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Ausgabe:

April/2002

Spalte:

457 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Ritter, Werner H. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion und Phantasie. Von der Imaginationskraft des Glaubens.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. 182 S. m. 3 Abb. 8 = Biblisch-theologische Schwerpunkte, 19. Kart. ¬ 12,90. ISBN 3-525-61385-7.

Rezensent:

Martin Schreiner

Der von dem Bayreuther Religionspädagogen Werner H. Ritter herausgegebene Sammelband lädt die Lesenden zur Wiederentdeckung von Phantasie für Theologie und Religionspädagogik ein - ein seit Hans-Günter Heimbrocks 1977 erschienenem Buch "Phantasie und christlicher Glaube" zu Unrecht vernachlässigtes Thema. Die Autoren und Autorinnen intendieren - wie es Walter Jens in seinem lesenswerten Vorwort schreibt - "die in biblischer Prophetie enthaltene Botschaft mit Hilfe der Königin Imagination, wie Baudelaire die Phantasie genannt hat, neu zu beleuchten und bei der Lektüre eine ebenso nüchterne wie entzückte, sachlich und enthusiasmiert vorgehende Einbildungskraft walten zu lassen" (7). Sie gehen davon aus, dass "im Bannkreis jener Phantasie, die, mit Pascal, coeur und raison verbindet, das Dogma spirituell (und nicht strohern-authentisch) sein und die vermeintlich bescheidene Erzählung herzbewegendes Pathos enthalten kann" (ebd.). Sowohl an biblischen Texten als auch an Beispielen religiöser Lern- und Bildungsprozesse erläutern die Autoren und Autorinnen Phantasie als notwendige und legitime Gestalt jüdisch-christlichen Glaubens, als den sichtbaren, spürbaren und Gestalt gewordenen "Ausdruck der Sehnsucht nach sinnlicher Religion und veränderbarer Wirklichkeit" (180).

Unter den allesamt lesenswerten sieben Beiträgen ragen insbesondere heraus:

1. Die pointierten Gedankenspiele von Wolfgang Schoberth mit dem Titel "Das Spiel der Begriffe - oder: Wie phantasievoll muss die Dogmatik sein?" (63-88). Er zeigt darin luzide, dass Dogmatik und Phantasie aufeinander angewiesen sind und dass eine phantasielose Dogmatik ebenso leblos und damit inhaltsleer wird, wie die Phantasie ohne kritische Disziplin willkürlich und damit kraftlos wird (66).

2. Die anschaulichen Ausführungen von Helmut Hanisch mit dem Titel "... manchmal träume ich, daß Gott eine Tochter hat, die sich um die Gedanken, Wünsche und Träume der Kinder kümmert" (89-112). Anhand vieler Praxisbeispiele zeigt dieser, wie Kinder im religiösen Bereich ihre Phantasie nutzen, um sich Glaubensaussagen auszumalen oder sich ihre Glaubenswelt zu erschließen und zurechtzulegen.

Zu Recht hält Hanisch es für eine wichtige Aufgabe des Religionsunterrichts, "die religiösen Phantasien der Kinder wahrzunehmen und zu thematisieren. Dabei kann es nicht darum gehen, bestimmte Phantasien der Kinder als Phantastereien zu übergehen oder gar zurückzuweisen, sondern es kommt darauf an, sensibel darauf zu achten, wie Kinder ihre Phantasie in religiösen Zusammenhängen gebrauchen. Die Beschäftigung mit den Vorstellungen der Kinder kann zu heilsamen Irritationen führen, die Anlass geben, den eigenen Glauben und den der Kinder zu überdenken. Je mehr in der Schule der kindlichen Phantasie Raum gegeben wird, um so mehr kann davon ausgegangen werden, daß religiöses Lernen im Sinne der Aneignung möglich wird" (112).

3. Die grundlegenden Überlegungen des Herausgebers Werner H. Ritter über "Kindliche Religion und Phantasie - dargestellt an einem exemplarischen Kapitel der Religionspädagogik" (151-180), nämlich an der Position Richard Kabischs in der Hoch-Zeit der sog. Liberalen Religionspädagogik am Anfang des 20. Jh.s. Nach Ritter "beflügelt, inspiriert, beatmet die Phantasie die Menschen und macht sie wirklichkeits- und lebenstauglich, zielt also nicht auf eine religiöse Sonderwelt neben oder hinter der Alltagswelt, sondern auf letztere. Über (religiöse) Phantasie, Poesie und Ästhetik, d. h. Wahrnehmung von Bildern, Gestalten etc., kann der Glaube in Gestalt und Gestalten von Menschen produktiv subjektiv angeeignet werden" 179f.). Dem Büchlein sind viele phantasievolle Lesende zu wünschen.