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Ausgabe:

April/2002

Spalte:

367–384

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Oeming, Manfred

Titel/Untertitel:

An der Quelle des Gebets

Neuere Untersuchungen zu den Psalmen

I. Probleme der gegenwärtigen Gebetspraxis

Das Beten ist aus der Öffentlichkeit verschwunden, aus den Schulklassen, Mensen und Kantinen, ja selbst aus den meisten Krankenhäusern. Unter Berufung auf Mt 6,6 wird auch unter Theologen häufig nur noch gedankliches Danken "im stillen Kämmerlein" praktiziert, und auch dies mit großen inneren Verlegenheiten. Aus dem Alltag abgewandert gehört Beten in eine Sonderwelt, v. a. die des Kirchenbesuchs. Am lebendigsten sind Gebete fraglos in Grenzsituationen: auf gefährlichen Reisen, bei der Geburt eines Kindes, in der Not von Krankheit und Sterben oder in Krisen von Beziehungen. Regelmäßige Tisch- und Nachtgebete werden v. a. "der Kinder wegen" noch gepflegt. Doch was, wenn die Kinder erwachsen werden? Es ist bedrückend, dass das Gebet unter aufgeklärten Gebildeten weithin als infantiles Selbstgespräch verstanden wird, das nach dem gleichen Mechanismus wie Placebos "funktioniert". Charakteristisch ist vielleicht D. Sölle1, deren schon ältere Thesen einen heute weit verbreiteten Konsens präludierten und beförderten: Zum traditionellen persönlichen Gott reden bedeutet ihr zufolge fromme Beschönigung von eigener Feigheit, Schwäche und Untätigkeit, Ausflucht vor persönlichem Engagement und realem Risiko, Konservierung einer bequemen Illusion, Ausdruck von Unmündigkeit, ja von neurotischer Desorientierung und Regression. Statt dessen solle der moderne Mensch "atheistisch beten", d. h. der Mensch solle zu tieferer Selbsterkenntnis kommen, indem er sich "betend" erst einmal gründlich aussprechen lernt; Gott werde, indem der Mensch menschlich werde; Gott werde, indem zwischen den Menschen endlich wirkliche Liebe geschieht und nicht nur Gerede darüber, dass jener Gott Liebe realisieren solle.

Zweifel daran, ob das Beten sich überhaupt "lohnt", werden durch Wegfall der weltanschaulichen Prämissen - Veränderbarkeit der Welt, Wandelbarkeit eines persönlichen Gottes - vollends zur Krise des Betens: "Lieber Gott, wenn es dich gibt, errette, wenn du kannst, meine Seele, wenn ich eine habe."

II. Orientierungen an der biblischen Tradition

Die manifeste Not des Gebets in der Moderne ist eine Herausforderung an die gesamte Theologie. Besonders die alttestamentliche Exegese hat den gesamttheologischen Auftrag herauszuarbeiten, was an Fundamenten und Hilfen zum Beten in der biblischen Hauptsammlung von Gebeten, dem Psalter, bereitliegt.

Nach jahrzehntelangem Fortschreiten in den Bahnen von H. Gunkel und S. Mowinckel erlebt die rezente Forschung neue Aufbrüche, ja geradezu Schübe. Dies geht von Editionen nützlicher Arbeitsmittel2 über extensive monographische Untersu-
chungen von Einzelpsalmen, neuartige Analysen der ästhetischen Bauformen3 und religionsgeschichtliche Studien4 bis hin
zur breiten Ausarbeitung der Rezeptionsgeschichte der Psal-
men5, auch im jüdisch-christlichen Dialog6. Auf diese Aspekte kann im vorliegenden Zusammenhang ebenso wenig eingegangen werden wie auf die aktuell extensive Erforschung der griechischen Übersetzung7 des Psalters. Aus der wissenschaftlichen Debatte8 will ich hier nur (zehn) Aspekte herausgreifen, die mir besonders hilfreich erscheinen, um verschüttete Quellen der Gebetspraxis wieder freizulegen.

II.1 Die Einsicht in den weisheitlichen Charakter des Gebets

Die alttestamentliche Weisheit hat als ein Stück "natürlicher" Theologie lange Zeit ein Schattendasein geführt, ja die Legitimität dieser theologischen Denkrichtung wurde sogar grundsätzlich in Zweifel gezogen. Neuerdings aber erlebt sie eine Renaissance. Diese Aufwertung hängt wohl damit zusammen, dass die Weisheit Grundfragen des Menschseins verhandelt, in die jeder Bürger des 21. Jh.s sofort mit einsteigen kann: Ursprung und Sinn des Lebens und des Todes, Erfolg und Glück versprechende Wege der Lebensgestaltung, sinnvolle Ordnungen der Gesellschaft. So ist die weisheitliche Durchtränkung auch des Psalters ein erneut ins Zentrum gerückter Forschungsgegenstand. E. Zenger hat die Schlussredaktion des Psalters einleuchtend in die Nähe von Jesus Sirach gerückt,9 ich selbst habe sie ins Zentrum meiner Kommentierung gestellt:10 Das Gebet ist der Anfang der Weisheit und umgekehrt: Weisheit ist der Ausgangspunkt des Wegs zum Gebet! Wer Einsichten in die Ordnungen der Welt gewinnt, wird zur Gottesfrage geführt, wenn auch nicht alle Antworten aus dieser Quelle strömen werden. Lernen und Forschen sind keine Gegenbegriffe zu Glauben und Vertrauen, sondern spannungsvolle Komplementärbegriffe. Ein schönes Beispiel für die Erfassung der weisheitlichen Dimension in den Psalmen ist die von H. Spieckermann und Th. Krüger betreute Zürcher Dissertation von Ch. Forster.11

Durch eine gründliche Exegese der Pss 39 (9-59), 49 (61- 136) und 90 (137-200) werden unterschiedliche Arten deutlich, wie theologische Weisheit mit dem Problem der Vergänglichkeit menschlicher Existenz umzugehen vermag. Es zeigt sich eine "Verschmelzung von Gebet und Reflexion" (3): Ps 39 bittet klagend um Belehrung; der "Psalmdichter scheint ... einen Weg aufzeigen zu wollen, wie angesichts einer Leidenssituation [zu Gott, M. O.] gebetet werden kann, ohne ihn anzuklagen, aber ihm gegenüber doch zum Ausdruck zu bringen, wie belastend und schwer nachvollziehbar sein Handeln ist. [...] Während Hiob gegenüber Gott auf seinem Recht beharren kann, bleibt in Ps 39 dem Menschen als hinfälligem und schuldigem Wesen nur die Kapitulation" und die "Bitte an Gott, von ihm [dem Beter, M. O.] wegzublicken" (59). Ps 49 will vor allem das falsche Vertrauen auf Reichtum und Macht korrigieren. Das Mittel gegen solche securitas ist der Tod, der "dreifach als ,Gleichmacher'" fungiert: "hinsichtlich einer sozialen und wirtschaftlichen Ueberlegenheit, hinsichtlich einer ethischen und intellektuellen Ueberlegenheit und hinsichtlich einer Ueberlegenheit des Menschen über das Tier" (135). "Der ganze Psalm zielt darauf hin, daß angesichts des für keine Menschen zu umgehenden Todesgeschicks allein die Beziehung zu Gott trägt (V. 16)" (136); dabei keimt zarte Hoffnung über die Todesgrenze hinaus auf. Der als Ganzheit verstandene Ps 90 ist wie Frage und Antwort strukturiert: Die unendliche Überlegenheit Gottes macht die Kleinheit und Kurzlebigkeit des Menschen erst nachhaltig fühlbar (V. 1-12); die von Gott in seinem Zorn verhängte Vergänglichkeit des "Menschleins" wird hier zum Motiv für Gott, sich von seinem Zorn abzuwenden und zu Gunsten des Beters Lebensfreude und Beständigkeit der Werke zu verleihen (V. 13-17). Weniger plausibel sind mir die sozialgeschichtlichen Erklärungen, welche die weisheitlichen Probleme aus der Wirtschafts- und Steuergeschichte der Perserzeit herleiten wollen. Der explizite Vergleich mit Hiob, Kohelet und Jesus Sirach profiliert die drei Psalmen in ihrer spezifischen Haltung im Blick auf den Zusammenhang von Reichtum (206- 221), Schuld (221-235) und Geschöpflichkeit (236-253) zusätzlich. In einem eindrucksvollen Schlussabschnitt macht F. klar, dass das mutige Ansprechen der Grausamkeit des Sterbens und der Unfassbarkeit des Todes dem Hang zur Beschönigung und Bagatellisierung des Todes entgegentreten können, dass die Rede vom Zorn Gottes und von der notvollen Undurchschaubarkeit seines Handelns zum Aussprechen von Zweifel und Wut gegenüber Gott befreien kann. Es hilft den modernen Menschen, ihnen "die Zerbrechlichkeit ihrer Existenz vor Augen zu führen, nicht um ihnen die Lebensfreude zu nehmen, sondern um ihnen im Gegenteil den Wert des begrenzten Lebens bewußt zu machen" (258).

In die Kategorie Sapientialisierung gehört m. E. auch der Vorgang, dass individuelle Gebete transparent gemacht werden auf Allgemeingültiges. Dieses Hineinwachsen ins Paradigmatische
ist in vielen Psalmen beobachtet worden. Der Vorwurf, dass
solche Ausweitung ins Beispielhafte "den zeitgeschichtlichen Bezug der Psalmen so stark ausdünnt, dass (man) zu einer
mehr oder minder zeitlosen Psalmenauslegung gelangt"12, mag zutreffen; er trifft aber nicht die Auslegung, sondern die Textproduktion, die darauf abzielt, über die konkrete Situation hinaus die Möglichkeit der Aneignung über lange Zeit hinweg zu eröffnen.13 Das Einzelgeschick wird transparent für das Geschick des Menschen schlechthin, wie eine rezente Auslegung von Ps 31 gezeigt hat.14

II.2 Die Rückgewinnung einer entscheidenden Dimension: der Ehrlichkeit

Vom christlichen Gebet wird vielfach - auch von Frommen - erwartet, dass es die Probleme und Gefühle schönredet (s. o. I.). Entsprechend fragte man in der älteren Forschung im Blick auf die deftige Gebetssprache der Psalmen ängstlich, ob es für Christen gut ist, die Psalmen ungekürzt zu beten15, und in den neueren Liturgie- und Gesangbuchreformen wurde diese Furcht vor negativen Gedanken dadurch wieder fest verankert, dass etliche Psalmen nur in "gereinigter" Form oder aber gar nicht (z. B. Ps57.82.108) in den Gebrauch der Gemeinden gegeben wurden. Solche Entschärfungen sind nur zum Teil verständlich. Gegen den fehlenden Mut zur ganzen Schrift hat E. Zenger in verdienstvoller Weise die Spiritualität auch der sog. "Rachepsalmen" zu erfassen gesucht, indem er sie ganz in den Horizont der geschundenen und diskriminierten Beter hineinversetzt. "Gerade die Feindpsalmen leben von ihrer vielgestaltigen Bildsprache, mit der sie Erfahrungen verdichten sowie in ihrer Tiefe und bleibenden Lebendigkeit weitergeben wollen und in der sie die dramatischen Ängste und aufwühlenden Schmerzen, aber auch die Brutalität der feindlichen Gewalt und ihre Hoffnungen auf die Interventionen des den Teufelskreis der Gewalt beendenden Gottes zeichnen und beschwören"16. Es ist besser, Aggressionen vor Gott auszusprechen als sie zu verdrängen und so in ihrer Gewalt zu potenzieren. Wahrhaftigkeit ist gottgefälliger als geheuchelte Menschenfreundlichkeit und Feindesliebe.

II.3 Die Einsicht in reale Hintergründe der Gebete

Die von S. Mowinckel begründete "kultische Interpretation"17 erfreut sich mit diversen Modifikationen weiterhin großer Beliebtheit. So erklärt z. B. K. Seybold zahlreiche Psalmen durch die These von einer am Tempel beheimateten sakralen Gerichtsbarkeit mit ritualisierter Anklage und Verteidigung, u. a. durch
Reinigungseid und Gelübde, mit priesterlich-mantischen Mit-
teln der Rechtsermittlung und gegebenenfalls Freispruch mit anschließender Dank- und Lobfeier.18 Oder R. Albertz und E.Gerstenberger rekonstruieren Gruppen, deren soziale Verhältnisse sich in den in Psalmengebeten artikulierten Sehnsüchten und Wünschen spiegeln.19 Die Ausmalung konkreter Vollzüge konkreter Menschen zu Hause oder im Heiligtum versetzt den modernen Beter gleichsam unmittelbar in die Sakraljustiz am Tempel oder in die Gottesdienste von oppositionellen Unterschichtzirkeln oder in die Heilungsrituale am Krankenbett hinein. Die Rekonstruktion von sozialgeschichtlichen Verhältnissen der Trägerkreise erschließt wirkliche Bedürfnisse von Menschen in anschaulichen Situationen. Die Wirkung solcher Hypothesen ist eine doppelte: Einerseits führen sie zu einer großen Lebendigkeit der Vorstellungen und bewahren das Beten davor, als Wortgeklingel im luftleeren Raum missverstanden zu werden. Andererseits aber verstärken sie auch das Gefühl der Fremdheit gegenüber Psalmen, deren Institutionen, soziale Realitäten und Sprache wegen der allzu großen Konkretion nicht mehr übertragbar sind. Zudem bleiben viele der vermuteten Situationen und Gruppen stark hypothetisch.

II.4 Die Einsicht in die Metaphorik der Gebetssprache

M. Hauge, ein norwegischer Alttestamentler, hat manche Blockaden aufgebrochen, welche die kultische Deutung hervorruft.20 H. deckt auf, dass die Raumvorstellungen des Psalters den Rahmen gottesdienstlicher Vollzüge transzendieren und ein hohes Maß an Metaphorik beinhalten.

Kap. 1: Die Analyse von Psalm 140 dient der Einführung in die Problemstellung. Der Psalm enthält Motive aus dem Bereich des Krieges (V. 3b; 8b), der Jagd (V. 6) und der Rechtsprechung (V. 13). Das verbindende Glied ist das Motiv des Wohnens im Tempel (9-37). Kap. 2: Der Vergleich von Ps 84 und 36 soll zeigen, dass es ein sog. "Paradigma" gibt, das in sehr ähnlicher Form an verschiedenen Stellen wiederkehrt (38-74); Kap. 3: Die Psalmen 42/43 zeigen beide das gleiche Schema einer "heiligen Reise" (sacred journey) auf. Sie stehen in Parallele zu 1Kön 19,1-18; Ex 15 (75-118). Kap. 4: Ps 26 und 27 sollen erweisen, dass die Ich-Aussagen persönliche Aktualisierung dieses "Paradigmas" sind und weder
rituell noch biographisch missverstanden werden dürfen (119-162). Kap. 5: Ps 5 zeigt, dass es nach der Typologie eines Kampfes darum geht, "im
Tempel wohnen" zu dürfen; wiederum arbeitet H. inhaltliche Parallelen zu narrativen Elementen in Ex 32; Num 12; 16 und 2Chr 26,16-21 heraus (163-242); Kap. 6: Ps 62 wie auch Ps 73 zeigen, dass das Wohnen im Tempel Metapher dafür ist, sich das Bekenntnis persönlich anzueignen (243-280).

Die Hauptthesen der Untersuchung sind folgende: a) Die Raumausdrücke verweisen nicht auf reale Gegebenheiten, sondern sie sind (hier macht sich der Einfluß des New Literary Criticism deutlich) eine Welt für sich ("interpretative symbol-system of conceptual character", 281). b) Es gibt eine Metaphorik, die das menschliche Leben gleichsam auf "Ursymbole" oder "Grundmetaphern"21 hin verdichtet: "humanity is set in a sacred topography of contrast localities. 'Temple', 'Sheol' and 'way' seem to represent the basic conceptual structure" (281), d.h.: Der ,Tempel' als Ort der Gottesgemeinschaft ist Metapher für ein Leben in und aus dem Bekenntnis, die ,Scheol' als Ort der Trennung von Gott ist Bild eines Lebens im Kontrast zum Bekenntnis. Symbol für die von Gott trennenden Mächte sind die ,Feinde'. Das Leben vollzieht sich als Wanderung zwischen den beiden Polen Tempel und Scheol; Ziel ist der symbolisch verstandene "Tempel". c) Die Ich-Form der Psalmen stellt den Versuch dar, die allgemeine religiöse Grundstruktur auf die jeweiligen persönlichen Erfahrungen hin anzuwenden. d) Die beiden Lokalitäten Tempel und Scheol sind mit Typen von Menschen besetzt: Gerechte und Frevler; die Frevler erscheinen zudem als "Feinde" der Gerechten. e) Das Paradigma ,Weg aus der Ferne in die Nähe' realisiert sich in unterschiedlichen Milieus: sowohl in priesterlichen als auch weisheitlichen und prophetischen Kontexten findet sich die einschlägige Motivstruktur. f) Der Bewegung des Volkes von Ägypten (und sonstwo) her hin zum Wohnort Jahwes entspricht umgekehrt die Bewegung Gottes herab von seinem Heiligen Berg hinein in das Zelt in der Mitte seines Volkes.

Die Arbeit von H. ist m. E. sehr gewichtig. Sie stellt erstmals klar heraus, dass die räumlichen Vorstellungen in den Psalmen (zumindest auch) Metaphern sind, und entfaltet damit eine neue Sichtweise, die sehr ernsthaft bedacht werden muss. Das Nachsprechen der entsprechenden Texte wird in diesem Licht für die gegenwärtige Frömmigkeit sehr viel leichter.

Für die Einsicht in die Metaphernsprache von Gewicht ist ferner die von B. Janowski betreute Dissertation von P. Riede22, die geradezu kompendienhaft die gesamte Bildwelt zur Beschreibung von feindlichen Mächten aufarbeitet. Die Kriegs- (20-149), Tier- (150-338) und Jagdmetaphorik (339-376) des Psalters bildet einen inneren Zusammenhang. Dabei werden die Vorstellungsfelder Belagerung und Schutz, menschliche Kampfaktionen und Waffen sowie Gegenwaffen JHWHs ebenso anschaulich entfaltet wie die Funktion von wilden und domestizierten Tieren wie Löwen, Hunden, Stieren, Bienen und Bären, Tauben und anderen Vögeln, Würmern, Heuschrecken, lechzenden Hunden und verlorenen Schafen. Eine Beschreibung der Jagd in Israel und dem Alten Orient, soweit sie sich im Psalter spiegelt, rundet die Arbeit ab: eine Studie, die als Handbuch der Feindmetaphorik in den individuellen Klagepsalmen einen ehrenvollen Platz in der Wissenschaft sicher hat. "Die Bilder der Psalmen sind eben mehr als nur bloße Illustrationen eines Sachverhalts, der eigentlich auch anders ausgedrückt werden kann. Gerade die metaphorische Sprache
durchbricht gewohnte Sprachkonventionen und ist offen für
semantische Innovationen, wobei durch die Metaphorisierung
die den Begriffen anhaftenden konkreten und materialen Vorstellungen nicht verloren gehen. Zugleich ermöglicht die Metaphorik eine präzise Schilderung von Erfahrungen, die anders nicht beschrieben werden können. [...] Insofern kommt in ihnen [d. h. in den Feindpsalmen] die Sehnsucht zum Ausdruck, daß Gewalt und Feindschaft in der Welt nicht das letzte Wort haben" (V); Gott will und wird aus dem multifaktoriellen Netz der Feinde befreien.

II.5 Einsicht in die Dramaturgie des Betens

Welche Bedeutung der Vorgang der Entstehung eines Gebets hat und inwiefern dieser Prozess - textintern schon reflektiert - inspirieren kann, zeigt eine bei E. Zenger gefertigte Doktorarbeit über Ps 10223 von G. Brunert.

Eine ausführliche Darstellung der bisherigen Auslegungsgeschichte (angefangen in der breit beachteten frühjüdischen Zeit) macht das Hin und Her zwischen christologischer Allegorie und Literalsinn ebenso deutlich wie das Ringen um die methodische Alternative von formgeschichtlicher und holistischer Auslegung, die den Sitz in der Literatur, d. h. im Kontext des 4. Psalmenbuches, in den Vordergrund stellt. In ihrer eigenen Exegese bietet B. sowohl eine textinterne als auch eine holistische, d. h. auf die übergreifenden Zusammenhänge achtende Untersuchung. Die sorgfältige Analyse des Textes für sich selbst genommen führt zur literarkritischen Unterscheidung eines Grundpsalms (V. 2-12.25a*.25b.26.27aa.28b), der die Vergänglichkeit des Menschen und die Ewigkeit Gottes thematisiert, und einer an der Theologie Dtjes orientierten Fortschreibung (V. 14- 23.29), die auch V. 13.24 sowie 27ab.28a als Verbindungselemente in den Psalm eingefügt hat. "In seiner Endgestalt ist Ps 102 ein Gebetstext (über Wesen und Wirkung des Gebets) in dem Sinn, daß sowohl der Gebets-, als auch der Textcharakter konstitutive Elemente dieses Psalms sind" (217). Eine Entstehung des Psalms im offiziellen oder privaten Kult hält B. für unwahrscheinlich, da sich für beide das entsprechende Schriftmilieu kaum nachweisen lässt. Die Traditionskritik lässt in der Grundschicht in Bezug auf das Gottes-, Menschen- und Weltbild weisheitliches Gedankengut erkennen, wie es in ähnlicher Prägung im Buch Hiob vorkommt. B. kann den weisheitlichen Einfluss nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf sprachlich-formaler Ebene nachweisen, womit sie über die frühere Forschung hinausgeht. Durch die Verbindung von individueller Klage und kollektiver Hoffnung, die zur Weitergabe an kommende Generationen verpflichtet, wird "die Dynamik von Gebet, Erhörung und Ausbreitung des JHWH-Wissens" (231) zum Ausdruck gebracht. Der Zukunftsausblick auf das Heil für die ganze Menschheit weist auf eine späte Entstehungszeit des Psalms hin, jedoch kann man nach B. mit der Datierung nicht bis in die aufkommende Apokalyptik gehen.

Die holistische Analyse ist bes. dadurch interessant, dass durch die redaktionelle Bearbeitung des Psalms der Prozess der Glaubensüberlieferung und -bewahrung selbst zum Thema gemacht wird, was nicht nur für das Verständnis dieses einzelnen Psalms von Bedeutung ist. B. geht davon aus, dass es sich beim 4. Psalmenbuch "um einen subtil strukturierten und als Ganzen in einen übergeordneten Textbereich integrierten Gesamttext handelt" (250; Hervorh. M. O.). Gestützt auf verschiedene Motivverbindungen unterteilt B. das Buch in vier thematische Blöcke: 1) 90-92 Mose als Vorbild des davidischen Heilskönigs; 2) 93-100 Jahwe-Königspsalmen; 3) 101-104 der davidische Heilskönig; 4) 105-106 heilsgeschichtliche Erinnerung und Zukunftshoffnung. Der dritte Block, in dem Ps 102 steht, ist weniger offensichtlich als zusammenhängende Gruppe zu erkennen, wird jedoch nach B. durch wichtige thematische Verbindungen zusammengehalten (Motive der Sünde, des Rechts, der Vernichtung der Frevler, der Vergänglichkeit, der Werke Gottes und des Gedenkens). Aus diesen Verbindungen schließt sie, dass alle vier Psalmen auch ohne ausdrückliche Überschrift von der Redaktion als davidische Psalmen interpretiert worden seien. Demnach beschreibt diese Gruppe David "in seiner Doppelfunktion als Prototyp des Königs und als Prototyp des Beters" (257) und nur in der letzten Funktion wird er als richtungweisend für die nachfolgenden Generationen angesehen. Die Psalmen 90-92 stellen Mose als das Vorbild des davidischen Heilskönigs heraus und bilden so den Hintergrund, auf dem auch das Königtum Davids verstanden werden soll. Aus engen Bezügen auf Ps 89 schließt B., dass das 4. Psalmenbuch als Ganzes
die kompositionelle Fortsetzung von Ps 89 darstellt
und auf diesem Hintergrund gelesen werden soll. So wird der Zusammenbruch des davidi-
schen Königtums mit der Not Israels in Ägypten parallelisiert und die
geschichtliche Exoduserfahrung Grundlage der Hoffnung auf eine erneute Errettung. So können die moseorientierten Geschichtsrückblicke Ps 105-106 gleichzeitig Zukunftshoffnung auf die mit dem neuen David beginnende Heilszeit sein, an der alle Völker teilhaben werden. In diesem Sinne sind die beiden Psalmen "die werbende Einladung zum Vertrauen in JHWH als den Gott, der sein Volk Israel und die Völker der Welt durch die Geschichte führt" (273). Das Thema der Gruppe Ps 90-106 als ganzer sei demnach eine Auseinandersetzung mit der Herrschaft Jahwes und dem adäquaten Verhalten des Menschen innerhalb von Gottes Heilsplan, der sich geschichtlich auf die universale Heilsherrschaft Jahwes hin entwickelt. Das 4. Psalmenbuch ist "Lebensschule" und "Gebetsschule", indem es einerseits aus der Reflexion der Heilsgeschichte Anhaltspunkte für das gelingende Leben unter Jahwes Herrschaft zieht und andererseits in der verkündigenden Erinnerung an das Exodusereignis zu neuer lobender Verkündigung aufruft. Durch den Jubel dieser Gebete werden schließlich alle Völker für Jahwe gewonnen und so sind Gebete der Weg, auf dem die Gottesherrschaft realisiert wird.

Das 4. Psalmenbuch, das B. ins 3. Jh. datiert, bietet eine Zusammenstellung der Heilsgeschichte von Mose über David bis zum erwarteten Zukunftsherrscher, in deren Verlauf immer mehr Menschen und schließlich alle Völker zum Glauben an Jahwe gelangen. Der entscheidende Triebfaktor für die Ausbreitung des Jahwe-Glaubens ist das Gebet, durch das sich der Beter vertrauensvoll in den Verlauf der Heilsgeschichte einreiht und das Heilswirken Jahwes verkündet.

II.6 Die Schaffung von Identifikationsmöglichkeiten - Die Figur Davids als Gebetshilfe

In einer von E. Zenger betreuten Dissertation versucht Martin Kleer24, die wichtigsten Etappen in der Geschichte der Vorstellung von David als Beter zu rekonstruieren: 1. im Psalter (6.- 3. Jh.), 2. in den etwa zeitgleichen poetischen Stücken im Appendix der Samuelbücher (6.-5. Jh.), 3. bei Jesus Sirach (195- 175 v. Chr.), 4. in der Qumranepoche in Ps 151 und der sog. ,David-Komposition' - einem kleinen Prosastück, das sich in der Psalmenrolle aus Höhle 11 befindet (2. Jh. v.-1. Jh. n. Chr.). Nach detaillierten Analysen beim Vergleich von Ps 18 und 2Sam 22 sowie der letzten Worte Davids 2Sam 23,1-7 (11-78) kommt K. zu dem aufregenden Ergebnis, dass die Überschrift ledawid (im Psalter 73-mal) ursprünglich weder als auktorial ("Psalm von David") noch ethisch ("Psalm zu Davids Gebrauch") zu verstehen sei, sondern als "Leseanweisung": "im Blick auf David (zu beten)". Man solle beim Gebet an David (bzw. an Salomo, Mose etc.) denken und Gefühle und Stimmungen nachempfinden, die er (sie) damals wohl hatte(n). Die Überschrift "lädt den Beter ein, in eine Schicksalsgemeinschaft mit David zu treten" (81). Die Psalmen werden "Rollenlieder" mit seelsorglicher wie auch pädagogischer Abzweckung. David, der alle Formen des Leids durchlebt und überstanden hat, wird so vom Exil an aufwärts zur exemplarischen "Identifikationsfigur", die dem Beter helfen soll, für seine je eigene Lebenslage eine passende Situation aus dem Leben Davids zu finden. Innerhalb der Großkomposition des Psalters ändere sich das Davidbild zunehmend:25 Während in den ersten beiden Psalmenbüchern David als historische Figur agiere, trete er im vierten und fünften Buch als eschatologische Figur in Erscheinung, als "kosmischer Vorsänger" (126). Man muss sich freilich fragen, wieso für so verschiedene "Davide" das gleiche schlichte Wort ledawid in die Überschrift gesetzt wird; liegt hier nicht doch eine Überinterpretation vor?

Mit der Vorstellung von David als Psalmenbeter wird zunehmend das Bild des Psalmensängers verbunden; Gebet und Musik gehören offenbar wesensmäßig zusammen. Qui cantat bis orat (Augustinus). Unter Aufnahme von Motiven aus der griechischen Orphik werde bei Ben Sirach (Sir 47,1-11) der Aspekt der Musikalität verstärkt, was auch für den Psalm 151A gelte, wo dem Psalmengesang sogar Tiere und Bäume aufmerksam lauschen. Ben Sirach schreibe dem aus Gottesliebe erwachsenden Gesang und Gebet der Psalmen sogar Sühnewirkung zu - die Psalmen seien hier das neue "geistige Opfer", dem kultischen gleichwertig. David werde hier letztlich als Tora-Weiser vorgestellt. Schließlich beschränke sich Psalm 151A nicht darauf, über den historischen David zu berichten, vielmehr werde das Bild Davids messianisch eingefärbt, erwecke so die Hoffnung auf einen neuen David bzw. greife solche Hoffnungen auf. In der DavComp begegne er als eschatologische Figur.

II.7 Sinn für Gebet als Meditation größerer Zusammenhänge

Gegenüber der älteren hat die rezente Psalmenforschung einen Punkt in ganz neuer Weise betont: die großen Zusammenhänge und kompositionellen Bögen im Psalter. Als herausragende Vertreter dieser Interpretationsweise dürfen Frank-Lothar Hossfeld und Erich Zenger gelten. Zahlreiche Vorarbeiten, die 1993 im Kommentar in der Reihe "Neue Echterbibel" zu Ps 1-50 zu einem ersten Höhepunkt führten, haben mit dem Erscheinen des Psalmenkommentars in der Reihe "Herders theologischer Kommentar zum AT" eine großartige reife Frucht hervorgebracht. Dieser außergewöhnlich sorgfältig und fleißig gearbeitete Kommentar setzt sowohl in der Analyse des Einzelpsalms als auch und insbesondere in der Herausarbeitung der Sinndimensionen, die sich durch die Zusammenstellung der Psalmen zu größeren Kompositionen ergeben, neue Standards. Mit der These, beim Psalter handele es sich nicht um ein eher zufälliges Archiv von Einzeltexten, sondern um ein sorgfältig durchdachtes, planvoll gefügtes Ganzes,26 werden uralte jüdische, (alt)kirchlich-mönchische und pietistische Traditionen aufgenommen27 und auf der Basis einer umfangreichen Literar- und Redaktionskritik ganz neu durchdekliniert. Durch die permanente Vernetzung mit Nachbar- und Eckpsalmen von Sammlungen sowie durch die konstante Beachtung von Zusammenhängen innerhalb von rekonstruierten Psalmengruppen gewinnen die einzelnen Psalmen eine solche Fülle von neuen, bisher nicht einmal geahnten Bedeutungen, dass ein Referat hier unmöglich ist. "Jeder Psalm ist ein in sich abgeschlossener Text mit individuellem Profil und zugleich ist er offen für den Textzusammenhang, in dem er im Psalmenbuch steht und der ihm eine zusätzliche Bedeutungsdimension gibt. Leider hat die traditionelle Psalmenexegese diesen zweiten Aspekt weitgehend ausgeblendet. Bei der Auslegung anderer biblischer Bücher ist er selbstverständlich. Eine Abrahamerzählung wie z. B. die über den von ihm geforderten Gottesgehorsam (Gen 22: ,Bindung Isaaks') muß sowohl in sich als auch im größeren Textzusammenhang gelesen werden. Ja, erst von diesem größeren Zusammenhang her erhält diese Einzelgeschichte ihre theologische Tiefenschärfe. Sollte das im Psalter anders sein? Wir glauben das nicht!"28

Dieser Glaube wird die Forschung sicher noch nachhaltig beschäftigen; einerseits werden die Schüler die Meister in der Entdeckung von Sinnen überflügeln; die Argumentationen im Blick auf die Intentionen der vermuteten Wachstumsphasen werden immer komplizierter werden und mit immer mehr Unbekannten rechnen. Andererseits werden viele Psalmenforscher dieses Vorgehen eher für eine Art "Rohrschachtest" halten. "Als schwerste Hypothek ist aber ein [...] Konzept von Psalmensammlung[en] zu bezeichnen, wonach ja durch Überschriften deutlich abgehobene Einzelpsalmen als ein einziger, zusammenhängender Text gelesen werden sollen."29 Die ältere klassische Forschung hatte zumindest gute Gründe dafür anzunehmen, dass es keine programmatische Systematik, ja nicht einmal eine erkennbare Ordnung im Psalter gibt. Millard hat beachtliche Argumente vorgetragen:30 Man kann ihm zufolge, weil die Kriteriologie zu schwierig ist, weder Literarkritik am Psalter treiben noch die (angeblich) literarisch sekundären Passagen als redaktionelle Schichten ansprechen (Redaktionsmodell); denn wenn schon die Literarkritik nicht überzeugt, sind die darauf aufbauenden Hypothesen erst recht wackelig. Die These von einer exilischen Formation und einer (nach)exilischen Armenredaktion und weisheitlichen Endredaktion sind für M. bloße Spekulation. Ferner könne man die Psalmen nicht als Texte begreifen, die von einem Kompositeur genau an ihre jeweilige Stelle gestellt wurden, etwa um als Scharnier zu funktionieren (Kompositionsmodell). Vielmehr müsse man jeden Einzelpsalm als ursprünglich selbständig ansehen; bei der Sammlung der Psalmen aber seien die Akkumulatoren nach bestimmten Bauformen verfahren (Sammlungsmodell). Wie auch immer der Streit um die theologische Intentionalität der Komposition ausgehen wird - vielleicht ist sie eher bei den Rezipienten als bei den Produzenten der Texte verankert? -, für die Praxis des Gebets ergeben sich jedenfalls allemal neue Impulse: der Psalter als das Gebets- und Betrachtungsbuch dient vor allem zur Erbauung und Belehrung. Sogar die in ihm stehenden tempelbezogenen und tempeltheologisch imprägnierten Psalmen sind von diesem ,Sitz im Leben' her zu interpretieren.

Ein ganz anders gearteter Versuch, die Intention der Endredaktion des Psalters zu erfassen, stammt von D. C. Mitchell31. Nach einer instruktiven Forschungsgeschichte (15-65), die kenntnisreich aufzeigt, dass die aktuellste Psalmenforschung mit ihren Bemühungen um die Aufdeckung eines Bauplans des Gesamtpsalters an alte synagogale und kirchliche Fragen anknüpft, will M. nicht zurückstehen und seinerseits eine Hypothese begründen: Der Psalter als Ganzer folge einer Intention, nämlich den Ablauf zukünftiger Ereignisse der Weltgeschichte aufzuzeigen (vgl. die Argumente für diese "eschatological orientation in the Psalter" 82-87 und die Liste der angeblichen Gewährsmänner für diese Sicht, 298): 1. Zunächst erfolge eine Sammlung des zerstreuten Israel aus dem Exil, danach 2. die Versammlung der feindlichen Nationen gegen Jerusalem, die Jahwe aber 3. zurückschlagen wird, was die Asaph-Psalmen 50.73-88 dokumentieren sollen (90-107); schließlich skizzierten 4. die Wallfahrtspsalmen 120-134 ein gemeinsames eschatologisches Sukkotfest Israels zusammen mit den Überlebenden der Völker am Zion (108-165). Durch einen Vergleich mit verwandten eschatologischen Programmen in Ez, Joel und bes. Sach 9-14 sowie mit Texten aus Ugarit und Mesopotamien soll diese These gestützt werden, die m. E. aber geradezu abwegig ist. Auch die vielen als Autoritäten angerufenen antiken jüdischen und christlichen Allegoriker können die höchst sonderbaren Lesarten von M. nicht überzeugender machen. Sein Versuch etwa, die fünf Psalmenbücher mit dem Pentateuch inhaltlich zu parallelisieren, ist abenteuerlich: Buch II dokumentiere den Exodus Israels aus dem babylonischen Exil, was dem ersten Exodus aus Ägypten im Exodus-Buch entspreche. Das dritte Buch sei levitisch (Asaph und Korach!) und harmoniere daher mit den levitischen Themen in Lev. Die Wallfahrtspsalmen seien in der Wüste postiert zu denken und entsprächen daher bamidbar = "in der Wüste"; das I. Buch mit der Genesis zu parallelisieren, macht dem Verfasser Probleme. Für diese Analogien wie für alle Thesen des Buches gilt die Feststellung seines Autors: "Clearly, further research is needed to substantiate this hypothesis." (301)

Wesentlich vorsichtiger argumentiert Ch. Rösel32 in einer durch J. van Oorschot betreuten Marburger Dissertation. Auf Grund seiner Analysen 1. zu Struktur und Wachstum des Psalters33 (18-91) und 2. des Messiastitels34 in den knapp exegesierten Psalmen 2; 18; 20; 28; 45; 84; 89; 105; 132 (92-157) sowie 3. einer Nachzeichnung der Entwicklung der Davidstradition im Psalter (158-193) findet R. die alte These von J. W. Rothstein aus dem Jahre 1896 bestätigt, dass die Hoffnung auf die Wiederherstellung der davidischen Dynastie das Hauptinter-esse der ältesten Teilsammlung 2-89* gewesen sei, die in die Perserzeit, jedenfalls vor der Chronik datiere und von Tempelsängern durchgeführt worden sei (193-217). Wenn diese Psalmengruppe primär "die Hoffnung auf eine Wiederherstellung des davidischen Königtums wecken und stärken" wollte (217), wäre sie dann theologisch nicht arg flach, eine überholte politische Botschaft von Royalisten? Steckt in dieser Sammlung nicht unendlich viel mehr tiefe Theologie und gehaltvolle Seelsorge,
so dass die einseitige Reduktion auf ein solches (eher läppisches) Anliegen dem Textbefund kaum gerecht wird?

II.8 Phänomenologie des Gebets als Grundlage der Theologie

Einen sehr gewichtigen Beitrag zum theologischen Verstehen des Psalters leistet Patrick D. Miller (Princeton) durch seine breit angelegte Untersuchung des Betens in der ganzen Bibel und ihrer Umwelt, wobei natürlich die Psalmen dazu das meiste Material hergeben.35

In zehn Kapiteln schreitet M. einen weiten Horizont ab: Im ersten Kapitel (5-31) wird herausgestellt, dass Israels Gebet eine Geschichte des Betens in Babylon, Ägypten, Phönizien und Kanaan vorausgeht, die sein Reden von und mit Gott beeinflusst und mitgeprägt hat. Typisch für M.s Arbeit ist die Fülle der Konkretisierungen: So kategorisiert er die Anliegen der Bittgebete in vierzehn Punkte (17 f.): 1. um Gottes Zuwendung, 2.um Ansage des bevorstehenden Schicksals, 3. um Rechtshilfe, 4. um Erbarmen, Gnade und Erlösung, 5. um materielles Glück, 6. um vermittelndes Eingreifen der Gottheit im Konflikt; 7. um Versöhnung zwischen Gott und dem Beter, 8. um Begleitung durch gute Mächte, 9. um wohlwollende Antwort, 10. um gutes Ansehen in der Gemeinschaft, 11. um Reinigung von Krankheit und Sünde, von Dämonen und drohender Gefahr, 12. um Erlösung von allem Bösen, 13. um Abwehr von bösen Omen, 14.um Leben, Wohlergehen und lange Lebensdauer. Oft wird die eigene Unschuld beteuert, um die Gottheit zum Eingreifen zu bewegen. Dazu kommen Gelübde und das Versprechen öffentlicher Lobpreisungen. Alles soll eine positive Reaktion erwirken. Außerdem drohen die Beter damit, daß sie ja nur als Gerettete weiter zum Lob und zur "Versorgung" der Gottheit imstande sind. Auch das Bekenntnis von Sünden und der Versuch, die gekränkte Gottheit gnädig zu stimmen, findet sich in diesen Texten. In Mesopotamien wurden Gebetsbriefe zu Füßen der Götterstatue niedergelegt. Oft sollte ein Gott bei einem anderen vorstellig werden und vermitteln (ähnlich im Heiligenkult bis heute!). In Ägypten wurde dazu auch der göttliche Pharao angerufen. Gebet und Ritus sind meist eng miteinander verbunden und häufig auf das Opfer bezogen. Es ist gut zu wissen, dass das Beten der Bibel nicht eine "Erfindung" Israels war, sondern- bei aller Eigenart - Konzentrat des Menschseins ist.

Kap. 2 (32-54) behandelt u. a. die technischen Ausdrücke für Beten, die Orte und Zeiten für das Beten und die Gebetshaltungen (knien, sich vor der Gottheit auf den Boden werfen, die Hände erheben, mit der Handfläche nach innen als Ausdruck demütigen Bittens oder mit der Handfläche nach außen als Geste der Abwehr des Übermächtigen). Im Anschluss an W. Brueggemann konstatiert M. in den biblischen Gebeten eine ständige wogende Bewegung zwischen Klage/Bitte und Lob/Dank. In diesem Hin und Her entfalte sich die Struktur aller Gebete des Einzelnen wie des Volkes.

M. beginnt in Kap. 3 (55-134) mit der Klage/Bitte als der überwiegend vorkommenden Form. Er findet darin fünf wesentliche Elemente, die er sorgfältig untersucht: 1. Die Anrede Gottes, 2. Klage über persönliche Angriffe, 3. Bitten, 4. Gründe für ein Eingreifen Gottes, 5. Vertrauensäußerungen.

Das 4. Kap. (135-177) untersucht die Theorien zur Art, wie Gott antwortet, d. h. zu priesterlichen und prophetischen (Heils)orakeln. Gott wendet sich dem Beter zu, indem er ihm v. a. die Furcht wegnimmt ("Fürchte dich nicht!").

Kap. 5 (178-232) untersucht Formen des Dankens und Lobens sowie des Vertrauens. Dank und Lob setzen immer eine bereits erhaltene "Antwort" Gottes voraus - sei es im aktuellen Fall oder sei es mindestens in der Glaubensgeschichte des Volkes. Wo Luther übersetzt "gelobt sei der Herr!" (z. B. Ps 31,22), steht im Hebräischen Text meist beracha, also "gesegnet sei der Herr". Segen aber ist etwas materiell Greifbares - für Menschen Glück, Reichtum, Nachkommen. Der Beter, der Gott "segnet", gibt ihm mit seinem Lob und Dank in Wort und Lied etwas zurück von dem, was er erhalten hat. Er "opfert Dank" (Ps 69,31) zusätzlich zum gottesdienstlichen Opfer. Später wird das Opfer spiritualisiert und ganz durch das Lob Gottes (Toda) ersetzt (Ps 40,6-8) bzw. durch das Halten des Gesetzes (Ps40,9). Ziel des öffentlichen Dankliedes ist die Bekehrung der ganzen Welt zum Lob Gottes.

Kap. 6 betrachtet Frauengebete (233-243). Neben den Gebeten der Hagar (Gn 21) und der Hannah (1Sam 1f.), das zum Gebet Marias in
Lukas 1 hinführt, behandelt Miller ausführlich Psalm 131. Dass dieser von einer Frau gesprochen sei, folgert er (mit Seybold u. a.) aus Vers 2: "Meine Seele ist still und ruhig geworden wie ein kleines Kind bei seiner Mutter!"

Kap. 7 (244-261) analysiert Inhalte und Formen der Sündenbekenntnisse. Hervorzuheben ist, dass auch die Verfehlung gegen Menschen als Vergehen gegen Gott verstanden werden (2Sam 12,13). Sünde und übles Ergehen werden miteinander in Verbindung gebracht. Der Zorn Gottes ist fast unausweichliche Folge seiner Gerechtigkeit, kann aber durch das ehrliche Bekenntnis besänftigt werden. Der Bekenntnisakt ist meistens in andere Zusammenhänge mit eingeschlossen (Ps 41,4), er bestimmt aber manchmal auch ganze Psalmen wie Psalm 51 - der gerade der David-Bathseba-Geschichte zugeordnet wird. Oft vollzieht sich das Bekenntnis in der Öffentlichkeit (Ps 32,3-5): Das Bekenntnis schließt den Ausdruck der Reue ein und die Vergebungsbitte (Ps 41,4; 106,6). Es gibt sogar Entschuldigungsversuche; David z. B. kann seine eigene Dummheit bekennen (2Sam 24,10). Es wird anerkannt, dass Gott mit seinem Zorn im Recht ist. Darauf kann dann ein Vergebungswort (Orakel) zur Heilung des Beladenen führen. Ausführlich sind diese Elemente in den späteren Geschichtsbüchern zu finden - Esra, Nehemia und Daniel. Im NT gewinnt das Sündenbekenntnis ein noch größeres Gewicht und wird in der christlichen Liturgie ritualisiert - auf dem Hintergrund des Kreuzestodes Jesu, der als Opfer und Heilung für die Sünden der Beter wirkt.

Das Gebet für andere, die Fürbitte wird in Kap. 8 dargestellt (262- 280), wobei auffällig ist, dass M. dieses Motiv nur anhand der Geschichts- und Prophetenbücher diskutiert (Abraham für Sodom, Mose, Amos und Jeremia für Israel). Im Psalter ist es offenbar stark unterentwickelt!

Kap. 9 beleuchtet Segen und Fluch (281-303) als Element des Betens vorwiegend im familiären Umfeld: Eltern segnen ihre Kinder. Wer auf Reisen geht, wird mit Gottes Segen entlassen. Segen soll Wohlergehen und Wohlstand mit sich bringen und natürlich Kinderreichtum. Der Segen ist als eine tatsächlich wirksame Kraft verstanden. Mit den Fluchformeln (z. B. Ps 35,4-6) tut sich M. - Jesu Gebot im Ohr, auch für die Feinde zu beten - sehr schwer. Er möchte das AT nicht zu weit vom NT abrücken. Also deutet er das Fluchen als besonders intensiven Teil des Bittens um, als Bitten um Gerechtigkeit und Erlösung von allem Feindlichen. Der Hass, der in den Rachepsalmen zutage trete, sei nur die Kehrseite einer tiefen Liebe zu Gott.

Kap. 10 bietet einen Ausblick auf das Neue Testament (304-335), das die Grundelemente alttestamentlichen Betens weiterführe. Neu sei das Gebet für die Feinde. Verstärkt würden die Notwendigkeit, ständig mit Gott im Gespräch zu bleiben, die Zusicherung der Hilfe und Antwort Gottes und die Notwendigkeit, sich in Gottes Willen zu fügen (Gethsemane!). Das Gebet bekomme trinitarischen Charakter: Es wende sich zwar immer an Gott, Jesus sei aber der dazwischen tretende Vermittler: Alles Gebet "geht durch Jesus Christus". Es vollziehe sich im Heiligen Geist (auch per Ekstase und in geistlichen Liedern). Der Geist helfe angemessen beten (Röm 8,15-17). Das Gebet bekomme verstärkt eschatologische Ausrichtung: Alles solle letztlich der Verherrlichung Gottes dienen. Diesem Ziel sei auch das Leiden der Betenden untergeordnet (z. B. Paulus in 2Kor 12,8). Die Fürbitte sei nicht mehr in erster Linie Sache der Führergestalten, sie zähle zu den ureigenen Aufgaben jedes Gemeindegliedes (Röm 15,30ff.). Themen seien das geistliche Wachstum einzelner (Eph 1,16), die Ausbreitung des Evangeliums (Eph 6,18ff.), die Heilung von Krankheiten (Jak 5,13-16), die Befreiung aus Gefahren (Phil 1,19), das Wohl der Obrigkeit (1Tim 2,1f.), Fremde und Feinde (Mt 5,44), die Rettung des "ungläubigen Israel" (Röm 10,1). Das Vaterunser deutet M. ganz in Fortführung alttestamentlicher Gebetsthemen (328-335). Ein Appendix bietet Kurzauslegungen von über 60 Gebeten in alttestamentlichen Erzähltexten (337-358). Anmerkungen (leider als Endnoten; 365-439) und Register beschließen das Werk.

M. hat ein wertvolles Buch geschrieben. Seine klaren Schemata und sinnvollen Kategorisierungen helfen, die Psalmen bewusster zu lesen und die einzelnen Psalmen auch als Einheit nachzuvollziehen. Seine Abstinenz von modernen redaktionsgeschichtlichen Komplikationismen dürfte neben anderem ein Grund für den Erfolg des Buches sein. Wenn auch das meiste nicht unbedingt neu ist, sondern in großer Nähe v. a. zu C. Westermann steht, so ist doch die Intensität des theologischen Verstehens - auch im gesamtbiblischen Horizont - beeindruckend. Die hermeneutische Frage, wie sich das biblische Beten über das Vaterunser hinaus in die Gegenwart übertragen lässt, wird durch die spürbare Orientierung am christlichen Beter wohltuend stimuliert.

II.9 Psalmen Lesen als Schule des Gebets

Gegenüber der älteren Forschung, in der die Oralität eine entscheidende Verstehenskategorie war,36 tritt in der jüngeren Forschung immer stärker die Literalität ins Zentrum der Auslegung. M. Millard hat die Auffassung vertreten, die Lektüre/das Beten und der häusliche Gesang sei in der Spätzeit ein Surrogat für den Besuch des Kultes und den Vollzug des Opferrituals. "Der Psalter als Lehrbuch des Gebetes hat eine textpragmatische Funktion ...: Er hilft dem klagenden Einzelnen zur Anrede Gottes in seiner Not, er erinnert an die Nöte anderer und die vergangene Hilfe Gottes, er weckt damit die Hoffnung auf die Wendung auch der eigenen Not und führt den Beter schließlich zum Gotteslob der Gemeinde."37 Das Bild vom "häuslichen Leser", der in seinem "sprachlichen Heiligtum"38 Ersatzopfer durch Lesen, Singen, Beten bringt, ist (merkwürdig?) nah am Frommen des 21. Jh.s.

Der Psalter ist ein Buch, dessen geistvolle Lektüre einen ungeheuren Effekt hat: Sie bewirkt beim Lesenden eine ganz neue Erfahrung. Dies hat Dorothea Erbele-Küster in einer von H. Spieckermann betreuten Dissertation sehr schön herausgearbeitet.39 Nach einer Darstellung der Rezeptionsästhetik von W. Iser, H. R. Jauß und St. Fish (8-36) wird ihre Ausstrahlung auf die Exegese der Psalmen zunächst theoretisch erörtert (37-50), dann aber eine "Rezeptionsästhetik der Psalmen" in dreierlei Hinsicht konkret durchgeführt, nämlich im Blick auf den implizierten Leser (51-107), auf Modelle ästhetischer Identifikation (109-140) und auf die Bedeutung der "Leerstellen" (141-177), bevor ein Ausblick auf die Leistungsfähigkeit der Rezeptionsästhetik die konzise Arbeit beschließt (179-188). Insgesamt werden Psalmen im positiven Sinn als fiktionale Texte verstanden: "Fiktionen strukturieren Wirklichkeit, entsprechend sind sie nicht in Opposition zur Wirklichkeit gedacht. Sie fassen Erfahrungen in Worte und machen sie nacherzählbar. Die Psalmen nehmen diese Funktion wahr. Sie ermöglichen einen veränderten Weltzugang und ein neues Gottesverhältnis. Sie bilden nicht Welt ab, vielmehr eröffnen sie vielfältige neue Bezüge auf diese. Lesen als Akt des Betens nimmt die Erfahrungswirklichkeit des Beters auf und überschreitet diese zugleich" (184). Dabei wird der implizite Beter als Paradigma ausgebaut, was schon die Überschriften deutlich machen (vgl. oben Kleer und Brunert). Der verwirrende Perspektivenwechsel von der Ich-Rede zur Er-Rede und zurück, der in etlichen Psalmen begegnet, wird von diesem Modell her verständlich. "Die Lesenden bzw. die umstehenden Gerechten werden aufgefordert, am Schicksal des notleidenden Ich zu partizipieren, und gleichzeitig hat das Ich des Psalms Anteil am Los der Gerechten" (185). Besonders einleuchtend ist das Lob der "Leerstellen". Sie sind der geheimnisvolle Ort, an dem die persönlichen Erfahrungen des Lesenden in den Gedankengang des Vorbetenden eingebracht werden können. "Im Akt des Lesens
sind es gerade die Unbestimmtheitsstellen, die die Psalmen zu Gebrauchstexten werden lassen" (141, mit Verweis auf Luthers Vorrede zu den Psalmen). Die Leerstellen sind das wichtigste "Sprachgeschenk" des Psalters (173). Die Verwandlung des Beters im Blick auf die Feinde wird gerade durch die Offenheit des Beschreibens ermöglicht. "Menschliche Existenz wird in den Psalmen als eine fragmentarische beschrieben, die auf Zukunft und damit auch auf Gottes rettendes Handeln hin offen ist. In den negativen Bitten, daß Gott den Beter nicht verlassen möge oder daß er ihm nicht länger fern sein soll, ist das Erbetene zugleich anwesend. Obgleich die Anwesenheit Gottes negiert wird, gibt die Struktur der Bitte der Nähe Gottes Ausdruck.

Eine Leerstelle läßt in zahlreichen Psalmen die Frage nach der Schuld bzw. Unschuld offen. Die Feinde sind gleichermaßen Ursache und Folge der bedrängten Lage des Beters. Auch wenn der Beter seine Unschuld beteuert, ist er angewiesen auf die rettende Gerechtigkeit Gottes (Ps 35; 38), die er deshalb lobend verkündet (Ps 7). Die Gerechtigkeit Gottes affiziert den Beter, so daß er formulieren kann: ,Von deinem Angesicht geht mein Recht aus, deine Augen schauen Aufrichtigkeit' (Ps 17,2).

Dem angesichts seiner Not bzw. angesichts der Gottesferne Sprachlosen verleihen die Psalmen Sprachfähigkeit. Der Beter kann im Lesen der Psalmen seine Geschichte (neu) erzählen. In der Narratio der Rettungserfahrung wird seine Identität gestaltet. Die Bewegung von der verzweifelten Klage hin zur Erhörungsgewißheit ist darin begründet, daß dem Beter ein neues Lied in den Mund gelegt wird (Ps 40,4). Das Lob bzw. der Dank wurde als Sprachgeschenk bezeichnet, um so die Unverfügbarkeit menschlicher Identitätsbildungsprozesse festzuhalten." (186 f.)

Mit G. Ebeling spricht E.-K. zu Recht davon, dass das "Phänomen des Gebets [...] zum hermeneutischen Schlüssel der Gotteslehre" wird.40 Anthropologie und Gotteslehre sind eng aufeinander bezogen, so dass eine Hermeneutik des Gebets an der Anthropologie ansetzen muss, denn die Grundsituation des Menschen ist seine "coram-Relation"41.

II.10 Die Psalmen als konzentrierte Quintessenz der Rede von Gott und zu Gott

Luthers Vorrede zum Psalter42 ist darin unübertroffen, dass sie zum einen die Kraft der umgreifenden Existenzausleuchtung, "das rechte Gnotiseauton" des Psalters entfaltet43 und andererseits seinen Charakter als umfassende Sammlung, als "kleine Biblia/darin alles auffs schönest und kürtzest/so in der gantzen Biblia stehet/Befasset und zu einem feinen Enchiridion oder Handbuch gemacht und bereitet ist", herausstellt. Der Charakter des Psalters als einer bewusst repräsentativen Sammlung unterschiedlicher theologischer Konzeptionen ist in der neueren Forschung wieder stärker wahrgenommen und ausgearbeitet worden, u. a. von H.-P. Mathys44 und E.-A. Knauf, der die These aufgestellt hat, "daß der Psalter als systematische Theologie des Alten Testaments kompiliert worden ist, als Exegese, die der Vielstimmigkeit der ihr vorgegebenen Tradition [...] Rechnung trägt"45. Ich selbst versuche in meinem Kommentar, die anthologische Eigenart des in über tausend Jahren gewachsenen und im 1. Jh. v. Chr. abgeschlossenen Psalmenbuches dadurch herauszustreichen, dass ich zu den Themen, die die Psalmen betend berühren, jeweils Exkurse einfüge, die den weiteren Horizont skizzieren, in welchem die Gebete theologisch stehen, und die in ihrer Addition eine kleine Theologie des Alten Testaments sein wollen. In jedem Falle gilt es zu verdeutlichen, in wie hohem Maß der Psalter eine im Gebet entfaltete Summa theologica darstellt. Im Gespräch mit Gott wird die ganze Pluralität der Theologien, ihr Reichtum und ihre Spannweiten, ihre Polarität und ihre durch das Zentrum Gott zusammengehaltene geordnete Pluralität zur Geltung gebracht.46 Vielleicht kann man mit dem Philosophen Karl Jaspers wagen, die Psalmen in Analogie zu einer kreisenden Denkbewegung, zur Besinnung und Meditation zu setzen: "Der persönliche Gott [der Bibel, M. O.] schützt und fordert, ist milde und streng, barmherzig und zornig. Er liebt den Menschen und ist gerecht. Der Mensch naht sich ihm vertrauend und fürchtend. Im Gebet fühlt sich der Mensch von Gott persönlich angesprochen und spricht ihn persönlich an. Er ruft zu ihm in der Not, er dankt, er unterwirft sich seinem unbegreiflichen Willen. Er stellt Fragen, er ringt mit Gott. Er erwartet Antwort und fühlt sich verlassen, wenn er nicht hört. Er glaubt seine Weisungen zu vernehmen und geht in dieser Gewißheit seinen Weg. Sich angerufen fühlend gibt der Mensch Antwort durch sein Denken und Tun. Im Bunde mit Gott möchte er seinen Weg in der Welt suchen zur eigenen Reinheit, im Kampfe gegen die Ungerechtigkeit und bei aktiver Liebe zum Menschen sich noch bei vernichtendem Unheil in Gottes Schutz wissen. Das Gebet reinigt sich von Magie, von dem Bezwingenwollen der Götter, vom Eigennutz. Der Verzicht auf Gebet von Person zu Person läßt es in anderer Gestalt wiedererstehen als Besinnung in philosophischer Meditation."47 Kann man dem Gebet also gar nicht "entrinnen"?

III. Fazit und Ausblick

Wer auf die unter II.1-10 genannten Punkte zurückblickt, der wird vielleicht neuen Mut fassen, die Psalmen in die Wirklichkeit des modernen Alltags zurück zu holen. Wenn man wahrnimmt, dass in den Psalmen weisheitliche Theologie betrieben wird, die individuelle menschliche Erfahrungen mit Gott ins Paradigmatische verallgemeinert, wenn man die Wahrhaftigkeit und kritische Radikalität sieht, mit der die Psalmen sowohl die dunklen Seiten Gottes ansprechen und anprangern als auch die Schatten menschlichen Daseins ausleuchten, wenn man erkennt, dass wirkliche menschliche Erfahrungen hinter den Gebeten stehen, wenn man zugleich die Metaphorik durchschaut, mit der vom Einzelgeschick her das ganze Leben, vom Einzelvolk die Menschheit in bildreiche Sprache gefasst und zur Chiffre für Grundwahrheiten der Existenz wird, wenn man der dramatischen Bewegtheit des Betens ansichtig wird, wenn man in die Stimmungsräume eintritt, die die Identifikationsangebote in den Überschriften eröffnen, wenn man sich in den Meditationszusammenhang begibt, den größere Gebetszusammenstellungen anbieten, wenn man das Phänomen des Betens in seiner ganzen Vielfalt und Breite realisiert, wenn man lernt, zu lesen, d. h. die Wege, die das Buch der Psalmen bahnt, bewusst existentiell nachzugehen, dann versteht man, dass der Psalter ein theologisches Kompendium ist, dann lernt man vielleicht, die Texte der Bibel neu zu lesen und neu wert zu schätzen. Vielleicht gelingt es der Psalmenforschung, begreiflich zu machen: Mit dem Verlust des Betens geht der Verlust von wahrer Selbsterkenntnis einher! Und umgekehrt: Manches, was in der Moderne als intellektuelle, un- bis antikirchliche Kritik daher kommt, ist eine Art Psalmgebet.48 Meditative Besinnung im vielleicht unklaren Bewusstsein eines ganz Anderen, unsicheres Tasten nach Transzendenz, nachsprechendes Hineinfinden in den Horizont der Tradition Israels eröffnet Hoffnung auf ein Jenseits von Leid, Sinnlosigkeit und Tod. Das Alte Testament und die Kultur der Moderne liegen viel enger beieinander, als viele Zeitgenossen ahnen. Man muss freilich Gott als Gegenüber auch in seiner Verborgenheit entdecken und ansprechen.

Summary

This essay attempts to show from ten different perspectives how the current scholarly discussion of the Psalms can contribute to overcoming the crisis of prayer, providing renewed courage and fresh motivation for speaking to God. Recent literature has shown that praying the Psalms means: 1. centering on basic, wisdom-oriented questions about being human (Forster, Oeming, Bons), 2. speaking truthfully about the dark sides of the world and of God (Zenger), 3. recognizing the political and economic reality behind the prayers (Seybold, Albertz, Gerstenberger), 4. drawing from the deep metaphoric treasure of the Psalms (Hauge, Riede), 5. understanding the dramatic movement of prayer (Brunert), 6. discovering new ways of identification (Kleer), 7. meditating on larger contexts (Hossfeld, Zenger, Mitchell, Rösel), 8. opening the entire breadth of different types of prayer (Miller), 9. practicing life through an active process of reading (Erbele-Küster), and 10. understanding prayer as the quintessential sum of biblical theology (Mathys, Knauf, Oeming).

Fussnoten:

1) D. Sölle, Gebet, in: Dies., Atheistisch an Gott glauben. Beiträge zur Theologie, Freiburg 1968, 109-117.

2) Besonders empfehlenswert ist: Groß, Walter u. Bernd Janowski [Hrsg.] unter Mitwirk. von Th. Pola: Psalter-Synopse. Hebräisch-Griechisch-Deutsch. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2000. IV, 265 S. 4. Kart. ¬ 20,50. ISBN 3-438-05255-5, die die neueste Bearbeitung des hebräischen Textes von A. Schenker (1997) samt kritischem Apparat neben Einheitsübersetzung, revidiertem Luthertext und Rahlfs-Septuaginta (1935) bietet und damit einen begrüßenswerten Impuls für das Studium des Urtextes gibt. Vgl. auch B. Weber, Werkbuch Psalmen. 1. Die Psalmen 1 bis 72, Stuttgart 2001.

3) Besonders verdienstvoll ist der Kommentar von Girard, Marc: Les psaumes redécouverts. De la structure au sens. 1-50 (2. erw. Aufl. des ersten Bandes von Les psaumes: analyse structurelle et interpretation I-III). Quebec: Bellarmin 1996. 818 S. gr.8. Kart. $ 39,95. ISBN 2-89007-803-5. Der neuere Kommentar wird durch eine ausführliche Einleitung mit rezentem Forschungsüberblick (13-30), durch detaillierte Darlegung seiner Terminologie (31-92) und v. a. wegen seiner theoretischen Grundlagen (93-136) aufgewertet: Der durch Aufbauschemen strukturierten und textkritisch kommentierten Übersetzung folgt eine Analyse der Einzelteile, die sich ganz im Sprachkosmos des Textes selber bewegt, die dann aber in eine Synthese mündet. Ziel der ästhetischen Betrachtung ist es - nota bene - "déboucher sur une double perspective: une compréhension théologique plus profonde de l'Écriture ... en termes de relecture christologique, écclésiologique, spirituelle, sacramentaire etc.; l'application contemporaine d'un message de vie toujours actuel et engageant" (136). So bietet das Werk viel mehr als nur formale Analysen.

Zur lyrischen Struktur des Hebräischen allgemein und der Psalmen im Besonderen hat Fokkelman, J. P.: Major Poems of the Hebrew Bible at the Interface of Prosody and Structural Analysis. Vol. II: 85 Psalms and Job 4-14. Assen: Van Gorcum 2001. 550 S. gr.8 = Studia Semitica Neerlandica. Geb. 113,14. ISBN 90-232-3381-6, einen originellen Beitrag vorgelegt. Er führt dem erstaunten Leser eine mathematisch exakte vormasoretische "Silbenzählungslehre" vor und deckt die bislang geheime Ordnungszahl auf: durchschnittlich acht Silben pro Kolon prägen die hebräische Poesie (auch in Hiob); die Abweichungen reichen von 7-9: "I am toying with the idea that the 148 poems of the Psalter contain 1,193 strophes, 2,695 verses (in the sense of full poetic lines), 5,714 cola, 18,944 words and 45,733 syllables. If we divide this number by the number of the cola we get 8.0036, a highly remarkable number as it only deviates from the perfect number 8 (8.00) in its third decimal. This is such a minimal deviation that we should consider whether the number 8 might not have been a guideline or normative figure for the poets in constructing the cola." Freilich ist das Zählen der Silben ein mühsames Geschäft (die Resultate Fokkelmans sind auf den Tabellen 387-525 leicht nachzuschlagen), auch die Aufteilung in "Strophen" bleibt m. E. unsicher. Die von F. auf der Basis der Silbennumerik vorgeschlagenen textkritischen Lösungen und gedanklichen Abgrenzungen werden es schwer haben. Gleichwohl sind einzelne Resultate aufregend, z. B. die These, dass die zumeist als sekundär angesehenen "Buchschlüsse" Ps 41,14; 72,18 f.; 106,48 integraler Bestandteil der jeweiligen Gedichte sind (153; 193; 277 f.), und die stilistische Analyse bietet immer wieder auch inhaltliche Aufschlüsse. Vgl. auch die methodisch völlig anders gelagerten Analysen von P. Auffret, Merveilles à nos yeux. Etude structurelle de vingt psaumes dont celui de 1Chr 16,8-36 (BZAW 235), Berlin u. a. 1995; ders., Là montent les tribus. Étude structurelle de la collection des Psaumes des Montées, d'Ex 15,1-18 et des rapports entre eux (BZAW 289), Berlin u. a. 1999.

4) Z. B. sollen die Königspsalmen sehr stark im Licht der religiösen Zeugnisse aus der Umwelt Israels interpretiert werden: M. Arneth, "Sonne der Gerechtigkeit". Studien zur Solarisierung der Jahwe-Religion im Lichte von Psalm 72 (BZAR 1), Wiesbaden 2000, möchte Ps 72 (in seiner Grundschicht) als zur Krönung Josias 640 v. Chr. verfassten polemischen Antitext zum neuassyrischen Loyalitätseid Asarhaddons (672 v. Chr.) und zum Krönungshymnus Assurbanipals (SAA III,11, Text 58 f.) (669 v. Chr. ) verstehen - schwerlich zu Recht. K.-P. Adam, Der königliche Held. Die Entsprechung von kämpfendem Gott und kämpfendem König in Psalm 18 (WMANT 91), Neukirchen-Vluyn 2001, zieht reichlich Material aus dem ganzen Alten Orient zur Interpretation von Ps 18 heran, den er in mehreren Stufen gewachsen sieht, und macht eine Parallelisierung von göttlichem Handeln und königlichem Tun textlich und ikonographisch plausibel.

5) Z. B. C. Hell/W. Wiesmüller, Die Psalmen - Rezeption biblischer Lyrik in Gedichten, in: H. Schmidinger [Hrsg.], Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Band 1: Formen und Motive, Mainz 1999, 158-204; S. Gillmayr-Bucher, "Ich muß noch einmal Psalmen schreiben". Psalmgedichte von Bertolt Brecht, ZKTh 121, 1999, 269-280; Ch. Jeremias, Psalmen in der geistlichen Dichtung. Auslegung und Verständnis von Psalm 128 und 47 in Nachdichtungen aus fünf Jahrhunderten, JbHL 38, 1999, 40-64; Ch. Reemts, Schriftauslegung. 6. Die Psalmen bei den Kirchenvätern (NSK.AT 33/6), Stuttgart 2000; Th. F. Ryan, Thomas Aquinas as Reader of the Psalms (Studies in Spirituality and Theology 6), Notre Dame, Ind. 2000.

6) M. Zechmeister, Wenn Christen jüdische Gebete sprechen. Zum christlichen Umgang mit den Psalmen, Theologisch-praktische Quartalsschrift 147, 1999, 20-30; H. Zwanger, Psalmen beten - ohne antijüdischen Anschein, http://www.dike.de/Lomdim/md2000/03md0200.html.

7) Vgl. A. Aejmelaeus, U. Quast [Hrsg.], Der Septuaginta-Psalter und seine Tochterübersetzungen. Symposium in Göttingen 1997 (MSU 24 = AAWH.PHK 3, 230), Göttingen 2000; R. J. Hiebert, C. Cox, E. Claude, P. J. Gentry [Hrsg.], The Old Greek Psalter. Studies in Honour of Albert Pietersma (JSOT.SS 332), Sheffield 2001; Zenger, E./Aejmelaeus, A., Der Septuaginta-Psalter. Sprachliche und theologische Aspekte (HBSt 32), Freiburg 2001.

8) Zur aktuellen Forschung insgesamt vgl. u. a. M. Oeming, Die Psalmen in Forschung und Verkündigung, VuF 40, 1995, 28-51; J. M. Auwers, Tendances actuelles des études psalmiques. À propos de quelques ouvrages récents sur le psautier, RThL 28, 1997, 79-97; D. J. A. Clines, Psalm Research since 1955: I. The Psalms and the Cult, in: Ders., On the Way to the Postmodern. Old Testament Essays, 1967-1998. Vol. II. (JSOT.SS 293), Sheffield 1998, 639-664; Seybold, Klaus: Studien zur Psalmenauslegung. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1998. 319 S. gr. 8. Geb. ¬ 38,30. ISBN 3-17-015576-8. Vgl. darin: Zur neueren Psalmenforschung 9-74; E. Zenger, Die Psalmen im Psalter: Neue Perspektiven der Forschung, ThRev 95, 1999, 443-456; ders., Psalmenforschung nach Hermann Gunkel und Sigmund Mowinckel, in: A. Lemaire/M. Sæbo [Hrsg.], Congress Volume, Oslo 1998 (VT.S 80), Leiden 2000, 399-435; Themaheft Psalmen, BiKi 56, 2001.

9) E. Zenger, Der Psalter als Buch. Beobachtungen zu seiner Entstehung, Komposition und Funktion, in: Ders. [Hrsg.], Der Psalter in Judentum und Christentum (HBSt 18), Freiburg 1998, 1-57.

10) Oeming, Manfred: Das Buch der Psalmen (Neuer Stuttgarter Kommentar 13/1), Stuttgart 2000. Vgl. Rezension in ThLZ 126 (2001), 1136-1138.

11) Forster, Christine: Begrenztes Leben als Herausforderung. Das Vergänglichkeitsmotiv in weisheitlichen Psalmen. Zürich: Pano 2000. XI, 277 S. 8. kart. ¬ 19,50. ISBN 3-907576-24-1. - Vgl. die Rezension in ThLZ 126 (2001), 913.

12) R. Albertz, Rez. von M. Oeming, Das Buch der Psalmen, ThLZ 126 (2001), 1136-1138.

13) Dieser Prozess hat im Alten Testament zahlreiche Analogien; vgl. z. B. J. Jeremias, Das Proprium der alttestamentlichen Prophetie, ThLZ 119 (1994), 483-493; K. Koenen, Heil den Gerechten - Unheil den Sündern! Ein Beitrag zur Theologie der Prophetenbücher (BZAW 229), Berlin/New York 1994, u. a. m., die herausarbeiten, wie allein schon durch die Verschriftung, aber auch durch weisheitliche Kommentierungen oder bewusst weiter gefasste Formulierungen die prophetische Botschaft über die Stunde ihrer mündlichen Verkündigung hinaus Geltung erlangte.

14) Bons, Eberhard: Psalm 31 - Rettung als Paradigma. Eine synchron-leserorientierte Analyse. Frankfurt: Knecht 1994. IX, 307 S. 8 = Frankfurter theologische Studien, 48. Kart. ¬ 35,00. ISBN 3-7820-0708-5.

15) J. Fichtner, Vom Psalmenbeten. Ist das Beten aller Psalmen der christlichen Gemeinde möglich und heilsam?, WuD 5, 1952, 38-60 (wieder abgedruckt in: ders., Gottes Weisheit [AzTh II/3], Stuttgart 1965).

16) Zenger, Erich, Ein Gott der Rache? Feindpsalmen verstehen, Freiburg 21998, 148. Vgl. auch W. Dietrich/Ch. Link, Die dunklen Seiten Gottes 1, Neukirchen-Vluyn 32000, 128-220.

17) S. Mowinckel, The Psalms in Israel's Worship (1962), ND Sheffield 1992.

18) Seybold, Klaus: Die Psalmen. Tübingen: Mohr 1996. VIII, 548 S. gr.8 = Handbuch zum Alten Testament I/15. Kart. ¬ 59,00. ISBN 3-16-146664-0. Vgl. auch ders., Studien zur Psalmenauslegung (Bibliographie s. Anm. 8) mit folgenden 18 Einzelbeiträgen, die als Vorarbeiten im Zusammenhang mit dem Kommentar stehen: Zur neueren Psalmenforschung (9-74); Der Weg des Lebens. Eine Studie zu Ps 16 (75-84); Psalm 29: Redaktion und Rezeption (85-111); Psalm LVII. Ein Lösungsversuch (112-124); Asyl? Psalm 62 - Ein Zeugnis eines Verfolgten (125-129); Psalm 76 (130-146); Zu den Zeitvorstellungen von Psalm 90 (147-160); Psalm 104 im Spiegel seiner Unterschrift (161-172); Psalm 141. Ein neuer Anlauf (173-188); Habakuk 2,4 und sein Kontext (189-198); Das Hymnusfragment 11QPs XXVII (sic! richtig XXVI) 9-15. Auslegung und Einordnung (199-207); Die Redaktion der Wallfahrtspsalmen (208-230); Das "Wir" in den Asaph-Psalmen. Spezifische Probleme einer Psalmgruppe (231-243); Reverenz und Gebet. Erwägungen zu der Wendung hilla panim (244-259); Zur Vorgeschichte der liturgischen Formel "Amen" (260-269); Psalmen im Buch Hiob. Eine Skizze (270-287); In der Angst noch Hoffnung. Drei Persönliche Zeugnisse aus den Psalmen (288-304); Erfolgsrisiko - Predigt über Ps 127,1 (305-309). Der materialreiche Sammelband erhält wie der Kommentar einen Teil seines Profils durch die Verortung scheinbar abstrakter theologischer Sätze in der konkreten Praxis der Justiz (wie Hab 2,4: "Der Gerechte wird durch seinen Glauben leben", vgl. auch Ps 62) .

19) R. Albertz, Religionsgeschichte Israels, 21997, und E. Gerstenberger, Theologien im Alten Testament. Pluralität und Synkretismus alttestamentlichen Gottesglaubens, Stuttgart 2001, differenzieren völlig zu Recht stark zwischen privater und öffentlicher Frömmigkeit bzw. den Trägerkreisen Familie, Dorf, Stämmeverband, Staat und Konfessionsgemeinde.

20) Hauge, Martin Ravndal: Between Sheol and Temple. Motif Structure and Function in the I-Psalms (JSOT.S 178), Sheffield 1995. Vgl. Rezension in ThLZ 122 (1997), 243.

21) Der Ausdruck stammt nicht von H., sondern von mir.

22) Riede, Peter: Im Netz des Jägers. Studien zur Feindmetaphorik der Individualpsalmen. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2000. 448 S. = Wissenschaftliche Monographien zum AT und NT, 85. Kart. ¬ 69,00. ISBN 3-7887-1751-3.

23) Brunert, Gunild: Psalm 102 im Kontext des Vierten Psalmenbuches. Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1996. 328 S. 8 = Stuttgarter Biblische Beiträge, 30. Kart. ¬ 40,90. ISBN 3-460-00301-4.

24) Kleer, Martin: Der liebliche Sänger der Psalmen Israels. Untersuchungen zu David als Dichter und Beter der Psalmen. Berlin: Philo 1996. 375 S. = Bonner Biblische Beiträge, 108. Geb. ¬ 50,00. ISBN 3-8257-0037-2.

25) Vgl. dazu auch R. G. Kratz, Die Tora Davids. Psalm 1 und die doxologische Fünfteilung des Psalters, ZThK 93, 1996, 1-34, der meint, man könne die Psalmenbücher jeweils bestimmten Abschnitten der Geschichte Israels zuordnen. Dies funktioniert aber nur, wenn man zu massiven literarkritischen Eingriffen bereit ist. Der vorliegende Text folgt diesem Schema nicht.

26) Exemplarisch und in programmatischer Auseinandersetzung mit Bestreitungen vgl. E. Zenger, Die Provokation des 149. Psalms. Von der Unverzichtbarkeit der kanonischen Psalmenauslegung, in: [Gerstenberger, Erhard S.:] "Ihr Völker alle, klatscht in die Hände". Festschrift für E. S. Gerstenberger zum 65. Geburtstag. Hrsg. von R. Kessler, K. Ulrich, M. Schwantes u. G. Stansell. Münster: LIT 1997. XI, 428 S., 1 Porträt. 8 = Exegese in unserer Zeit, 3. Kart. ¬ 35,90. ISBN 3-8258-2937-5, 181-194.

27) Vgl. z. B. B. S. Childs, Psalm Titles and Midrashic Exegesis, JSS 16, 1971, 137-150.

28) Hossfeld, Frank, u. Erich Zenger: Psalmen 51-100. Freiburg: Herder 2000. 22001. 727 S. gr.8 = Herders theologischer Kommentar zum Alten Testament. Geb. ¬ 100,00. ISBN 3-451-26826-4.

29) F. Crüsemann, "Ihnen gehören die Bundesschlüsse" (Röm 9,4). Die alttestamentliche Bundestheologie und der christlich-jüdische Dialog, KuI 9, 1994, 21-38, hier 29.

30) M. Millard, Von der Psalmenexegese zur Psalterexegese, BibInterpr 4, 1996, 311-328 (ein Rezensionsaufsatz über den NEB-Kommentar von Hossfeld/Zenger).

31) Mitchell, David C.: The Message of the Psalter. An Eschatological Programme in the Book of Psalms. Sheffield: Sheffield Academic Press 1997. 428 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl. Series 252. Lw. £ 40.00. ISBN 1-85075-689-9.

32) Rösel, Christoph: Die messianische Redaktion des Psalters. Studien zu Entstehung und Theologie der Sammlung Psalm 2-89. Stuttgart 1999. Vgl. die Rezension in ThLZ 125 (2000), 1007.

33) Vgl. das Schaubild S. 91. Der elohistische Psalter bestehe aus drei Teilsammlungen: dem ersten Block der Korachpsalmen 42-49*, den Asaphpsalmen 50.73-83* und den Davidspsalmen 51-72*. Die ältere David-Asaf-Sammlung soll durch Vorschaltung des ersten Blocks der Korachpsalmen zum elohistischen Psalter geworden sein, der wiederum mehr- stufig durch Vorschaltung des ersten Davidpsalters 3-41*, Anhängung des zweiten Blocks der Korachpsalmen 84-87* und schließlich durch Rahmung mit Ps 2 und 88/89 zur Teilsammlung 2-89* geworden sei. Das klingt plausibel, könnte aber alles auch ganz anders gewesen sein. Schon das Denken in Blöcken ist mir dadurch problematisch, dass mitten in diesen Blöcken plötzlich ganz andere Materialien auftauchen (Ps 50 stammt von Asaf und steht als Solitär nach Korach (42-49) und vor David (51 ff.); Ps 86 als Davidpsalm steht rätselhaft mitten im von 42-49 rätselhaft weit weg stehenden zweiten Block der Korachpsalmen 84.85.87.88).

34) "Ein Messias ist eine durch Salbung geweihte Person oder ein für die Zukunft erwarteter heilbringender Mittler" (95).

35) Miller, Patrick D.: They cried to the Lord. The Form and Theology of Biblical Prayer. Minneapolis: Fortress Press 1994. 101998. Kart. US$ 28,00. ISBN 0-8006-2762-8.; vgl. ders., Interpreting the Psalms, Philadelphia 1986.

36) Vgl. paradigmatisch den späten C. Westermann, Das mündliche Wort. Erkundungen im Alten Testament (AzTh 82), Stuttgart 1996; ders., Sprache in meinen Jahren, in: ders., Der Mensch im Alten Testament (ATM 6), Münster u. a. 2000, 7-10.

37) M. Millard, Die Komposition des Psalters. Ein formgeschichtlicher Ansatz (FAT 9), Tübingen 1994, 250.

38) Vgl. E. Zenger, Der Psalter als Heiligtum, in: Ego, B., Lange, A., u. P. Pilhofer [Hrsg.]: Gemeinde ohne Tempel. Community without temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum. Tübingen: Mohr Siebeck 1999. X, 519 S. = WUNT 118, Lw. ¬ 109,00. ISBN 3-16-147050-8. 115-130.

39) Erbele-Küster, Dorothea: Lesen als Akt des Betens. Eine Rezeptionsästhetik der Psalmen (WMANT 87), Neukirchen-Vluyn. Neukirchener Verlag 2001, 215 S. = Wissenschaftliche Monographien zum AT und NT, 87. Geb. ¬ 49,90. ISBN 3-7887-1812-9.

40) G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. l, Tübingen 1979, 193.

41) A. a. O. 346.

42) Jetzt wieder zugänglich in R. Smend, Das Alte Testament im Protestantismus, Neukirchen-Vluyn 1995, 19-22.

43) "Da sihestu aber mal allen Heiligen ins hertze."

44) H.-P. Mathys, Dichter und Beter. Theologen aus spätalttestamentlicher Zeit (OBO 132), Freiburg u. a. 1994.

45) E.-A. Knauf, Hymnische Exegese. Der Psalter als Theologie des Alten Testaments: Fundamentale Einheit - Faszinierende Vielfalt. Jahrestagung des Vereins der Religionslehrerinnen und Religionslehrer an Gymnasien des Bistums Trier 1999 (Trier: Bischöfliches Ordinariat, 1999), 7-27.

46) Z. B. Gedanken zum Opfer und zur Opferkritik, Oberschicht- und Unterschichtgebete, Zionstheologie und Landtheologie, Stimmen aus Establishment und Unterschicht und vieles andere mehr.

47) K. Jaspers, Der philosophische Glauben angesichts der Offenbarung, München 1962, 219 f.

48) Es ist lohnend, die moderne Musikszene daraufhin durchzuhören: Bei deutschsprachigen Sängern wie Stefan Sulke, Marius Müller-Westernhagen oder Wolfgang Niedecken von BAP wird man dabei in einem ebenso reichen Maße fündig wie bei englischsprachigen Interpreten wie Sting, Bob Marley und vielen anderen mehr. Hier liegt reiches Anknüpfungsmaterial für den eigenen Glauben, aber auch für den Religionsunterricht bereit. Vgl. auch K. Vonderberg, Neue Psalmen für Jugendliche, Stuttgart 31997.