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Ausgabe:

April/2002

Spalte:

455 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Klie, Thomas

Titel/Untertitel:

Religionsunterricht in der Berufsschule: Verheißung vergegenwärtigen. Eine didaktisch-theologische Grundlegung.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2000. 261 S. gr.8 = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 14. Geb. ¬ 39,90. ISBN 3-374-01717-7.

Rezensent:

Gottfried Adam

Thomas Klie, Dozent am Religionspädagogischen Institut in Loccum, legt eine Didaktik des Religionsunterrichts an berufsbildenden Schulen (= BRU) vor, der es um eine "Didaktik der Verheißung" geht.

Nach einer Analyse der Berufsschule (23-44) erfolgt eine kritische Evaluation von vier bisherigen didaktischen Konzepten des BRU (45-75): Horst Gloys Weg der Existenzklärung ("Religiöse Ansprechbarkeit"), Jürgen Lotts Konzept einer gesellschaftspolitischen Ethik, Rainer Mayers "Ethik lehren" und Norbert Weidingers Symboldidaktik. Als Ertrag wird herausgestellt, dass die vier didaktischen Konzepte das nachhaltige religionspädagogische Interesse zeigen, die christliche Botschaft an der Berufsschule situationsadäquat und sachgerecht zu vermitteln. Kritisch stellt K. fest, dass weder nur symbolische Objektivationen (Weidinger) noch eine identifizierbare Ansprechbarkeit (Gloy), weder die Argumentation von Tradition und Texten her (Mayer) noch eine ideologische Verkürzung (Lott) der christlichen Religion gerecht werden.

Es wird betont, dass Religion im Rahmen einer Religionsdidaktik zum Zuge kommen muss, in der Religion primär in Bezug auf die sich durch sie vollziehende Identitätszuschreibung thematisiert wird. "Die evangelische Religion bekennt im Glauben an die Verheißung der leistungslosen Annahme des Gottlosen (Röm 4,5) diese Identitätszuschreibung. Dieser Glaube ist kommunikabel und drängt zu Mitteilung und Darstellung und damit auch zu ,öffentlicher Anreizung' (Luther)" (74).

In Kap. 3 wird der eigene Ansatz theologisch durch eine Exegese von Röm 4 und ihre Verheißungsaussage und durch den Rekurs auf Luthers Promissio-Begriff in seiner Schrift "De captivitate babylonica ecclesiae praeludium" (von 1520) zu Grunde gelegt. Es wird die Relation von Verheißung und Glaube als zentraler Zugang auf der theologischen Ebene herausgearbeitet. Hier folgt der Autor der theologischen Konzeption seines Lehrers Christoph Bizer (Göttingen).

In den Kap. 4 bis 6 folgt die positive Konstruktion. Dabei ist es das Ziel, "die Hermeneutik biblischer Texte mit der Hermeneutik von Lebenswelten und -geschichten in Beziehung zu setzen" (116). Konkret wird dies durchexerziert an einer BRU-Stunde mit Kraftfahrzeugmechaniker-Azubis. Methodisch wird dazu die Oevermannsche objektive Hermeneutik und deren sequenzanalytisches Vorgehen angewandt. Inhaltlich geht es im Zusammenhang einer größeren Einheit "Lebenswege" um Biographie und Zukunftsentwürfe als Einstieg in das Thema, womit die Lebenswelt der Jugendlichen mit all ihren Verheißungen, Befürchtungen, Hoffnungen, Ängsten usw. präsent ist.

In einem weiteren Schritt "Verheißungen vergegenwärtigen" wird auf das von Heinz Schmidt vorgetragene Transformationsmodell rekurriert, das in anspruchsvoller Weise religiöses Lernen als einen dreifachen Transformationsprozess der Aneignung beschreibt, der sich von einer religiösen Erziehung als Prozess der Anpassung deutlich unterscheidet, insofern es um die Rekonstruktion der eigenen Subjektivität unter der symbolischen Prämisse der christlichen Überlieferung geht. Allerdings ist K. der Schmidtsche Ansatz zu weitgehend. Er möchte ihn um "normativ gehaltvolle, theologische Kriterien" erweitern in dem Sinne, dass die "Hermeneutik christlicher Praxis [...] das konfessionelle Moment des RU" bedingt (156). Zudem sieht er die Gefahr einer funktionalisierenden Verkürzung von Religion bei Schmidt nicht hinreichend bedacht (157). Damit wird aber das Transformationsmodell von Schmidt sozusagen domestiziert. Ich frage, ob K.s Konzept nicht letztlich doch wieder von einem Prae der Verheißung her konzipiert ist statt von einer wirklichen Begegnung von Lebenswelt und biblischen Texten unter den Perspektiven einer Transformationsdidaktik. Dies sehe ich als offenes Problem und ist m. E. die entscheidende Anfrage.

Es schließen sich interessante Ausführungen zu lerntheoretischen, theologisch-hermeneutischen und spieltheoretischen Fragestellungen an. Sie führen hin zu einem didaktisch-methodischen Dreischritt von (1) Verheißungstexte zuspielen - elementare Unterbrechung, (2) Vergegenwärtigungen erspielen - si Deus daretur, (3) Orientierungsgewinne ausspielen - Bewährung zu wagender Freiheit (196 f.). Es folgen noch zwei illustrative Konkretionen, die kurzweilig zu lesen sind.

Die Veröffentlichung verdient allein schon deshalb Aufmerksamkeit, weil sie eine der wenigen umfangreicheren Publikationen zum BRU darstellt. Sie verdient auch deshalb das Interesse, weil sie den BRU theologisch und didaktisch verantworten möchte. Die theologische Verantwortung ist mit der Bizerschen Kategorie deutlich herausgearbeitet. Hinsichtlich der didaktischen Seite wird die Praxis im Sinne dieses Konzeptes zeigen, ob die Theorie das leistet, was sie dem eigenen Selbstanspruch nach leisten will oder ob sie wirkungsgeschichtlich einfach wieder die Wege zu einem erneuerten deduktiven Didaktikverständnis ebnet.

Im Übrigen: Die Arbeit bewegt sich auf einem hohen Reflexionsniveau und beschäftigt sich mit der Vermittlungsfrage von Tradition und d. h. mit der zentralen Fragestellung gegenwärtigen religionspädagogischen Nachdenkens. Auch deshalb verdient sie intensive Lektüre, nicht nur von BRU-Didaktikern.