Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2002

Spalte:

326 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schwaetzer, Harald

Titel/Untertitel:

Aequalitas. Erkenntnistheoretische und soziale Implikationen eines christologischen Begriffs bei Nikolaus von Kues. Eine Studie zu seiner Schrift De aequalitate.

Verlag:

Hildesheim-Zürich-New York: Olms 2000. 197 S. gr.8 = Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie, 56. Kart. ¬ 24,80. ISBN 3-487-11195-0.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Der Rez. muss zugeben, dass die Lektüre dieses Buches ihm Schwierigkeiten bereitete. Das hat mehrere Gründe. Einmal liegt das daran, dass der Vf. sehr selbstbewusst in das Buch mehr hineinpackt als gut ist. Vor allem der dritte Teil hat mit den beiden ersten Teilen kaum etwas gemein. Dann ist die Sprache schwierig. Schließlich liegt das daran, dass die Gliederung nicht überzeugt; Teil 2.2 (Grundlegung der christologischen Erkenntnistheorie) hätte besser hinter Teil 2.3. aequalitas in den Spätschriften) gestanden. Man muss die Schriften des Nikolaus von Kues (= NvK) sehr gut kennen, will man verstehen, was der Vf. schreibt. Unnötige Wiederholungen und manche Fehler (116, A. 4: Fall Konstantinopels 1453!) stören. Warum übersetzt er lateinische Texte im dritten Kapitel, aber nicht in den beiden ersten?

Im 1. Kapitel (11-32) behandelt der Vf. die kleine Schrift De aequalitate des NvK, wobei es ihm jedoch mehr um den Begriff aequalitas geht. Über Pico della Mirandola, den der Vf. zu Unrecht als Schüler des NvK bezeichnet (vermutlich ist nur These 14 seiner 71 Thesen in den Konclusionen von ihm abhängig) will er die Bedeutung des Begriffs auch für die Gegenwart ausweisen. NvK gebraucht aequalitas häufig in einem Ternar (unitas - aequalitas - conexio), versteht ihn also christologisch, doch der Vf. versucht nachzuweisen, dass er ihn auch erkenntnistheoretisch und ethisch versteht. Das ist bisher in der Forschung zu kurz gekommen.

In Kapitel 2 ("Eine christologische Erkenntnistheorie", 33-145) erhebt er den Neuansatz des Begriffs in De aequalitate, indem er dem Gebrauch des Begriffs in seinen früheren Hauptschriften (und am Ende in seinen späteren) nachgeht, vor allem im Unterschied zur alteritas in der Schöpfung. Den Ternar entlehnt NvK von Thierry von Chartres (39, A. 23; 76; 83 f.). "Der Begriff aequalitas gehört zum Grundbestand terminologischen Vokabulars im Werk des Nikolaus von Kues" (34), er kommt schon in De docta ignorantia und in De coniecturis vor; hier als ethischer Begriff (bes. 50). In De sapientia verdeutlicht er die Inkarnation, in De mente ist die aequalitas "unitatis imago" (56). In De beryllo vermag Ähnlichkeit sich "in der vernünftigen Seele des Menschen abzuspiegeln", wobei in der Inkarnation "ungeschaffener Gott und geschaffener Intellekt" geeint sind (62 f.). In De aequalitate vertritt NvK die These, "die Außendinge seien in ihrem Wesen erkennbar" (75). Im Anschluss an und im Unterschied zu Augustin entwickelt NvK nun eine "christologische Erkenntnistheorie", ausgehend von dem Ternar, spezifiziert anhand des Syllogismus (94). Der Vf. betont dabei "die Einheit von ungeschaffenem Gott und geschaffenem Intellekt durch die Inkarnation", das verbum wird bestimmt als consubstantialis similitudo (98). Dabei versucht der Vf., NvK als modernen "Subjektphilosophen" zu verstehen (102, A 70). Der Vf. resümiert: Mit De aequalitate hat NvK "eine theologische Erkenntnislehre vorgelegt, die auf der Inkarnation basiert und Außenerkenntnis als koinzidentale Methode der Geisterkenntnis inauguriert" (113). In den Spätschriften sieht der Vf. im Begriff non aliud eine Reformulierung von aequalitas, wobei das non aliud der gesamten Trinität zu Grunde liegt (123). In De ludo globi dagegen sieht er eine (werte-) ethische Dimension des Begriffs.

In Kap. 3 (Gleichheit - soziale Implikationen, 146-186) will der Vf. eine "Nutzanwendung" des bisher Vorgetragenen liefern (146, A. 2). Einsichtig ist es ja noch, cusanische Gedanken bei Pico della Mirandola aufzuspüren, aber kaum bei Günther Anders und seiner "philosophische[n] Anthropologie im Zeitalter der Technokratie", wobei der Vf. seinen Ausgang nimmt bei dessen Analyse der Scham. Dann kommt Nietzsche ins Spiel, Buber, Camus. Der Rez. begreift nicht, was sie mit De aequalitate zu tun haben, mit "Nihilismus der moralischen Phantasie"? Was hat Anders' Skeptizismus oder der von Camus mit der christologischen Erkenntnistheorie des NvK gemein? Hat nicht der Vf. versucht, hier einen anderswo schon veröffentlichten Beitrag irgendwie in die vorgelegte Monographie einzubauen (165, A. 1)? Von Camus' homo Europaeus hin zu NvK' idiota scheint dem Rez. doch ein ziemlich weiter Weg zu sein. Erst ganz am Ende des Kapitels taucht dann der Begriff aequalitas wieder auf. Wiederholt werden Vergleiche mit Kant gezogen, Goethe wird genannt und schließlich gar Bernhard Rensch. Dass "die cusanische Theorie der Gleichheit ein bedenkenswertes Instrumentarium im Umgang mit Erkenntnistheorie, Ethik und Sozialität vor dem Hintergrund gegenwärtiger Problemfelder" bildet, soll gewiss nicht bestritten werden, aber die genannten Beispiele überzeugen den Rez. jedenfalls nicht. Die beiden ersten Kapitel enthalten aber viele gute Gedanken.