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Ausgabe:

April/2002

Spalte:

407 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Bähnk, Wiebke

Titel/Untertitel:

Von der Notwendigkeit des Leidens. Die Theologie des Martyriums bei Tertullian.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001. 355 S. gr.8 = Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 78. Geb. ¬ 59,00. ISBN 3-525-55186-X.

Rezensent:

Christel Butterweck

Mit Wiebke Bähnks Hamburger Dissertation ist erfreulicherweise nach längerer Zeit wieder eine deutschsprachige Monographie zu Tertullian (T.) erschienen. Die Vfn. untersucht darin das für T.s Gesamtwerk grundlegende Martyriumsverständnis unter philologischem, (kirchen-)historischem und theologischem Aspekt, wobei sie bereits in der Einleitung (9-27) darauf hinweist, dass T. die erste Martyrologie des Westens vorgelegt hat und das Martyrium eine "Konstante in seiner Deutung christlicher Wirklichkeitserfahrung" darstellt (12). Entsprechend hat sie die Deutungsmuster untersucht, "mit Hilfe derer T. das christliche Leiden begründet, die ihm innewohnende Verheißung charakterisiert und seinen Stellenwert innerhalb der Ethik bestimmt" (25). Nach der Einleitung folgen fünf übersichtlich gegliederte Teile, die dem historischen Kontext (28-39), der je nach Adressatenkreis unterschiedlichen Deutung des Verfolgungsgeschehens (40-109), dem Martyrium als solchem (110- 250), dem Verhältnis von Bekenntnis und Martyrium (251- 288) sowie einem abschließenden Vergleich mit der Martyrologie Cyprians und damit der Weiterentwicklung der nordafrikanischen Martyriumstheologie (289-315) gewidmet sind. Die Teile 3-5, die überaus gründliche Darstellungen und Interpretationen der Gedankenwelt T.s enthalten und sich keineswegs auf die Leidensthematik beschränken, schließen jeweils mit Zusammenfassungen, die jedoch auch weiterführende Erkenntnisse bieten. Ein computererstelltes Register erleichtert das Auffinden der zitierten Quellentexte.

Die Ergebnisse der Vfn. liegen auf verschiedenen Ebenen: Zum einen bestätigt sie entgegen älteren Forschungsauffassungen anhand des von ihr ausgewählten Motivs die Konzinnität Tertullianschen Denkens, für dessen Entwicklung die fortdauernde antignostische Konfrontation bedeutsamer war als der allmählich wachsende Einfluß des Montanismus (145 u. ö.). Zum anderen zeigt sie auf, dass T. keine spezifisch christologische Begründung des Martyriums kennt (153), mit der Konsequenz, dass die soteriologische Bedeutung des Kreuzestodes eingeschränkt werde (215, vgl. 218 u. 227), ja, dass "die Heilsbedeutung des Todes Christi [...] zur Erlangung des vollkommenen persönlichen Heils ergänzungsbedürftig durch das eigene Leiden [erscheine], worin letztlich die Notwendigkeit des Leidens begründet" sei (232). Das Martyrium stelle daher, wie T. bereits in seiner Schrift "Scorpiace" gezeigt habe, den "Gipfelpunkt christlicher Sittlichkeit" dar (290 f.). Damit aber habe T. eine "elitäre" Ethik der Wenigen entsprechend seinem Kirchenbild von der absoluten Heiligkeit der Gläubigen konzipiert (293), wogegen Cyprian als Bischof zwar die Gedanken des Meisters rezipiert, sie dann jedoch im Sinne einer "egalitären" Ethik für die Kirche abgewandelt habe (312): Bei Cyprian zeige sich die beginnende Ausweitung des Martyriumsbegriffs auf das Leiden vor Gott im Alltag, während seine Verwendung bei T. auf das "tatsächliche Erleiden des Todes ausgerichtet" geblieben sei (123).

Dem wird man kaum widersprechen können; kritisch nachzufragen wäre allerdings bei einigen weniger wichtigen Details. T.s wiederholte Rede vom Martyrium ist nicht zwangsläufig auf eine besonders angespannte Lage der Christen in Nordafrika zurückzuführen (so das Ergebnis von Teil 2). Von einer "reichsweiten Verfolgung unter Decius" (105) können wir nach Alföldi (Klio 31, 1938, 323 ff.) nicht ausgehen, ebensowenig von einem auch in katholischen Kreisen nicht unüblichen Drängen zum Martyrium, für das u. a. (Ps.-)Ignatius von Antiochien (Röm 4,1) als Beleg angeführt wird (169; s. dagegen Perler, RivAC 25, 1949, 47 ff., und die jüngsten Ergebnisse der Ignatius-Forschungen von Hübner). Die antignostische Polemik genügt zur Erklärung vollauf: Das Martyrium ist für T. der deutlichste Beweis für den Glauben an Gott als den Schöpfer des Lebens, das größer ist und den Tod des Einzelnen umgreift. Da die Gnostiker den Schöpfer bzw. Demiurgen verachten, sehen sie im Martyrium, zu dem nach T. die Kirche (!) auffordert (De praescr. 36), keinen Sinn. Wegen dieses im Hintergrund stehenden Bekenntnisses zum Schöpfer halte ich die christliche Ethik als Ausgangspunkt einer martyrologischen Studie für problematisch. Denn unabhängig vom freien Willen eines Christen entscheidet die Kirche - oder ihre vermeintlich wahren Vertreter - darüber, ob und wann von einem Martyrium oder von einem Freitod zu sprechen ist. Diese unterschiedlichen Blickwinkel hat die Vfn. durchaus wahrgenommen (256), ebenso T.s literarisches Verfahren, so dass nicht alles "als getreue Wiedergabe historischer Umstände zu verstehen" sei (254 f.); hier hätte sich also eine Möglichkeit ergeben, den eigenen Ansatz zu überprüfen. Lustig ist übrigens, dass ausgerechnet in einer Tertullian-Studie illi mit diaboli aufgelöst wird ... (65).

Erfährt nun ein Kenner der Schriften Tertullians (und Cyprians) aus dem Text vielleicht wenig Neues, so bietet der Anmerkungsteil dagegen eine Fülle kulturgeschichtlicher u. a. Informationen, die das Werk beinahe zu einem Kompendium der Martyrologie im Allgemeinen machen. Es ist das Verdienst dieser Arbeit, in einer Zeit, in der schon der kleinste Verzicht als Einschränkung der Lebensqualität angesehen wird, Tertullians Ansicht, dass Leiden aus christlicher Perspektive einen guten Sinn haben kann, wieder ins Gespräch gebracht zu haben. Damit hat die Vfn. zugleich ihren verstorbenen Lehrer Henneke Gülzow in anerkennenswerter Weise gewürdigt.