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Ausgabe:

April/2002

Spalte:

390 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Yoder, Christine Roy

Titel/Untertitel:

Wisdom as a Woman of Substance. ASocioeconomic Reading of Proverbs 1-9 and 31:10-31.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2001. XIII, 165 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 304. Lw. ¬ 58,00. ISBN 3-11-017007-8.

Rezensent:

Silvia Schroer

Der Ausgangspunkt des vorliegenden Werkes ist eine zutreffende Kritik an der bisherigen Forschungsgeschichte: Während die "fremde Frau" oder die "Frau von Torheit" in Spr 1-9 in Beziehung zu realen Frauen gesetzt wird und der Interpretationsansatz stärker sozialgeschichtlich ist, wird die personifizierte "Weisheit" eher religionsgeschichtlich-mythologisch, d. h. auf dem Hintergrund antiker Göttinnentraditionen, oder im Blick auf literaturgeschichtliche Vorgänge wie z. B. das Stilmittel Personifikation betrachtet. Nur negative Frauenbilder werden mit realen Frauen in Verbindung gebracht, die starken, positiven hingegen nicht - ein frauenfeindliches Muster. Das Ziel der Autorin ist, die "Frau Weisheit" in Spr 1-9 und die Frau in Spr 31,10-31 in einen konkreten sozialgeschichtlichen, vor allem sozioökonomischen Kontext zu stellen, die Beziehung zwischen den positiven literarischen Gestalten und dem Frauenleben der damaligen Welt herauszuarbeiten.

In Kap. 1 erhärtet sie mit linguistischen Untersuchungen die verbreitete Annahme, dass die betreffenden Kapitel des Sprüchebuches in die Perserzeit zu datieren sind. Es folgt (Kap. II A) eine Art Survey über die zahlreichen Textfunde, die zeigen, wie Straßenbau, Handel und kultureller Austausch in jeder Form im gesamten persischen Reich florierte. Am "Wirtschaftswachstum" und den Kontakten zwischen den Völkern hatte Palästina, wie die epigraphischen Quellen und biblischen Texte (Esra, Nehemia) belegen, regen Anteil. Es dürfen daher Zusammenhänge zwischen dem Frauenimage bzw. der Weisheit in der Rahmung des Sprüchebuches und den untersuchten Quellen außerhalb Palästinas postuliert werden.

Die Fokussierung auf die Frauenwelt (Kap. II B-C) unter sozioökonomischen Gesichtspunkten führt zur wirtschaftlichen Bedeutung von Heirat und Scheidung. Die Ehe mit einer vermögenden Frau war für den Bräutigam eine Geschäftsangelegenheit ersten Ranges. Zudem zeigt der epigraphische Befund, dass königliche wie nicht-königliche Frauen in allen Bereichen der Wirtschaft anzutreffen sind, als Arbeiterinnen, spezialisierte Handwerkerinnen, im Handel und in der Verwaltung. Die "vermögende Frau" von Spr 31,10-31 entspricht somit (Kap. III) einer außergewöhnlich wohlhabenden Frau der Perserzeit, die nicht zuletzt ihrem Mann zu Reichtum und Ansehen verhilft. Auch die "Weisheit" in Spr 1-9 wird als vermögende Geschäftsfrau gezeichnet. Jungen golah-Israeliten wird die Verbindung mit ihr empfohlen.

Die vorliegende Arbeit ergänzt überzeugend vor allem die sozialgeschichtliche Arbeit von Christl Maier (Die ,fremde' Frau in Proverbien 1-9, OBO 144, 1995). Problematisch ist, dass die literarisch und theologisch beabsichtigte Verquickung von Frauenbild und Gottesbild in der Gestalt der Weisheit (vgl. die Arbeiten von Claudia Camp und Silvia Schroer) zu Gunsten der Bildhälfte der Personifikation (Frau, Frauenrealität) aufgelöst werden soll. Die mythologischen Hintergründe der Weisheit sind genauso gut bewiesen worden wie ihre sozioökonomischen, es ist nach Ansicht der Rezn. falsch, die beiden Horizonte gegeneinander auszuspielen. Deutschsprachige Publikationen sind leider nur selektiv berücksichtigt und nicht gründlich gelesen worden. Die Quellenarbeit der Vfn. ist insofern zu bemängeln, als sie sich bei ihrer Rekonstruktion von Frauenleben allein auf Textdokumente stützt und ikonographische Quellen ohne Erklärung beiseite lässt.