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Ausgabe:

März/2002

Spalte:

355–357

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schneider, Sebastian

Titel/Untertitel:

Für eine Pastoral der Aufmerksamkeit. Der Beitrag des Pastoralseminars für eine subjektfördernde Seelsorge.

Verlag:

Würzburg: Seelsorge Echter 2000. 319 S. gr.8 = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 44. ¬ 24,50. ISBN 3-429-02265-7.

Rezensent:

Karl-Adolf Bauer

In dieser Dissertation wird das seit 1989 in allen österreichischen Diözesen durchgeführte "Pastoralseminar als Weiterbildungs-instrument für MitarbeiterInnen und interessierte Gläubige in Pfarrgemeinden" (39) reflektiert und dokumentiert. Dabei kommen in drei Kapiteln pastoraltheologische Voraussetzungen und methodische Zugänge (I), Kontext, Geschichte, Organisation und Praxis (II), Elemente einer lehramtlichen und theologischen Grundlegung (III) ausführlich zur Sprache, ehe in Kap. IV das Pastoralseminar zusammenfassend als "Schule der Aufmerksamkeit" (247) beschrieben wird. Der Vf., seit 1994 "auf Österreichebene für die Organisation des Projektes Pastoralseminar und für die Weiterentwicklung des Seminars angestellt" (17), gibt in seiner Arbeit in prozessorientierter Weise Anteil am Werden und am Vollzug dieser an der "Entfaltung der Persönlichkeit" und der "Weiterentwicklung der Pfarrgemeinden" (16) gleichermaßen orientierten Institution. Orientiert an einer "Pastoral der Aufmerksamkeit" "als Voraussetzung dafür, sich von der Not der Menschen betreffen und anrühren zu lassen" (24 f.), soll das Pastoralseminar vor allem die "Subjektwerdung des einzelnen" fördern (24). Mit Hilfe eines kommunikationsorientierten Evaluationsmodells wird im Interesse der Weiterentwicklung überprüft, inwiefern die bisherige Seminarpraxis diesem Ziel entsprochen hat. Diese Evaluation wird in Kap. I vorgestellt.

Im II. Kap. (dem mit 137 Seiten mit Abstand größten Kapitel!) werden zunächst unter dem Stichwort "Zeichen der Zeit" "drei Deutungsversuche der gesellschaftlichen Situation vorgestellt: die Moderne als eine Gesellschaft des Wandels, als Erlebnisgesellschaft und als Gesellschaft mit dem Trend zur Individualisierung" (40). Angesichts der gesellschaftlichen Umbrüche und ihrer Folgen für die Kirche ergibt sich im Blick auf das Pastoralseminar die Frage, "wieweit es [ihm] gelingt, ein Ort zu sein, in dem Umbrüche bewußt angesprochen und gestaltet werden, sodaß auch ein ,Aufbruch' erlebt werden kann." (58) Diese Frage gewinnt noch an Gewicht angesichts des gesamt- und ortskirchlichen Kontextes: da der "entscheidende Impuls des Konzils" in der "Zusage des Subjektseins" (58) gesehen wird, muss sich die Frage der Partizipation dieses Subjektes am Aufbau und Leben der Kirche stellen! Das wird auch an den Konflikten innerhalb des österreichischen Katholizismus bis in die Bischofskonferenz hinein aufgezeigt. Auf diesem Hintergrund wird die Geschichte des Pastoralseminars nachgezeichnet, das von seinem Ursprung her den Anspruch erhebt, "eine pastorale Antwort auf moderne Entwicklungen unserer Zeit zu geben." (81) Als "das wesentlichste Motiv" für seine Entwicklung wird "die Förderung der Pfarrgemeinderäte und der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen" (ebd.) und als "letztes Motiv" "die Förderung der Subjektwerdung" (83) benannt. Sieben von den Mentoren und Mentorinnen vorbereitete "Bausteine für die Seminargestaltung" ("Meine Lebens- und Glaubensgeschichte"; "Die Zeichen der Zeit"; "Gottesbilder - Menschenbilder"; "Kirche und Gemeinde - Orte des Lebens"; "Kommunikative Fähigkeiten in der Gemeinde"; "Unsere Begabungen - bei mir und bei anderen - entdecken und entfalten"; "Zur pastoralen Praxis der Pfarrgemeinde") konkretisieren diese Ziele. Eine "Analyse von Seminarkonzepten aus den Jahren 1990 bis 1996" (94 ff.) macht mit verschiedenen Aspekten der Durchführung bekannt. Es ergeben sich drei Seminartypen: Orientierung vornehmlich am Inhalt oder am Einzelnen oder an der Gemeinde. Die Seminare werden vor allem von Laientheologen und -theologinnen gehalten und nach Möglichkeit von einer Frau und einem Mann begleitet. Die durchschnittliche Kursdauer beträgt 38 Stunden, die sich auf Abendeinheiten und Wochenenden verteilen.

Die bisherige Seminarpraxis zeigt sich vor allem "in der TeilnehmerInnenorientierung, die hohe Ansprüche an die MentorenInnen stellt" (106). Schon in der Analyse deutet sich eine gewisse Spannung zwischen der Subjekt- und der Gemeindeorientierung der Seminare an. Ausführlich kommen Organisation, Mentorenausbildung und die Praxis des Pastoralseminars als Bildungsinstrument zur Sprache, ehe im III. Kap. die theologische Grundlegung folgt. Sie ist geleitet von der Frage, inwiefern sich die Subjektwerdung des Einzelnen "lehramtlich und theologisch untermauern läßt" (177) mit dem Ziel, den Auftrag des Pastoralseminars zu profilieren. Die Subjektwerdung wird als "Weg von der Ich-Wahrnehmung zur Wahrnehmung des anderen" (178) im Kontext von "Geschichte und Gesellschaft" (187) beschrieben. In Rekurs auf das 2. Vatikanische Konzil wird die Aufgabe der Deutung der Zeitereignisse im Licht des Evangeliums angesprochen mit dem Ziel, menschenwürdiges Leben zu fördern. Aus dem Anspruch der Kirche, communio zu sein, ergibt sich die Aufgabe, den Zusammenhang von Communio und Kommunikation in der Kirche auszubilden (208). Aus dem Anspruch der Evangelisierung ergeben sich Kriterien einer "evangelisatorischen Erwachsenenbildung" (231). Das Ziel der Subjektwerdung fordert ein entsprechendes Zueinander des Einzelnen und der Gemeinde. Das IV. Kap. formuliert "mögliche Entwicklungsschritte" (247) für das Pastoralseminar, wie sie sich aus der theologischen Grundlegung nahe legen.

Das Buch enthält eine Fülle von wertvollen Gesichtspunkten (im Anhang ergänzt durch eine Reihe von Dokumenten), die in einer kurzen Besprechung nicht aufgenommen werden können. Es ist dem Vf. gelungen, das "Pastoralseminar" als prozessorientiertes Instrument der Erwachsenenbildung vorzustellen, das Aspekte der Förderung des Glaubens des Einzelnen, der Gemeindeentwicklung und der Gemeindeberatung person- und erfahrungsbezogen und gabenorientiert zu integrieren vermag. Damit erweist sich das Pastoralseminar als eine gemeindebezogene Einrichtung, die in fruchtbarer Spannung Elemente zueinander in Beziehung zu setzen und beieinander zu halten vermag, die oft nur allzu schnell auseinanderfallen. Der am Werden des Pastoralseminars orientierte Aufbau des Buchs bringt es mit sich, dass verschiedene Aspekte in unterschiedlichen Zusammenhängen wiederholt zur Sprache kommen. Das führt zu Wiederholungen, die der Lesbarkeit nicht immer zu Gute kommen. (Corrigendum: Anm. 69 auf S. 191 unten ist zu streichen!) Das gilt besonders für die theologischen Gesichtspunkte. Vor allem das stetig wiederholte Ziel der Subjektwerdung weckt kritische Rückfragen. Wie verhalten sich das Personsein und das Subjektwerden zueinander (178 ff.)? Und wie verhält sich das Subjektsein des Menschen als Ausdruck seines Seins vor Gott (185) zur Kirche als Subjekt? Diese Frage stellt sich nochmals im Zusammenhang der Thematisierung der Kirche als communio, die sich als "kommunikativer Lebensraum" (213) realisiert. Sie steht auch im Hintergrund der "Gemeindespiritualität der Subjektwerdung" (240 f), die im Interesse des Subjektes funktionalisiert zu werden droht (vgl. ebd. Anm. 333).

Die These, das 2. Vatikanum habe "die Subjektwerdung des Menschen als legitime Entfaltung gutheißen" können, "weil es darin auch [!] eine Fortsetzung der Offenbarung Gottes erkannte" (200), scheint mir der kritischen Rückfrage zu bedürfen! Einer weiteren Klärung bedarf m. E. auch der Zusammenhang von Subjektwerdung und Erfahrung. Unklar bleibt, in welchem Sinn der Erfahrung "theologische und ekklesiologische Relevanz" zukommt? Es scheint fast, als sei die Erfahrung als ,zentrale Kategorie der Subjektwerdung' (207) ein Letzt-Datum. Ist aber nicht alle Erfahrung vor-läufig und offen für neue Erfahrungen mit der Erfahrung? Eine Klärung dieser Fragen hätte vermutlich die Profilierung und Klärung der Ziele des Pastoralseminars und die Prägung ihrer Praxis vertiefen können, während so die theologische Begründung mit dem fast additiv wirkenden Nacheinander ihrer Elemente in ihrer Auswirkung auf eine "Beurteilung des Pastoralseminars" und auf mögliche "Entwicklungsschritte" (247) dieses Modells hin die Erwartungen nur teilweise einlöst, die sie selbst geweckt hat. Am überzeugendsten wirkt diese Arbeit immer dort, wo sie am Prozess des Pastoralseminars teilgibt und zum Plädoyer für eine gemeindebezogene Alltagstheologie gerät!