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Ausgabe:

April/2002

Spalte:

439–441

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Thomas, John Heywood

Titel/Untertitel:

Tillich.

Verlag:

London-New York: Continuum 2000. XII, 188 S. 8 = Outstanding Christian Thinkers. Kart. US$ 21,50. ISBN 0-8264-5083-0.

Rezensent:

Johann Hinrich Claussen

Von Paul Tillich geht eine ungebrochene Faszination aus. Sein bewegtes, grenzgängerisches Leben zwischen den Kulturen, Kontinenten und Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts zieht immer noch in den Bann. Auch seine Bücher, mit der ihnen eigentümlichen Mischung "Leidenschaft und Abstraktion" (21), erscheinen immer noch attraktiv. Lehrveranstaltungen, die Paul Tillich auch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod zum Gegenstand machen, erfreuen sich unverändert guten Zuspruchs. Während Gründungsfiguren des Neuprotestantismus wie Schleiermacher, Rothe oder Ritschl, aber auch direkte Vorgänger wie zum Beispiel Troeltsch sehr viel unzugänglicher erscheinen oder gar als bloße Figuren einer vergangenen Epoche gelten und während spätliberale Zeitgenossen inzwischen fast völlig vergessen sind, umgibt das Werk von Paul Tillich eine eigentümliche Aura des Aktuellen. In ihm scheint in einzigartiger Weise die unabgegoltene Modernität des deutschen Neuprotestantismus gegenwärtig zu sein.

Doch weil auch dieser große deutsche Theologe in eine historische Distanz tritt, sein Stil, sein System und seine Denkvoraussetzungen heutigen Anfängern in Theologie und Philosophie zunehmend fremd werden, wächst der Bedarf an einführenden Werken. Für den angelsächsischen Sprachraum, in dem Tillich wie kein anderer deutscher Theologe gewirkt hat, hat nun John Heywood Thomas, emeritierter Theologieprofessor der Nottingham University, eine Einführung geschrieben. Ihm gelingt es, Tillich als Repräsentanten einer zukunftsfähigen liberalen Theologie vorzuführen. In diesem Sinn porträtiert er Tillich als "the true heir of Liberalism" (53).

Sein schlankes und solide gearbeitetes Buch, das in der Reihe "Outstanding Christian Thinkers" erschienen ist, beginnt mit einer kurzen Biographie, die darum besonders plastisch geraten ist, weil Th. Tillich in New York kennengelernt und mit ihm gemeinsam gearbeitet hat. So vermag er, die persönliche "Präsenz", die Tillich ausgezeichnet haben muss, zu vermitteln, wobei er allerdings die problematischen Züge Tillichs keineswegs ausspart. Allerdings hätte man sich, gerade angesichts des neueren Forschungsstands der kirchlichen Zeitgeschichte, eine präzisere Analyse der intellektuellen Herkunft Tillichs und seiner ambivalenten Position vor allem in der Zeit der Weimarer Republik gewünscht.

Sachkundig und zuverlässig schildert Th., wie Tillich die klassischen Themen des Kulturprotestantismus eigenständig bearbeitet hat. Er setzt ein mit Tillichs Theologie der Kultur, expliziert daraufhin seine Methode der Korrelation als Versuch, eine phänomenologische Theologie zu konstruieren, untersucht sodann den Gottesbegriff und das Programm einer theologischen Ontologie, um über die Existenzanalyse als die Frage das Neue Sein als die Antwort vorzuführen. Es folgen Kapitel über die Christologie, den Kirchenbegriff und die Geschichtsphilosophie. Das letzte Kapitel weitet noch einmal den Blick, um Tillich als "Global Theologian", der in besonderer Weise das Christentum ins Verhältnis zu anderen Religionen gesetzt hat, zu würdigen.

Kundig führt Th. durch Tillichs Schriften, erklärt die methodischen Voraussetzungen wie die materialdogmatischen Ausführungen, stellt Beziehungen zu anderen Denkern her und bemüht sich ständig um eine argumentative Plausibilitätsprüfung. Bei einer Einführung wie dieser ist eine Detailkritik wenig sinnvoll, denn eine originelle Interpretation, die die Forschung selbst beeinflussen will, ist ja nicht intendiert. Zu prüfen sind lediglich die inhaltliche Zuverlässigkeit und didaktische Vermittlungsleistung. Nun erweist sich Th. als guter Tillich-Kenner, der eine wohltuende Distanz zu Tillichs abstrahierendem Stil wahrt, der komplexe Probleme auf drei Grundbegriffe herunterbricht und einer scheinbar glatten Lösung zuführt.

Was allerdings die Akzentsetzungen angeht, wäre anzumerken, dass Th. einige Themen etwas stiefmütterlich behandelt. Das protestantische Prinzip etwa wird kaum mit der Intensität behandelt, die ihm zukommt. So entsteht gelegentlich ein allzu konservatives Tillich-Bild. Auch leidet die Darstellung häufig an einer allzu schematischen Darstellung anderer Positionen, vor allem der liberalen Theologie. Doch das sind keine zentralen Einwände. Insgesamt hat Th. ein begrüßenswertes Buch vorgelegt, das man - obwohl auf dem deutschen Markt schon zwei Einführungen angeboten werden - auch deutschen Studenten empfehlen möchte, weil es aus seiner angelsächsischen Perspektive ein eigenständiges Tillich-Bild zeichnet.