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Ausgabe:

März/2002

Spalte:

302–304

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zangenberg, Jürgen

Titel/Untertitel:

Frühes Christentum in Samarien. Topographische und traditionsgeschichtliche Studien zu den Samarientexten im Johannesevangelium.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 1998. XIII, 292 S. 8 = Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter, 27. Kart. ¬ 44,00. ISBN 3-7720-1878-5.

Rezensent:

Klaus Scholtissek

Die neutestamentliche Dissertation (Heidelberg, Wintersemester 1995/1996, bei Klaus Berger) greift ein interessantes, methodisch und hermeneutisch anspruchsvolles Thema auf: Sie befragt die joh Samarientexte (3,22-30; 4,1-43; 8,48; 10,16; 11,54) im Blick auf die umstrittenen Fragen nach dem Ort und der Theologie des JohEv. Dazu diskutiert Z. zunächst unabhängig von den joh Texten den nachweisbaren archäologischen Befund (die "materielle Kultur"), um dann in einem zweiten Durchgang das einschlägige joh Textzeugnis (die "literarische Kultur") zu analysieren und interpretieren. Die Unterscheidung und Verbindung der archäologischen, historischen, traditionsgeschichtlichen und joh Fragestellungen wird umsichtig und reflektiert durchgeführt. Da "das JohEv ... in einen kreativen Kommunikationsprozeß eingeordnet" ist, möchte die vorliegende Arbeit "dessen realgeschichtliche Komponenten" und "deren Auswirkung auf die den Text tragende Gemeinschaft" untersuchen (5). Für Z. können ein Verzicht auf weitreichende literarkritische Optionen, die Wahrnehmung von Text-"Fenstern" "in die der Verschriftlichung vorausliegende Geschichte der Gemeinde" (5) sowie die historisch-geographisch interessierte Lokalkoloritforschung eine erhellende Synthese eingehen.

Bestens präpariert für diese Aufgabenstellung hat sich Z. schon durch die von ihm herausgegebene Quellensammlung antiker literarischer Zeugnisse über die Geschichte und Kultur der Samaritaner1, einer heterodoxen jüdischen Gruppierung, die oft im Schatten der exegetischen Aufmerksamkeit steht (vgl. aber die Literaturhinweise in Anm. 3 u. 22). Die hier gewählte Themenstellung lässt sich in der übergreifenden Frage nach einer Geschichte des frühen Christentums in Samarien verorten, zu der mit diesen Studien ein wichtiger Baustein geliefert wird. Für das samaritanische Material im LkEv und der Apg liegt neuerdings die Studie von Martina Böhm vor.2

Z. setzt ein mit einem kundigen, von Kartenskizzen begleiteten Referat des Forschungsstandes zur "Archäologie und Landeskunde Samariens in hellenistisch-römischer Zeit" (10-57), in dem die Geographie (12: "Das samarische Bergland stellt den nördlichen Mittelabschnitt des in Süd-Nord-Richtung verlaufenden westpalästinensischen Gebirgszuges dar, ...") und Grenzen, die Verkehrswege, die Dörfer und Städte Samariens (das in neutestamentlicher Zeit unbedeutende Sichem [Tel Bala-t.a], Flavia Neapolis, Samaria-Sebaste) sowie der Garizim ausführlich berücksichtigt werden. In neutestamentlicher Zeit lebten sowohl Samaritaner (Angehörige der samaritanischen Religionsgemeinschaft) als auch Juden und Heiden in dieser Region (vgl. 23.56).

Auf dem Hintergrund der "zentralen geographischen Lage der Region, der Existenz der Samaritaner als spezifisch kulturelle Komponente und der inhaltlichen Konkurrenzsituation zwischen Juden und Samaritanern" (57) interpretiert Z. die joh Textzeugnisse: Joh 3,22-30 zeige, dass es neben den Samaritanern auch Täufergruppen in Samarien gegeben hat: "Aenon nahe von Salem" (Joh 3,23) identifiziert der Verfasser mit dem heutigen Salim etwa 5 km östlich von Sichem (63). Die in Joh 3 genannten Jünger Johannes des Täufers seien - so die steile These - ursprünglich unabhängig von Johannes dem Täufer, dessen Wirkstätte auch im JohEv mit "Bethanien jenseits des Jordan" (1,28; vgl. 3,26; 10,40) angegeben werde, agierende Gruppen gewesen, die im JohEv theologisch vereinnahmt und zu Johannesjüngern "deklariert wurden" (68). Insgesamt ziele die joh Komposition in 3,1-36 nicht auf antitäuferische Polemik, sondern auf die "Integration von Täuferanhängern in die joh Gemeinde" (77).

In seiner Auslegung der Begegnung zwischen Jesus und der Samariterin und den Samaritern in Joh 4,1-43 betont Z. die Unmöglichkeit, von Joh 4 direkt auf eine samaritanische Verortung des JohEv im geographischen und/oder theologiegeschichtlichen Sinn zu schließen (90.193 f.222 f.). Dennoch ist das samaritanische Lokalkolorit bedeutend: Der Jakobsbrunnen bei Sychar (nicht Sichem, wie es eine weitverbreitete Tradition will) sei "im Umkreis des modernen Dorfes el-'Askar" (100) zu verorten (96-106). Inhaltlich geht es nach Z. in Joh 4 um die Absicht des Evangelisten, der samaritanischen Christengruppe, für die die Samariterin stehe, bei den johanneischen Christen Akzeptanz zu verschaffen (118 f.). Der Gesprächsverlauf in Joh 4 spiegele die jüdisch-samaritanische Konkurrenz und Polemik wieder, die jedoch von Jesus überboten werde: Weder die "Väter" Jakob und Abraham (vgl. 4,12.20; 8,30-59) noch die Kultorte Garizim oder Jerusalem bleiben die entscheidenden Orientierungsmaßstäbe, sondern das christologisch vermittelte Heil (Z. spricht in diesem Zusammenhang vom "dritten Weg", den das JohEv wähle; 148). Freilich zeigt 4,22, wie sehr der Evangelist die "einzigartige heilsgeschichtliche Bedeutung des Judentums für die Existenz jeglicher christlicher Gemeinden" (151) betont. Die Selbstoffenbarung Jesu als Messias in 4,25-26 deutet Z. m. E. zu einseitig von dem erwarteten Propheten wie Mose als autoritativem endzeitlichen Lehrer her (Dtn 18,15-18; vgl. 155-165). Insgesamt deutet Z. Joh 4 als "ätiologische Legende zur Begründung der Existenz samarischer Christen und paränetischen Appell zur Legitimation ihrer Aufnahme in den joh Gemeindeverband" (173).

In dem Vorwurf an Jesus, ein Samaritaner zu sein (8,48), spiegele sich die jüdisch-samaritanische Konkurrenz um die rechtmäßige Patriarchensukzession. Aus der Sicht der joh Juden rücke Jesus auf die Seite der Samaritaner, wenn er in 8,30-59 die Abrahamskindschaft "der Juden" problematisiere (vgl. 202).

Streitbar sind besonders folgende Erklärungen: Mt 10,5 sei hinsichtlich der Beurteilung der Samaritaner "eine Art sachliches Gegenstück zu Joh 4,1-43" (190). Das Bekenntnis der Samariter in 4,42 "Dieser ist wahrhaft der Retter der Welt" sei nicht im Blick auf die Heidenmission gesprochen (176-179); überhaupt "schweige" das JohEv "von der Heidenmission" (vgl. 178 Anm. 690; 210 Anm. 782). Auch Joh 10,16 interpretiert Z. nicht als programmatische Aussagen über eine missionarische Zuwendung zu den Heiden, sondern bezieht sie auf "durch Verfolgungen zerstreute und eingeschüchterte Christen" (212). Der Hinweis auf Efraim (= et-Taiyibe) in Joh 11,54 sei nicht durch das Wissen um die Existenz einer dort lebenden christlichen Gemeinde, sondern durch die guten palästinensischen Ortskenntnisse des Evangelisten ("Efraim als Zufluchtsort" Jesu) zu erklären.

Insgesamt deutet Z. das JohEv "innerisraelitisch" (227) mit starkem "palästinensischen Erdgeruch" (226) - eine Abfassung in Kleinasien komme daher nicht in Betracht; eine Datierung vor 70 n. Chr. sei "durchaus möglich": Dem Evangelisten gehe es wahrscheinlich darum, mehrere theologisch und soziologisch verwandte Gemeinden unter "ein gemeinsames konzeptionelles Dach" (227) zu stellen. Ein literarischer Kontakt zum LkEv und den dortigen Angaben über Samarien lege sich nicht nahe. Mit diesen weitreichenden Thesen zum Schluss seiner Ausführungen verlässt der Autor m. E. unnötig schnell die von ihm selbst ausdrücklich betonte beschränkte Reichweite der joh Samarientexte (bes. Joh 4), die sich "nicht als Schlüssel zur Erklärung der Theologie, Sprache, Soziologie etc. des JohEv in seiner Gesamtheit" (223) eignen.

Dem Autor bleibt zu bescheinigen, dass er in seiner gründlichen Studie die komplexe Frage nach der archäologischen, traditionsgeschichtlichen und redaktionellen Bedeutung der Samarientexte im JohEv auf einem ansprechend hohen Niveau diskutiert und weitergeführt hat.

Fussnoten:

1) Vgl. Jürgen Zangenberg, AMAPEIA. Antike Quellen zur Geschichte und Kultur der Samaritaner in deutscher Übersetzung (TANZ 15), Tübingen 1994.

2) Vgl. Martina Böhm, Samarien und die Samaritai bei Lukas. Eine Studie zum religionshistorischen und traditionsgeschichtlichen Hintergrund der lukanischen Samarientexte und zu deren topographischer Verhaftung (WUNT 2/111), Tübingen 1999 (vgl. ThLZ 126, 2001, 922 f.).