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Ausgabe:

März/2002

Spalte:

334 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Hossenfelder, Malte

Titel/Untertitel:

Der Wille zum Recht und das Streben nach Glück. Grundlegung einer Ethik des Wollens und Begründung der Menschenrechte.

Verlag:

München: Beck 2000. 215 S. 8 = Beck'sche Reihe, 1383. Pp. ¬ 12,50. ISBN 3-406-45923-4.

Rezensent:

Stefan Grotefeld

Ethik erfreut sich nach wie vor einer bemerkenswerten Konjunktur. Wie lange dieser Boom noch anhält, ist allerdings fraglich, tut sich die Ethik doch schwer, die seitens der Öffentlichkeit in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Notorisch enttäuscht sie diejenigen, die von ihr Patentrezepte und eindeutige Antworten auf ethische Sachfragen erwarten. Ethik gibt es nicht im Singular, sondern nur im Plural. Unterschiedliche Moralkonzeptionen liegen miteinander im Widerstreit und dass eine Letztbegründung der Moral möglich ist, wird heute zumeist bezweifelt.

Aus dieser prekären Lage möchte Hossenfelder die Ethik befreien, wenn er - wie es auf dem Umschlagtext des Buches heißt- nichts weniger als "den systematischen Entwurf einer allgemeingültigen Ethik" vorlegt. Dass es moralische Normen von allgemeiner Gültigkeit gibt, glaubt H. beweisen zu können, indem er zeigt, dass alle Menschen notwendigerweise das Recht wollen und nach Glück streben. Die methodischen Grundlagen seiner ambitiösen "Ethik des Wollens" entwickelt er in den beiden ersten Kapiteln des Buches, während die drei folgenden den Themen Recht, Moral und Glück gewidmet sind. Das letzte Kapitel befasst sich mit der Willensfreiheit als einer notwendigen Voraussetzung einer Ethik des Wollens. - Im Folgenden beschränke ich mich auf eine kritische Darstellung einiger Kerngedanken.

Um zu zeigen, dass jeder Mensch im Besitz einer Ethik ist, setzt H. bei der Handlungstheorie ein, wobei er "unter einer Handlung die bewußte Verfolgung eines Zweckes" (17) versteht. Jede Handlung, so argumentiert H., beruhe auf einer freien Entscheidung zwischen Handlungsalternativen bzw. der Möglichkeit zu einer solchen Entscheidung, selbst wenn sich der Handelnde dessen nicht immer bewusst und die betreffende Handlung ausgesprochen banal sei. Da jede solche Entscheidung wiederum auf Grund einer bestimmten Norm erfolge, bedürfe eine Person, um handlungsfähig zu sein, notwendigerweise eines Normensystems. Jedes Handeln sei rational, weil es- bewusst oder unbewusst - einer bestimmten Norm folgt und insofern auch begründet werden könne. Die Rationalität von Handlungen ist für H. also bereits mit deren Definition als bewusster Zwecktätigkeit gegeben, so dass eine Kritik der Rationalität von Handlungen ebenso ausgeschlossen scheint wie eine Kritik der Handlungsziele, zumal der Vf. den radikalen Dezisionismus mit der Begründung zurückweist, jede Entscheidung für eine bestimmte Norm könne nicht anders denn als ein Akt der Vernunft gedacht werden. Zwar sei eine eigentliche Letztbegründung ausgeschlossen, da es keine oberste Norm gebe, aus der sich alle anderen Normen ableiten ließen, doch würden - und hier liegt die eigentliche Pointe seines Buches - die Gesetze der Natur und der Logik gewisse Grenzen setzen, so dass eine Letztbegründung zumindest gewisser Normen möglich sei, indem gezeigt werde, dass alle Menschen diese Normen notwendigerweise, d. h. a priori, wollen.

Zum einen ist es der Wille zum Recht, den H. als ebenso fundamental wie allgemeingültig erweisen möchte. Jeder Mensch wolle nicht nur seine Zwecke erreichen, sondern zugleich auch "eine allgemeine Zweckharmonie nach allgemeinen Regeln" (48), denn darauf sei er, um bei der Verfolgung eigener Zwecke Konflikte mit anderen zu vermeiden, angewiesen. Die Aufgabe des Rechts, das er in Anlehnung an und in Abgrenzung zu Kant als den "Inbegriff der Bedingungen" definiert, "unter denen alle Zwecke aller zusammen bestehen können" (49), sieht H. eben darin, diese äußere Zweckharmonie herzustellen. Das Recht beziehe sich "nur auf gleichrangige Zwecke" (61), so dass Freiheit und Gleichheit der Idee des Rechts inhärent sein sollen. Die entscheidende Frage ist nun, warum jeder Mensch das solcherart bestimmte Recht will. Tatsächlich hat es das Recht ja immer wieder mit Konflikten zwischen Menschen zu tun, die ihre Zwecke nicht als gleichrangig betrachten. H.s Antwort lautet, dass ein Gewalttäter oder Diktator zwar eine äußere Harmonisierung der Handlungen (nicht der Zwecke) erzwingen könne, doch werde eine solche Ordnung stets fragil bleiben. Seines Erfolges könne er nie sicher sein und wer dennoch versuche, seine Zwecke mit Gewalt durchzusetzen sei eben uneinsichtig und dürfe im Namen des Rechts und damit im Interesse einer äußeren Harmonisierung der Zwecke mit Gewalt in die Schranken gewiesen werden. Hierbei, wie H. meint, von einer Letztbegründung des Rechtes sprechen zu wollen, wäre m. E. verfehlt; vielmehr wird die Respektierung des Rechts im Kontext dieser sich als "radikal egoistisch" (74) verstehenden Ethik des Wollens dem strategischen Kalkül des Stärkeren anheim gestellt.

Nachdem H. in einem Zwischenkapitel der Moral die (Bildungs-)Aufgabe zugewiesen hat, der egoistisch motivierten Einsicht in den Sinn des Rechts und der Rücksichtnahme Geltung zu verschaffen, bemüht er sich das Streben nach Glück als ebenso fundamental und allgemeingültig zu erweisen wie den Willen zum Recht. Fundamental sei das Streben nach Glück deshalb, weil der Wille genötigt sei, sich an den je eigenen Wünschen zu orientieren, deren Verwirklichung H. als Glück definiert. Um glücklich zu sein, dürfe man nur solche Wünsche haben, "deren Erfüllung gesichert ist" (168), was näherhin bedeute, dass eine innere Harmonie der Wünsche erzielt sowie eine Verletzung der Rechtsgesetze und der sozialen Forderungen vermieden werden müsse. Ob die von H. formulierte oberste Glücksregel tatsächlich, wie er meint, a priori gilt, erscheint fraglich. Denn dass man glücklich wird, indem man sich auf möglichst wenige, erfüllbare Wünsche beschränkt, dürfte nicht für jeden und jede gelten; eher schon für pessimistische und risikoscheue Zeitgenossen.

Positiv sei vermerkt, dass sich H.s Gedankenführung durch Schärfe und Verständlichkeit auszeichnet; dass sein Buch die Ethik aus ihrer eingangs skizzierten, prekären Lage zu befreien vermag, bezweifle ich.