in the Pentateuch, the exhortations of the Wisdom literature and the preaching of the prophets".

Damit ist genau das Problem beschrieben, und nicht zuletzt der Rez. ist gespannt, wie der Vf. der Falle ethischer Mehrdeutigkeit biblischer Erzählungen in historischer Perspektive entkommen will. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt der Vf. einige Entscheidungen voraus, die alles Weitere bestimmen, nämlich, dass aller eingeräumten literaturhistorischen Differenzierung zum Trotz der Homogenität des ethischen Wertesystems der Vorrang vor der Heterogenität einzuräumen ist, wo diese nicht zwingend ist, und daraus abgeleitet, dass im gesamten AT vom Gerechten mehr erwartet wird, als nur das Gesetz zu halten. Die Quellenkritik wird entsprechend von vornherein als für die Ethik irrelevant deklariert, da die Botschaft der Texte von der Frage nach den Quellen des Autors unabhängig sei. Erfolgversprechender sei die Suche nach dem impliziten Autor, der mit dem biblischen Erzähler der kanonischen Fassung identifiziert wird (M. Sternberg). Um die ihn leitenden Werte also geht es dem Vf. "Detective stories assume that crimes deserve to be punished, should be solved and that the world will be a happier place when they are", meint der Vf. im Anschluss an W. C. Booth2. Und da alle Erzählungen stets didaktisch in dem Sinne seien, dass der implizite Autor darauf aus sei, dass der implizite Leser sich mit der Weltsicht des impliziten Autors identifiziere, wollen also die Autoren von Kriminalgeschichten die Identifikation des Lesers mit der Vorstellung, dass Verbrechen bestraft werden und die Strafe die Welt bessere. Der Rez. greift dieses Beispiel auf, weil sich an ihm das methodische Problem ethischer Interpretation biblischer Erzählungen illustrieren lässt. Nach meiner Kenntnis sind nur eher literarisch uninteressante Kriminalautoren von so naiver Weltsicht, wie der Vf. sie darstellt, die in besseren Kriminalromanen nur von einigen Ordnungshütern geteilt wird, keineswegs aber stets vom impliziten Autor, der eher den Leser in die ethische Aporetik der Welt einführen will.

Der Vf. geht aber darüber hinaus davon aus, dass der implizite Autor biblischer Erzählungen dem Leser ethisch weisende Kommentare beigab, damit der implizite Leser nicht durch eigenes Nachdenken über die Erzählung in die Irre gehe (Ri 20,6; 2Sam 1,13 u. ö.). Mit diesen methodischen Vorüberlegungen ist alles Weitere determiniert. Das Buch Genesis, das in der Endgestalt aus der Königszeit stammen soll, habe eine friedvolle Sicht der Konfliktlösung nach innen (Joseph)3 und nach außen, während das Richterbuch, das noch älter sein könne, militärische Lösungen favorisiere. Beiden Büchern sei die Überzeugung gemeinsam, dass das Land Geschenk Gottes sei, dass Israel darin in Frieden leben solle und dass die Taten der Helden nicht immer vorbildlich seien, es vielmehr Gottes Gnade, nicht deren Verdienst sei, die sie erfolgreich sein lasse (vgl. Dtn 9,5). So solle auch Ri 21 nicht als Höhepunkt einer Gewalterzählung, sondern als Beispiel dafür gelesen werden, dass Gott noch aus Schlechtem Gutes hervorbringe. Das Ergebnis des Buches ist nicht eine Befreiung der "Ethik des Alten Testaments" von einer Überbetonung des Gesetzes, die der Vf. im Blick hat, sondern der Rückfall in eine unhistorische interpretatio Christiana des Alten Testaments im Horizont protestantischer Rechtfertigungslehre, wenn der Vf. als Ergebnis feststellt, es sei in der Ethik alttestamentlicher Erzählungen ein Paradox, dass Gott einerseits furchtbar fordernd ("terribly demanding") sei, wenn er im Sinne eines secundus usus legis gottähnliches Verhalten des Menschen erwarte, andererseits aber, dem menschlichen Versagen zum Trotz, an der Bundesloyalität festhalte und den Menschen durch das Leid hindurch bewahre, das seine eigene Sünde hervorgebracht habe. "Old Testament Ethics are therefore as much about grace as about law: they declare that God, the all-holy, is also God, the all-merciful". Der Vf. lässt sich von der christlichen Dogmatik einen verengten Gesetzesbegriff vorgeben, der das biblische Gesetz einseitig von der Strafsanktion her begreift,4 um mittels der Erzählungen die "Ethik des Alten Testaments" von dieser Fehlinterpretation wieder zu befreien. Da nimmt es auch nicht wunder, dass der Vf. die "Ethik des Alten Testaments" nahe verwandt mit der des Neuen Testaments sieht, wenn gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz jede historische Dimension den Texten ausgetrieben wurde, so dass diese ethische Interpretation der Genesis nicht einmal einer kanonischen Lektüre standhält. G. Steins5 hat die Schlüsselfunktion von Gen 22 in einer kanonischen Lektüre des Pentateuch aufgezeigt. Es war nicht erst S. Kierkegaards Interpretation von Gen 22, die gezeigt hat, dass dieses Kapitel und mit ihm die Erzählungen der Genesis eine nur ethische Interpretation im Sinne der moralisierenden Unterweisung, die der Vf. in ihnen sieht, hinter sich lässt, um die eigentliche theologische Tiefe zu gewinnen.

Der Rez. legt die Monographie des Vf.s mit dem Bewusstsein aus der Hand, dass auch dieser Versuch, alttestamentliche Erzählungen zur Grundlage einer "Ethik des Alten Testaments" zu machen, der interpretatorischen Willkür Tür und Tor öffnet und wissenschaftlichen Anforderungen nicht standhält. Erst eine diachrone Perspektive, die die Endgestalt des Pentateuch zum Erklärungsziel hat, kann der ethischen Fragestellung in Bezug auf die Erzählungen in der Tora ein Fundament geben und interessante Perspektiven eröffnen, wenn sie zeigt, dass die Urgeschichte als kritischer hermeneutischer Schlüssel für die Gesetzesüberlieferungen von Ex bis Dtn fungiert. Das wird insbesondere deutlich an der Kritik, die Gen 2,18-24 am Familienrecht und Gen 9,1-6 am Todes- und Kriegsrecht übt.

Fussnoten:

1) E. Otto, Theologische Ethik des Alten Testaments, ThW 3/2, Stuttgart 1994.

2) The Company We Keep. An Ethics of Fiction, Berkeley 1988.

3) Vgl. dazu jetzt die differenzierten Überlegungen von G. Fischer, Die Josefsgeschichte als Modell für Versöhnung, in: A. Wénin [Hrsg.], Studies in the Book of Genesis. Literature, Redaction and History, BEThL 155, Leuven 2001, 243-271.

4) Vgl. dagegen differenzierter E. Otto, Art. Gesetz II. Altes Testament, RGG4 III, Tübingen 2000, 845-848, sowie ders., Art. Recht/Rechtstheologie/Rechtsphilosophie I. Recht und Rechtswesen im Alten Orient und im Alten Testament, TRE XXVIII, Berlin 1997, 197-209.

5) Die "Bindung Isaaks" im Kanon (Gen 22). Grundlagen und Programm einer kanonisch-intertextuellen Lektüre, HBS 20, Freiburg/Br. u.a. 1999, 133 ff.