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Ausgabe:

Mai/2002

Spalte:

505–507

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schüngel-Straumann, Helen

Titel/Untertitel:

Tobit. Übers. u. ausgelegt von H. Schüngel-Straumann.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2000. 198 S. gr.8 = Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament. Geb. ¬ 45,00. ISBN 3-451-26819-1.

Rezensent:

Otto Kaiser

Der vorliegende Kommentar kommt dem Bedürfnis nach einem Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu dem liebenswerten Tobitbuch entgegen. Dem von Erich Zenger entwickelten Konzept der Reihe gemäß legt er den Nachdruck auf die Erklärung des Endtextes. Demgemäß setzt die auf die üblichen Register und Verzeichnisse (11-33) folgende Einleitung (35-49) unter 1. mit einer Skizzierung von Inhalt und literarischer Struktur ein (36-39). Dabei bereitet die knappe Inhaltsangabe auf die anschließende Strukturanalyse vor, die dem Leser die kunstvolle Verknüpfung der Motive bewusst macht und zeigt, dass der Hauptteil 4,1-14,2a eine Ringkomposition darstellt. Seiner Gattung nach bestimmt die Autorin das Buch als eine didaktische Wegerzählung, die dem frommen Israeliten/der frommen Israelitin das Leben als eine Reise auslegt und sie lehrt, wie man in "einer heidnischen Umwelt gottgefällig leben" kann (39). Der Rez. bevorzugt auch weiterhin die Bezeichnung als romanhafte Lehrerzählung, die im Horizont eines volkstümlichen Engel- und Wunderglaubens paradigmatisch zeigt, dass Gott denen, die trotz ihrer Treue zu ihm Krankheit und Unrecht leiden, gemäß Ps 91,11 durch seinen Engel beisteht, oder um es mit der Vfn. S. 49 zu sagen: "Der Leitgedanke der ganzen Dichtung läßt sich zusammenfassen in dem Satz: Gott behütet die Frommen auf ihrem Weg bis zum (guten) Ende." Unter der Überschrift der "Entstehung des Buches" (39-42) werden ausdrücklich nur die Fragen der Textüberlieferung, von Entstehungszeit und -ort sowie der Stil diskutiert. Nach der fundamentalen Untersuchung von Robert Hanhart (1984), schließt sich auch Helen Schüngel-Straumann wie vor ihr Merten Rabenau (BZAW 220, 1994) und Beate Ego (JSHRZ III/6, 1999) der Hypothese an, dass der Langtext G II älter als der Kurztext G I ist, für den sich Paul Deselaers (OBO 43, 1982 und Geistliche Schriftlesung 11, 1990) entschieden hatte. G II scheint zudem durch die Textfunde aus 11 Q bestätigt, die jedenfalls zeigen, dass der Urtext semitisch war, ohne dass sich bereits entscheiden lässt, ob er Aramäisch oder Hebräisch abgefasst wurde. Da die Vfn. die für die Wirkungsgeschichte besonders wichtige moralisierende Ausgestaltung der Erzählung durch die Vulgata betont (46-47), wäre ein expliziter Hinweis auf den Prolog des Hieronymus (Sacra Biblica Latina, rec. O. Weber, I, 676) hilfreich gewesen, weil der Kirchenvater hier Auskunft über seine an einem einzigen Tag hergestellte Übersetzung auf Grund einer mündlichen Vorlesung durch einen des Hebräischen (= Hebräischen + Aramäischen) überaus kundigen Mannes gibt; denn üblicherweise hat Hieronymus die von ihm übersetzten Texte nicht paraphrastisch erweitert. Warum die Vfn. den allgemein zugänglichen Vulgatatext am Ende ihrer Kommentierung (184-194) abdruckt, ist mir unverständlich geblieben. Die Entstehung des Buches setzt die Vfn. zeitlich um 200 v. Chr. und örtlich in Antiochien an. Warum sich Rabenau (nach Überprüfung der dafür von Josef Milik vorgebrachten Gründe) für die Lozierung der Grunderzählung (!) im Nordreich entscheidet, bleibt dunkel. Die Frage der literarischen Schichtung tritt so sehr in den Hintergrund, dass Deselaers Schichtenhypothese in einer Fußnote (40, Anm. 8) und die Rabenaus überhaupt nicht erwähnt wird. Ob man die Erzählung als humorvoll und ihren basalen Konflikt als ironisch bezeichnen kann, wird trotz der Berufung auf Moore (42) umstritten bleiben. Es folgen weiterhin eine Darstellung der "Stellung im jüdischen und christlichen Kanon" (42-44) und eine solche der "Theologischen Bedeutung im Judentum und im Christentum" (44-48); wobei die Vfn. für die christliche Wirkungsgeschichte auf die einschlägige Darstellung von Johannes Gamberoni (1969) zurückgreifen konnte, die einen Glücksfall für die Auslegerin darstellt, um die sie mancher Kollege bei der Exegese seines biblischen Buches beneiden wird. Schließlich werden die "Theologischen Grundgedanken und Fragestellungen der Auslegung" unter den Gesichtspunkten der Leitbegriffe, des Weges, der Barmherzigkeit und des Segnens/Lobpreisens mit dem oben bereits referierten Ergebnis behandelt.

Der zur Verfügung stehende Raum verbietet es, die insgesamt erfreulich nahe beim Text bleibende Auslegung weiterhin kommentierend zu begleiten. Der Rez. belässt es daher bei den Hinweisen, dass die Vfn. zur Entlastung ihrer Auslegung im Interesse der Vermittlung religions- und sozialgeschichtlicher Informationen an die Leserschaft hinter 1,10-22 drei Exkurse über "Bezüge zum Buch Judit", "Das Begraben von Toten als Werk der Barmherzigkeit" und "Achikar" (61-66) und weitere hinter 2,11-14 (Die Frau Ijobs im Test Job, 74-76), 3,7-10 (11a) (Tamar und Sara. Die Gefährlichkeit der Frau als Killer Wife, 82-86), 4,1-24 (Die Leitbegriffe eleemosune, dikaiosune und aletheia, 101-104), 7,9-17 (Die Beziehungen zu Gen 24 [Isaaks Werbung um Rebekka], 129-131), 8,10-21 (Die Frauen in Raguels Familie und die Stellung von Frauen im 2. Jh. v.Chr., 139-141), 12,1-22 (Engel, 159-160) und 13,2-9 (Gottesbezeichnungen in Tob 13 mit Blick auf die übrigen Gebete im Tobitbuch, 170-172) bietet. Zum Zeichen, dass der Rez. den Kommentar gelesen hat, erlaubt er sich einige wenige kritische Anmerkungen: S. 103 erstaunt, dass als Belege für die Goldene Regel zwar die armenische Version des Achikar, aber nicht Arist 207 und TestSeb 5,3 erwähnt werden. Ob man die Einstellung des Tobitbuches zu den Ärzten neben Sir 28 stellen darf (118), bleibt ihm zweifelhaft. Der Erzähler hält es eher mit der Volksmedizin als mit den Ärzten und lässt deren Praktiken einschließlich eines magischen Exorzismus (vgl. 134) durch nachfolgende Gebete und vor allem ihre Offenbarung durch einen Erzengel legitimieren (vgl. Dtn 18,10 f., aber auch 11Q 11). Will man in Gen 24,28 an eine matriarchalische Tendenz denken (130-131), sollte man nicht versäumen, an die "vermögende Frau" in Prov 31,10-31 zu erinnern, die kürzlich von Christine Roy Yoder (BZAW 304) sozialgeschichtlich verortet worden ist. Dass Adam in Gen 2 als Gattungsbegriff gebraucht sei (135), lässt sich so generell kaum sagen. Schließlich wird nicht aus jedes Mannes Rippe eine Frau produziert, sondern in der Mythe nur aus der des einen Urmenschen. Doch um mit einem freundlichen Hinweis zu schließen, sei auf die Abb. 1-3 hingewiesen, die Rembrandts Radierungen "Tobias mit dem Engel" (115) und "Der blinde Tobit geht seinem Sohn entgegen" (150) sowie sein dramatisches Gemälde "Der Engel verläßt die Familie des Tobit" (158) wiedergeben. Sie erinnern auch die zur Zunft gehörende Leserschaft daran, dass es auch eine wirkungsmächtige Auslegung der biblischen Geschichte in der darstellenden Kunst gibt.