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Ausgabe:

März/2002

Spalte:

319–321

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Neuenschwander, Ulrich, u. Werner Zager

Titel/Untertitel:

Gott denken angesichts des Atheismus.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2001. X, 310 S. 8. Kart. ¬ 24,90. ISBN 3-7887-1845-5.

Rezensent:

Bernd Hildebrandt

W. Zager kommt das Verdienst zu, weitere Arbeiten des bedeutenden liberalen Theologen U. Neuenschwander (1922-1977) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben. Er rundet die Herausgabe von drei für den Druck überarbeiteten Vorlesungen N.s mit einem eigenen Aufsatz über Albert Schweitzer und seine Bedeutung für unsere Zeit unter dem Titel "Ehrfurcht vor dem Leben und elementare Frömmigkeit" ab. Dieser Aufsatz legt dar, dass für A. Schweitzer "die Ehrfurcht vor dem Leben nicht nur Quelle des ethischen Verhaltens, sondern zugleich auch die Quelle wahrer Frömmigkeit" ist (294).

Damit wird auch schon das Anliegen N.s angesprochen, den Glauben an Gott in der Ehrfurcht als spontaner, die ganze Existenz bewegender Reaktion auf die Erfahrung der Kreatürlichkeit verwurzelt zu sehen. Gleichwohl darf das N. zufolge nicht dazu führen, ontologische Aussagen über Gott zu vernachlässigen. Denn: "Das Wort ,Gott' ist nur sinnvoll, wenn wir es als Ausdruck des Einen, Letzten, Gesamten, Umgreifenden nehmen, in dem alles Sein und aller Sinn von Sein begriffen ist" (183). Der Glaube an Gott versteht sich heute nicht mehr von selbst. Das stellt für den Glauben, der nach Einsicht verlangt, eine besondere Herausforderung dar. N. nimmt sie an. Sachlich gesehen setzt er mit dem Nachdenken über den Stellenwert der Frage nach Gott ein. Sie ist nicht beliebig. Vielmehr reagiert der Mensch mit der Frage nach einer nicht weltbedingten Wesenheit auf die Art und Weise, wie er sich in der Welt vorfindet (186). Daraus erwachsen gewiss keine Gottesbeweise. "Eine Frage ist nicht eine Antwort. Eine Frage ist keine Gotteserkenntnis ... aber immerhin eine Frage" (193). Apologetischen Bemühungen in Richtung einer rational-dogmatischen Metaphysik erteilt N. ebenso eine Absage wie dem bloßen Insistieren auf der Autorität des biblischen Wortes oder der historisierenden Begründung des Glaubens durch das Wunder. Aber das bedeutet für N. nicht, den Gottesglauben exklusiv auf die Christusoffenbarung zu gründen und alles religiöse Fragen und menschliche Nachdenken über Gott als sündiges Unterfangen des Menschen abzuweisen.

Die Beiträge sind so zusammengestellt, dass am Anfang die Vorlesung steht, die den neuzeitlichen Atheismus in seinen unterschiedlichen Gestalten thematisiert und dabei die zunächst noch verdrängte bzw. in Ersatzreligionen kompensierte, dann aber schon bei Nietzsche und vollends im 20. Jh. hervortretende nihilistische Tendenz als Wesenszug des Atheismus hervorhebt. In dieser Tendenz wird das Zerbrechen jedes geschlossenen Weltbildes und eines den Menschen darin bergenden Sinnzusammenhangs bewusst. Diese Tendenz muss sich nicht sofort und jederzeit dramatisch darstellen, bleibt aber die latente Gefahr und macht unfähig, den hintergründigen Dämonien zu begegnen (53). Dass der Nihilismus und mit ihm der Atheismus der menschlichen Wirklichkeit nicht entspricht, zeigen die mitunter krampfhaft anmutenden Anstrengungen des existentialistischen Atheismus, sich dem Schatten des Nihilismus durch die Apotheose der menschlichen Freiheit zu entwinden (64).

Die alle Vorlesungen N.s durchziehende Auseinandersetzung mit dem Atheismus spitzt sich noch einmal zu, wenn es um die Theodizeeproblematik geht. Der Vf. macht deutlich, dass die negativen Existenzerfahrungen nicht eigentlich der Grund für den Atheismus sind. In anderen Zeiten sind solche Erfahrungen durchaus nicht atheistisch interpretiert worden. Eine noch von anderen Faktoren gespeiste atheistische Kultur ist es, in der solche Erfahrungen das Gewicht eines Arguments gegen Gott bekommen (93).

Nicht zuletzt die Wende der Theodizeeproblematik dahin, dass der Mensch nunmehr zum Ankläger Gottes wird, hat in der Sicht N.s das Aufkommen einer Theologie des ,Todes Gottes' befördert. Das hindert N. aber nicht, die Schwächen dieser Gott-ist-tot-Theologie aufzuzeigen. Die zweite Vorlesung bringt N.s Auseinandersetzung mit ihr. N. erinnert an das Reden von der Verborgenheit Gottes, das aufgerufen und ernst genommen werden müsste, um die Frage des Leides und überhaupt die Situation der Zwiespältigkeit der Wirklichkeit theologisch verantwortlich zu bewältigen. Wohltuend klar gegenüber manchen theologischen Vernebelungen im Gebrauch des Wortes ,Atheismus' definiert N. den Atheismus als die Auffassung von der Suffizienz des innerweltlichen Seins sowohl in ontologischer als auch existentieller Hinsicht (6). Demgegenüber steht und fällt christlicher Glaube mit dem Ja zu einer transzendenten Wirklichkeit (125). Entsprechend kritisch fällt N.s Urteil über die Gott-ist-tot-Theologie aus, die mit ihrer radikalen Distanzierung vom Theismus bzw. von der (platonischen) Metaphysik dem biblischen Gottesverständnis und dem durch Jesus von Nazareth bezeugten Menschentum die Grundlage entzieht. Indem der Vf. auf Ermöglichungsgründe in der theologischen Tradition für dieses Theologisieren aufmerksam macht, weitet sich seine Kritik aus. Sie gilt einerseits der oben schon erwähnten falschen Apologetik und einem Gottesverständnis, welches das Dunkle in Gott ausklammert (169 f.), andererseits aber auch einer radikalen Offenbarungstheologie, welche die Christuswirklichkeit als alleiniges Bindeglied zwischen Gott und Mensch und schließlich einen christozentrischen A-Theismus behauptet (189).

Die dritte Vorlesung bringt dann pointiert N.s eigene Antwort auf die Gotteskrise. Angesichts der dadurch ausgelösten Infragestellung des Glaubens zeigt der Vf. einen Glauben auf, der in die Spannung des "Nemo contra deum nisi deus ipse" hineingestellt ist. Dieser Glaube beansprucht, gegen die Eindeutigkeit des Atheismus als Nihilismus und gegen die Eindeutigkeit eines alles als sinnhaft empfindenden Glaubens die Wirklichkeit unverstellt wahrzunehmen. Hilfreich erscheint es, wenn der Vf. angesichts des "Unverstandenen, in dem das Geheimnis Gottes als quälendes Rätsel auftritt" sogar die Resignation als Moment des Glaubens charakterisiert (266). Gleichwohl ist solcher Glaube, der mit der Ehrfurcht vor Gott in der Erfahrung der Geschöpflichkeit anhebt und der in der Liebe Christi das Kriterium der Eindeutigen in der Zweideutigkeit der Wirklichkeit findet, letztlich daseinsbejahend. Er lässt sich auf die Welt ein und führt doch zugleich über sie hinaus. Er kann folglich nicht ohne das Element der Erlösung gesehen werden.

Der Rez. möchte das Buch nicht nur als beachtliches Dokument der inzwischen Geschichte gewordenen theologischen Debatte um die Gott-ist-tot-Theologie anzeigen. Es geht um mehr. Mit ihrer klaren Argumentation und ihrer Lebensnähe im Fragen wie im Antworten sprechen die Ausführungen N.s unmittelbar an. Sie sind ein konstruktiver Beitrag zu der heute nicht weniger dringend als vor 30 Jahren gestellten Aufgabe, Gott angesichts des Atheismus zu denken.