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Ausgabe:

April/2002

Spalte:

446–449

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Shults, F. LeRon

Titel/Untertitel:

The Postfoundationalist Task of Theology. Wolfhart Pannenberg and the New Theological Rationality.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 1999. XVI, 270 S. 8. Kart. £ 25,00. ISBN 0-8028-4686-6.

Rezensent:

Friederike Nüssel

Die Untersuchung des nordamerikanischen Theologen F. LeRon Shults hebt darauf ab, zwei unterschiedliche Denktraditionen, nämlich die im angloamerikanischen Sprachraum verbreitete analytische Religionsphilosophie und die kontinentale philosophische Theologie miteinander ins Gespräch zu bringen (vgl. das Vorwort, XI). Dieses Anliegen verbindet S. mit einer neuen Interpretation der Theologie Wolfhart Pannenbergs (P.). Während die Theologie P.s in der nordamerikanischen Rezeption häufig dem epistemischen Fundamentalismus ("foundationalism") zugerechnet und entsprechender Kritik von seiten nichtfundamentalistischer Ansätze ("nonfoundationalism") ausgesetzt ist, versucht S. zu zeigen, dass P.s Methodologie einer postfundamentalistischen Aufgabenbestimmung der Theologie entspricht, die den Gegensatz von Fundamentalismus und Nonfundamentalismus überwindet (237). Die Leistungsfähigkeit postfundamentalistischer Theologie erblickt S. darin, im interdisziplinären Gespräch innerhalb unserer postmodernen Kultur zum einen die Verpflichtung zu intersubjektiver, transkommunaler theologischer Argumentation für die Wahrheit des christlichen Glaubens zu betonen, zum anderen aber die Vorläufigkeit unseres historisch bedingten Verstehens und unserer kulturell bedingten Erklärung der christlichen Tradition und religiöser Erfahrung einzugestehen (237).

Im ersten, einleitenden Kapitel seines Buches gibt S. einen - für den deutschsprachigen Raum sehr interessanten - Überblick über kritische nordamerikanische Stimmen, die in P.s Konzeption eine Auseinandersetzung mit postmoderner Kritik an traditionellen Konzepten von Rationalität und Wahrheit vermissen und seine Argumentation dem epistemischen Fundamentalismus zuordnen (1-11). Umstritten sei sodann auch die Frage nach dem Status anthropologischer und philosophischer Argumentation in P.s Konzeption (12 ff. 15 ff.).

Um P.s Ansatz mit der postfundamentalistischen Aufgabe der Theologie in Verbindung bringen zu können, entwickelt S. im zweiten Kapitel (25 ff.) das postfundamentalistische Modell theologischer Rationalität als Mittelweg zwischen dem in der Aufklärung entstandenen epistemischen Fundamentalismus, der die Vernunft und mit ihr bestimmte Grundüberzeugungen für absolut erklärt (31; vgl. 32-35), und der entgegengesetzten Position des Nonfundamentalismus, der die Vernunft als relative Größe ansieht und davon ausgeht, dass es keine Grundüberzeugungen gibt, die als unabhängig von anderen Überzeugungen ausgewiesen werden können (31, vgl. 36-38). S. stellt sodann mehrere nordamerikanische Entwürfe vor, die gezielt oder faktisch eine Überwindung der Dichotomie zwischen Fundamentalismus und Nonfundamentalismus anstreben (38 ff.). Unter besonderem Rekurs auf J. Wentzel van Huysteen (39) entwirft S. vier Doppelbestimmungen ("couplets", 43), mit Hilfe derer er das Modell des Postfundamentalismus kennzeichnet.

Die erste Bestimmung betrifft das Verhältnis von Erfahrung und Überzeugung. Sie besagt, dass interpretierte Erfahrung allen unseren Überzeugungen zu Grunde liegt, gleichzeitig aber ein Netzwerk von Überzeugungen die Interpretation von Erfahrung bestimmt (43-50). Die zweite Doppelbestimmung besagt, dass die objektive Einheit der Wahrheit eine notwendige Bedingung für die Suche nach Erkenntnis ist, dass aber zugleich subjektive Vielfalt von Erkenntnis die Fallibilität von Wahrheitsansprüchen anzeigt (43). Die dritte Doppelbestimmung bezieht sich auf das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft ("community"). Ihr zu Folge ist vernünftiges Urteilen eine Aktivität sozial situierter Individuen, gleichzeitig aber vermittelt die kulturelle Gemeinschaft auf unbestimmte Weise die Kriterien von Rationalität (43). Die vierte Doppelbestimmung ist von besonderer Bedeutung für die interdisziplinäre Verortung der Theologie (81), weil sie das Verhältnis von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften betrifft. Sie bezieht sich auf die Unterscheidung von Erklärung und Verstehen und besagt, dass Erklärung auf ein universales, transkontextuelles Verstehen zielt, während sich dieses Verstehen seinerseits aus einzelnen kontextuell bedingten Erklärungen ableitet (43).

Um die ,Familienähnlichkeit' der Methodologie P.s zum Postfundamentalismus aufweisen zu können (83), muss S. im dritten Kapitel zunächst in Auseinandersetzung mit verschiedenen anderen Interpretationsversuchen zeigen, dass ,Geschichte' oder ,Prolepse' (84-92) ihrerseits noch einmal dem Grundprinzip unterstehen, alle Inhalte sub ratione Dei, d. h. in Relation zu Gott aufzufassen und zu erklären (92, 110). Die Besonderheit der P.schen Konzeption sieht S. dabei darin, dass P. die durchgängige Relation sub ratione Dei in der materialen Durchführung innerhalb der Systematischen Theologie nach dem reziproken Verhältnis zwischen "wahrhaft Unendlichem" und "Dreieinigkeit Gottes" gestaltet (92). Auf der Basis dieses Grundprinzips P.scher Theologie zeigt S. sodann im Einzelnen, dass und wie P. den von ihm benannten postfundamentalistischen Doppelbestimmungen entspricht (110-153) und also eine ,Familienähnlichkeit' mit dem Postfundamentalismus aufweist (81, 117).

Interessant für die innertheologische Debatte über die Konzeption P.s ist vor allem das vierte Kapitel der Untersuchung. S. vertritt hier in Abgrenzung von vielen Interpreten (169 ff.) die These, dass die fundamentaltheologische Argumentation P.s "von unten", wie sie insbesondere durch die Anthropologie vollzogen wird, in einem komplementären, reziproken Verhältnis zu seiner systematisch-theologischen Argumentation "von oben" stehe. Dabei komme aber der Argumentationsbewegung "von oben" materielle Priorität zu. Ein akkurates Modell für die Reziprozität beider Argumentationsbewegungen müsse darum der differenzierten Zweipoligkeit, der Asymmetrie und der relationalen Einheit der P.schen Argumentation Rechnung tragen (178). Im Anschluss an einen diachronen Überblick über P.s Einsatz anthropologischer Argumentation über einen Zeitraum von knapp vierzig Jahren (178-203) bietet S. eine synchrone Darstellung von P.s theologischer Anthropologie, in der er das von James Loder und W. Jim Neidhardt entfaltete Modell asymmetrischer, bipolarer, relationaler Einheit (206-208) zur Beschreibung der Verhältnisbestimmung von fundamentaltheologischer und systematisch-theologischer Argumentation bei P. heranzieht (208-211).

Wie sich das diesem Modell entsprechende Wechselspiel der Argumentationsbewegungen "von oben" und "von unten" in P.s "Anthropologie in theologischer Perspektive" und in der "Systematischen Theologie" vollzieht, demonstriert S. sodann in einer Rekonstruktion von P.s Deutung der Natur des Menschen, seiner Würde und seines Elends (212-235). Damit ist das Argumentationsziel von S. erreicht, nämlich der Aufweis, dass sich P.s Methodologie mit der postfundamentalistischen Aufgabe der Theologie verbinden lässt. P. selbst erklärt sich im Vorwort, das der Untersuchung vorangestellt ist, mit dieser Interpretation seiner Theologie einverstanden.

Der Beitrag P.s zum Postfundamentalismus (240-250) besteht, wie S. im fünften Kapitel zusammenfasst, nicht nur in der faktischen Übereinstimmung mit den postfundamentalistischen Kriterien, sondern zugleich darin, ein relationales Modell für die Verbindung von Epistemologie und Hermeneutik zu bieten und einen Weg zu weisen, um den christlichen Gottesbegriff interdisziplinär ins Gespräch zu bringen (241). Soll die P.sche Methodologie entsprechend zum Einsatz gebracht werden, ist sie aber, wie S. abschließend fordert, auch in mehrfacher Hinsicht kritisch zu modifizieren. Zunächst müsse die postmoderne Herausforderung ernster genommen und der Gedanke der Einheit der Wahrheit als solcher problematisiert werden (248). Weiter seien die neuen Entwicklungen im Bereich anthropologischer Argumentation einzubeziehen (249) und schließlich sei auch eine Anpassung der Terminologie an das postfundamentalistische Denken vonnöten (250). Eine wichtige Implikation für die postfundamentalistische Gestaltung der Theologie sieht S. außerdem darin, dass die methodologische Reflexion nicht mehr in Prolegomena, sondern in "Paralegomena", d. h. in Verbindung mit der materialen Entfaltung der Dogmatik anzustellen sei.

Die Studie von S. muss durch ihren rekonstruktiven Ansatz und die neue Interpretation der P.schen Theologie als entscheidender Beitrag zur Begründung seiner abschließend geäußerten Hoffnung gewertet werden, "that developments in the postfoundationalist model of rationality may provide theologians with conceptual tools that will prove their fecundity in radical interdisciplinary dialogue with postmodernity" (253). Wer sich mit der Frage nach der Aufgabenbestimmung systematischer Theologie und/oder mit der Interpretation der Theologie W. Pannenbergs beschäftigt, wird die Untersuchung von S. mit Gewinn zur Kenntnis nehmen.