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Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

507–510

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Waschke, Ernst-Joachim

Titel/Untertitel:

Der Gesalbte. Studien zur alttestamentlichen Theologie.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2001. X, 339 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft , 306. Lw. ¬ 98,00. ISBN 3-11-017017-5.

Rezensent:

Henning Graf Reventlow

Das Buch, das dem Andenken der beiden kürzlich verstorbenen Lehrer des Vf.s, Siegfried Wagner und Hans-Jürgen Zobel, gewidmet ist, besteht aus zwei Teilen: Teil 1 "Zur Messiasvorstellung" (1-169) enthält als Hauptbestandteil einen längeren Beitrag "Wurzeln und Ausprägung messianischer Vorstellungen im Alten Testament. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung" (3-104), der auf der Grundlage der ungedruckten Greifswalder Habilitationsschrift des Vf.s von 1986 über die messianischen Erwartungen im Alten Testament eine Zusammenfassung dessen bietet, "was ich heute zu diesem Thema zu sagen habe" (Vorwort, VII). In diesem Teil sind außerdem einige bereits veröffentlichte Aufsätze, die mit dem Thema in unmittelbarem Zusammenhang stehen, untergebracht worden. Teil 2 "Zur Theologie" (171-277) vereint weitere Essays, die in einem größeren Kontext zur alttestamentlichen Theologie in Beziehung stehen. Es handelt sich um unveränderte Nachdrucke (Vorwort, VII), die nur technisch in den Zusammenhang des Bandes eingeordnet sind, indem alle dort zitierte Sekundärliteratur jetzt auf die zusammenfassende Auflistung im Literaturverzeichnis (283-317) bezogen ist.

Der Vf. bemerkt ganz richtig: "Das Thema Messias/Messianismus gehört nicht unbedingt zu den Themen, die im Mittelpunkt des Alten Testaments stehen" (157). Erst der Bezug zum Neuen Testament bewirkte die Beachtung, die ihm vor allem in der christlichen Exegese und Theologie zuteil wurde (ebd.). Eben dieser Umstand hat allerdings auch dazu geführt, dass verhältnismäßig viel über das Thema geschrieben worden ist (vgl. u. a. das Literaturverzeichnis in H. Strauß, Art. Messias/Messianische Bewegungen. I. Altes Testament: TRE 22, 1992, 617- 621 und bei Waschke selbst). Allzuviel Neues kann die Forschung dabei nicht entdecken. So ist denn auch der Hauptbeitrag im ersten Teil des Bandes eine solide, aber in keiner Weise überraschende Zusammenfassung der Exegese der im Alten Testament für das Thema "Messianismus" infrage kommenden bekannten Abschnitte. Im Einzelnen stellt sich der Vf. dabei durchweg auf den Standpunkt der herrschenden kritischen Exegese, deren Ergebnisse er jeweils sorgfältig registriert. Es muss aber diskutiert werden, ob diese nicht selbst an manchen Stellen zu hinterfragen wäre.

Greifen wir nur einige Beispiele heraus: Ist die Anlehnung an R. Albertz' "Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit" (1992) und E. Zengers (Hrsg.) "Einleitung in das Alte Testament" (inzwischen in 3., neubearb. Auflage erschienen, 1998) in der These so glücklich, dass sich "das frühe Judentum" mit "der Thora, dem Pentateuch" in persischer Zeit in "einem völlig neuen theologischen Konzept" eine Grundlage gegeben habe (102)? Wobei Albertz' verunglückte Formulierung, damals seien die "prophetischen Wortführer der nationalen Restitutionshoffnungen [...] an die Kandare des Gesetzes" gelegt worden (Albertz, 485), offenbar mit Zustimmung zitiert wird. Hier treffen wir unverändert auf Wellhausens fatale Abwertung des sog. Judentums und damit der Bedeutung der Tora, während die Prophetie isoliert als in vorexilischer Zeit maßgeblich angesehen wird. Allmählich sollte bekannt sein, dass der Begriff Tora mit "Gesetz" missverständlich übersetzt wird, weil das Wort in der christlichen Theologiegeschichte eng mit dem Terminus "Nomos" bei Paulus verbunden ist, der in einem ganz anderen Kontext steht. Aber nicht nur die Verwendung des Begriffes ist fatal: Es bedarf auch dringend einer Neubesinnung über die Stellung des Pentateuchs mit den Gesetzeskorpora in seinem Zentrum in der Religionsgeschichte Israels, wobei sich Wellhausens Einfluss neuerdings trotz der ideologischen Hintergründe seines Urteils über deren Entwicklung eher wieder verstärkt.

Ein anderes Beispiel ist die Behandlung der sog. "Denkschrift" Jesajas über den syrisch-ephraimitischen Krieg, angeblich in Jes 6,1-8,18* (vgl. die Verweise im Bibelstellenregister). Hinter der von K. Budde (in dem Büchlein mit dem verräterischen Titel "Jesajas Erleben", 1928 - nicht im Literaturverzeichnis) einst aufgestellten These einer solchen "Denkschrift" steht noch die alte Hochschätzung der prophetischen "Persönlichkeit", die einer vergangenen Auslegergeneration in Nachwirkung des deutschen Idealismus so wichtig war, inzwischen aber mit Recht zurückgetreten ist. Damals leuchtete die These so ein, weil sie eine Möglichkeit zu bieten schien, ein unmittelbares Zeugnis aus der Feder Jesajas über seine prophetische Sendung vor sich zu haben. Literarisch steht der These vor allem die Formulierung der Berichte von Jes 7 in 3. Person im Unterschied zu der Ich-Rede in Kap. 6 und 8 im Wege (die durch den noch in BHS beibehaltenen Konjekturvorschlag zu V. 3 yla statt der Rede über Jesaja in plumper Weise aus dem Weg zu räumen versucht wurde). Man kann also keineswegs die "Denkschrift" ungefragt voraussetzen, wie es hier geschieht.

Diese beiden Beispiele mögen als Hinweis dienen, dass man bei dem Überblick über ein Thema der alttestamentlichen Theologie nicht einfach auf den Ergebnissen des scheinbar letzten Standes der kritischen Exegese aufbauen kann, sondern sich im Einzelnen zahlreiche exegetische Probleme ergeben. Der Vf. möchte jeweils die aktuelle Auffassung übernehmen, wobei wohl doch öfter eine größere Skepsis zu empfehlen wäre. Ich verweise als weiteres Beispiel auf die Übernahme der neuesten Thesen E. Ottos über die Bedeutung der neuassyrischen Loyalitätseide für die Konzeption des Deuteronomiums (39), eine zur Zeit heiß diskutierte Position, deren Berechtigung noch keineswegs endgültig erwiesen ist. - Dies mag genügen für den Aufweis, dass doch manche Anfragen an diese Darstellung zu richten sind. Exemplarisch zeigt sich das darin, dass es beim heutigen Stand der Exegese viel schwieriger ist als einst, ein Einzelthema der alttestamentlichen Theologie auf einer verlässlichen exegetischen Grundlage zusammenfassend darzustellen.

Gegenüber der Langfassung ist der kurze Beitrag: "Die Frage nach dem Messias im Alten Testament als Problem alttestamentlicher Theologie und biblischer Hermeneutik" (157-169; aus ThLZ 123, 1998) vielleicht gerade deswegen vorzuziehen, weil er sich auf die hermeneutischen Grundprobleme beschränkt. Hier erhält man einen einführenden guten Überblick über das Thema. Eine kleine Bemerkung ist allerdings zu Anm.2 (157) nötig: Das Buch von Henri Cazelles lässt sich nicht unter die im Schwerpunkt christologischen Titelformulierungen einreihen, weil das Original im Haupttitel mit "Le Messie de la Bible" (Paris 1978) überschrieben ist. Außerdem stehen noch in Teil 1: "Das Verhältnis alttestamentlicher Überlieferungen im Schnittpunkt der Dynastiezusage und die Dynastiezusage im Spiegel alttestamentlicher Überlieferungen" - es geht hier, wie so oft, um die "Nathansweissagung" in ihren verschiedenen Ausprägungen (105-125 = ZAW 99, 1987); "Richte ihnen auf ihren König, den Sohn Davids - Psalmen Salomos 17 und die Frage nach den messianischen Traditionen" (127-140 = U. Schnelle [Hrsg.], Reformation und Neuzeit. 300 Jahre Theologie in Halle, 1994); "Die Stellung der Königstexte im Jesajabuch im Vergleich zu den Königspsalmen 2, 72 und 89" (141-155 = ZAW 110, 1998). Das Thema hat den Vf. also auch nach seiner Habilitationsschrift weiter beschäftigt.

Teil 2 enthält folgende Beiträge: "Eschatologie als hermeneutischer Schlüssel prophetischen Geschichtsverständnisses" - behandelt werden Am 5,18 und Hos 3,5 als Beispiele für Gegenwartserfahrung und Zukunftsgewissheit, sowie die Bundesvorstellung (173-187 = H. J. Zobel, [Hrsg.], Hermeneutik eschatologischer biblischer Texte, Greifswald 1983); weiter "Mythos als Strukturelement und Denkkategorie biblischer Urgeschichte" (189-205 = ThV XVI, 1986). Hier wäre die Frage zu stellen, ob die in der Entmythologisierungsthese wurzelnde Entgegensetzung von Mythos und Theologie: "Mythos ist immer irgendwo Widerspiegelung von Welt, Theologie ist Schöpfung" (204), die den Mythos abwertet, den Erkenntnissen neuerer Mythosforschung (vgl. z. B. K. Hübner) noch standhalten kann. Dazu vgl. Rez.: "Mythos im Alten Testament - Eine neue Wertung?", in: G. Binder, B. Effe [Hrsg.], Mythos, Trier 1990, 33-55. - Es folgen: "Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst? (Ps 8,5) Theologische und anthropologische Koordinaten für die Frage nach dem Menschen im Kontext anthropologischer Aussagen" (207-219, unter Einbezug verwandter Stellen = ThLZ 116, 1991) - positiv zu werten ist hier der Hinweis auf den theologischen Charakter der Weisheit; "Es ist dir gesagt, was gut ist [...] (Mi 6,8). Zur Frage nach dem Begründungszusammenhang einer biblischen Ethik am Beispiel des Dekalogs (Ex 20/Dtn 5)" (221-233 = ThLZ 118, 1993); "Ein Volk aus vielen Völkern. Die Frage nach Israel als die Frage nach dem Bekenntnis seiner Erwählung (235-252 = FS S. Wagner, 1991) - sie bleibt als "Status" bestehen, aber die christliche Verkündigung brachte die Ökumene aus vielen Völkern; "Zur Frage nach einer alttestamentlichen Theologie im Vergleich zur Religionsgeschichte Israels" (253-266 = FS S. Wagner, 1995) - gleichzeitig erschien zum gleichen Thema JBTh 10, 1995; "Die Einheit der Theologie heute als Anfrage an das Alte Testament - ein Plädoyer für die Vielfalt" (267- 277 = FS H. D. Preuß, 1992) - Vielfalt ist nötig, allein JHWH könnte eine "Mitte" sein (276 f.).

Im Anhang (278-339) folgen noch eine Reihe von Registern: Ein "Nachweis der Erstveröffentlichungen", ein ausführliches Literaturverzeichnis für alle Beiträge zusammen, ein Autorenregister, ein Bibelstellenverzeichnis sowie eine Liste der hebräischen Wörter und Wendungen.

Eins wäre noch zu bedenken: Der unveränderte Abdruck früherer Aufsätze ist als Dokumentation ehrlich und nützlich, wenn auch wohl nicht unentbehrlich, wenn die meisten im Original leicht zugänglich sind. Zu Zitaten nach dem Neudruck sollte sie nicht nötigen. Problematisch ist die steigende Zahl teurer Bände einer einzigen Reihe, die, für private Interessenten seit langem unerschwinglich, immer mehr auch aus dem schmalen Budget öffentlicher Bibliotheken unbezahlbar wird.