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Ausgabe:

April/2002

Spalte:

397–399

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Porter, Stanley E.

Titel/Untertitel:

The Criteria for Authenticity in Historical-Jesus Research. Previous Discussion and New Proposals.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 2000. 299 S. gr.8 = Journal for the Study of the New Testament, Suppl. Series, 191. Lw. £ 50,00. ISBN 1-84127-089-X.

Rezensent:

Albrecht Scriba

Dieses auf Vorträgen basierende und in mehreren Etappen bearbeitete Werk möchte keine Gesamtdarstellung zu Jesus bieten, sondern Beobachtungen zur griechischen Sprache in den Evangelien als ein weiteres Kriterium in die Diskussion um die Authentie der Jesus-Traditionen einbringen.

Teil I stellt zunächst die bisherige Forschung zu den Echtheitskriterien im Überblick vor. In Kap. 1 problematisiert P. die gängige Einteilung der Jesus-Forschung in den "first quest" (ab H. S. Reimarus 1778: größere Diversität der Positionen), in die "no quest"-Phase (ab A. Schweitzer 1906: es gebe schon entsprechende Vorgänger; die Leben-Jesu-Forschung setzte sich, vor allem im englisch- und französischsprachigen Bereich, bei etlichen Vertretern fort; R. Bultmann attackierte nur die psychologisierende Darstellungsweise, nicht generell Rekonstruktionsversuche der Botschaft Jesu), in den "second" (ab E.Käsemann 1953: Rückkehr zur Leben-Jesu-Forschung trotz Form- kritik) und in den "third quest" (ab N. T. Wright 1988: die Übergänge seien fließender). Kap. 2 diskutiert die klassischen Echtheitskriterien der Jesus-Forschung. Im Kriterium der doppelten Dissimilarität dürfe nicht übersehen werden, dass es nur einen Minimalbestand des Wirkens Jesu ermittelt. Später sei die Unterscheidung Jesu vom Judentum zunehmend in den Hintergrund getreten. Die Formkritik fragt nach der reinen Form einer Erzählung und hält diese für die ursprüngliche. Das Kohärenzkriterium erklärt für authentisch, was zu dem mittels des Dissimilaritätskriteriums ermittelten echten Gut passt. Mehrfache Bezeugung in unterschiedlichen Quellen und Formen spricht für hohes Alter und Echtheit, ebenso Semitismen (Übersetzungsgriechisch) und palästinisches Lokalkolorit. In Kap. 3 kommt P. auf zwei neuere Beiträge zur Kriterienfrage zu sprechen: J. P. Meiers Unterscheidung zwischen primären (Diskontinuität, mehrfache Bezeugung, Kohärenz, Tendenzwidrigkeit, Auswertung der Kreuzigung) und sekundären bzw. zweifelhaften Echtheitskriterien (Aramaismen, palästinisches Kolorit, Klarheit der Erzählung, synoptische Tendenzkritik, historische Vermutung) und die Arbeiten von G. Theißen, D. Winter und A. Merz zu ihrem Kriterium der historischen Plausibilität. Insgesamt sieht P. in den meisten dieser Kriterien spezielle Ausformungen, Erweiterungen oder Interpretationen des Kriteriums der doppelten Dissimilarität und beurteilt ihre Leistungsfähigkeit sehr skeptisch.

In Teil II stellt P. sodann seine eigenen Vorschläge zur Kriteriendiskussion vor. Kap. 4 wirft die Frage auf, ob die erhaltenen, griechischsprachigen Jesus-Traditionen nicht vielleicht den Original-Wortlaut Jesu wiedergeben könnten. Dafür präsentiert P. zunächst die Forschungslage zur sprachlichen Situation in Palästina (mit einem kritischen Exkurs zu M. Casey). Jesus dürfte Aramäisch als Muttersprache, aber auch produktiv Griechisch gesprochen haben (evtl. Hebräisch und Lateinisch passiv). Ein dreistufiges Kriterium fragt nun nach der Wahrscheinlichkeit, ob Jesus in bestimmten Situationen Griechisch gesprochen hat. Zunächst wird die mögliche Sprachkompetenz der Teilnehmer einer Erzählung analysiert. Sodann ergebe die Thematik eines Gespräches einen Hinweis auf die verwendete Sprache (jüdische Gesetzesdiskussionen eher aramäisch, universale Themen eher griechisch). Jesus soll demnach in den folgenden Erzählungen Griechisch gesprochen haben: Q 7,1-10 mit Joh 4,46-54; Joh 4,4-26; Mk 2,13 f. parr.; Mk 7,25-30 par. (Mt mit unabhängiger Quelle!); Mk 12,13-17 parr.; Mk 8,27-30 parr.; Mk 15,2-5 parr.; Joh 12,20-28. Schließlich müsse die Echtheit der Jesus-Worte in dieser Erzählung im Sinne der ipsissima verba, auch unter Anwendung der traditionellen Kriterien, ermittelt werden.

Auffällig sei in den oben genannten Texten die pointierte Knappheit der Sentenzen Jesu. P. hält auf Grund der nur Griechisch verständlichen Wortspiele auch Mt 16,17-19 möglicherweise für echt. Logisch korrekt gibt P. zu, dass dieses Kriterium letztlich nur die Möglichkeit für Authentie begründet. Kap. 5 wendet sich im Blick auf echte Jesus-Worte der handschriftlichen Überlieferung der Evangelien zu, jedoch nicht in der gelegentlich in der Forschung vorgestellten Weise, dass Textvarianten Übersetzungsvarianten oder -fehler aus dem Aramäischen seien. Vielmehr möchte P. gleiche Textbezeugungen in den Handschriften im Sinne des Kriteriums der breiten Bezeugung als tatsächliche Wiedergabe der Jesus-Worte auswerten. Zugleich soll dieses Kriterium aber nur anwendbar sein, wenn in den Evangelien literarisch unabhängige Fassungen des jeweiligen Spruches existieren.

Von den oben genannten Texten erfüllen nach P. Mk 7,25-30 mit Mt 15,21-28, Mk 12,13-17parr. mit Berücksichtigung der minor agreements, Mk 8,27-30 parr. (Mt 16,17-19 eigene Quelle, s. o.) und Mk 15,2-5 parr. mit Joh 18,29-38 (Joh und wohl Lk von Mk unabhängig) diese Anforderungen. Lediglich im letztgenannten Text seien die Frage des Pilatus "Bist du der König der Juden?" und Jesu Antwort "Du sagst es!" ohne Textvarianten überliefert und damit höchstwahrscheinlich im Wortlaut authentisch. In diesem Kapitel vermischt P. zwei unterschiedliche Fragestellungen: Das Kriterium der breiten Bezeugung kann im Blick auf die Textvarianten nur dann angewandt werden, wenn diese Varianten auf verloren gegangene unabhängige Quellen zurückführbar sind. Und die Textkritik vermag nur den ursprünglichen Text der Evangelien zu rekonstruieren, über Echtheitsfragen von Jesus-Worten ist damit nicht entschieden. Sinnvoll wäre die Kombination von Textkritik und breiter Bezeugung nur, wenn eine eindeutige handschriftliche Überlieferung die Frage nach dem ursprünglichen Evangelientext leicht beantworten lässt. Mit Hilfe der Hallidayschen Soziolinguistik und ihrer "register"-Analyse möchte P. in Kap. 6 schließlich die Authentie von Jesus-Worten begründen, indem er auf signifikante Unterschiede zwischen diesen und dem Evangelienkontext hinweist, exemplifiziert an den Rede-Eigentümlichkeiten von Mk 13 (Textfunktion, interpersonelle Funktion, Informationsfunktion). Dass sich Mk 13 signifikant in diesen Bereichen vom übrigen Mk-Evangelium unterscheide (wenig für Mk typische Wörter, viele Imperative, selten Mk-Syntax), spreche für eine vormarkinische, evtl. von Jesus stammende Tradition. Insgesamt übersieht P. jedoch, dass Mk 13 nicht nur aus sprachlichen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen eine von Mk aus mehreren Traditionen bearbeitete Größe darstellt und daher nicht pauschal sprachstatistisch ausgewertet werden sollte. Zudem fehlt die Reflexion darüber, inwiefern auffällige Wortstatistiken auch rein themenbedingt begründet werden können.

Was bleibt nach kritischer Sichtung als Ertrag dieser Studie? Dass Jesus in gewissen Kontexten auch Griechisch gesprochen hat, ist in der Tat stärker als bisher üblich zu berücksichtigen. Daher ist auch prinzipiell mit der Möglichkeit zu rechnen, dass in solchen Fällen sogar die ipsissima verba Jesu überliefert wurden. Ob die Texte, die P. für eine solche Möglichkeit untersucht, aber überhaupt eine Situation (unabhängig vom Wortlaut) aus dem Leben Jesu widerspiegeln, wird von P. nicht nennenswert in Frage gestellt, sondern im Wesentlichen vorausgesetzt (sogar bei Texten wie Joh 4,4-26).