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Ausgabe:

April/2002

Spalte:

401–403

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Thrall, Margaret E.

Titel/Untertitel:

A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians. I: Introduction and Commentary on II Corinthians I-VII. XXXVI, 502 S. II: Commentary on II Corinthians VIII-XIII. XVI, S. 503- 977.

Verlag:

Edinburgh: Clark 1994/2000. 8 = The International Critical Commentary on the Holy Scripture of the Old and New Testaments. Geb. je £ 39,95. ISBN 0-567-09655-6 u. 0-567-08543-0.

Rezensent:

Klaus-Michael Bull

Die Autorin hat mit dem hier anzuzeigenden zweibändigen Kommentar ein in doppelter Hinsicht bemerkenswertes Werk vorgelegt. Zum einen schließt sie ihr Vorwort mit den mutigen Sätzen: "What is presented here is one possible reading of 2Corinthians. There are certainly other plausible interpretations, and other methods of studying the epistle. I offer my own understanding of it simply as a contribution to the continuing debate concerning this highly complex document." (XI)

Zum anderen kennt der Rez. nur wenige Kommentare, die den Leser so konsequent am Erkenntnisprozess des Verfassers teilhaben lassen. Das wird auch im Aufbau deutlich. Die Einleitung widmet sich beinahe ausschließlich literarkritischen und chronologischen Fragen. Die inhaltliche und theologische Würdigung des 2Kor erfolgt erst in zwei Essays (Paul's opponents in Corinth: The evidence of 2 Corinthians; Paul the apostle), die die Kommentierung abschließen. Auf diese Weise bereitet die Kommentierung die Gesamtschau vor. Der Leser kann sich bereits mit den einzelnen Argumentationssträngen auseinandersetzen, bevor er deren Zusammenfassung präsentiert bekommt. Das lädt zu einer intensiven Lektüre ein.

Die literarkritische Analyse des 2Kor (3-49) führt die Autorin zu der Ansicht, dass der kanonische Brief eine Kompilation aus drei ursprünglich selbstständigen Schreiben sei: 2Kor 1-8; 9 und 10-13. Dabei nimmt sie die literarkritische Trennung zwischen den beiden Kollektenkapiteln "with some degree of hesitation" (42) vor. Den Ausschlag für die Separierung gibt letztlich der Neuansatz in 9,1.

Die häufig vertretene Hypothese, dass die relativ geschlossene Apologie 2,14-7,4 als eigenständiges Brieffragment anzusehen sei, lehnt die Autorin nach eingehender Diskussion ab. "The case for separation is considerably weakened, first, by the recognition that Paul does not intend to give a continuous account of the events centred on the dispatch and reception of the Painful Letter and that there is an intelligible structural division between 2.12-13 and 2.14-17, and, secondly, by the clear connection between 7.4 and 7.5-16. Further, the term 'Macedonia' may be seen as providing a positive bridge between the section which ends at 2.13 and that which begins at 2.14." (24) Daneben hält sie auch 6,14-7,1 nicht für einen (möglicherweise unpaulinischen) Einschub, sondern plädiert dafür, dass Paulus selbst "baptismal motifs and terminology" verwendet habe "to reinforce his own epistolary message" (36).

Für die Chronologie der drei auf diesem Weg rekonstruierten Briefe ist entscheidend, dass die Autorin im Gegensatz zu der in der deutschsprachigen Forschungslandschaft weit verbreiteten Annahme 2Kor 10-13 nicht mit dem "painful letter" (2,3 f.) identifiziert. Während der "painful letter" offenbar den Konflikt mit einer Einzelperson vorausgesetzt habe, sei in 2Kor 10-13 eine Gruppe von Gegnern im Visier. Deshalb mache sich die Annahme wahrscheinlicher, dass der "painful letter" verloren gegangen sei (61).

Unter Berücksichtigung der beiden in den Korintherbriefen enthaltenen Reisepläne (1Kor 16,5-7; 2Kor 1,15 f.) ergibt sich für die Autorin folgende Chronologie der korinthischen Ereignisse/Korrespondenz:

- April 55 - 1Kor

- Juni 55 - Zwischenbesuch in Korinth

- Juli/August 55 - "painful letter"

- Ende März 56 - 2Kor 1-8

- Juni/Juli 56 - 2Kor 9

- August/September 56 - 2Kor 10-13.

Sie setzt also eine zweimalige Eskalation der Krise im Verhältnis korinthische Gemeinde-Apostel Paulus voraus. Der erste Konflikt bricht durch einen Zwischenfall während des Zwischenbesuches auf. Dieser Zwischenfall sei im Zusammenhang mit der Kollektensammlung zu sehen (vgl. die kaum überzeugende phantasievolle Hypothese 68 f.). Nachdem sich das Verhältnis zwischenzeitlich entspannt hatte, habe die Ankunft der "super-apostles" zum erneuten Aufbrechen der Spannungen geführt.

Die ersten beiden Briefe dienen vorrangig dazu, das ins Stocken geratene Kollektenprojekt in Korinth und Achaia wieder voranzutreiben. Diesem Projekt widmet die Autorin eine ausführliche Einleitung zur Kommentierung der Kapitel 8 und 9. Für das Verstehen der Kollekte sei es entscheidend, diese von der in Gal 2,10 genannten Forderung der Jerusalemer zu unterscheiden, die nur Bestandteil einer Vereinbarung zwischen Antiochener und Jerusalemer Gemeinde gewesen sei (504 ff.). "Paul's purpose in initiating the collection remains a matter of conjecture. It seems likely, however, that he saw the project both as an act of charity [...] and as a means of establishing a satisfactory association between the church of Jerusalem and his Gentile churches, and hence as promoting Christian unity" (515).

Im Brief 2Kor 1-8 verteidigt sich Paulus zugleich gegen Vorwürfe, die vor allem von jüdischer Seite gegen ihn erhoben worden sind (vgl. den Kommentar zu Kap. 3).

Die "super-apostles", gegen die sich Paulus in 2Kor 10-13 verteidigt, ordnet die Autorin der "Petrinischen Mission" zu (940 f.). Möglicherweise hätten diese judenchristlichen Missionare, unter denen wohl auch rhetorisch gebildete hellenistische Judenchristen waren (vgl. Exkurs zu 11,6), die paulinische Mission in Korinth auf Grund der dort ansässigen jüdischen Diaspora als Bruch der Vereinbarungen des Apostelkonzils angesehen (vgl. die Bezugnahme auf das Konzil in 10,12-18). Theologisch bestand eventuell "some common ground between this missionary group and a proto-Matthean circle" (942).

Der eigentliche Kommentar, der durch 16 Exkurse vertieft wird, bietet zunächst jeweils die englische Übersetzung des kommentierten Abschnitts, bevor dann eine Vers-für-Vers-Exegese folgt. Der Auslegung jedes Verses steht der entsprechende griechische Text voran. Die Auslegung selbst bewegt sich weithin in konventionellen Bahnen, nutzt aber mehrfach die Möglichkeiten rhetorischer Analyse für das Verständnis der paulinischen Argumentation.

Sowohl die Einleitung als auch die abschließenden Essays und die Kommentierung bieten - manchmal beinahe zu - ausführliche Auseinandersetzungen mit der einschlägigen Forschungsliteratur. Dabei fällt allerdings auf, dass die neuere deutschsprachige Literatur nur sehr selektiv herangezogen wird. Die verwendete Literatur wird in beiden Bänden zu Beginn geboten. Die Indizes am Ende des Kommentars sind leider von sehr unterschiedlicher Qualität. Die Schlagworte "Papyri", "Qumran Texts" und "Rabbinic Writings" (ohne weitere Differenzierung!) vermag der Rez. nicht als Hilfe anzusehen.