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Ausgabe:

März/2002

Spalte:

353 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Nicol, Martin

Titel/Untertitel:

Grundwissen Praktische Theologie. Ein Arbeitsbuch.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2000. 262 S. gr.8. Kart. ¬ 18,30. ISBN 3-17-015276-9.

Rezensent:

Reinhard Schmidt-Rost

"Didaktik ist nichts für Reduktionisten. Didaktik ist vielmehr die Frage nach der Darstellung von Wissen. Wer sein eigenes Wissen als notwendig und bedeutsam schätzt, der wird es anderen vorstellen wollen." (V. Ladenthin, in: Forschung und Lehre, 2001, 306)

Auch die didaktische Aufbereitung praktisch-theologischen Wissens wird in den letzten Jahren immer vielfältiger. Seit Friedrich Wintzers siebenfach neu aufgelegtem und immer noch empfehlenswerten Arbeitsbuch von 1982 hatte sich in dieser Hinsicht wenig getan. Nun gibt es mit den biographisch personorientierten Lesebüchern von Chr. Möller (zur Seelsorge), von Chr. Grethlein/M. Meyer-Blanck (zur Geschichte der Praktischen Theologie) und von K. Raschzok (Praktische Theologie in der NS-Zeit) und mit dem nach Fachgebieten eingeteilten Arbeitsbuch von B.Weyel und M. Meyer-Blanck sowie Brinckmanns, Bukowskis und Lämmermanns Arbeitsbüchern zur Homiletik Beiträge zur Praktischen Theologie, die erkennen lassen, dass das Vermittlungsproblem ernst genommen wird.

Kam in klassischen Lehrbüchern z. B. von D. Rössler (PT), R. Bohren (Predigt), R. Volp (Liturgik) die didaktische Aufgabe nur implizit zur Geltung, so sind die genannten wie das hier vorzustellende Buch ausdrücklich von einer didaktischen Idee aus konstruiert: Die Erarbeitung und Aneignung des Stoffes ist mindestens ebenso wichtig wie der Stoff selbst.

Die Vermittlungsfrage an die PT heranzutragen, ist von besonderem Reiz, weil dieses Fach seit und durch Schleiermacher ursprünglich selbst die Fachdidaktik der modernen wissenschaftlichen Theologie war und sein sollte, sich aber inzwischen im Austausch mit der Geschichtswissenschaft und den Human- und Sozialwissenschaften zu einer eigenen Disziplin mit vielerlei Wissensbeständen entwickelt hat, die didaktisch zu bearbeiten neue Strategien erfordert.

Sein didaktisches Vorgehen erläutert Nicol in der Einführung: Er will Grundwissen nur insoweit vermitteln, als es nötig ist, um Lern- und Denkwege der Praktischen Theologie kennen zu lernen und immer sicherer zu beschreiten. Die Lesevorschläge werden in Pflicht- und Kürtexte sortiert und Leitfragen unterstellt. Hinzukommt ein "Wörterbuch", ein Glossar, das sich der Leser aus den Textvorschlägen zu jedem Thema selbst zusammenstellen kann und muss, die Kategorie "PTips", die auf aktuelle Debatten und Trends hinweisen und damit - für ein Lehrbuch erstaunlich, aber für die Prakt. Theologie sachgemäß- die Abhängigkeit der Praktischen Theologie von der Aktualität nachweisen, und Wiederholungsaufgaben, die in einem Arbeitsbuch, das vor allem auf die Examenssituation zugeschnitten ist, nicht fehlen dürfen.

Der Aufbau des Buches in zwölf Kapitel hält sich zwar in etwa an die traditionelle Disziplinen-Abgrenzung der Praktischen Theologie (1 Gemeinde, 2 Gottesdienst, 3 Predigt, 4 Seelsorge, 5 Unterricht, 6 Nächstenliebe, 7 Medien), die Anordnung entspricht der Schule von Manfred Seitz, mit den vier folgenden "Fokus-Kapiteln" aber bietet N. "exemplarisch Perspektiven an, die zu den klassischen Teilgebieten querlaufen und sie vernetzen" (17); es sind dies die Kapitel: Von Gott reden (8), Leben feiern (9), Übergänge gestalten (10), Gestalt wahrnehmen (11). Die grundsätzliche Perspektive des Faches kommt erst im letzten Kapitel zu Wort (12): "Praktische Theologie. Grundlegung".

Arbeitsbücher sind keine Lesebücher; die Kompression von Wissensstoff verlangt vom Leser viel Verflüssigungsarbeit. N. erleichtert die Arbeit durch einige Textstücke von eher erlebnishafter Qualität. Sie stehen jeweils im ersten Abschnitt der zwölf Kapitel, der "Hinführung" unter den Titeln "Phänomen, Überblick, Problem" verheißt. Der "Hinführung" folgen die "Konzeptionen" und schließlich als dritter Teil die "Perspektiven". Dieser Dreischritt bewährt sich im Wesentlichen, wenn man sich auch bei der Hinführung fragt, ob man die Arbeit der Praktischen Theologie von vornherein so stark problemorientiert fassen soll; aber auch dies ist vor allem eine didaktische und weniger eine systematische Entscheidung.

Unter den Autoren fehlt praktisch kein namhafter evangelischer Fachvertreter bis auf V. Drehsen, der wenigstens mit seiner grundlegenden Analyse zur Entstehung der Praktischen Theologie hätte erwähnt werden müssen. Die katholische praktische Theologie ist immerhin durch N. Greinacher und W. Zerfaß vertreten, O. Fuchs, St. Knobloch, N. Mette, H. Steinkamp, H. Stenger und viele andere hätte man gerne als Vertreter verwandter Auffassungen den Anfängern des Fachs wenigstens genannt gesehen.

Sehr nützlich ist die Abkürzungsübersicht, die auch die wichtigsten Zeitschriften vorstellt, hier fehlen die ev.-kath. Pastoraltheologischen Informationen (PThI).

Vieles könnte man zu Einzelheiten in einzelnen Abschnitten anmerken; zu kontrollieren wäre vor allem der Gebrauch des Wortes "noch", z. B. beim Kindergottesdienst (66): "Der Kindergottesdienst gehört in vielen Gemeinden noch (!) immer zur Normalität des Gemeindelebens". Hier ist etwas von der Selbstsäkularisierung von Kirche auch durch die wissenschaftliche Theologie zu spüren, ob das der Autor so wollte?

Eine kleine Bemerkung zum Fachgebiet Christliche Publizistik, in dem der Rez. eine freundliche Würdigung erfährt: Das dort (192) angeführte Zitat aus der Feder einer bayrischen Theologin befestigt ein Vorurteil, dem N. sich sonst durch die Anlage seines Buches weithin mit Erfolg widersetzt, als seien Dogmatik und Praktische Theologie per se widerstreitende Kräfte: "Ein lebensnaher und lebendiger Text, der dem Hörer Laune macht zu gedanklicher und gefühlsmäßiger Eigeninitiative, bringt in Kopf und Herz mehr in Gang als dogmatisch richtige Gongschläge." Woher, fragt sich - nicht - jeder Student, kommen Anregungen zu gedanklicher Eigeninitiative, wenn nicht - auch - aus der soliden Beschäftigung mit der Dogmatik?

Insgesamt: Ein durchdachter und nützlicher Beitrag zu einer notwendigen, aber wenig geliebten Gattung - wer lernt schon gerne unter Prüfungsdruck? Das Vorurteil, Literatur zur Praktischen Theologie sei Anleitungsliteratur zur förderlichen Führung des Pfarramtes, wird durch dieses Buch erneut entschieden widerlegt. Zu unterstreichen aber ist vor allem N.s Grundauffassung über die Stellung der Praktischen Theologie im Theologischen Studium: "Die Kunst, praktisch-theologisch zu denken, erlernt man nicht in wenigen Wochen, auch nicht in Monaten. Es entspricht altem Denken, die Praktische Theologie erst gegen Ende des Studiums zu betreiben. Ich ermuntere Sie, praktisch-theologische Denkwege möglichst bald einzuschlagen: studienbegleitend, studienmotivierend." (18).

Die Zwischenprüfungsordnung für evangelische Theologie hat diesem ur-schleiermacherischen Anliegen leider lästige Steine in den Weg gelegt. Wir lassen uns davon nicht entmutigen und verfolgen die Vermittlungsaufgabe weiter, denn:

"In der wissenschaftlichen Methode liegen Wohlstand und Fortschritt unserer Gesellschaft begründet. Die wissenschaftliche Methode hat Europa zu dem gemacht, was es ist. Wenn wir an basaler Stelle auf diese Methode verzichten, wenn wir Lehrer [und Pfarrer, d. Rez.] nicht mehr wissenschaftlich ausbilden, damit sie diese Art des Lernens authentisch in die Schulen tragen, dann zerstören wir die Basis unserer Wohlstandskultur. Wir zerstören die Kultur an der Basis" (Ladenthin, 307).